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Reportage Der junge Geist trägt Lederhose

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<strong>Der</strong> <strong>junge</strong> <strong>Geist</strong> <strong>trägt</strong> <strong>Lederhose</strong><br />

von Samira Zingaro (Platz 5)<br />

Südtirol gehört den Senioren, ist eine heile, konservative Welt. So will es<br />

das Vorurteil. Ja, es ist dort furchtbar traditionell. Dennoch: In der<br />

autonomen Provinz lebt ein <strong>junge</strong>r, wilder <strong>Geist</strong>. Manchmal versteckt er<br />

sich gut. Etwa in einer Blaskapelle.<br />

Er tarnt sich mit einem Meer wippender Hahnenfedern. Oder<br />

versteckt sich hinter goldenem Blech, aus dem eine Polka stampft. Dort<br />

blinzelt er hinter einem Trachtenmieder hervor. Und gähnt nach dem letzten<br />

Ton eines Walzers, um gleich mit höchster Konzentration zum Marsch zu<br />

blasen. <strong>Der</strong> <strong>junge</strong> <strong>Geist</strong> Südtirols. Ein <strong>Geist</strong>, der anderswo längst pensioniert<br />

wäre - hier aber mitten im Leben steht. Lässig, sexy, unpolitisch ist, Fagott<br />

und Waldhorn spielt. Und all dies geschieht an einem Sonntagmorgen in<br />

aller Herrgotts Früh. Doch erst zum Auftakt – 36 Stunden vorher in einem<br />

Zimmer direkt über der Feuerwehrgarage von Schabs.<br />

<strong>Der</strong> Feind Fussball<br />

In diesem 859-Seelendorf, eingeschlossen zwischen den Flüssen Rienz und<br />

Eisack, liegt der Proberaum der Schabser Musikkapelle. Von jeder Wand<br />

posaunt hier die Kameradschaft. Gruppenfotos, stramm gestanden, neben<br />

Schnappschüssen in Tracht. Sorgfältig eingerahmt. Aus einer hellholzigen<br />

Vitrine lachen Brautpaare. Auf einem Tablar daneben stehen die<br />

Todesanzeigen. Einer für alle. Alle für einen. Da fehlt auch die Disziplin nicht.<br />

Bereits an der Eingangstüre schmettert sie einem entgegen. Dort kleben drei<br />

Balkendiagramme, halten, als hänge davon der Übertritt ins Gymnasium ab,<br />

jede Abwesenheit des 55-köpfigen Ensembles fest. Für den Schabser<br />

Kapellmeister Stephan Obexer ist klar: „Da geats um mea als um die Musig.“<br />

Viel wichtiger sei das Zusammensein, der Verein. Mit Brille, kariertem<br />

Hemd, Jeans und Puma-Sneakers sieht der 28-Jährige aus, als würde er gleich<br />

einen Abendkurs für Betriebswirtschaft leiten. Obexer arbeitet jedoch<br />

tagsüber als technischer Angestellter. Nach seinem Feierabend schwingt er<br />

bis zu drei Mal die Woche den Taktstock. Wenn er die ersten Töne seiner<br />

Kapelle hört, fühlt er sich „wia erholt“. Die Musikkapelle Schabs zählt zu den<br />

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jüngsten in Südtirol. Das Durchschnittsalter der Musikantinnen und<br />

Musikanten liegt bei 23 Jahren. Vor Obexer dudeln sie nun ihr Blech und<br />

Holz warm. Junge Erwachsene, die man freitags um 20 Uhr eher in einer Bar<br />

als vor den Noten eines „Abba-Medleys“ vermutet.<br />

Eine Mahlzeit ohne Knödel<br />

Touristen loben es als Folklore. Doch in Wahrheit ist es für zahllose<br />

Südtiroler das wichtigste Hobby: die Blaskapelle. Seit dem 18. Jahrhundert ist<br />

ihre Musik besonders bei der deutsch- und ladinischsprachigen Bevölkerung<br />

in Südtirol verankert. In den 1920er Jahren brachten die Faschisten das<br />

Vereinsleben zum Erliegen, fundamental gingen sie gegen das Kulturgut in<br />

der autonomen Provinz Italiens vor. Erst die Nachkriegszeit hauchte dem<br />

Brauchtum neues Leben ein. Zu dieser Zeit wurde der Verband Südtiroler<br />

Musikkapellen (VSM) gegründet. Mittlerweile zählt dieser 211 Ensembles,<br />

nahezu doppelt so viele wie Südtirol Gemeinden hat. Über die Hälfte der<br />

Bläserinnen und Bläser sind gemäß Verband unter 30-jährig. Die<br />

Musikschulen, im ganzen Land verteilt, bilden 80 Prozent der<br />

Jungmusikanten aus. Und wie Obexer in stolzem Dialekt erzählt, platzen<br />

diese Schulen aus allen Nähten. Glücklich sei, wer sich dort einen Platz<br />

ergattere.<br />

Beim Verband spricht zwar niemand von einem Kapellen-Boom.<br />

Tatsache aber ist: Während anderswo traditionelle Vereine kränkeln, muss<br />

man sich in Südtirol bei den Kapellen nicht um Nachwuchs sorgen. Als<br />

Tourist glaubt man bald: Wer jung ist und mit der deutschsprachigen Kultur<br />

Südtirols aufwächst, der musiziert. <strong>Der</strong> trommelt Polkas, trompetet Märsche<br />

