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Bertolt Brecht HYBRIS. 2. PSALM Meine Hosen riechen schamlos ...

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<strong>Bertolt</strong> <strong>Brecht</strong><br />

<strong>HYBRIS</strong>. <strong>2.</strong> <strong>PSALM</strong><br />

<strong>Meine</strong> <strong>Hosen</strong> <strong>riechen</strong> <strong>schamlos</strong> nach Liebe. Ich wasche mich<br />

nie mehr: Ich schwimme im Bassin für Jugendliche, mit dem<br />

Gesicht nach unten.<br />

5 Mein Schutzengel will mich von Zeit zu Zeit an meinem Haar<br />

aus dem Wasser ziehen. Dann lasse ich Haare wie ein Hund im<br />

November. Aber im Wasser bleibe ich auch kahlköpfig.<br />

Oft pumpt er mir den Kopf voll Luft, daß ich nach oben treiben<br />

soll. Aber ich verbeiß mich im Seegras, denn Köpfe sind<br />

10 unzuverläßig.<br />

Nicht eine Monstranz reicht mir, ich verschlucke mich immer<br />

an Hostien, sondern aber reicht mir Eier und Kakao, nach<br />

welchen meine Seele dürstet: So ist es.<br />

GESANG AUS DEM AQUARIUM. 5. <strong>PSALM</strong><br />

Ich habe den Becher geleert bis zur Neige. Ich bin nämlich<br />

verführt worden.<br />

Ich war ein Kind und man liebte mich.<br />

5 Die Welt verzweifelte, denn ich blieb rein. Sie wälzte sich auf<br />

dem Boden vor mir, mit weichen Gliedern und lockenden Hinterteilen.<br />

Ich blieb standhaft.<br />

Sie zu besänftigen, als sie es zu arg trieb, legte ich mich zu ihr<br />

und wurde unrein.<br />

10 Die Sünde befriedigte mich. Die Philosophie half mir im Morgengrauen,<br />

wenn ich wachlag. Ich wurde so, wie man mich<br />

wollte.<br />

Ich sah lange nach oben und glaubte, der Himmel sei traurig<br />

über mich. Aber ich sah, daß ich ihm gleichgültig war. Er liebte<br />

15 sich selbst.<br />

Jetzt bin ich lange ertrunken. Ich liege dick auf dem Grund.<br />

Fische wohnen in mir. Das Meer geht zur Neige.


LIED VON MEINER MUTTER. 8. <strong>PSALM</strong><br />

I<br />

Ich erinnere mich ihres Gesichts nicht mehr, wie es war, als sie<br />

noch nicht Schmerzen hatte. Sie strich müd die schwarzen<br />

5 Haare aus der Stirn, die mager war, die Hand dabei sehe ich<br />

noch.<br />

2<br />

Zwanzig Winter hatten sie bedroht, ihre Leiden waren Legion,<br />

der Tod schämte sich vor ihr. Dann starb sie und man fand<br />

10 einen Kinderleib.<br />

3<br />

Sie ist im Wald aufgewachsen.<br />

4<br />

Sie starb zwischen Gesichtern, die ihr zu lang beim Sterben<br />

15 zugeschaut hatten, da waren sie hart geworden. Man verzieh<br />

ihr, daß sie litt, aber sie irrte hin zwischen diesen Gesichtern,<br />

vor sie zusammenfiel.<br />

4<br />

Viele gehen von uns, ohne daß wir sie halten. Wir sagten ihnen<br />

20 alles, es gab nichts mehr zwischen ihnen und uns, unsere Gesichter<br />

wurden hart beim Abschied. Aber das Wichtige haben<br />

wir nicht gesagt, sondern gespart am Notwendigen.<br />

5<br />

O warum sagen wir das Wichtige nicht, es wäre so leicht und<br />

25 wir werden verdammt darum. Leichte Worte waren es, dicht<br />

hinter den Zähnen, waren herausgefallen beim Lachen und wir<br />

ersticken daran in unsrem Halse.<br />

6<br />

Jetzt ist meine Mutter gestorben, gestern, auf den Abend, am 1.<br />

30 Mai! Man kann sie mit den Fingernägeln nicht mehr auskratzen!<br />

VON HE. 9. <strong>PSALM</strong><br />

I<br />

Hört Freunde, ich singe euch das Lied von He, der Dunkelhäutigen,<br />

meiner Geliebten über sechzehn Monate bis zu ihrer<br />

5 Auflösung.<br />

2<br />

Sie wurde nicht alt, sie hatte wahllose Hände, sie verkaufte die<br />

Haut für eine Tasse Tee und sich selbst für eine Peitsche! Sie lief<br />

sich müd zwischen den Weiden, He!


