1| 2010 Lanzarote: Vögel auf Lava - Biologie
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57. Jahrgang · Januar <strong>2010</strong> · D: € 4,80 · A: € 5,00 · CH: CHF 8,20<br />
1 | <strong>2010</strong><br />
Postvertriebsstück G3045<br />
<strong>Lanzarote</strong>:<br />
<strong>Vögel</strong> <strong>auf</strong> <strong>Lava</strong><br />
» Vogel-Uhren und Kalender-<strong>Vögel</strong><br />
» Vogelwilderei <strong>auf</strong> Malta<br />
» Helgoländer Vogeltage 2009
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DER FALKE – Journal für Vogelbeobachter<br />
ISSN 0323-357X, Erscheinungsweise: monatlich<br />
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en 37,– zzgl. Por to (Be schei ni gung). In dem Preis ist der<br />
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M i nd e s tb es t e l ld a ue r d e s A b o nn em e n t s b et r ä g t e i n J a h r u n d<br />
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B ez u g sz e i tr a u m s ( D at u m d e s P o s ts t e mp e l s ) g ek ü nd i g t w i r d .<br />
B es t e ll u ng e n f ü r DER FAL KE n e hm e n j e d e B u c hh a n dl u n g<br />
und der Ver lag ent ge gen.<br />
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für DER FALKE haben, senden Sie uns bit te zunächst eine etwa<br />
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oder ei nem der ständigen Mitarbeiter in Verbindung.<br />
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Bei trä ge bereits veröffentlicht worden, so ist der Ein sen dung<br />
die Angabe über Zeitpunkt und Art der Ver öf fent li chung sowie<br />
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beizufügen. Das gilt auch für Ar ti kel, die bereits in einer<br />
an de ren Spra che ver öf fent licht wur den. Für un ver langt einge<br />
sand te Ma nu skrip te wird keine Ge währ über nom men, die<br />
An nah me bleibt vor be hal ten.<br />
Die veröffentlichten Beiträge sind ur he ber recht lich ge schützt.<br />
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sind vor be hal ten. Eine even tu el le Nach druck ge neh mi gung<br />
muss schrift lich er teilt wer den. Kein Teil dieser Zeit schrift<br />
darf ohne aus drück li che schrift li che Ge neh mi gung des Verla<br />
ges ver viel fäl tigt werden, sei es als Kopie, Mi kro film oder<br />
an de res Ver fah ren oder in eine von Ma schi nen lesbare Sprache<br />
über tra gen wer den. Unsere ge nau en Be din gun gen entneh<br />
men Sie bitte den Manu skript richt linien, die wir Ih nen<br />
<strong>auf</strong> Anfrage gerne zu schic ken.
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
die Tage werden jetzt, Anfang Januar,<br />
bereits wieder länger. Zunächst<br />
nur in sehr kleinen Schritten, aber<br />
schon in ein paar Wochen dann<br />
in großen Sprüngen. Auch unsere<br />
<strong>Vögel</strong> nehmen die länger werdenden<br />
Tage wahr und reagieren dar<strong>auf</strong><br />
in vielfältiger Weise. Das Thema<br />
<strong>Vögel</strong> und Zeit ist einer der<br />
Forschungsschwerpunkte von<br />
Barbara Helm. Wir konnten<br />
sie dafür gewinnen, uns einen<br />
Einblick in ihre Arbeit zu<br />
geben.<br />
Wenn es ein Thema gibt, das<br />
Vogelschützer in ganz Europa<br />
in Rage bringt, dann ist es der<br />
illegale Vogelfang im Mittelmeergebiet.<br />
Malta ist hierfür schon<br />
fast ein Synonym. Wer es noch nie<br />
mit eigenen Augen gesehen hat,<br />
macht sich von den Zuständen <strong>auf</strong><br />
Malta kaum eine Vorstellung. Fangplätze<br />
allgegenwärtig und geschossen<br />
wird <strong>auf</strong> alles, was fliegt, ob<br />
Schreiadler, Flamingo, Bienenfresser<br />
oder Eisvogel. Selbst Schmetterlinge<br />
werden als Zielscheibe missbraucht.<br />
Seit Jahren kämpft BirdLife Malta,<br />
unterstützt von international agierenden<br />
Natur- und Vogelschutzverbänden<br />
wie dem Naturschutzbund<br />
Deutschland (NABU) oder dem<br />
Komitee gegen den Vogelmord<br />
Rennvogel.<br />
gegen diese Missstände <strong>auf</strong> Malta.<br />
Axel Hirschfeld und David Conlin<br />
vom Komitee gehören seit vielen<br />
Jahren zu den Aktivisten vor Ort.<br />
Dass der Protest gegen den illegalen<br />
Vogelfang und -abschuss erfolgreich<br />
sein kann zeigt – zumindest<br />
teilweise – Italien, wo in den vergangenen<br />
Jahrzehnten<br />
die Anzahl getöteter<br />
<strong>Vögel</strong> drastisch abgenommen<br />
hat. Einige<br />
Erfolge sind durchaus<br />
auch <strong>auf</strong> Malta zu<br />
verzeichnen, beispielsweise<br />
bei der Frühjahrsjagd.<br />
Der illegale<br />
Foto: U. Strecker.<br />
Abschuss von zum<br />
Teil geschützten Arten<br />
ist aber noch immer ein großes<br />
Problem <strong>auf</strong> dieser eigentlich sehr<br />
schönen Mittelmeerinsel. Der Slogan<br />
„Kein Urlaubsort wo Vogelmord“<br />
wird dennoch von den meisten Vogelschützern<br />
nicht mehr unterstützt.<br />
Vielmehr rufen sie dazu <strong>auf</strong> Malta<br />
zu besuchen und gegen den illegalen<br />
Vogelfang zu protestieren.<br />
NABU und LBV haben den Kormoran<br />
zum Vogel des Jahres <strong>2010</strong><br />
gewählt. Die Auseinandersetzungen<br />
bei diesem Reizthema werden zwischen<br />
Fischern und Anglern <strong>auf</strong> der<br />
einen und den Naturschutzverbänden<br />
<strong>auf</strong> der anderen Seite zum Teil<br />
recht heftig geführt. Die Diskussion<br />
hat beispielsweise auch die Internetseite<br />
www.Kormoranfreunde.de erfasst.<br />
Schauen Sie doch mal nach.<br />
Die Vereinten Nationen haben das<br />
Jahr <strong>2010</strong> zum internationalen Jahr<br />
der biologischen Vielfalt erklärt.<br />
Hierzu passend beschreibt uns Horst<br />
Wilkens die Vogelwelt <strong>Lanzarote</strong>s,<br />
einer Insel der Kanaren, die als das<br />
europäische Galapagos angesehen<br />
werden.<br />
Ich möchte die Gelegenheit nutzen<br />
und mich bei allen Autorinnen und<br />
Autoren, die im Jahr 2009 für die<br />
Zeitschrift Der Falke Beiträge<br />
geschrieben haben, ganz herzlich zu<br />
bedanken. Gleichzeitig möchte ich<br />
all diejenigen, deren Manuskripte<br />
wir leider nicht annehmen konnten,<br />
um Verständnis bitten.<br />
Ich wünsche Ihnen alles Gute zum<br />
neuen Jahr und viele schöne Stunden<br />
beim Beobachten unserer Vogelwelt!<br />
Ihr<br />
Dr. Norbert Schäffer<br />
Ornithologie aktuell<br />
Neue Forschungsergebnisse 2<br />
Beobachtungstipp<br />
Christoph Moning, Christopher König, Christian Wagner,<br />
Felix Weiß:<br />
Vorarlberger Rheindelta bei Bregenz am Bodensee:<br />
Das Helgoland des Südens 5<br />
<strong>Biologie</strong><br />
Barbara Helm:<br />
Zeitprogramme im Tages- und Jahresl<strong>auf</strong>:<br />
Vogel-Uhren und Kalender-<strong>Vögel</strong> 9<br />
Europäische Highlights<br />
Horst Wilkens:<br />
Vielfalt <strong>auf</strong> der Kanareninsel <strong>Lanzarote</strong>:<br />
<strong>Vögel</strong> <strong>auf</strong> <strong>Lava</strong> 16<br />
Aktion<br />
Jochen Dierschke, Volker Dierschke:<br />
Helgoländer Vogeltage 2009 24<br />
Vogelschutz<br />
Inhalt<br />
Axel Hirschfeld, David Conlin:<br />
Kein Ende in Sicht: Zugvogelwilderei <strong>auf</strong> Malta 30<br />
Christoph Hein im Falke-Gespräch:<br />
Vogeljagd im Mittelmeerraum 36<br />
Anita Schäffer:<br />
Malta: Rückkehr „häufiger“ Vogelarten 37<br />
Rote Liste 2009: Ist das weltweite Artensterben<br />
noch <strong>auf</strong>zuhalten? 39<br />
Veränderungen der Vogelwelt Großbritanniens 40<br />
Peter Herkenrath:<br />
Illegaler Fang in Südwestfrankreich: Ursache für<br />
den Rückgang der Ortolane? 38<br />
Veröffentlichungen<br />
Neue Titel 23<br />
Leute/Ereignisse<br />
Termine, TV-Tipps 26<br />
Bild des Monats<br />
Rätselfoto und Auflösung 28
Ornithologie aktuell<br />
MacGillivray-Sturmvogel:<br />
Seltene Beobachtung<br />
Zum zweiten Mal seit seiner Entdeckung vor über 150 Jahren<br />
konnte der seltene und vom Aussterben bedrohte MacGillivray-<br />
Sturmvogel (Pseudobulweria macgillivrayi) fotografiert werden.<br />
Nach seiner Entdeckung durch den britischen Naturforscher John<br />
MacGillivray <strong>auf</strong> der abgelegenen Fidschi-Insel Gau im Jahr 1855<br />
war der rund 30 Zentimeter große Vogel bislang erst einmal <strong>auf</strong><br />
einem Foto aus dem Jahr 1984 zu sehen. Britischen Forschern<br />
gelang es im Mai ein zweites Mal, den wohl seltensten Vogel der<br />
Welt abzulichten. Diesmal entdeckten die Wissenschaftler die auch<br />
als Fidschi-Sturmvogel bekannte Art 40 Kilometer südlich von<br />
Gau <strong>auf</strong> offener See.<br />
(wir)<br />
H. Shirihai u. a., Bulletin Brit. Ornithologist Club Sept. 2009.<br />
Steinkauz: Treue in Raum und Zeit<br />
