Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis) - gesamtausgabe
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f~ 122 II. Ver Anklang Das Vielen und Allen Gemeine ist das fur die»Vielen«, was sie als das Dber-ragende kennen; daher das Ansprechen auf Berechnung und Schnelligkeit, wie umgekehrt diese wieder clem Massenhaften die Geleise und die Rahmen beistellen. Hier die schiirfste, weil unauffiilligste Gegnerschaft gegen das Seltene, Einzige (das Wesen des Seins). Dberall in diesen Verhullungen der Seinsverlassenheit macht sich das Unwesen des Seienden, das Unseiende breit und zwar im Schein eines »groBen« Geschehens. Die Ausbreitung dieser Verhullungen der Seinsverlassenheit und damit gerade ihrer selbst ist das stiirkste, weil zuniichst gar nicht merkliche Hindernis fur die rechte Einschiitzung und Griindung der Grundstimmung der Verhaltenheit, in der erst das Wesen der Wahrheit aufleuchtet, sofern die Verriickung in das Da-sein geschieht. Jene Weisen des Aufenthalts im Seienden und seiner »Beherrschung« sind aber deshalb so untergrabend, weil sie sich nicht etwa eines Tages einfach abtragen lassen als scheinbar nur iiuBere Formen, die ein Inneres umschlieBen. Sie setzen sich selbst an die Stelle des Inneren und leugnen schlieBlich den Unterschied eines Innen und AuBen, da sie das Erste und Alles sind. Dem entspricht die Art, wie man zum Wissen gelangt, und die berechnete, schnelle, massenhafte Verteilung von unverstandenen Kenntnissen an moglichst Viele in moglichst kurzer Zeit; »die Schulung« ein Wort, das in seiner jetzigen Bedeutung das Wesen der Schule und der OJ(OAl] gerade auf den Kopf stellt. Aber auch dies ist nur ein neues Zeichen des Umsturzes, der die zunehmende Entwurzelung nicht aufhiilt, weil er nicht an die Wurzeln des Seienden kommt und dahin nicht kommen will, weil er dort seiner eigenen Bodenlosigkeit begegnen muBte. Zur Berechnung, zur Schnelligkeit und zum Massenhaften gesellt sich ein Weiteres, was auf aIle drei bezogen in einer betonten Weise die Verstellung und Verkleidung des inneren Zerfalls ubernimmt - das ist: 58. Was die drei Verhiillungen der Seinsverlassenheit sind . .. 123 4. die Entblof3ung, Veroffentlichung und Vergemeinerung jeder Stimmung. Dieser hierdurch geschaffenen Verodung entspricht die wachsende Unechtheit jeder Haltung und in eins damit die Entmachtung des Wortes. Das Wort ist nur noch der Schall und die lautstarke Aufpeitschung, bei der es auf einen »Sinn« nicht mehr abgesehen sein kann, weil aIle Gesammeltheit moglicher Besinnung genommen und Besinnung uberhaupt als etwas Befremdliches und Kraftloses verachtet wird. All dieses wird umso unheimlicher, je weniger aufdringlich es sich abspielt, je selbstverstiindlicher es yom Alltag Besitz ergreift und durch neue Formen der Einrichtung gleichsam gedeckt wird. Die Folge der StimmungsentbloBung, die zugleich Verkleidung der wachsenden Leere ist, zeigt sich vollends in der Unfiihigkeit, gerade das eigentliche Oeschehen, die Seinsverlassenheit, als stimmende Not zu erfahren, gesetzt selbst, daB sie in gewissen Grenzen gezeigt werden konnte. 5. AIle diese Zeichen der Seinsverlassenheit deuten auf den Beginn des Zeitalters der giinzlichen Fraglosigkeit aller Dinge und aller Machenschaften. Nicht nur, daB grundsiitzlich kein Verborgenes mehr zugestanden wird, entscheidender wird, daB das Sichverbergen als solches in keiner Weise als bestimmende Macht noch EinlaB findet. 1m Zeitalter der giinzlichen Fraglosigkeit werden sich aber gerade die »Probleme« hiiufen und jagen, jene Art »Fragen«, die keine sind, weil ihre Beantwortung nichts Verbindliches haben dad, sofern sie sogleich wieder zum Problem wird. Eben dieses sagt im voraus: nichts ist unauflosbar und die Auflosung nur Sache der Zahl an Zeit und Raum und Kraft. 6. Nun aber, da das Seiende yom Seyn verlassen ist, ersteht die Gelegenheit fur die platteste »Sentimentalitiit«. Jetzt erst wird alles »erlebt«, und jedes Unternehmen und jede Veran 1 _