10 3<br />

Sie reichte sich dar wie eine Frucht, aber sie wurde nicht angenommen.<br />

Viele hatten sie im Maul und spieen sie wieder aus,<br />

He, die Gute! He, die Geliebte!<br />

4<br />

15 Sie wußte, was eine Frau ist im Hirn, aber nicht mit den<br />

Knieen, sie wußte den Weg, wo es hell war mit den Augen, aber<br />

im Dunkeln wußte sie ihn nicht.<br />

5<br />

Nachts war sie elend, blind vor Eitelkeit, He, und die Frauen<br />

20 sind Nachttiere und sie war kein Nachttier.<br />

6<br />

Sie war nicht weise wie Bi die Liebliche, die Pflanze Bi, sie lief<br />

immerfort herum und ihr Herz war ohne Gedanken.<br />

7<br />

25 Darum Starb sie im 5. Monat des Jahres 20, eines schnellen<br />

Todes heimlich, als niemand hinsah, und ging hin wie eine<br />

Wolke, von der es heißt: sie war nie gewesen.<br />

DER I. <strong>PSALM</strong><br />

I<br />

Wie erschreckend in der Nacht ist das konvexe Gesicht des<br />

schwarzen Landes!<br />

5 2<br />

Über der Welt sind die Wolken, sie gehören zur Welt. Über den<br />

Wolken ist nichts.<br />

3<br />

Der einsame Baum im Steinfeld muß das Gefühl haben, daß<br />

10 alles umsonst ist.<br />

Er hat noch nie einen Baum gesehen. Es gibt keine Bäume.<br />

4<br />

Immer denke ich: wir werden nicht beobachtet.<br />

Der Aussatz des einzigen Sternes in der Nacht, vor er unter-<br />

15 geht!<br />

5<br />

Der warme Wind bemüht sich noch um Zusammenhänge, der<br />

Katholik.<br />

6<br />

20 Ich komme sehr vereinzelt vor. Ich habe keine Geduld.


Unser armer Bruder That’s-all sagte von der Welt: sie macht<br />

nichts.<br />

7<br />

Wir fahren mit großer Geschwindigkeit auf ein Gestirn in der<br />

25 Milchstraße zu. Es ist eine große Ruhe in dem Gesicht der<br />

Erde. Mein Herz geht zu schnell. Sonst ist alles in Ordnung.<br />

GOTTES ABENDLIED<br />

Wenn der blaue Wind des Abends Gottvater weckt, sieht er den<br />

Himmel über sich erbleichen und genießt ihn. Sogleich werden<br />

seine Ohren durch den großen kosmischen Choral erquickt,<br />

5 dem er sich hingibt:<br />

Der Schrei überschwemmter Wälder, die am Ertrinken sind<br />

Das Ächzen alter brauner Holzhäuser, denen die Last der<br />

Möbel und Menschen zu schwer wird<br />

Das trockene Husten erschöpfter Äcker, die man ihrer Kraft<br />

10 beraubt hat<br />

Das gigantische Darmgeräusch, mit dem das letzte Mammut<br />

sein hartes und seliges Erdenleben abschloß.<br />

Die angstvolle Gebete der Mütter größer Männer<br />

Das Gletschergebrüll des weißen Himalaja, der in seiner eisi-<br />

15 gen Einsamkeit sich amüsiert und die Qual Bert <strong>Brecht</strong>s, dem es<br />

schlecht geht.<br />

Und zugleich: die verrückten Lieder der Wasser, die in den<br />

Wäldern emporkommen.<br />

Das sanfte Atmen schlafender Menschen, von alten Dielen<br />

20 gewiegt.<br />

Das ekstatische Murmeln von Kornfeldern, lange Gebetmühlen.<br />

Die großen Worte großer Männer<br />

Und die wundervollen Gesänge Bert <strong>Brecht</strong>s, dem es schlecht<br />

25 geht.<br />

<strong>Bertolt</strong> <strong>Brecht</strong>, Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Bd. 11, Gedichte I, (1918-1938),<br />

hrsg. Von Werner Hecht, Berlin/Weimar, Aufbau-Verlag; Frankfurt a.M., Suhrkamp, 1988, S. 17-35.

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