Der Steinkauz nimmt in Nordosteuropa im Bestand deutlich ab<br />
und ist in Dänemark vom Aussterben bedroht. 27 mit einem<br />
Sender versehene Käuze in 14 Revieren wurden über zwei Jahre<br />
verfolgt. Verpaarte Eulen hielten sich das ganze Jahr über in<br />
der Nähe des Neststandortes <strong>auf</strong>, wobei sie sich nachts in der<br />
Hälfte der Fälle nicht über 125 Meter voneinander entfernten.<br />
Den größten Abstand zum Schlafplatz hatten die <strong>Vögel</strong> im<br />
Januar, den geringsten im Mai. Die Größe der Aktionsgebiete<br />
unterschied sich zwischen den Paaren um den Faktor zehn, wobei<br />
Paare mit direkt benachbarten Individuen unabhängig von<br />
der Habitatzusammensetzung ein zwei- bis dreifach größeres<br />
Aktionsgebiet einnahmen. Die Aktivitätsverteilung der Partner<br />
überlappt sich vollständig, sie leben dichter beeinander, als es<br />
zufällig zu erwarten wäre – ein Hinweis <strong>auf</strong> eine dauerhafte<br />
Paarbindung. Der Abstand zwischen den Partnern war vor der<br />
Eiablage nicht größer als im Rest des Jahres – ein Zeichen für<br />
einen geringen Einsatz des Männchens bei der „Bewachung“ des<br />
Partners. Kein Paar trennte sich. Verwitwete <strong>Vögel</strong> verließen<br />
allerdings ihr Revier innerhalb von sechs bis zwölf Monaten,<br />
falls sie keinen neuen Partner fanden.<br />
(wir)<br />
P. Sunde u. a., J. Ornithol. 150, 2009, S. 537-548,<br />
DOI: 10.1007/s10336-009-0378-2.<br />
Bülbül: Neue Art entdeckt<br />
Durch Zufall entdeckten Wissenschaftler der Wildlife Conservation<br />
Society und der Universität Melbourne in Laos im<br />
vergangenen Jahr eine neue Bülbül-Art. Olivgrünes Gefieder,<br />
etwas hellere Brust, vor allem aber ein unbefiederter Kopf verleihen<br />
der Neuentdeckung ein geradezu bizarres Aussehen. Der<br />
glatzköpfige Sänger unterscheidet sich sonst kaum von seinen<br />
Verwandten, ist aber der bislang einzige Singvogel Asiens ohne<br />
Federn im Gesicht und großen Teilen des dadurch rosafarben<br />
erscheinenden Kopfes. Die exotisch anmutende Neuentdeckung<br />
besiedelt die laotischen Kalksteingebirge. Der etwa drosselgroße<br />
Baumbewohner lebt zwar in einem Schutzgebiet zwischen Thailand<br />
und Vietnam, ist jedoch durch die stetig expandierende<br />
Landwirtschaft und den Kalksteinabbau bedroht und die wohl<br />
einzige endemische Vogelart von Laos. Dreizehn Jahre zuvor<br />
hatten Ornithologen bereits einen Schwarm „glatzköpfiger“<br />
<strong>Vögel</strong> ausmachen können, jedoch nur für wenige Sekunden.<br />
(wir)<br />
Woxvold u. a., Forktail 25, S.1-12, 2009.<br />
Saatkrähen: Fabelhaftes Verhalten<br />
Steinkauzmännchen und -weibchen eines Brutpaares leben auch<br />
außerhalb der Paarungszeit dichter beeinander als erwartet.<br />
Foto: H.-J. Fünfstück. Türkei, 16.6.2007.<br />
In der Fabel des griechischen Dichters Äsop wurde bereits vor<br />
mehr als zweieinhalb Jahrtausenden eine Krähe beschrieben,<br />
die so lange Steine in einen Krug wirft, bis sie das eingefüllte<br />
Wasser erreichen kann. Was in dem Werk „Die Krähe und der<br />
Krug“ beschrieben ist, konnten britische Forscher nun erstmals<br />
experimentell nachweisen, indem sie vier Saatkrähen zunächst<br />
Plastikröhren präsentierten, die mit Wasser in verschiedenen<br />
Höhen gefüllt waren und in denen ein Mehlwurm schwamm.<br />
Mit dem Schnabel konnten die <strong>Vögel</strong> die Beute nicht erreichen,<br />
weil der Wasserstand zu niedrig war. Dann erhielten sie Steine<br />
verschiedener Größe, die sie sofort in das Gefäß warfen, sodass<br />
der Wasserspiegel anstieg und sie an die im Wasser schwimmende<br />
Beute gelangen konnten. Nach wenigen Versuchen lernten sie<br />
zudem, dass sie mit größeren Steinen schneller zum Ziel kommen.<br />
Im Kontrollversuch war die Röhre statt mit Wasser mit<br />
Sägemehl gef üllt. Die Saatkrähen inspizier ten diese zwar, warfen<br />
jedoch nach wenigen Fehlversuchen Steine nur noch in den<br />
Behälter mit Wasser. In der freien Natur war Werkzeuggebrauch<br />
bei Saatkrähen bislang nicht dokumentiert – im Gegensatz zu<br />
den in Neukaledonien vorkommenden Geradschnabelkrähen<br />
(Corvus moneduloides). Möglicherweise liegt dies daran, dass<br />
Saatkrähen als Allesfresser nicht nur in der Kulturlandschaft<br />
2 Der Falke 57, <strong>2010</strong>
stets einen reich gedeckten Tisch vorfinden, an dem sie sich meist<br />
ohne größeren Aufwand bedienen können. Bislang hat man ein<br />
derart offensichtlich zielgerichtetes Anheben des Wasserstandes<br />
im Tierreich nur bei Orang-Utans beobachtet.<br />
(wir)<br />
C. Bird, Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2009.07.033.<br />
Kaiserpinguine:<br />
Bestandserfassung über Satellitenfotos<br />
Die Ausscheidungen von Kaiserpinguinkolonien (Guano) helfen<br />
Wissenschaftlern des British Antarctic Survey (BAS) bei der<br />
Erforschung der Lebensraumnutzung der flugunfähigen <strong>Vögel</strong><br />
in der Antarktis. Die rotbraunen Guanoflächen <strong>auf</strong> Meereis sind<br />
<strong>auf</strong> Satellitenbildern deutlich zu sehen. Auf diese Weise können<br />
die Kolonien der wandernden Pinguine, die Forscher von Schiffen<br />
oder Hubschraubern aus beobachtet hatten, mit genauen<br />
Koordinaten versehen werden. Insgesamt wurden 38 Kolonien<br />
von Kaiserpinguinen mithilfe von Satellitenbildern festgestellt,<br />
zehn davon waren bisher unbekannt. Die Methode vereinfacht<br />
die Verfolgung der Pinguine, die durch schmelzendes Eis zur<br />
Wanderung gezwungen werden. Mithilfe hoch <strong>auf</strong>gelöster Aufnahmen<br />
wollen die Wissenschaftler nun die Kaiserpinguine auch<br />
zählen. Kenntnisse über Bestandszahlen und Wanderverhalten<br />
sollen dann wesentlich bessere Annahmen darüber ermöglichen,<br />
wie die Kaiserpinguine <strong>auf</strong> den Klimawandel reagieren. Durch das<br />
Abschmelzen des antarktischen Meereises wird der Lebensraum<br />
dieser Vogelart drastisch beeinflusst.<br />
A. Schäffer<br />
P. T. Fretwell u. P. N. Trathan, Global Ecology and Biogeography,<br />
18, 2009, DOI: 10.1111/j.1466-8238.2009.00467.x.<br />
Riesentukane: Schnabel als „Kühler“<br />
Die in Südamerika lebenden Riesentukane (Ramphastos toco)<br />
haben die größten Schnäbel unter den <strong>Vögel</strong>n. Dafür gibt es<br />
mehrere Erklärungen. Die überdimensionalen Schmuckstücke<br />
könnten einmal dazu dienen, mögliche Partner oder Partnerinnen<br />
<strong>auf</strong> sich <strong>auf</strong>merksam zu machen, wie schon Charles Darwin<br />
vermutete, zum anderen beim Pflücken und Auspressen oder<br />
Schälen großer Früchte hilfreich sein. Schließlich könnten sie<br />
bei der Eroberung von Nistplätzen helfen oder als Warnsignal<br />
dienen. Mit Wärmebildkameras wurde nun gezeigt, dass die<br />
Riesenschnäbel auch als Klimaanlage fungieren. Denn je höher<br />
die Außentemperatur steigt, umso mehr Blut pumpen die <strong>Vögel</strong> in<br />
die oberflächennahen Gefäße der prächtigen Schnäbel. Dadurch<br />
wird wie beim Elefantenohr Wär me an die Umgebung abgegeben.<br />
Der Schnabel eignet sich deshalb besonders als „Wärmeregulator“,<br />
weil er sowohl eine große Fläche hat als auch über kein<br />
isolierendes Federkleid verfügt. 30 bis 60 Prozent der gesamten<br />
Wärmeabgabe finden über diesen orange-gelben Kühler statt.<br />
Bei niedrigen Außentemperaturen verengen sich die Gefäße und<br />
die Wärmeabgabe am Schnabel sinkt fast <strong>auf</strong> null. Bei großer<br />
Anstrengung, etwa beim Fliegen, geben die <strong>Vögel</strong> dort für kurze<br />
Zeit sogar den gesamten Wärmeüberschuss an die Umwelt ab.<br />
Das können bis zu fünf Watt sein, immerhin das Vierfache jener<br />
Wärmemenge, die Riesentukane in Ruhephasen produzieren.<br />
Kritisch für die Tukane wird es, wenn die Außentemperatur nahe<br />
der Körpertemperatur liegt. Weil dann das Wärmetauscherprinzip<br />
kaum noch funktioniert, bleibt den <strong>Vögel</strong>n – außer der Suche<br />
nach einem schattigen Fleck und minimaler Bewegung – nur<br />
die Verdunstungskühlung: Wenn Wasser nach einem Bad <strong>auf</strong><br />
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Ornithologie aktuell<br />
der Haut verdampfen, wird der Umgebung Wärme entzogen, um<br />
die Flüssigkeit in einen gasförmigen Zustand zu überführen.<br />
So kann der Körper einen Teil der angestauten Hitze loswerden.<br />
Ältere <strong>Vögel</strong> sind übrigens bei der Wärmeregulation über<br />
den Schnabel im Vorteil: Sie können die Austauschwärme<br />
des Schnabels weitaus flexibler regulieren. Jungvögel, deren<br />
Schnabel noch im Wachstum steckt, benötigen immer eine gute<br />
