23.11.2013 Aufrufe

ERNST BLOCH IN LEIPZIG - Universität Leipzig

ERNST BLOCH IN LEIPZIG - Universität Leipzig

ERNST BLOCH IN LEIPZIG - Universität Leipzig

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

DENKEN IST ÜBERSCHREITEN<br />

<strong>ERNST</strong> <strong>BLOCH</strong><br />

<strong>IN</strong> <strong>LEIPZIG</strong><br />

Eine Ausstellung der Kustodie der <strong>Universität</strong> <strong>Leipzig</strong> in<br />

Zusammenarbeit mit der Fakultät für Sozialwissenschaft<br />

und Philosophie, dem Zentrum für Höhere Studien und<br />

dem <strong>Universität</strong>sarchiv<br />

1<br />

Kustodie | Kunstsammlung ||||||||<br />

AUSSTELLUNGSZENTRUM KROCH-HAUS<br />

GALERIE IM HÖRSAALBAU<br />

STUDIENSAMMLUNG<br />

Leben und Werk des Philosophen Ernst Bloch<br />

(1885–1977) entfacht noch Jahrzehnte nach<br />

seinem Tod hitzige Debatten. Kündet seine<br />

Biographie einerseits von den Verwerfungen<br />

deutscher Geschichte im Spannungsfeld totalitärer<br />

Ideologien, verdeutlicht sie andererseits<br />

das Ringen eines marxistischen Denkers um<br />

seine Integrität. Immer wieder zwingen politische<br />

Überzeugungen Bloch zum Ortswechsel:<br />

freiwilliges Exil in der Schweiz während des<br />

Ersten Weltkriegs, Judenverfolgung unter den<br />

Nazis mit erneuter Emigration, dabei Exil in<br />

der Schweiz, Österreich und zuletzt den USA. Im Jahre 1949 remigrierte<br />

er nach Ostdeutschland im Zuge einer Berufung als Philosophieprofessor<br />

nach <strong>Leipzig</strong>, verblieb im Zusammenhang des Mauerbaus im August 1961<br />

dann aber in der BRD.<br />

2<br />

In diesem Kontext sind Blochs <strong>Leipzig</strong>er Jahre deshalb besonders signifikant,<br />

weil sie den Konflikt zwischen marxistischer Theorie und Praxis<br />

zeigen, der das 20. Jahrhundert prägt: Nachdem sich Bloch anfangs<br />

offenbar als Vordenker eines utopisch orientierten Marxismus in der DDR<br />

gesehen hatte, traten ab 1956 zusehends Divergenzen mit der offiziellen<br />

Parteilinie der SED zu Tage. Diese warf Bloch ihrerseits »Revisionismus«<br />

vor, betrieb seine Emeritierung und drangsalierte zahlreiche seiner Schüler,<br />

die zum Teil ins Gefängnis kamen. Nachdem Bloch – bespitzelt von<br />

der Stasi und weitgehend isoliert – noch einige Jahre weitergearbeitet<br />

hatte, zerstörte der Mauerbau 1961 die letzten Illusionen hinsichtlich der<br />

weiteren Entwicklung: Bloch beschloss, in der Bundesrepublik zu bleiben.<br />

Nach der Wiederaufnahme seiner Lehrtätigkeit in Tübingen entfaltete<br />

Blochs Hauptthema »Hoffnung« eine weitreichende Wirkung insbesondere<br />

unter der Studentenschaft, nicht zuletzt der Studentenbewegung 1968.<br />

3<br />

4<br />

BERUFUNG NACH <strong>LEIPZIG</strong><br />

Als Bloch 1948 im amerikanischen Exil eine Professur in <strong>Leipzig</strong> angeboten<br />

wurde, bedeutete dies eine wichtige Wende in seinem Leben: Eine solche<br />

Stelle eröffnete erstmals eine solide Basis für ein stärker öffentlichkeitsorientiertes<br />

Wirken. Geboren im Jahre 1885 in Ludwigshafen, war er nach<br />

Studien der Philosophie, Physik und Musik in München und Heidelberg vor<br />

allem als Publizist und Privatlehrer tätig gewesen. Nach den Exiljahren in<br />

der Schweiz 1917 bis 1919 erschien mit Geist der Utopie ein erstes Buch,<br />

das allerdings keine Breitenwirkung entfaltete. Das Exil in den USA ab<br />

1938 bot zwar Sicherheit und gute Arbeitsmöglichkeiten, verdammte ihn<br />

aber weiter zur Wirkungslosigkeit: Als weitgehend isolierter Fremdkörper<br />

in der damals noch deutlicher angelsächsisch geprägten Kultur Amerikas<br />

schrieb er nach wie vor auf Deutsch. Seine dritte Frau Karola ernährte<br />

die Familie durch ihre Arbeit als Architektin. Obschon Bloch 1946 in dem<br />

zusammen mit anderen Exilanten in New York gegründeten Aurora-Verlag<br />

ein weiteres Buch publizierte, wurde deutlich, dass sein eigentlicher Adressatenkreis<br />