124 II. Der Anklang 60. Woher die Notlosigkeit als die hochste Not? 125 staltung trieft von »Erlebnissen«. Und dieses »Erleben« bezeugt, daB nun auch der Mensch selbst als seiender seines Seyns verlustig gegangen und zum Raub seiner Jagd nach Erlebnissen geworden ist. 59. Das Zeitalter der volligen Fraglosigkeit und Verzauberung Man pflegt das Zeitalter der »Zivilisation« dasjenige der Ent -zauberung zu nennen, und diese scheint eher, ja allein mit der volligen Fraglosigkeit zusammen zu gehen. Gleichwohl ist es umgekehrt. Nur muB gewuBt werden, woher die Bezauberung kommt. Antwort: aus der schrankenlosen Herrschaft der Machenschaft. Wenn diese in die Endherrschaft kommt, wenn sie alles durchsetzt, dann sind keine Bedingungen mehr, urn die Verzauberung noch eigens zu spiiren und gegen sie sich zu sperren. Die Behexung durch die Technik und ihre sich sHindig iiberholenden Fortschritte ist nur ein Zeichen dieser Verzauberung, der zufolge alles auf Berechnung, Nutzung, Ziichtung, Handlichkeit und Regelung drangt. Sogar der »Geschmack« wird jetzt Sache dieser Regelung, und Alles kommt auf ein »gutes Niveau«. Der Durchschnitt wird immer besser, und kraft dieser Besserung sichert er immer unwiderstehlicher und unauffalliger seine Herrschaft. Es ist freilich ein triigerischer SchluB, zu meinen, je hoher cler Durchschnitt, umso iiberragender werde die Hohe der iiberdurchschnittlichen Leistungen. Dieser SchluB selbst ist ein verraterisches Zeichen der Rechenhaftigkeit dieser Haltung. Die Frage bleibt, ob denn noch iiberhaupt ein Raum fiir das Dberdurchschnittliche gebraucht wird, ob nicht die Geniigsamkeit im Durchschnitt immer beruhigter und berechtigter wird, bis sie sogar sich einredet, selbst das schon geleistet zu haben und nach Wunsch unmittelbar leisten zu konnen, was der Vber -durchschnitt zu bieten beansprucht. Die standige Niveauhebung des Durchschnittlichen und die gleichlaufende Verbreitung und Verbreiterung der Niveauebene bis zur Platt/orm aller Betriebsamkeit iiberhaupt ist das unheimlichste Zeichen des Schwindens der Entscheidungsraume, ist Zeichen der Seinsverlassenheit. 60. Woher die Notlosigkeit als die hochste Not? Die Not-Iosigkeit wird am hochsten, wo die SelbstgewiBheit uniibertreffbar geworden ist, wo alles fiir errechenbar gehalten wird und wo vor allem entschieden ist, ohne vorherige Frage, wer wir sind und was wir sollen; wo das Wissen verloren gegangen und nie eigentlich begriindet wurde, daB das eigentliche Selbst-sein geschieht im Dber-sich-hinaus-griinden, was verlangt: die Griindung des Griindungsraumes und seiner Zeit, was fordert: das Wissen yom Wesen der Wahrheit als des unumganglich zu Wissenden. Wo aber»Wahrheit« langst keine Frage mehr ist und schon der Versuch zu einer solchen Frage abgewiesen wird als Storung und abseitiges Griibeln, da hat die Not der Seinsverlassenheit gar keinen Zeit-Raum. Wo der Besitz des Wahren als des Richtigen auBer Frage steht und alles Tun und Lassen lenkt, was soll da noch die Frage nach dem Wesen der Wahrheit? Und wo gar dieser Besitz des Wahren sich auf Taten berufen kann, wer mochte da noch in die Nutzlosigkeit einer Wesensfrage sich verlieren und dem Spott sich aussetzen? Aus der Verschiittung des Wesens der Wahrheit als des Grundes des Da-seins und der Geschichtsgriindung kommt die Notlosigkeit.