Blutzirkulation in diesem Körperteil, der immerhin ein Drittel<br />
der Körperoberfläche ausmacht. Die Wärmeregulation gelingt<br />
schlechter.<br />
(wir)<br />
G. Tattersall u. a., Science 325, 2009, S. 468.<br />
Ameisenvögel: Gesangsüberraschungen<br />
<strong>Vögel</strong> sind in ihrer <strong>Biologie</strong> immer wieder für Überraschungen gut,<br />
so auch die beiden peruanischen Ameisenvogelarten Hypocnemis<br />
peruviana und Hypocnemis subflava, was ihre Gesangskünste angeht.<br />
Bislang ging man davon aus, dass nahe verwandte Arten, die<br />
im gleichen Verbreitungsgebiet vorkommen und deren Lebensräume<br />
(Habitate) sich vielleicht sogar überschneiden, in den Gesängen<br />
deutlich unterscheiden. Solche sympatrischen Zwillingsarten wie<br />
etwa Fitis und Zilpzalp, Sumpf- und Weidenmeise, Garten- und<br />
Waldbaumläufer und regional auch Orpheus- und Gelbspötter<br />
unterscheiden sich deutlich in ihren Gesängen und sind für den<br />
Vogelbeobachter erst dadurch eindeutig zu unterscheiden. Durch<br />
die unterschiedlichen Gesänge wird gewährleistet, dass die beiden<br />
Zwillingsarten sich nicht miteinander verpaaren, was genetisch in<br />
der Regel in der Sackgasse enden würde, da die Nachkommen nicht<br />
fruchtbar sind. Doch keine Regel ohne Ausnahme. Bei den beiden<br />
im peruanischen Regenwald nebeneinander lebenden Ameisenvogelarten<br />
unterscheiden sich die Gesänge kaum, sondern nähern<br />
sich sogar einander an, um den sozialen Wettbewerb durch bessere<br />
Kommunikation zu steigern. Als die Ornithologen der Universität<br />
Oxford Populationen der beiden Arten in Gebieten untersuchten,<br />
in denen sie nebeneinander vorkommen, und solchen, in denen<br />
sie voneinander getrennt leben, mussten sie feststellen, dass die<br />
beiden Arten durchaus in der Lage sind, sich nach einer drei Millionen<br />
Jahre langen getrennten Entwicklung gesanglich einander<br />
Der wuchtige Schnabel dient dem Riesentukan zur Regulierung<br />
der Körpertemperatur. Foto: J. Ferdinand. Brasilien, 19.11.2001.<br />
anzugleichen, die territorialen Gesänge dieser <strong>Vögel</strong> in Design und<br />
Funktion mehr oder weniger austauschbar sind. Die Ergebnisse<br />
zeigen erstmalig, dass Arten, die um Raum und Nahrungsressourcen<br />
im Wettbewerb stehen und miteinander konkurrieren, sich<br />
durch soziale Interaktion einander annähern. Umso wichtiger ist<br />
es, dass sie sich in der Gefiederzeichnung und anderen äußeren<br />
Merkmalen bzw. nicht territorialen Signalen unterscheiden, damit<br />
es auch zwischen ihnen nicht zu Verwechslungen kommt. (wir)<br />
J. Tobias u. a., Evolution, 2009, DOI: 10.1111/j.1558-5646.<br />
2009.00795.x<br />
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4 Der Falke 57, <strong>2010</strong>
Beobachtungstipp<br />
Das Schleienloch vor dem verschneiten Bregenzer<br />
Wald. Brutkolonie von Lachmöwe und<br />
Haubentaucher. Foto: C. Wagner. 11.5.2009.<br />
Vorarlberger Rheindelta bei Bregenz am Bodensee<br />
Das Helgoland des Südens<br />
Das Vorarlberger Rheindelta im<br />
Südosten des Bodensees ist<br />
eine beeindruckende Landschaft.<br />
Zwischen dem Alten Rhein an<br />
der Staatsgrenze Österreich/Schweiz<br />
und der Dornbirnerach sind rund<br />
2000 ha abwechslungsreiche Kulturund<br />
Naturlandschaft geschützt. Hier<br />
liegt ein herausragendes Brut- und<br />
Rastgebiet, in dem bisher über 330<br />
Vogelarten beobachtet wurden. So<br />
ist es nicht verwunderlich, dass die<br />
Landschaft als Natura 2000-Gebiet<br />
gemäß der Fauna-Flora-Habitat-<br />
Richtlinie und der Vogelschutzrichtlinie<br />
der EU sowie als Feuchtgebiet<br />
von internationaler Bedeutung nach<br />
der Ramsar-Konvention geschützt<br />
ist. Daneben ist das Rheindelta aber<br />
auch ein viel besuchtes Erholungsgebiet<br />
und wird landwirtschaftlich<br />
intensiv genutzt. Die Nutzung geht<br />
einher mit Entwässerungen und intensivem<br />
Hochwasserschutz. Auch<br />
intensive Freizeitnutzung findet im<br />
Gebiet statt. Daneben bietet die Mündung<br />
des Neuen Rheins mit den umfangreichen<br />
Sedimentablagerungen<br />
aber die für Mitteleuropa nahezu<br />
einmalige Chance, der Natur bei der<br />
Entwicklung neuer Lebensräume über<br />
die Schulter zu schauen.<br />
» Landschaftsgeschichte und<br />
Lebensräume<br />
Zwei Eingriffe beeinflussten und beeinflussen<br />
noch immer die Landschaft<br />
im Rheindelta: Die Regulierung des<br />
Alpenrheins und die Eindeichung der<br />
Riedwiesen.<br />
Der Alpenrhein ist der größte Wildfluss<br />
Mitteleuropas. Er schwemmt<br />
durchschnittlich etwa 2,5 Mio. Kubikmeter<br />
Feinsedimente pro Jahr in<br />
den Bodensee und verändert seine<br />
Mündungslandschaft ständig. Dadurch<br />
entstehen jährlich etwa zwei<br />
bis drei Hektar neue Landflächen.<br />
So sind allein im 20. Jahrhundert<br />
über 2 km² neues Land hinzugekommen.<br />
Seit über hundert Jahren darf<br />
der Rhein aber nur noch mit einem<br />
Bruchteil seiner ursprünglichen Gewalt<br />
in seinem natürlichen L<strong>auf</strong> den<br />
Bodensee erreichen, die Hauptwassermenge<br />
wird als „Neuer Rhein“<br />
durch den Fußacher Durchstich in<br />
die Fußacher Bucht geleitet. Dies<br />
hatte und hat großräumige Veränderungen<br />
in der Verlandungsdynamik<br />
zur Folge. Die Fussacher Bucht wird<br />
durch Anlandungen vom Bodensee<br />
Ein Charaktervogel des Bodensees ist<br />
die Kolbenente.<br />
Foto: C. Wagner. Albufera, 21.3.2009.<br />
Der Falke 57, <strong>2010</strong> 5
Beobachtungstipp<br />
abgeschnitten. Um die Sedimentmassen<br />
in tiefere Bereiche zu leiten<br />
und die Verlandung im Uferbereich<br />
zu stoppen, werden die Dämme fast<br />
jedes Jahr ein Stück weiter in den See<br />
hinaus verlängert. Trotzdem wird der<br />
Bodensee eines Tages mehr oder weniger<br />
vollständig verlandet sein. Was<br />
die Wasserwirtschaft in hektische<br />
Betriebsamkeit stürzt, ist für die Natur<br />
ein Segen. Es entstehen Jahr für<br />
Jahr neue Flachwasserbereiche und<br />
kleine Inseln, die in wenigen Jahren<br />
bewachsen und ein reichhaltiges Lebensraummosaik<br />
bilden. Solch eine<br />
Landschaftsdynamik findet man außerhalb<br />
der Küsten nur noch selten<br />
in Mitteleuropa, sie ist ein wichtiger<br />
Grund für die große Artenvielfalt im<br />
Vorarlberger Rheindelta.<br />
Seit der Eindeichung Ende der<br />
1950er / Anfang der 1960er Jahre<br />
wird der Wasserstand in einem<br />
rund 250 ha großen Teilbereich des<br />
Schutzgebietes künstlich reguliert,<br />
wodurch sich Vegetation und Fauna<br />
stark verändert haben. Es fehlen die<br />
regelmäßigen Überschwemmungen,<br />
der Niedermoorkörper sackt, die Wiesen<br />
werden teilweise intensiv genutzt<br />
oder es wird sogar Ackerbau betrieben.<br />
Dies ist ein wahrscheinlicher<br />
Grund dafür, dass die Wiesenbrüter<br />
im Rheindelta stark abgenommen<br />
Sturm- und Lachmöwen, aber auch Zwerg-, Schwarzkopf- und Mittelmeermöwen lassen<br />
sich in der Lagune regelmäßig beobachten. Foto: C. Wagner. Starnberg, 6.12.2009.<br />
haben oder wie die Uferschnepfen<br />
verschwunden sind.<br />
Neben den neuen Anlandungen und<br />
der Riedwiesen findet man im Vorarlberger<br />
Rheindelta <strong>auf</strong> über 100 ha<br />
Fläche vitale Schilffelder. Es sind die<br />
größten Schilfbestände Vorarlbergs.<br />
Nachdem das Schilf <strong>auf</strong>grund des<br />
Hochwassers von 1999 stark zurückgegangen<br />
war, erholt es sich seitdem<br />
wieder, mit dem Ergebnis, dass die<br />
Zwergdommel in den letzten Jahren<br />
stark zugenommen hat. Die größte<br />
Fläche im Vorarlberger Rheindelta<br />
nehmen aber die Flachwasserbereiche<br />
ein, die – je nach Wasserstand<br />
– teilweise trocken fallen. In diesem<br />
Zusammenhang sehr bemerkenswert<br />
ist, dass im Oberl<strong>auf</strong> des Rheins keine<br />
Stauwerke existieren, sodass der<br />
Wasserzufluss in den Bodensee nicht<br />
regulierbar ist. Hoch- und Niedrigwasser<br />
richten sich ganz nach den<br />
natürlichen Gegebenheiten wie Regen<br />
und Schneeschmelze.<br />
»»Besondere Vogelarten und<br />
Reisezeit<br />
Egal zu welcher Jahreszeit man das<br />
Vorarlberger Rheindelta besucht,<br />
man wird nicht enttäuscht werden.<br />
Neben der großen Möwen- und Seeschwalbenkolonie<br />
mit einzelnen<br />
Typische Vogelarten in Vorarlberger Rheindelta, deren Status und günstige Beobachtungszeit (in Klammern)<br />
h = häufiger, r = regelmäßiger, s = seltener, J = Jahresvogel, B = Brutvogel, W = Wintergast, D = Durchzügler, N = Nahrungsgast<br />
Art<br />
Status (beste Beobachtungszeit)<br />
Art<br />
Status (beste Beobachtungszeit)<br />
