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Augenblicken größter Gefahr vollbringen kann. Wäre der Verstand<br />
(den wir ja leider meistens mit dem Bewußtsein verwechseln)<br />
hier weiterhin in Kraft geblieben, er hätte nur die<br />
»Unmöglichkeit« der Situation analysiert und dem Organismus den<br />
Zwang zur Resignation signalisiert.<br />
Beide Beispiele sind natürlich stark überspitzt, weil sie ja<br />
auch nur der Veranschaulichung dienen. Im Falle des Feueralarms<br />
wird ein kühler Verstand oft mehr wert sein al s ein rein<br />
instinktives Verhalten - sofern die Gefahr nicht schon zu nahe<br />
herangerückt ist. Freilich übertragen wir unserem Verstand die<br />
Aufgabe, festzustellen, ob es sich dabei nicht vielleicht bloß<br />
um einen blinden Alarm oder gar um einen schlimmen Schab ernack<br />
handelt. Doch kann sich der Verstand dessen nie sicher sein,<br />
selbst dann nicht, wenn er keinerlei Flammen oder<br />
Rauchentwicklung konstatiert - denn schließlich könnte das<br />
Feuer ja auch im Verborgenen glimmen oder draußen im Foyer und<br />
so weiter. Vorzuziehen wäre sicherlich eine Instinktsicherheit,<br />
die im Falle eines blinden Alarms die Panik verhindert, indem<br />
sie dem einzelnen die Gewißheit gibt, daß es keinen Grund gibt,<br />
sich der Gefahr einer Massenflucht durchs Nadelöhr der<br />
Kinoausgänge auszusetzen. Doch über eine solche<br />
Instinktsicherheit verfügen selbst wilde Tiere nicht immer, um<br />
wieviel weniger kann man sie also vom hochzivilisierten<br />
Menschen der Gegenwart erwarten, der sich ohnehin den größten<br />
Teil des Tages auf die Entscheidungen seines Verstands stützt<br />
und sein Unbewußtes systematisch verkümmern läßt.<br />
Andererseits ist auf unser Unbewußtes auch nicht immer Verlaß:<br />
Nicht jede Mutter wird ihr Kind auf die oben geschilderte Weise<br />
retten, und trotz aller übermenschlichen Leistungen und<br />
Gefahrenmeisterungen kommen in Kriegen immer wieder zigtausende<br />
oder gar Millionen von Menschen um. Es ist die<br />
Unberechenbarkeit des Unbewußten und seiner verborgenen Kräfte,<br />
die zur Vorherrschaft der Vernunft geführt hat. Der analytische<br />
Verstand will Klarheit - und Sicherheit, er hat<br />
Schwierigkeiten, mit der Unscharfe des Symbolkosmos zu leben,<br />
den das Unbewußte ihm als einziges anzubieten hat. Denn Symbole<br />
sind fast immer mehrdeutig, sie lassen sich weder auf eine<br />
alleinige Aussage festlegen noch gar wiegen und messen. Ihre<br />
Stärke liegt vielmehr gerade in ihrer erwähnten Unscharfe, wie<br />
wir noch sehen werden.<br />
Die Sache hat aber noch einen weiteren, vielleicht sogar viel<br />
fataleren Aspekt: Denn wenn wir uns nicht um die »Pflege«<br />
unseres Unbewußten kümmern, wird sich dies o ft in der Form<br />
bitter rächen, daß Störungen in seinem »Symbolhaushalt« (und<br />
daß Symbolen eigene Kräfte eignen, und seien diese vielleicht<br />
auch nur psychischer Natur, ist eine seelische Urerfahrung, auf<br />
der unter anderem sämtliche Religionen, Ideologien und<br />
praktische Seinslehren fußen) nicht direkt als solche erkannt<br />
werden; das aber löst wiederum solange Störungen im Seelenleben<br />
wie im Organismus aus, bis das Bewußtsein nicht mehr umhin<br />
kann, sich nun bewußt damit auseinanderzusetzen. Leider ist es<br />
dann aber oft schon zu spät: Die Ursachen lassen sich