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sie als das Dber-ragende kennen; daher das Ansprechen auf<br />
Berechnung und Schnelligkeit, wie umgekehrt diese wieder<br />
clem Massenhaften die Geleise und die Rahmen beistellen.<br />
Hier die schiirfste, weil unauffiilligste Gegnerschaft gegen<br />
das Seltene, Einzige (das Wesen des Seins). Dberall in diesen<br />
Verhullungen der Seinsverlassenheit macht sich das Unwesen<br />
des Seienden, das Unseiende breit und zwar im Schein<br />
eines »groBen« Geschehens.<br />
Die Ausbreitung dieser Verhullungen der Seinsverlassenheit<br />
und damit gerade ihrer selbst ist das stiirkste, weil zuniichst<br />
gar nicht merkliche Hindernis fur die rechte Einschiitzung<br />
und Griindung der Grundstimmung der Verhaltenheit,<br />
in der erst das Wesen der Wahrheit aufleuchtet, sofern die<br />
Verriickung in das Da-sein geschieht.<br />
Jene Weisen des Aufenthalts im Seienden und seiner »Beherrschung«<br />
sind aber deshalb so untergrabend, weil sie sich<br />
nicht etwa eines Tages einfach abtragen lassen als scheinbar<br />
nur iiuBere Formen, die ein Inneres umschlieBen. Sie setzen<br />
sich selbst an die Stelle des Inneren und leugnen schlieBlich<br />
den Unterschied eines Innen und AuBen, da sie das Erste und<br />
Alles sind. Dem entspricht die Art, wie man zum Wissen gelangt,<br />
und die berechnete, schnelle, massenhafte Verteilung<br />
von unverstandenen Kenntnissen an moglichst Viele in moglichst<br />
kurzer Zeit; »die Schulung« ein Wort, das in seiner<br />
jetzigen Bedeutung das Wesen der Schule und der OJ(OAl] gerade<br />
auf den Kopf stellt. Aber auch dies ist nur ein neues<br />
Zeichen des Umsturzes, der die zunehmende Entwurzelung<br />
nicht aufhiilt, weil er nicht an die Wurzeln des Seienden<br />
kommt und dahin nicht kommen will, weil er dort seiner eigenen<br />
Bodenlosigkeit begegnen muBte.<br />
Zur Berechnung, <strong>zur</strong> Schnelligkeit und zum Massenhaften<br />
gesellt sich ein Weiteres, was auf aIle drei bezogen in einer<br />
betonten Weise die Verstellung und Verkleidung des inneren<br />
Zerfalls ubernimmt - das ist:<br />
58. Was die drei Verhiillungen der Seinsverlassenheit sind . .. 123<br />
4. die Entblof3ung, Veroffentlichung und Vergemeinerung jeder<br />
Stimmung. Dieser hierdurch geschaffenen Verodung entspricht<br />
die wachsende Unechtheit jeder Haltung und in<br />
eins damit die Entmachtung des Wortes. Das Wort ist nur<br />
noch der Schall und die lautstarke Aufpeitschung, bei der es<br />
auf einen »Sinn« nicht mehr abgesehen sein kann, weil aIle<br />
Gesammeltheit moglicher Besinnung genommen und Besinnung<br />
uberhaupt als etwas Befremdliches und Kraftloses verachtet<br />
wird.<br />
All dieses wird umso unheimlicher, je weniger aufdringlich<br />
es sich abspielt, je selbstverstiindlicher es yom Alltag Besitz<br />
ergreift und durch neue Formen der Einrichtung gleichsam<br />
gedeckt wird.<br />
Die Folge der StimmungsentbloBung, die zugleich Verkleidung<br />
der wachsenden Leere ist, zeigt sich vollends in der<br />
Unfiihigkeit, gerade das eigentliche Oeschehen, die Seinsverlassenheit,<br />
als stimmende Not zu erfahren, gesetzt selbst,<br />
daB sie in gewissen Grenzen gezeigt werden konnte.<br />
5. AIle diese Zeichen der Seinsverlassenheit deuten auf den Beginn<br />
des Zeitalters der giinzlichen Fraglosigkeit aller Dinge<br />
und aller Machenschaften.<br />
Nicht nur, daB grundsiitzlich kein Verborgenes mehr zugestanden<br />
wird, entscheidender wird, daB das Sichverbergen<br />
als solches in keiner Weise als bestimmende Macht noch EinlaB<br />
findet.<br />
1m Zeitalter der giinzlichen Fraglosigkeit werden sich aber<br />
gerade die »Probleme« hiiufen und jagen, jene Art »Fragen«,<br />
die keine sind, weil ihre Beantwortung nichts Verbindliches<br />
haben dad, sofern sie sogleich wieder zum Problem<br />
wird. Eben dieses sagt im voraus: nichts ist unauflosbar und<br />
die Auflosung nur Sache der Zahl an Zeit und Raum und<br />
Kraft.<br />
6. Nun aber, da das Seiende yom Seyn verlassen ist, ersteht die<br />
Gelegenheit fur die platteste »Sentimentalitiit«. Jetzt erst<br />
wird alles »erlebt«, und jedes Unternehmen und jede Veran<br />
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