Singschwan<br />
rW (Okt.–März)<br />
Sanderling<br />
rD (Mai, Aug.–Okt.)<br />
Zwergschwan<br />
sW (Nov.–Jan.)<br />
Temminckstrandläufer<br />
rD (Mai, Aug.–Sept.)<br />
Kolbenente<br />
hJ<br />
Sichelstrandläufer<br />
rD (Mai, Aug–Sept.)<br />
Zwergsäger<br />
sW (Nov.–März)<br />
Zwergmöwe<br />
hD (April–Okt.)<br />
Wachtel<br />
sB (Mai–Aug.)<br />
Schwarzkopfmöwe<br />
sB (Mitte März–Juni)<br />
Sterntaucher<br />
sW (Nov.–Mai)<br />
Sturmmöwe<br />
sB, hW (ganzjährig)<br />
Zwergdommel<br />
rB (Mitte Mai–Aug.)<br />
Flussseeschwalbe<br />
hB (Mitte April–Mitte Sept.)<br />
Silberreiher<br />
rW (Sept.–April)<br />
Weißbart-Seeschwalbe<br />
rD (Mitte April–Mitte Juni)<br />
Seidenreiher<br />
sD (Mai–Juni)<br />
Trauerseeschwalbe<br />
hD (Mai–Juni, Aug.–Sept.)<br />
Fischadler<br />
rD (März–Mai, Sept.–Okt.)<br />
Raubwürger<br />
sW (Okt.–Feb.)<br />
Wiesenweihe<br />
sD (April–Mai)<br />
Rohrschwirl<br />
sB (Mitte April–Juni)<br />
Schwarzmilan<br />
rB, hD (April–Aug.)<br />
Schwarzkehlchen<br />
sB (März–Okt.)<br />
Merlin<br />
sW (Okt.–März)<br />
Braunkehlchen<br />
rB, rD (April–Okt.)<br />
Tüpfelsumpfhuhn<br />
rD (April, Juli–Okt.)<br />
Steinschmätzer<br />
rD (März–Mai, Aug.–Okt.)<br />
Säbelschnäbler<br />
sD (April–Mai)<br />
Thunbergschafstelze<br />
rD (Mai)<br />
Großer Brachvogel<br />
sB, hW (ganzjährig)<br />
Aschkopf-Schafstelze<br />
sD (Mai)<br />
Kiebitzregenpfeifer<br />
rD (Sept.–Nov.)<br />
Bergpieper<br />
rW (Okt.–April)<br />
6 Der Falke 57, <strong>2010</strong>
Schwarzkopf- und Sturmmöwen, die<br />
im Frühjahr voller Leben ist, sollte<br />
man zu dieser Zeit <strong>auf</strong> Schilfbrüter<br />
wie Zwergdommeln, Rohrschwirle<br />
und Drosselrohrsänger achten. Der<br />
Frühjahrs- und Herbstzug der Seeschwalben<br />
(Weißbart-Seeschwalben<br />
regelmäßig) und vor allem Limikolen<br />
(regelmäßig 15 Limikolenarten, sofern<br />
der Wasserstand nicht zu hoch<br />
ist) ist herausragend. Zehntausende<br />
von Enten mausern, rasten und überwintern<br />
im Rheindelta. Sing- und<br />
Zwergschwäne kommen aus Brandenburg<br />
an den milden Bodensee,<br />
um hier die kalte Jahreszeit zu verbringen.<br />
Große Brachvögel überwintern<br />
im Rheindelta mit bis zu 600<br />
Individuen; einer der größten mitteleuropäischen<br />
Winterschlafplätze im<br />
Binnenland. Regelmäßig verschn<strong>auf</strong>en<br />
auch nordamerikanische, asiatische<br />
und südeuropäische Irrgäste<br />
im Rheindelta. Pfingsten ist für Seltenheiten<br />
der beste Zeitraum.<br />
» Beobachtungsmöglichkeiten<br />
Die B 202 führt von Bregenz nach<br />
Höchst, das an der Grenze zur<br />
Schweiz liegt und verbindet die Beobachtungsgebiete<br />
miteinander.<br />
Die Schleienlöcher erreicht man,<br />
wenn man direkt östlich der Brücke<br />
über den Neuen Rhein von der B 202<br />
nach rechts abbiegt. Man folgt deer<br />
dammparallelen Straße zirka 1,1 km<br />
und erreicht den Parkplatz (1) bei<br />
der Gaststätte „Fischerheim“. Vom<br />
Parkplatz geht man <strong>auf</strong> den Damm.<br />
Rechterhand liegt das Schleienloch<br />
mit ausgedehnten Schilffeldern, die<br />
im Mai hervorragende Möglichkeiten<br />
zur Beobachtung von Zwergdommeln,<br />
Rohrschwirlen und Drosselrohrsängern<br />
bieten. In der großen<br />
Lachmöwenkolonie brüten viele Haubentaucher<br />
und lassen sich ins Nest<br />
schauen. Die Lagune kann umrundet<br />
werden. Auf dem Hauptdamm in<br />
den See hinausgehend, erreicht man<br />
Schlickflächen (2). Diese sind in den<br />
letzten Jahren immer interessanter<br />
geworden. Leider muss man zu den<br />
spannendsten Flächen bis zu 4 km<br />
<strong>auf</strong> den Bodensee hinausgehen.<br />
Nicht fehlen sollte ein Besuch des<br />
Sanddeltas (4). Es ist meist die erste<br />
Anl<strong>auf</strong>stelle für die Beobachtung von<br />
Seltenheiten. Das Sanddelta erreicht<br />
man, indem man nicht vor, sondern<br />
Die Lagune mit Flussseeschwalbenflößen und Möweninseln<br />
lädt zum Staunen ein. Foto: C. Wagner. 18.5.2007.<br />
nach der Brücke über den Neuen Rhein<br />
nach Norden abbiegt und 1,6 km bis<br />
zu einer Schranke nach Norden fährt.<br />
Auch hier geht man <strong>auf</strong> dem Damm<br />
weiter. In der Lagune, die man nach<br />
einiger Zeit linkerhand erreicht, befindet<br />
sich die große Flussseeschwalben-<br />
und Lachmöwenkolonie. In dem<br />
Schilfflächen der Lagune kommt die<br />
Zwergdommel vor. Für die besten Limikolen-<br />
und Möwenplätze muss man<br />
den Rheindamm (5) bis zum Ende folgen.<br />
Hin- und Rückweg summieren<br />
sich so zu einem sehr ausgedehnten<br />
Spaziergang von rund 7 km. Bei (3),<br />
am Yachthafen vorbei, hat man einen<br />
guten Überblick über die Fussacher<br />
Bucht – Seeschwalben lassen sich von<br />
hier recht gut beobachten.<br />
Der Rohrspitz ist Ausgangspunkt<br />
für eine Exkursion in die Riedwiesen.<br />
Die kleine Straße zum Rohrspitz<br />
zweigt in Höchst von der B 202 ab.<br />
Die Zufahrt ist ausgeschildert. Parken<br />
kann man im Bereich des Seerestaurants<br />
„Glashaus“ (6) und des Campingplatzes<br />
„Salzmann Rohrspitz“.<br />
Direkt am Restaurant (7) entsteht<br />
bei niedrigem Wasserstand eine interessante<br />
Sandinsel, die unter anderem<br />
Limikolen Rastmöglichkeiten<br />
bietet. Im Winterhalbjahr schwimmen<br />
hier auch Sing- und einzelne<br />
Zwergschwäne. Wenn man <strong>auf</strong> dem<br />
Damm nach rechts (Osten) geht, umrundet<br />
man am Campingplatz vorbei<br />
die Fussacher Bucht (8). Rechterhand<br />
liegen dann die Riedwiesen. Auf dem<br />
Rückweg führt ein Abstecher kurz vor<br />
dem großen Pumpwerk nach rechts<br />
in die Wiesen. Dort brüten Braunund<br />
Schwarzkehlchen (9). Der Weg<br />
<strong>auf</strong> den Rohrspitz (10) ist vor allem<br />
im Frühjahr lohnend.<br />
» Weitere Beobachtungs- und<br />
Freizeitmöglichkeiten<br />
Wer am Bodensee Urlaub macht,<br />
findet um den Bodensee herum weitere<br />
lohnende Beobachtungsgebiete.<br />
Im Uhrzeigersinn sind dies:<br />
Die blauen Blüten der Sibirischen Schwertlilie (Iris sibirica)<br />
überziehen ab Mitte Mai die Riedwiesen.<br />
Foto: C. Wanger. Wetterwinkel, 11.5.2009.<br />
Der Falke 57, <strong>2010</strong> 7
Beobachtungstipp<br />
Die Seetaucherstrecke am Schweizer<br />
Bodenseeufer, die entsprechend<br />
ihrem Namen hervorragend zur Beobachtung<br />
von Pracht- und anderen<br />
Seetauchern geeignet ist. Im Winterhalbjahr<br />
sollte man von Uttwil,<br />
Kesswil und Güttingen fast immer<br />
gute Entdeckungen machen können.<br />
Dabei darf es aber nicht zu windig<br />
(Wellengang) oder trüb sein.<br />
Bei Konstanz wurde am Ufer des<br />
Bodensee-Untersees mit dem Wollmatinger<br />
Ried ein herausragender<br />
Uferabschnitt geschützt. Das Gebiet<br />
ist nur im Rahmen von Führungen<br />
zugänglich (s. u.), <strong>auf</strong> eigene Faust<br />
kann man vom Beobachtungsturm<br />
in der Burgruine Schopflen <strong>auf</strong> dem<br />
Reichenaudamm die Flachwasserzonen<br />
der Hegnebucht und des Wollmatinger<br />
Rieds einsehen (Spektiv!).<br />
Das Eriskircher Ried südlich von<br />
Friedrichshafen ist vor allem wegen<br />
der Irisblüte (Iris sibirica) im Mai/<br />
Juni bekannt. Die davor liegenden<br />
geschützten Flachwasserzonen sind<br />
dann im Winter interessanter.<br />
Ein Abstecher ins Gebirge ist vor<br />
allem ab Mai lohnend. Eine Wanderung<br />
über die Öberlealmen <strong>auf</strong><br />
die Kanisfluh (die Spitze nennt sich<br />
Holenke) belohnt mit vielen Alpenarten.<br />
Juwelen der alpinen Höhen<br />
sind Steinrötel, die in den Südhängen<br />
über dem Alpengasthof Edelweiß<br />
zwei bis drei Reviere haben und sogar<br />
von der Terrasse (dann aber weit<br />
entfernt) beob achtet werden können.<br />
Der Alpengasthof hat in der Regel<br />
ab Pfingsten geöffnet. Dann ist auch<br />
eine gute Zeit für die Tour.<br />
Christian Wagner, Christopher König,<br />
Christoph Moning, Felix Weiß<br />
8 Der Falke 57, <strong>2010</strong><br />
Infomaterial/Literatur:<br />
Moning, C. & C. Wagner (2005): <strong>Vögel</strong><br />
beobachten in Süddeutschland<br />
– Die besten Beobachtungsgebiete<br />
zwischen Mosel und Watzmann. –<br />
Franckh-Kosmos-Verlag GmbH &<br />
Co. KG, Stuttgart.<br />
www.rheindelta.com ist die Internetseite<br />
zum Vorarlberger Rheindelta<br />
mit Gebietsübersicht und kommentierter<br />
Artenliste. Mit vielen weiteren<br />
Informationen gibt sie den umfangreichen<br />
Wissensstand zu dem Gebiet<br />
wider.<br />
Anfahrt<br />
Mit Bahn und Bus:<br />
Ein großer Bahnhof liegt in Bregenz, zirka 8,5 km<br />
vom Startpunkt zum Sanddelta (4) entfernt. Der<br />