und opfert seine Wochenenden für ein Ständchen an Schützenfesten,<br />

Bankeinweihungen, Messen. Es wird einem versichert: Ein Anlass ohne<br />

Musikkapellen-Einlage ist wie ein Traditionsgericht ohne Knödel. Doch<br />

Kapellmeister Stephan Obexer mahnt: „Einen Feind gibt’s aber.“ Nicht die<br />

Schützen, nicht die Feuerwehr, die beiden anderen wichtigen Vereine in<br />

Südtirol. Es ist der Fussball. Dabei sage er den Jungen stets: „Zum<br />

Toaschiass'n bisch irgndwann amoll z'alt.“ Nicht aber für die Musik. Und als<br />

sei es der Ertrag für Obexers unermüdliches Werben, haut ein knapp<br />

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Zwölfjähriger in der hintersten Reihe angestrengt auf die Trommel – im<br />

Trikot der deutschen Nationalelf. <strong>Der</strong> <strong>junge</strong> <strong>Geist</strong> Südtirols ist traditionell,<br />

nicht aber verstaubt.<br />

Zwei Stunden später beginnt das Carabinieri-Schild gegenüber des<br />

Schabser Probelokals zu flackern. Die Nacht schleicht sich gleichsam mit der<br />

symphonischen Filmmusik von „Beauty and the Beast“ über die Wiesen<br />

heran. Im Raum riecht es nach warmem Holz, nach Schweiss. Stephan<br />

Obexer nippt an einem Bier und schlägt zum Zweivierteltakt. Hinter ihm<br />

hängt ein Blatt Papier am Holzschrank und weist auf das nächste Konzert<br />

hin. Am Sonntagmorgen. Ein Schützenverein wird 50jährig. Noch sitzen nicht<br />

alle Übergänge. Das Ohr leidet. Mit ihm der gekreuzigte Jesus Christus an<br />

der Wand.<br />

Familientreffen<br />

Einer der weiß, wie hart die Wochenenden sein können, ist Felix Pfeifer, 28-<br />

jährig und Tubist. „Du kannst machen, was du willst, doch am<br />

Sonntagmorgen wird nicht gemurrt.“ Das habe ihm sein Vater gesagt, wenn<br />

er lieber das Kopfkissen zerwühlt hätte als sich in Tracht stürzen. Felix’<br />

Freundin bläst in der Schabser Kapelle – er selber hilft dort aus, wenn das<br />

Register nicht vollzählig ist. Als Musikstudent braucht er das gängige<br />

Repertoire eines Ensembles nicht zu proben. Er kann es im Schlaf. Wie er so<br />

in der Gelateria in der nahen Stadt Brixen über den Tassenrand lächelt, sieht<br />

man in Felix eher einen Typen, der das <strong>junge</strong>, wilde Leben lebt. Keinesfalls<br />

einen, der seine Freizeit in einer Dorfkapelle verbringt. Doch Felix sagt: Das<br />

Musizieren gehöre nicht nur zur Tradition, sondern drücke ganz einfach die<br />

Südtiroler Lebensfreude aus. „Die Blasmusik ist in den Leuten drin.“<br />

Pfeifer wird gar sozialromantisch: „Die Kapelle ermöglicht den<br />

<strong>junge</strong>n Menschen ein stabiles Umfeld.“ Klar, man sei stolz auf die Heimat,<br />

doch ganz bestimmt nicht rechts. Auch die Tracht trügen er und seine<br />

Mitmusikanten „nicht etwa aus ideologischen Gründen“. Sondern weil „ein<br />

Mechaniker auch den Overall anzieht, wenn er arbeiten geht.“ Und Pfeifer<br />

räumt weiter auf mit Vorurteilen: Die Lieder habe man längst entstaubt.<br />

Zwar stünden immer noch Märsche auf dem Programm, aber statt<br />

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Volksmusik spiele man heute vor allem moderne Blasmusik, Filmmusik oder<br />

zeitgenössische Stücke von Alfred Reed. Früher, erzählt der Tubaspieler, sei<br />

die Musikkapelle der einzige Weg gewesen, um von den Eltern<br />

wegzukommen. Er schmunzelt ob seiner Worte: Heute spielt außer seiner<br />

Mutter die ganze Familie in der gleichen Kapelle.<br />

„Gesunder Fanatismus.“ So nennt die ebenfalls 28-jährige Manuela<br />

Kerer die Begeisterung der Südtiroler für ihre Blasmusik. Manuela spielt in<br />

keiner Kapelle, dennoch ist die Musik ihr Leben. Die Brixnerin ist gepierct,<br />