in Europa, vor allem in Deutschland lag. Unter den Bedingungen<br />

des Exils musste daher auch die Herausgabe des damals verfassten<br />

Hauptwerks Prinzip Hoffnung mehr als zweifelhaft erscheinen.<br />

Das Angebot aus <strong>Leipzig</strong> löste mehrere Probleme auf einmal: Aus der Sicht<br />

des marxistischen Denkers Bloch musste der östliche Teil als die bessere<br />

Hälfte Nachkriegsdeutschlands erscheinen. Eine hervorgehobene Position<br />

an der <strong>Universität</strong> ermöglichte die lange versagte Öffentlichkeitswirkung<br />

in Vorlesung und Publikation. Außerdem hegte er zweifellos die Hoffnung,<br />

an der weltanschaulichen Fundamentierung des sich neu konstituierenden<br />

– sozialistischen – Gemeinwesens mitzuwirken. Aus der Sicht der <strong>Universität</strong><br />

<strong>Leipzig</strong> jedoch war die Berufung Blochs keineswegs ausgemacht:<br />

Innerhalb der Fakultät wurde diese sehr kontrovers diskutiert und am Ende<br />

abgelehnt. Seine Ernennung verdankte Bloch dem dirigistischen Eingreifen<br />

des Ministeriums für Volksbildung, das ihn am 25. Mai 1948 per Dekret<br />

als Professor und Direktor des Instituts für Philosophie der <strong>Universität</strong> <strong>Leipzig</strong><br />

einsetzte. Ein Jahr später hielt er seine Antrittsvorlesung mit dem Titel<br />

»<strong>Universität</strong>, Marxismus, Philosophie«.<br />

5<br />

1 Ernst Bloch in seinem Garten (Privatarchiv, Frau Süßens, Westerstede)<br />

2 Familie Bloch in den USA, 1. Geburtstag von Jan Robert (Ernst-Bloch-Zentrum Ludwigshafen)<br />

3 Deutsche Begegnung der Geistesschaffenden in Berlin 1954 (Bundesarchiv)<br />

4 Verleihung des Nationalpreises an Ernst Bloch durch Präsident Pieck 1955 (Bundesarchiv)<br />

5 Bloch mit Hans Mayer und Inge Jens in <strong>Leipzig</strong> 1960 (Ernst-Bloch-Zentrum Ludwigshafen)


6<br />

7<br />

8<br />

<strong>LEIPZIG</strong>ER JAHRE 1949–1961<br />

Die folgenden Jahre waren besonders fruchtbar. Bloch hielt vielbeachtete<br />

Vorlesungen und Seminare. Im Aufbau-Verlag erschienen verschiedene<br />

Bücher, darunter die ersten beiden Bände des Prinzip Hoffnung. Ab 1953<br />

gab er zusammen mit anderen die »Deutsche Zeitschrift für Philosophie«<br />

heraus. Das Jahr 1955 schließlich – Bloch feierte seinen 70. Geburtstag –<br />

markierte den äußerlichen Höhepunkt staatlicher Anerkennung in der DDR:<br />

Er wurde ordentliches Mitglied der Ostberliner »Deutschen Akademie der<br />

Wissenschaften«, erhielt den »Vaterländischen Verdienstorden« in Silber<br />

sowie den »Nationalpreis II. Klasse der DDR«. Kurz darauf jedoch traten<br />

Blochs Differenzen mit dem SED-Marxismus, u. a. mit Walter Ulbricht<br />

selbst, immer deutlicher zu Tage und führten zum Zerwürfnis mit der Partei<br />

sowie zu seiner Brandmarkung als »Revisionist«. Am 1. September 1957<br />

wurde Bloch – mit seinem Einverständnis aber wohl gegen seinen Willen<br />

– emeritiert. Seine Schüler wurden angehalten, sich von ihm zu distanzieren.<br />

Mancher, der sich widersetzte, landete im Gefängnis. Obschon Bloch<br />

innerlich offenbar an der DDR festhielt, fühlte er sich in die Enge getrieben,<br />

wurde sein Verbleib immer schwieriger. Im Jahr 1959 schloss er einen Vertrag<br />

mit dem westdeutschen Suhrkamp-Verlag über eine Gesamtausgabe<br />

des Prinzip Hoffnung, deren dritter Band erst darauf hin auch in der DDR<br />

erschien. Im folgenden Jahr hielt er Vorträge in Tübingen, Heidelberg und<br />

Stuttgart, die in das Angebot einer Gastprofessur in Tübingen mündeten.<br />

Als am 13. August 1961 schließlich die Mauer gebaut wurde, beschloss<br />

Bloch, der sich damals zu einer Vortragsreise und anschließendem Urlaub<br />

in der Bundesrepublik aufhielt, nicht in die DDR zurückzukehren. Ein<br />

regimekritisches Schreiben an den Präsidenten der Akademie der Wissenschaften<br />

