Sommer 2012 - Stadtgemeinschaft Tilsit eV - Landsmannschaft ...
Sommer 2012 - Stadtgemeinschaft Tilsit eV - Landsmannschaft ...
Sommer 2012 - Stadtgemeinschaft Tilsit eV - Landsmannschaft ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Beim Fischer am Ustrichsee<br />
Von Eva M. Sirowatka<br />
Pfingsten regnete es bei uns in Ostpreußen<br />
oft, zumindest an einem Feiertag;<br />
und doch ist Pfingsten untrennbar<br />
verbunden mit maienfrischem<br />
Grün, blühendem Flieder,<br />
roten Pfingstrosen, Narzissen und<br />
Vergissmeinnicht.<br />
An so einem Pfingsttag, bei Sonnenschein,<br />
machten wir uns auf den<br />
Weg zum Ustrichsee. Ich war ein<br />
Kind, das noch nicht zur Schule ging,<br />
doch durfte ich meine Eltern schon<br />
auf solchen Wanderungen begleiten.<br />
Am frühen Vormittag zogen wir durch<br />
den Wald zum Ustrichsee. Mein Vater<br />
und sein Freund trugen die<br />
schweren Rucksäcke mit Proviant,<br />
die Frauen führten Taschen mit Decken<br />
und Badezeug mit; ich trug den<br />
Wasserkessel. Wie schon so oft,<br />
wollten wir am See bei einem Lagerfeuer<br />
kochen. Im Wald war es herrlich.<br />
Es duftete nach Maiglöckchen<br />
und Waldmeister; in der Ferne hörte<br />
man den Kuckuck rufen. Nach zwei<br />
Stunden Wanderung hatten wir unser<br />
Ziel erreicht. Unweit der Schleuse<br />
beim Ustrichsee fanden wir auf einer<br />
kleinen Wiese einen geeigneten Lagerplatz.<br />
Mein Vater schwamm mit<br />
dem Wasserkessel ein Stück auf den<br />
See hinaus, um klares Wasser zum<br />
Kochen zu schöpfen. Ich sammelte<br />
eifrig trockene Äste für unser Feuer.<br />
Meine Mutter breitete auf der<br />
Seewiese ein blütenweißes Tuch aus<br />
und richtete die mitgebrachten Köstlichkeiten<br />
an: Kartoffelsalat mit Würstchen,<br />
kalten Braten, Schinkenbrote<br />
und anderes mehr. Gerade als mein<br />
Vater mit dem frisch gefüllten Wasserkessel<br />
dem kühlen Nass entstieg,<br />
begann es leise zu regnen. Zuerst<br />
nur sacht, doch bald so stark, dass<br />
das Lagerfeuer ausgelöscht wurde.<br />
Eilig rafften wir unsere Sachen zusammen,<br />
suchten unter einer alten<br />
hohen Tanne Schutz und umhüllten<br />
uns mit Decken und Badetüchern.<br />
Bald aber regnete es so sehr, dass<br />
wir uns tiefer in den Wald zurückziehen<br />
mussten. Die mitgebrachten<br />
Köstlichkeiten schmeckten auch bei<br />
Regen unter dem grünen Dach hoher<br />
Baumkronen; den heißen Kaffee<br />
vermissten wir sehr. Da der Regen in<br />
einen Landregen auszuarten schien,<br />
machte mein Vater den Vorschlag, in<br />
der Fischerhütte bei der Ustrichschleuse<br />
Schutz zu suchen. Diese<br />
Hütte wurde im <strong>Sommer</strong> von einem<br />
alten Fischer bewohnt, der die Fischerrechte<br />
in dem Alle-Fluss gepachtet<br />
hatte. Er war uns nicht unbekannt,<br />
da wir öfter von ihm Aale<br />
kauften. Vaters Vorschlag fand allgemeinen<br />
Beifall; zehn Minuten später<br />
saßen wir eng zusammengerückt<br />
bei dem gastfreundlichen alten Mann<br />
in der Hütte, die zur Hälfte auf Pfählen<br />
stehend in die Alle hineinragte.<br />
Darunter hatte der Fischer seine<br />
Fischkästen angebracht.<br />
Ein kleines Fenster zum Fluss hin ließ<br />
nur wenig Licht in die Hütte dringen;<br />
über uns hingen Netze zum Trocknen.<br />
Unter uns rauschte der Fluss.<br />
Dazu schlug der Regen eintönig auf<br />
das Pappdach der Hütte. Diese ungewöhnliche<br />
Umgebung, der halbdunkle<br />
Raum, der Geruch nach Fischen,<br />
nach Teer, Leder, Holz und<br />
29