nächste Bahnhof ist der Gemeinschaftsbahnhof<br />
Hard/Fussach. Von dort sind es knapp 4 km bis<br />
zum Parkplatz und damit fast Wanderentfernung.<br />
Mit dem Auto:<br />
Bregenz befindet sich 9 km südöstlich von Lindau<br />
in Österreich. Wer von Deutschland aus anfährt,<br />
muss beachten, dass in Österreich <strong>auf</strong> den Autobahnen<br />
Vignettenpflicht herrscht. Wer kein Geld für<br />
die Straßenbenutzung ausgeben will, kann <strong>auf</strong> der B 202 durch das Zentrum<br />
der Stadt Bregenz hindurch das Gebiet erreichen. Da in Bregenz oftmals viel<br />
Verkehr herrscht, steht man vor allem während der Stoßzeiten oft im Stau.<br />
Adressen<br />
NABU Naturschutzzentrum Wollmatinger Ried, Kindlebildstraße 87, 78479<br />
Reichenau, Tel.: 07531-78870, E-Mail: nabu.wollried@t-online.de, www.nabuwollmatingerried.de.<br />
Anmeldung für Gruppenführungen.<br />
Naturschutzzentrum Eriskirch, Bahnhofstr. 24, 88097 Eriskirch, Tel.:<br />
07541-81888, E-Mail: info@naz-eriskirch.de, Öffnungszeiten der Ausstellung:<br />
1. April–30. September: Dienstag–Sonntag und Feiertage 14–17 Uhr, Freitag<br />
zusätzlich 9–12 Uhr; 1. Oktober–31. März: Dienstag–Donnerstag 14–16 Uhr,<br />
Freitag 9–12 Uhr, Sonntag und Feiertage 14–17 Uhr.<br />
Beobachtungsmeldungen an: Ornithologische Arbeitsgemeinschaft Bodensee,<br />
Beyerlestraße 22, 78464 Konstanz, Tel.: 07531-65633, E-Mail: info@<br />
bodensee-ornis.de. Die Internetseite der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft<br />
www.bodensee-ornis.de ist sehr informativ und eignet sich zur Vorbereitung<br />
<strong>auf</strong> eine Bodenseereise. Die zum Herunterladen bereitgestellten<br />
OAB-Rundbriefe geben einen guten Überblick über das jahreszeitliche Auftreten<br />
aller Vogelarten im Bodenseeraum und eine kommentierte Artenliste<br />
gibt umfassend Auskunft über das jahreszeitliche Auftreten und die Häufigkeit<br />
der vorkommenden Arten.<br />
Karte aus Moning & Wagner (2005): <strong>Vögel</strong> beobachten in Süddeutschland. Kosmos, Stuttgart.
<strong>Biologie</strong><br />
Zeitprogramme im Tages- und Jahresl<strong>auf</strong>:<br />
Vogel-Uhren<br />
und Kalender-<strong>Vögel</strong><br />
Timing is everything! Als ob es nicht schwierig genug wäre für <strong>Vögel</strong>, den vielen alltäglichen<br />
Anforderungen gerecht zu werden: Nahrungssuche, Vermeidung von Beutegreifern, Parasiten<br />
und Krankheiten, Wettbewerb um Brutpartner und Territorien, Aufzucht der Jungen ... Zusätzlich<br />
spielt für die Bewältigung dieser Aufgaben eine oft entscheidende Rolle, zur richtigen<br />
Zeit am richtigen Ort zu sein und sich im richtigen körperlichen Zustand zu befinden. Dabei<br />
helfen den <strong>Vögel</strong>n ihre inneren Uhren und Kalender.<br />
Für den menschlichen Beobachter<br />
sind <strong>Vögel</strong> eng verbunden<br />
mit zeitlicher Präzision. Ganz<br />
allgemein symbolisiert der Hahnenschrei<br />
<strong>auf</strong> dem Hof den morgendlichen<br />
Weckruf, und die Ankunft<br />
von Zugvögeln markiert den Frühling.<br />
Aber die von den Menschen<br />
0:00<br />
„Vogeluhr“<br />
Tageszeit des ersten<br />
Morgengesangs<br />
6:00<br />
beobachtete Präzision geht noch viel<br />
weiter: Unter „Vogel-Uhr“ verstehen<br />
Fachleute die spezielle Reihenfolge,<br />
in der die <strong>Vögel</strong> mit ihren Aktivitäten,<br />
und besonders mit dem morgendlichen<br />
Gesang, beginnen. Arten<br />
wie Hausrotschwanz, Amsel und Rotkehlchen<br />
gehören zu den frühesten<br />
Star<br />
Hausrotschwanz<br />
Rotkehlchen<br />
Amsel<br />
Kuckuck<br />
Kohlmeise<br />
Buchfink<br />
Haussperling<br />
Sängern, während andere Arten, z. B.<br />
Buchfink und Pirol, erst deutlich später<br />
aktiv werden. Ähnlich sind auch<br />
bei Zugvögeln die Ankunftszeiten<br />
von Art zu Art verschieden: „Eine<br />
Schwalbe macht noch keinen Sommer“,<br />
aber wenn der Neuntöter und<br />
der Grauschnäpper eintreffen, dann<br />
sollten auch Eisdielen, Biergärten<br />
und Schwimmbäder ihre Tore öffnen.<br />
Arttypische Ankunftszeiten spiegeln<br />
sich im deutschen Sprachraum<br />
auch in Bauernregeln wider, die die<br />
Ankunft einiger Arten genau charakterisieren.<br />
In manchen anderen<br />
landwirtschaftlichen Gesellschaften<br />
gilt die Ankunft von Zugvogelarten<br />
bis in unsere Zeit als Startsignal z. B.<br />
zur Aussaat bestimmter Kulturpflanzen.<br />
Solche Pünktlichkeit ist umso<br />
erstaunlicher, als Zugvögel den richtigen<br />
Zeitpunkt zur Rückkehr in die<br />
Brutgebiete von oft weit entfernten<br />
Winterquartieren aus einschätzen<br />
müssen. <strong>Vögel</strong> haben also ihre Symbolkraft<br />
für die „Zeit“ durchaus verdient.<br />
Aus diesem Grund sind <strong>Vögel</strong><br />
auch von hohem Interesse für die Erforschung<br />
der „Inneren Uhr“, mit der<br />
sich die Chronobiologie (<strong>Biologie</strong> der<br />
Zeit) befasst.<br />
Schematische Darstellung der Vogeluhr.<br />
Die Piktogramme zeigen die ungefähre<br />
Tageszeit (in normaler mitteleuropäischer<br />
Zeit), zu der die dargestellten Vogelarten<br />
im Mai in Deutschland mit ihrem Morgengesang<br />
beginnen.<br />
Der Falke 57, <strong>2010</strong> 9
<strong>Biologie</strong><br />
1. Januar<br />
»»Tagesuhren: „Wecker und<br />
Photometer“<br />
Vogelforschern, die die genauen<br />
morgendlichen Aktivitätsbeginne<br />
und ersten Gesangszeiten einiger Vogelarten<br />
notiert hatten, war zunächst<br />
eine deutliche Beziehung zum Tageslicht<br />
<strong>auf</strong>gefallen. In Abhängigkeit<br />
vom Ort und der Jahreszeit finden<br />
Sonnen<strong>auf</strong>gang, Sonnenuntergang<br />
und Dämmerung zu verschiedenen<br />
Tageszeiten statt. Diese Unterschiede<br />
beeinflussen auch die Tageszeit, zu<br />
der ein Vogel aktiv wird. Dementsprechend<br />
wurde zunächst davon<br />
ausgegangen, dass die Aktivitätszeit<br />
von <strong>Vögel</strong>n durch eine Art von<br />
„Photometer“ (also durch Bestimmung<br />
der Lichtintensität) gesteuert<br />
wird. Genauere Untersuchungen ergaben<br />
aber ein komplizierteres und<br />
spannenderes Bild. Wenn <strong>Vögel</strong> ohne<br />
Informationen über die Tageszeit in<br />
einem teilweise abgedunkelten Raum<br />
gehalten werden, zeigen sie dennoch<br />
klare Muster von Aktivität und Ruhe,<br />
die sich in etwa 24-stündigem Rhythmus<br />
wiederholen. Verfolgt man diese<br />
Rhythmen jedoch über mehrere Tage,<br />
dann zeigt sich, dass die Zeiten der<br />
<strong>Vögel</strong> langsam und kontinuierlich<br />
„wandern“: Die <strong>Vögel</strong> folgen ihrer<br />
eigenen, inneren Uhr, die aber nicht<br />
ganz präzise ist und deshalb auch als<br />
„Vogelkalender“<br />
Mittlere Erstankunft<br />
von Zugvögeln<br />
1. Juli<br />
„circadiane“ Uhr (von circa = ungefähr,<br />
und dies = Tag) bezeichnet wird.<br />
Bei <strong>Vögel</strong>n, deren innere Uhr schneller<br />
läuft als 24 Stunden, verfrüht sich<br />
die Aktivität täglich um einige Minuten,<br />
und bei <strong>Vögel</strong>n mit einer langsameren<br />
Uhr als 24 Stunden beginnt<br />
die Aktivität täglich etwas später.<br />
Feldlerche<br />
Star<br />
Singdrossel<br />
Kiebitz<br />
Zilpzalp<br />
Ringeltaube<br />
Knäkente<br />
Fitis<br />
Wiedehopf<br />
Kuckuck<br />
Turteltaube<br />
Bruchwasserläufer<br />
Mauersegler<br />
Pirol<br />
Neuntöter<br />
Erstankunftszeiten einiger Zugvogelarten im Frühling in Tschechien. Die Daten wurden<br />
von Hubálek über einen Zeitraum von 1952 bis 2001 gemittelt.<br />
Dieser „Freil<strong>auf</strong>“ ist der Beleg dafür,<br />
dass die <strong>Vögel</strong> nicht nur <strong>auf</strong> ein äußeres<br />
Umweltsignal (normalerweise<br />
das Tageslicht) reagieren, sondern<br />
schon innerlich <strong>auf</strong> den Beginn des<br />
kommenden Tages vorbereitet sind.<br />
Dies hat entscheidende Vorteile. Viele<br />
Aspekte der Physiologie, wie die Kör-<br />
22:00<br />
18:00<br />
Tageszeit<br />
14:00<br />
10:00<br />
Edinburgh Dämmerung<br />
München Dämmerung<br />
06:00<br />
02:00<br />
1. Jan.<br />
1. April<br />
1. Juli 1. Okt.<br />
18:00<br />
Tageszeit<br />
14:00<br />
10:00<br />
München Dämmerung<br />
Kolonieflüge<br />
06:00<br />
02:00<br />
1. Jan.<br />
1. April<br />
1. Juli 1. Okt.<br />
Dohlenflug und Dämmerung. Oben: Veränderung der Tageszeiten<br />
von Beginn und Ende der Dämmerung im Jahresl<strong>auf</strong><br />
(Beispiele München und Edinburgh). Unten: Tageszeit von<br />
Abflug 10 und Ankunft Der Falke der 57, Dohlen <strong>2010</strong> am Schlafplatz.<br />
<br />
Abbildung nach einer Zusammenstellung von Aschoff und v. Holst.<br />
Foto: H. Glader. Niederrhein, November 2007.