<strong>trägt</strong> hohe Stiefel, einen kurzen Rock und entschuldigt sich für ihre<br />

Ausbildung. Es stellt sich heraus, dass sie Komposition und Geige<br />

abgeschlossen hat, und gleich noch Psychologie und Jura, allesamt im<br />

Hauptfach. Zurzeit schreibt Manuela an zwei Dissertationen gleichzeitig.<br />

„Doch meine Leidenschaft gehört der Komposition.“ Auch in ihren Augen<br />

lacht der <strong>junge</strong> Südtiroler <strong>Geist</strong> entgegen. Manuela ist nach eigenen<br />

Angaben die einzige Südtiroler Komponistin, die „zeitgenössische, ernste<br />

Musik“ schreibt. Das tut sie ab und an auch für Kapellen. Das Niveau unter<br />

den Ensembles sei in den letzten Jahren extrem gestiegen, der<br />

Konkurrenzkampf riesig, sagt Manuela. <strong>Der</strong> Ehrgeiz wurde so groß, dass die<br />

Kapellen einen Marsch oft nur noch als Zugabe gespielt haben. Kerer hat<br />

auch schon die Schabser Kapelle beglückt. Statt Musicalmelodien mussten<br />

die Musikanten „klopfen, schnauben oder auf Steinen spielen.“ Das irritierte<br />

erst die Bläser, dann das Publikum. Doch Manuela bleibt zuversichtlich. „Die<br />

Südtiroler hinken Berlin oder Paris halt hinter her.“ Beim ersten Mal seien<br />

die Leute erstaunt, ob der neuen Töne, später begeistert. Denn: „<strong>Der</strong><br />

Mensch ist ein Gewohnheitstier.“<br />

Das Land, dem sie Treue halten<br />

Beim Schützenfest am Sonntagmorgen verhüllt sich der <strong>junge</strong> <strong>Geist</strong>. Um<br />

neun Uhr früh versammeln sich Hunderte von Menschen in Trachten nahe<br />

einem Kloster. Sie wirken dabei wie Komparsen eines Tiroler Heimatfilmes.<br />

Die Musikanten der Schabser Blaskapelle sind nicht wieder zu erkennen: Die<br />

Frauen tragen Mieder, tanndunkel wie die umliegenden Hügelleiber,<br />

geranienrot wie die Blüten auf den Fenstersimsen. Dreckiggelbe Hüte. Die<br />

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Männer haben ihre Jeans durch eine kurze <strong>Lederhose</strong> mit breitem Gurt<br />

getauscht und könnten einen Reiseprospekt zieren. Die Vereine defilieren<br />

zum Kloster, wo der Priester den Schützen für ihr „standhaftes Bekenntnis<br />

für Glaube und Heimat“ dankt. Die Schabser betrachten derweil ihre<br />

Schnürsenkel.<br />

Nach der Predigt füllt sich der Festplatz neben dem Kloster, wo sich unsere<br />

Musikanten im Halbkreis auf einer Bühne aufreihen. Hinter Stephan Obexer<br />

wippen die weißen Hahnenfedern auf den Hüten der Schützen. <strong>Der</strong><br />

Kapellmeister verbeugt sich und hebt dann seine Hände als hielte er gleich<br />

die zweite Predigt dieses jungfräulichen Morgens. Dann schlägt er zum Takt.<br />

Auf den Tischen schäumt das Bier. In der großen Stadt würde sich der <strong>junge</strong><br />

<strong>Geist</strong> zu dieser Tageszeit nochmals im Bett umdrehen. Im Südtirol bläst er<br />

nun die roten Wangen der Musikanten auf. Bis die feierlichen Klänge<br />

gleichsam mit dem Duft von gegrilltem Hähnchen über die Menschenmenge<br />

wabern. Die Bässe rütteln an den Klostermauern, an den Reben, wecken die<br />

verschlafenen Täler, hämmern den Refrain in die Landschaft. „Du bist das<br />

Land, dem ich Treue halte, weil du so schön bist mein Tirolerland“, so der<br />

Text. Das Stück, das die Schabser zum Besten bringen, ist ein Blasmusik-Hit.<br />

Und bei den Jugendlichen im Südtirol ein sehr beliebter Klingelton fürs<br />

Handy.<br />

KONTAKT<br />

Samira Zingaro - samirazingaro@yahoo.de<br />

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