führte zu Blochs dortigem Ausschluss.<br />

SPÄTE BLÜTE <strong>IN</strong> TÜB<strong>IN</strong>GEN<br />

1961–1977<br />

Nachdem in Tübingen für Bloch kurzfristig eine Professur für Philosophie<br />

eingerichtet worden war, entfaltete er hier – mittlerweile hochbetagt<br />

– nochmals eine weitreichende Wirkung. Sein Publikum fand Bloch dabei<br />

weniger unter den Fachkollegen als vielmehr unter den Studenten. Der<br />

Utopismus seines Denkens inspirierte nicht zuletzt die Studentenbewegung<br />

von 1968, wobei ihn mit Rudi Dutschke eine persönliche Freundschaft<br />

verband. Die Wertschätzung Blochs umfasste aber auch durchaus offizielle<br />

Kreise der Bundesrepublik und brachte ihm zahlreiche Ehrungen ein,<br />

neben verschiedenen Ehrendoktorwürden im In- und Ausland u. a. den<br />

Kulturpreis des Deutschen Gewerkschaftsbundes (1962), den Friedenspreis<br />

des Deutschen Buchhandels (1967), die Ehrenbürgerschaft in seiner<br />

Geburtsstadt Ludwigshafen (1970) sowie den Siegmund-Freud-Preis für<br />

wissenschaftliche Prosa (1975). Am 4. August 1977 starb Bloch zweiundneunzigjährig<br />

in Tübingen.<br />

BEMERKUNGEN<br />

ZUR AUSSTELLUNG<br />

Obschon den <strong>Leipzig</strong>er Jahren Blochs 1949 bis 1961 innerhalb seiner<br />

Biographie zentrale Bedeutung zukommt, sind sie bislang vergleichsweise<br />

wenig untersucht worden. Nie waren sie Gegenstand einer eigenen<br />

Ausstellung. Die Erforschung dieser Periode stellt nicht zuletzt deshalb<br />

eine besondere Schwierigkeit dar, weil der Großteil von Blochs Nachlass<br />

aus der Zeit vor 1961 offenbar von den Organen der SED-Diktatur<br />

zerstört wurde. Vom Inventar seiner <strong>Leipzig</strong>er Wohnung in der Wilhelm-<br />

Wild-Str. 8 beispielsweise fehlt jede Spur. Eine wichtige, bislang noch<br />

nicht hinreichend ausgewertete Quelle bilden dagegen die Stasi-Akten<br />

der Jahre 1956 bis 1963. Besondere Unterstützung erfuhr das Projekt vom<br />

Ernst-Bloch-Zentrum in Ludwigshafen sowie von Jan Robert Bloch in Berlin.<br />

Die hier vorgestellte Ausstellung ist historisch bzw. biographisch orientiert<br />

und sucht Blochs <strong>Leipzig</strong>er Jahre anhand von Dokumenten, Fotografien<br />

und Zeitzeugenberichten zu beleuchten. Ihr kommt aus den genannten<br />

Gründen der Charakter einer Spurensuche zu, die in der Folge hoffentlich<br />

weitere Funde und Forschungen zeitigen wird. Diese Arbeit ist um<br />

so wichtiger, als die Bloch-Rezeption in der DDR nach seinem Weggang<br />

weitgehend abbrach. Blochs <strong>Leipzig</strong>er Jahre sind jedoch auf das Engste<br />

mit der Geschichte der DDR verquickt und zeigen, wie anfängliche Hoffnungen<br />

auf einen Neuanfang nach dem faschistischen Debakel zusehends<br />

enttäuscht und zerschlagen wurden.<br />

R.H.v.G<br />

GALERIE IM HÖRSAALBAU ||||||||||||||||||||||||||||||||||<br />

6 Bloch mit Freunden (Ernst-Bloch-Zentrum Ludwigshafen)<br />

7 Ernst und Karola Bloch im Strandkorb (Privatarchiv, Frau Süßens, Westerstede)<br />

8 Seminar in Tübingen 1965 (Ernst-Bloch-Zentrum Ludwigshafen)<br />

DIE GALERIE IM HÖRSAALBAU<br />

Mit der Galerie im Erdgeschoss des 1972 errichteten Hörsaalbaus verfügt die<br />

Kustodie über einen zentral gelegenen Ausstellungsraum, der insbesondere<br />

für die Präsentation lichtempfindlicher graphischer Arbeiten und für Ausstellungen<br />

von gesamtuniversitärem Interesse geeignet ist.<br />

Kustodie | Kunstsammlung<br />

AUSSTELLUNGSZENTRUM KROCH-HAUS<br />

GALERIE IM HÖRSAALBAU<br />

STUDIENSAMMLUNG<br />

Denken ist Überschreiten – Ernst Bloch in <strong>Leipzig</strong><br />

GALERIE IM HÖRSAALBAU · <strong>Universität</strong>sstraße 7 · 04109 <strong>Leipzig</strong><br />

13. Mai bis 17. Juli 2004<br />

Eröffnung am 12. Mai um 19 Uhr<br />

Öffnungszeiten:<br />

Mo 12–17 Uhr / Di–Fr 9–17 Uhr / Sa 9–12 Uhr<br />

Information:<br />

Telefon 0341 97-30170 · kustodie@uni-leipzig.de · www.uni-leipzig.de/kustodie

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!