Kranich - eine Art, die ihr Zugverhalten<br />
in den letzten Jahren<br />
bemerkenswert schnell umstellen<br />
konnte.<br />
Foto: H. Jaschhof.<br />
pertemperatur und Hormone, werden<br />
so gesteuert, dass der Vogel mit Beginn<br />
seiner Aktivitätszeit „durchstarten“<br />
kann. Unter natürlichen Bedingungen<br />
bestimmen die innere, circadiane<br />
Uhr und die äußere Uhr, die<br />
durch die Umwelt vorgegeben ist, gemeinsam<br />
die Aktivitätszeit der <strong>Vögel</strong>.<br />
Die circadiane Uhr ist der „Wecker“,<br />
der den nahenden Tag ankündigt. Die<br />
äußere Uhr stellt diesen Wecker genau<br />
ein und passt die Aktivitätszeit<br />
ggf. an die jeweiligen Tagesbedingungen<br />
an. Dabei fällt dem Sonnenstand<br />
die Rolle des „Zeit gebers“ zu,<br />
der die Uhr stellt, während andere<br />
Faktoren wie Temperatur und Wetter<br />
mitbestimmen, wie sich ein Vogel um<br />
eine bestimmte Uhrzeit verhält. So<br />
lässt sich verstehen, wie es den <strong>Vögel</strong>n<br />
gelingt, einerseits <strong>auf</strong> den Tag<br />
vorbereitet zu sein, aber andererseits<br />
ihren Tagesabl<strong>auf</strong> an die aktuellen<br />
Bedingungen anzupassen, denen sie<br />
an einem bestimmten Tag und Ort<br />
ausgesetzt sind.<br />
» „Lerchen und Eulen“:<br />
Vielfalt der Uhren<br />
Die erwähnte, klassische Vogeluhr<br />
zeigt an, dass sich die Vogelarten<br />
deutlich in ihren Zeitmustern unterscheiden.<br />
Diese Unterschiede basieren<br />
<strong>auf</strong> ererbten, arttypischen Programmen,<br />
die steuern, wie ein Vogel<br />
<strong>auf</strong> Lichtintensität und andere Umweltfaktoren<br />
reagiert. Beispielsweise<br />
pendelt sich die Kombination von<br />
Wecker und Photometer so ein, dass<br />
ein Rotkehlchen bereits bei der ersten<br />
Dämmerung, ein Buchfink aber erst<br />
bei relativ hellem Licht zu singen<br />
beginnt. Auch viele andere Eigenschaften<br />
von Vogelarten haben sich<br />
in engem Zusammenhang mit einem<br />
bestimmten tageszeitlichen Verhalten<br />
entwickelt. Arten, die bereits nachts<br />
und in der frühen Dämmerung aktiv<br />
sind, haben z. B. in der Regel einen<br />
größeren Augendurchmesser als rein<br />
tagaktive Arten. Aber selbst innerhalb<br />
von Arten gibt es deutliche Unterschiede<br />
zwischen Individuen, die<br />
ausgesprochene „Früh<strong>auf</strong>steher“ sind,<br />
und anderen, die eher spät <strong>auf</strong>stehen.<br />
Dies gilt nicht nur für <strong>Vögel</strong>, sondern<br />
auch für uns Menschen. In Selbstversuchen<br />
und später in gezielten<br />
Experimenten, in denen freiwillige<br />
Probanden in einem unterirdischen<br />
Bunker ohne zeitliche Informationen<br />
auskommen mussten, zeigte sich,<br />
dass beim Menschen der Tagesabl<strong>auf</strong><br />
ebenso von einer Kombination aus<br />
innerer und äußerer Uhr bestimmt<br />
wird. Auch beim Menschen gibt es<br />
deutliche Unterschiede zwischen<br />
„Früh<strong>auf</strong>stehern“ und „Spät<strong>auf</strong>stehern“<br />
(besser: Morgentypen und<br />
Abendtypen). Und wiederum sind<br />
es <strong>Vögel</strong>, die als Symbole für diese<br />
Typen namengebend verwendet werden:<br />
„Lerchen“ für die Morgentypen<br />
und „Eulen“ für die Abendtypen.<br />
» Jahresuhren: Die Rückkehr<br />
der Zugvögel<br />
Das jahreszeitliche Verhalten der <strong>Vögel</strong><br />
hat für Menschen ganz besondere<br />
Bedeutung. Schon aus ägyptischen<br />
Dokumenten, aus der Bibel und aus<br />
griechischen Schriften sind Beobachtungen<br />
über die Ankunft von<br />
Kranichen und Gänsen erhalten.<br />
Mündliche Überlieferungen über Ankunft<br />
und Abzug der Zugvögel, über<br />
Brutaktivitäten und über Beginn und<br />
Ende der Gesangsperiode sind in<br />
Form von Bauernregeln und Mythen<br />
aus vielen Kulturen bekannt. Wie bei<br />
der Tagesuhr unterscheiden sich die<br />
Zeitpläne je nach Lokalität. Für einen<br />
vorgegebenen Ort jedoch lässt sich<br />
saisonales Verhalten wie eingangs<br />
erwähnt ähnlich wie bei der Vogeluhr<br />
arttypisch als „Vogelkalender“<br />
darstellen: Auch bei der Jahresuhr<br />
gibt es Vogelarten, die notorisch früh<br />
oder aber spät im Jahr ankommen,<br />
brüten, mausern oder abziehen. Am<br />
deutlichsten lässt sich dieses Spektrum<br />
für die erste Ankunft im Frühjahr<br />
zeigen.<br />
Lange schon haben Vogelinteressierte<br />
überlegt, woher die <strong>Vögel</strong> ihr<br />
präzises Wissen über die Jahreszeiten<br />
gewinnen. Vogelliebhabern, die Zugvögel<br />
in menschlicher Obhut hielten,<br />
0 6 12 18 0 6 12 18 24<br />
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Die freil<strong>auf</strong>ende circadiane Uhr einer Kohlmeise. Die Aktivität<br />
der Kohlmeise ist als blauer Balken über eine Zeit von<br />
21 Tagen in Zeilen dargestellt. An den ersten beiden Tagen<br />
richtet sich die Meise nach Lichtzeiten (oberer Balken),<br />
dann wird der Raum teils abgedunkelt. Die Meise folgt nun<br />
ihrer inneren Uhr und wird jeden Tag etwas früher aktiv<br />
(die Daten sind für bessere Sichtbarkeit zweimal nebeneinander<br />
gesetzt).<br />
Der Falke 57, <strong>2010</strong> 11
<strong>Biologie</strong><br />
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 0<br />
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31<br />
Frühlingszugunruhe eines sibirischen Schwarzkehlchens. Die Darstellung<br />
zeigt die von passiven Infrarotsensoren <strong>auf</strong>gezeichnete Aktivität des Vogels<br />
in den Monaten März bis Mai (schwarze Striche: 10-Minuten Intervalle<br />
mit Aktivität). In der rechten Spalte ist die Aktivität <strong>auf</strong>einanderfolgender<br />
Tage gegen die Tageszeit <strong>auf</strong>getragen, wobei jede Zeile einen<br />
Tag angibt. Für bessere Sichtbarkeit wird links davon der vorangegangene<br />
Tag nochmals gezeigt. Anfang März ist der Vogel fast ausschließlich<br />
tagaktiv. Die Zugunruhe zeigt sich als Nachtaktivität ab Ende März und<br />
endet Mitte Mai. Am 27. April wurde der Vogel <strong>auf</strong> Reaktivität seines<br />
Immunsystems getestet.<br />
Aktogramm: W. Jensen.<br />
6<br />
Männliches Schwarzkehlchen aus einer irischen Population.<br />
<br />
Foto: G. Hoffmann.<br />
war <strong>auf</strong>gefallen, dass besonders die nächtlich ziehenden<br />
Arten während der Zugperiode ihrer frei lebenden Artgenossen<br />
unruhig wurden, obwohl ihre regelmäßige Versorgung<br />
durch Menschen gesichert war. Diese „Zugunruhe“<br />
oder „Wanderlust“ gab Anlass zu Spekulationen, dass<br />
<strong>Vögel</strong> in der Tat einen inneren „Kalender“ in sich tragen<br />
könnten, der ihnen die richtigen Abflugzeiten angibt. Dies<br />
konnte dann 1967 zum ersten Mal durch den deutschen<br />
Verhaltensforscher Eberhard Gwinner auch experimentell<br />
eindeutig nachgewiesen werden. Gwinner zeigte zunächst<br />
am Fitis und später auch an vielen weiteren Vogelarten,<br />
dass die Jahresuhr ähnlich wie die Tagesuhr auch dann<br />
weiterläuft, wenn <strong>Vögel</strong> keinerlei Umweltinformationen<br />
über die Jahreszeit erhalten. Die <strong>Vögel</strong> wurden mehrere<br />
Jahre lang unter immer gleichen Licht- und Temperaturverhältnissen<br />
gehalten und erhielten auch ganzjährig dieselbe<br />
Nahrung. Dennoch zeigten sie klare Jahresrhythmen<br />
von Mauser und Zugunruhe. Doch wie bei den Experimenten<br />
zur circadianen Uhr waren die Rhythmen nicht<br />
mit dem äußeren Jahr synchronisiert, sondern entfernten<br />
sich kontinuierlich von der natürlichen Mauser- und Zugzeit.<br />
Auch die Jahresuhr läuft also nicht ganz präzise und<br />
wird deshalb als „circannualer“ Kalender (von circa = ungefähr,<br />
und annus = Jahr) bezeichnet.<br />
Da diese Experimente sehr zeit intensiv sind, ist die circannuale<br />
Uhr der <strong>Vögel</strong> weit weniger genau erforscht als<br />
die circadiane Uhr. Bei allen bisher untersuchten Singvogel<br />
arten lief die Jahresuhr schneller als das äußere<br />
Jahr. Im Gegensatz dazu benötigten die beiden bisher von<br />
Theunis Piersma untersuchten Limikolenarten Knutt und<br />
Großer Knutt deutlich länger als ein Jahr, um einen Jahreszyklus<br />
von Mauser und Körpermasseveränderungen<br />
