Sommer 2012 - Stadtgemeinschaft Tilsit eV - Landsmannschaft ...
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Auch dieser Auftrag war eine „Ringeltaube“.<br />
Prompt brachte der Geldbriefträger<br />
das Honorar. Elf Zeitungen<br />
druckten das „Ferienerlebnis“ nach.<br />
Vier von ihnen gehörten nicht zu den<br />
„Raubrittern“ aus dem Deutsch-<br />
Ordensland. Sie zahlten unaufgefordert<br />
ein Nachdruckhonorar. Die Kohlen<br />
stimmten. Trotzdem fielen die Ferien<br />
ins Wasser, aber diesmal nicht<br />
wegen eines Auftrags, sondern weil<br />
sie – aus finanziellen Gründen – nicht<br />
eingeplant waren. Wird der Mensch<br />
älter, betreibt er Planwirtschaft.<br />
Vierzehn Tage später erhielt ich eine<br />
Ansichtskarte aus Norderney. Mit<br />
herzlichem Dank für die „schönste<br />
Feriengeschichte“ – „Sie haben uns<br />
den Aufenthalt auf der Insel zu einem<br />
‚wahren’ Erlebnis gemacht!“ (Nicht<br />
nur Schriftsteller übertreiben, musste<br />
ich feststellen.) Und der Schlusssatz:<br />
„Wie müssen Sie die Insel in diesem<br />
<strong>Sommer</strong> erlebt haben! Wie beneiden<br />
wir Sie darum... in heimatlicher Verbundenheit...“<br />
Leserzuschriften vermögen, so heißt<br />
es, dem Autor bisweilen sogar den<br />
Steuerbescheid zu versüßen! Dreihundertvierundsechzig<br />
Mark und<br />
zwei glückliche Leser! Was will man<br />
mehr!<br />
Ich schnitt die Geschichte aus der<br />
Zeitung und legte die „Ringeltaube“ in<br />
meine Ausschnittmappe, zu der alten,<br />
der wahren Feriengeschichte. In<br />
der Hoffnung, sie werde sich mit den<br />
Möwen auf den alten Fotos vertragen,<br />
die eine Feriengeschichte zierten,<br />
die tatsächlich eine solche war,<br />
mir aber weder den Dank eines<br />
glücklichen Lesers noch die Beteuerung<br />
heimatlicher Verbundenheit eingebracht<br />
hatte.<br />
Das Häslein<br />
Unterm Schirme, tief im Tann,<br />
hab ich heut gelegen,<br />
durch die schweren Zweige rann<br />
reicher <strong>Sommer</strong>regen.<br />
Plötzlich rauscht das nasse Gras –<br />
stille! nicht gemuckt! –<br />
Mir zur Seite duckt<br />
sich ein junger Has’...<br />
Dummes Häschen,<br />
bist du blind?<br />
Hat dein Näschen<br />
keinen Wind?<br />
Doch das Häschen, unbewegt,<br />
nutzt, was ihm beschieden,<br />
Ohren weit zurückgelegt,<br />
Miene schlau zufrieden.<br />
Ohne Atem lieg ich fast,<br />
lass die Mücken sitzen;<br />
still besieht mein kleiner Gast<br />
meine Stiefelspitzen...<br />
Um uns beide – tropf, tropf, tropf –<br />
traut eintönig Rauschen –<br />
auf dem Schirmdach – klopf, klopf, klopf –<br />
und wir lauschen – lauschen.<br />
Wunderwürzig kommt ein Duft<br />
durch den Wald geflogen;<br />
Häschen schnuppert in die Luft,<br />
fühlt sich fortgezogen;<br />
Schiebt gemächlich rückwärts, macht<br />
Männchen aller Ecken...<br />
Herzlich hab ich aufgelacht –<br />
Ei, der wilde Schrecken!<br />
Christian Morgenstern<br />
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