zu durchleben. Ähnlich wie bei der Tagesuhr funktioniert<br />
auch die Jahresuhr als Zusammenspiel von inneren und<br />
äußeren Zeitinformationen. Die für <strong>Vögel</strong> wichtigste Informationsquelle,<br />
die den Kalender richtig stellt, ist die jährliche<br />
Veränderung in der Länge des Tageslichts. Dies lässt<br />
sich experimentell zeigen, indem man <strong>Vögel</strong> zur falschen<br />
Jahreszeit allein durch längere oder kürzere Lichtzeiten zu<br />
saisonalen Aktivitäten wie Brut oder Mauser stimulieren<br />
kann. Im Freiland wiederum sind viele weitere Faktoren<br />
wie z. B. Wetterbedingungen, das Nahrungs angebot oder<br />
das soziale Umfeld für das genaue zeitliche Verhalten mitverantwortlich.<br />
Wie die innere Uhr hat vermutlich auch<br />
der innere Kalender die Aufgabe, <strong>Vögel</strong> rechtzeitig <strong>auf</strong><br />
bevorstehende Jahreszeiten und die dazugehörigen Aktivitäten<br />
wie Brut, Zug oder Mauser vorzubereiten. Schließlich<br />
bedarf es jeweils wochenlanger Vorbereitung, bis ein<br />
Vogel nach der Winterpause reproduk tions bereit oder<br />
12 Der Falke 57, <strong>2010</strong>
das Gefieder komplett erneuert ist.<br />
Bei Langstreckenziehern regeln Programme<br />
meist schon lange vor Zugbeginn<br />
den rechtzeitigen Aufbau von<br />
Energiespeichern für die Reise. Eine<br />
weitere Aufgabe des inneren Kalenders<br />
liegt vermutlich darin, dass er<br />
besonders Langstreckenzieher davor<br />
schützt, ihr jahreszeitliches Verhalten<br />
nach irreführenden, lokalen Faktoren<br />
zu richten. So stimulieren längere<br />
Tage das Brutverhalten im Frühjahr,<br />
aber nicht im Winterquartier, wo<br />
Zugvögel zumindest <strong>auf</strong> der Südhalbkugel<br />
ja ebenfalls langen Tagen<br />
und oft auch günstigen Bedingungen<br />
ausgesetzt sind.<br />
»»„Kalendervögel und<br />
Wettervögel“<br />
Saisonale Aktivitäten verschiedener<br />
Arten unterscheiden sich nicht nur<br />
im Zeitplan, sondern auch in ihrer<br />
Pünktlichkeit. Auch dies war Vogelbeobachtern<br />
schon lange bekannt<br />
und führte zur Unterscheidung zwischen<br />
„Kalendervögeln“ und „Wettervögeln“.<br />
Kalendervögel zeichnen sich<br />
durch präzise, artspezifische Zeitmuster<br />
besonders beim Vogelzug aus. Zu<br />
ihnen zählen „klassische Zugvögel“,<br />
also Langstreckenzieher wie Mauersegler,<br />
Neuntöter und Wespenbussard.<br />
Ein besonders eindrucksvolles<br />
Beispiel für zeitliche Präzision bietet<br />
eine Studie, die Gunnarson und<br />
Kollegen an der Uferschnepfe durchgeführt<br />
haben. Bei dieser Art überwintern<br />
Weibchen und Männchen in<br />
Winterquartieren, die etwa 1000 km<br />
auseinanderliegen. Dennoch gelingt<br />
es den Brutpartnern, die unabhängig<br />
voneinander ziehen, ihre Ankunft<br />
im isländischen Brutgebiet zeitlich<br />
genau <strong>auf</strong>einander abzustimmen.<br />
Solche Verhaltensweisen sind kaum<br />
anders erklärbar als durch innere Kalender,<br />
die den richtigen Zeitpunkt<br />
vorgeben und die <strong>Vögel</strong> gleichzeitig<br />
auch gegen größere Abweichungen<br />
vom Zeitplan in Reaktion <strong>auf</strong> örtliche<br />
Faktoren abschirmen.<br />
Das andere Extrem im Spektrum<br />
von saisonalem Verhalten repräsentieren<br />
die „Wettervögel“. Hierbei handelt<br />
es sich um Arten, deren Wanderungen<br />
weitgehend von aktuellen lokalen<br />
Faktoren, besonders vom Wetter<br />
und vom Nahrungsangebot, beeinflusst<br />
werden. Aus diesem Grund<br />
Sept. Dez. März Juni Sept.<br />
Der freil<strong>auf</strong>ende circannuale Kalender<br />
eines Fitis, der über mehr als zwei Jahre<br />
unter unveränderten Bedingungen gehalten<br />
wurde. Dargestellt ist die Abwechslung von<br />
Pränuptialmauser<br />
Postnuptialmauser<br />
Frühlingszugunruhe<br />
Herbstzugunruhe<br />
Mauser und Zugunruhe in den <strong>auf</strong>einanderfolgenden Jahren (Zeilen). Der Fitis folgt<br />
seinem inneren Kalender und beginnt seine Aktivitäten zunehmend früher im Jahr.<br />
ziehen sie in <strong>auf</strong>einanderfolgenden<br />
Jahren oft zu unterschiedlichen<br />
Zeiten oder über unterschiedliche<br />
Strecken. Zu den Wettervögeln zählen<br />
viele Kurzstreckenzieher, Teilzieher<br />
(Arten, von denen ein Teil der Population<br />
das Brutgebiet verlässt und<br />
der andere im Brutgebiet überwintert)<br />
und nomadische oder irruptive<br />
(plötzlich in großer Zahl <strong>auf</strong>tretende)<br />
Arten, z. B. Kiebitz, Star, Erlenzeisig<br />
oder Seidenschwanz. Die Steuerung<br />
des Verhaltens gerade bei Wettervögeln<br />
ist noch wenig verstanden. Hier<br />
besteht großes Potenzial durch neue<br />
Entwicklungen der Mikrotechnologie,<br />
besonders von Datenloggern und<br />
Sendern, über die auch der Falke<br />
berichtet (z. B. 2001, H. 5; 2009, H. 7).<br />
Mithilfe dieser Techniken können tiefe<br />
Einblicke in das Verhalten von individuellen<br />
Tieren bei gleichzeitiger<br />
Kenntnis von Umweltbedingungen<br />
gewonnen werden.<br />
»»Spezialisierte Zeitprogramme<br />
in verschiedenen Lebensräumen:<br />
Schwarzkehlchen als Modellart<br />
Angeborene Zeitprogramme können<br />
nur dann zu richtigem zeitlichem<br />
Verhalten führen, wenn sie genau<br />
<strong>auf</strong> die örtlichen Bedingungen abgestimmt<br />
sind. So brüten beispielsweise<br />
<strong>Vögel</strong> <strong>auf</strong> den Britischen Inseln in der<br />
Regel früher als in Kontinentaleuropa<br />
und <strong>Vögel</strong> in niedrigen Lagen früher<br />
als Artgenossen in Gebirgsregionen.<br />
Solche Unterschiede können teilweise<br />
von direkten Umweltreaktionen z. B.<br />
<strong>auf</strong> die Temperatur bestimmt werden.<br />
Bei Arten mit stark ausgebauten inneren<br />
Kalendern sind jedoch die Zeitprogramme<br />
selbst an den jeweiligen<br />
Lebensraum angepasst. Dies konnte<br />
im Detail für Schwarzkehlchen dokumentiert<br />
werden. Die genaue Taxonomie<br />
der Schwarzkehlchen wird zurzeit<br />
anhand von molekularen Daten<br />
geklärt. Unabhängig von den taxonomischen<br />
Details ist die Gruppe der<br />
Schwarzkehlchen jedoch als Brutvogel<br />
über ein riesiges Nord-Süd-Areal<br />
verbreitet. Schwarzkehlchen brüten<br />
in Sibirien bis zu einer nördlichen<br />
Breite von 70° und in Südafrika bis<br />
Junges Schwarzkehlchen aus einer irischen Population<br />
bei der Hand<strong>auf</strong>zucht im Institut.<br />
Foto: B. Helm.<br />
1<br />
2<br />
3<br />
Der Falke 57, <strong>2010</strong> 13
<strong>Biologie</strong><br />
Tageslänge (Std.)<br />
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10<br />
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1. Jan.<br />
1. Mai<br />
Jahreszeit<br />
1. Sept. 1. Jan.<br />
Tageslänge als Kalender. Die Tage werden im jeweiligen Sommer lang und im Winter<br />
kurz, aber die genaue Tageslänge hängt vom Breitengrad ab. Zugvögel, die den Äquator<br />
überfliegen, erleben zur europäischen Winterzeit lange Tage.<br />
25° S<br />
0° N<br />
25° N<br />
50° N<br />
zu einer südlichen Breite von 30°. Innerhalb<br />
dieses riesigen Areals lassen<br />
sich fast zu jeder Jahreszeit und unter<br />
einem weiten Spektrum von Tageslängen<br />
brütende oder mausernde<br />
Schwarzkehlchen vorfinden. Auch<br />
das saisonale Verhalten unterscheidet<br />
sich lokal sehr stark. So sind die<br />
<strong>Vögel</strong> in Sibirien Langstreckenzieher,<br />
während sie im äquatorialen Kenia<br />
ganzjährig Territorien besetzen. Daher<br />
sind Schwarzkehlchen eine ideale<br />
Gruppe um zu untersuchen, inwieweit<br />
saisonales Verhalten durch angeborene<br />
Programme bestimmt ist.<br />
Schwarzkehlchen wurden seit Beginn<br />
der 1980er Jahre in umfassenden<br />
Studien des Max-Planck-Instituts für<br />
Ornithologie erforscht. Dabei wurden<br />
die Zeitpläne von Schwarzkehlchen<br />
aus sibirischen, afrikanischen, zentraleuropäischen<br />
und britischen Populationen<br />
im Freiland untersucht.<br />
Gleichzeitig wurden die <strong>Vögel</strong> auch<br />
im Institut gezüchtet, hand<strong>auf</strong>gezogen,<br />
und unter genau gleichen Bedingungen<br />
verglichen. Diese Untersuchungen<br />
ergaben klare Hinweise<br />
<strong>auf</strong> ererbte Unterschiede in den Zeitprogrammen.<br />
Die grundsätzlichen<br />
Unterschiede im Zeitplan blieben bei<br />
sibirischen, zentraleuropäischen und<br />
britischen Populationen erhalten,<br />
einzig afrikanische Schwarzkehlchen<br />
zeigten sich etwas flexibler. Europäische<br />
und sibirische Schwarzkehlchen<br />
waren durch ihre unterschiedlichen<br />
Zeitprogramme stark in der Hybridisierung<br />
beschränkt. In Volieren erzeugten<br />
Mischpaare immer nur dann<br />
Junge, wenn beide Populationen<br />
gleichzeitig in Brutstimmung waren.<br />
Diese Unterschiede waren teilweise<br />
schon in den circannualen Rhythmen<br />
sichtbar, also im „inneren Kalender“.<br />
Afrikanische Schwarzkehl chen<br />
zeigten von allen Populationen die<br />
stabilsten inneren Kalender. Beispielsweise<br />
behielt ein Vogel unter<br />
Konstantbedingungen über einen<br />
Zeitraum von bis zu zehn Jahren<br />
klare circannualle Rhythmen in Brutbereitschaft<br />
und Mauser bei. Weitere<br />
Unterschiede fanden sich in den Reaktionen<br />
<strong>auf</strong> Umweltbedingungen,<br />
hauptsächlich <strong>auf</strong> die Tageslänge.<br />
Während der Brutzeit bietet die Tageslänge<br />
einen verlässlichen Kalender<br />
besonders für junge Zugvögel, die<br />
bis zum Abzug ihr Wachstum abgeschlossen<br />
und das schüttere Jugendgefieder<br />
durch robustes Adultgefieder<br />
ersetzt haben müssen. Jungvögel aus<br />
späten Gelegen mausern deshalb in<br />
jüngerem Alter als Nestlinge aus frühen<br />
Gelegen. Dieser „Kalendereffekt“<br />
unterschied sich markant zwischen<br />
den Schwarzkehlchenpopulationen<br />
und bekräftigte unterschiedliche ererbte<br />
Zeitprogramme.<br />
»»Globale Veränderungen: Heute<br />
gehen die Uhren anders ...<br />
Der Neuntöter – ein „Kalendervogel“, der spät im Jahr und relativ pünktlich im Brutgebiet<br />
ankommt. Foto: M. Höfer. Neusiedler See, Mai 2008.<br />
Mithilfe teilweise genauer Zeitpläne,<br />
vielfältiger Wanderungen und<br />
flexibler Reaktionen <strong>auf</strong> Umweltbedingungen<br />
haben sich <strong>Vögel</strong> eine<br />
erstaunliche Reichhaltigkeit von<br />
Ressourcen evolutionär erschlossen.<br />
Dieses Erfolgsrezept wird jedoch<br />
durch die immer schnelleren globalen<br />
Veränderungen <strong>auf</strong> eine harte<br />
Probe gestellt. Neben der Vielfalt und<br />
Menge an natürlichen Ressourcen<br />
verändert sich auch die Zeit ihrer<br />
Verfügbarkeit. So gehören ein immer<br />
früherer Frühling und ein häufig<br />
auch verlängerter Herbst zu den<br />
14 Der Falke 57, <strong>2010</strong>
Literatur zum Thema:<br />
Aschoff, J. & D. von Holst (1960): Schlafplatzflüge der Dohle,<br />
Corvus monedula L.. Proc. XII Int. Ornithol. Congress Helsinki<br />
1958: 55-70.<br />
Gunnarsson, T. G., J. A. Gill, T. Sigurbjörnsson, W. J. Sutherland<br />
(2004): Arrival synchrony in migratory birds. Nature 431: 646.<br />
Gwinner, E. (1967): Circannuale Periodik der Mauser und der<br />
Zugunruhe bei einem Vogel. Naturwissenschaften 54: 447.<br />
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make a year complete. Naturwissenschaften 2002, 89:278-279.<br />
Zulley, J. (2000): Unsere inneren Uhren. Verlag Herder, Freiburg.<br />
Der Seidenschwanz ist ein klassischer „Wettervogel“, der<br />
unter bestimmten Bedingungen irruptiv bei uns als Wintergast<br />
eintrifft. Nach ihm lässt sich der Kalender nicht<br />
stellen.<br />
Foto: M. Schäf.<br />
Dr. Barbara Helm arbeitet als Ornithologin<br />
am Max-Planck-Institut für Ornithologie<br />
und ab Januar an der Universität<br />
Konstanz. Vogelbeobachtung fasziniert<br />
sie seit ihrer Jugend in Nürnberg.<br />
<strong>auf</strong>fälligsten Veränderungen, die im Zusammenhang<br />
mit dem Klimawandel beobachtet wurden. Vogelarten<br />
unterscheiden sich stark in ihren Reak tionen <strong>auf</strong> diese<br />
Veränderungen. An einigen Arten werden zunehmend<br />
markantere Änderungen im saisonalen Verhalten beobachtet,<br />
während andere Arten ihre Zeitpläne fast<br />
gar nicht umgestellt haben. Diese Unterschiede zeigen<br />
<strong>auf</strong>fällige Parallelen zum Spektrum von „Wettervögeln“<br />
und „Kalendervögeln“. Wettervögel scheinen<br />
insgesamt sehr viel eher in der Lage zu sein <strong>auf</strong> aktuelle<br />
Veränderungen zu reagieren als Arten mit ausgeprägten<br />
angeborenen Zeit- und Zugprogrammen. Vergleichende<br />
Studien am Trauerschnäpper legen nahe,<br />
dass die Vitalität von Populationen mit ihrer Fähigkeit<br />
zusammenhängt, sich neuen saisonalen Bedingungen<br />
anzupassen. Selbst das tageszeitliche Verhalten der<br />
<strong>Vögel</strong> wird von Umweltveränderungen beeinflusst.<br />
So mehren sich die Anzeichen, dass nächtliche Beleuchtung<br />
möglicherweise die Tagesuhr und die Jahresuhr<br />
manipuliert. Einige Arten verändern ihren Tagesl<strong>auf</strong><br />
und tragen beispielsweise ihren Gesang vor,<br />
während die Menschen sich ruhig verhalten. Stadtamseln<br />
unterscheiden sich von ihren Verwandten im Wald<br />
unter anderem durch frühere Brutbereitschaft, die sich<br />
teilweise auch an hand<strong>auf</strong>gezogenen <strong>Vögel</strong>n zeigen<br />
lässt. Bleibt zu hoffen, dass die <strong>Vögel</strong> ihre Zeitpläne<br />
schnell genug <strong>auf</strong> menschengemachte Veränderungen<br />
umstellen können, um auch in Zukunft zur richtigen<br />
Zeit am richtigen Ort zu sein.<br />
Barbara Helm<br />
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Der Falke 57, <strong>2010</strong> 15
Europäische Highlights<br />
Vielfalt <strong>auf</strong> der Kanareninsel <strong>Lanzarote</strong>:<br />
<strong>Vögel</strong> <strong>auf</strong> <strong>Lava</strong><br />
Mit den Kanarischen Inseln werden im allgemeinen Sonne, Strand und der schnee bedeckte<br />
Pico del Teide <strong>auf</strong> Teneriffa verbunden. Den wenigsten ist bewusst, dass es sich hierbei<br />
um ein „Galapagos“ vor den Türen Europas handelt. Dabei hat jede der sieben Inseln<br />
ihren eigenen biologischen Charakter, der sich auch in der Vogelwelt zeigt. Vielfach ist<br />
es zur Ausbildung von Unterarten gekommen, die sowohl von denen des nahen afrikanischen<br />
Kontinents sowie auch zwischen den Inseln voneinander abweichen können. In<br />
einigen Fällen sind sogar neue Arten entstanden.<br />
Landeanflug <strong>auf</strong> den Flugplatz<br />
Arrecife: überall <strong>auf</strong> der Insel<br />
sind steiniges Geröll und rote<br />
Aschen zu sehen, der Pflanzenbewuchs<br />
ist wegen der extrem geringen<br />
Niederschläge sehr spärlich. Karg<br />
zeigt sich <strong>Lanzarote</strong> die meiste Zeit<br />
des Jahres den Touristen. Im Frühjahr<br />
jedoch überzieht eine unvorstellbare<br />
Blütenpracht die Insel. Bei Wanderungen<br />
durch die verschiedenen<br />
Lebensräume sind das Trällern der<br />
Stummellerchen, die eher unmelodisch<br />
klingenden, metallischen Rufe<br />
der Raubwürger sowie der Gesang<br />
der Kanarengirlitze zu hören. Macht<br />
sich der Besucher die Mühe genauer<br />
hinzusehen, so wird er von der einzigartigen<br />
Vielfalt und Fremdartigkeit<br />
dieser eher unbekannten Kanareninsel<br />
hinter der lebensfeindlich<br />
anmutenden Fassade zu jeder Jahreszeit<br />
begeistert sein.<br />
» Vielfalt in karger<br />
Vulkanlandschaft<br />
Die Kanarischen Inseln vor der Westküste<br />
Nordafrikas entstanden zwischen<br />
20 Mio. (Fuerteventura) und<br />
1 Mio. (El Hierro) Jahren. <strong>Lanzarote</strong>,<br />
die nördlichste Insel des Kanarischen<br />
Archipels, hob sich vor ca. 15 Mio.<br />
Jahren aus dem Meer. Der vulkanische<br />
Ursprung ist auch heute noch<br />
allerorten augenscheinlich. Schon<br />
im Anflug erkennt man einige der<br />
insgesamt etwa 100 die Insel überziehenden<br />
Vulkankrater. Bis Anfang<br />
des 18. Jahrhunderts wurden große<br />
Teile der Insel von der glühenden<br />
<strong>Lava</strong> und den Ascheregen erneuter<br />
Vulkanausbrüche überdeckt. Im Nationalpark<br />
„Timanfaya“ wird dies<br />
besonders deutlich. Entscheidend für<br />
das heutige Landschaftsbild ist der<br />
Mangel an Wasser, durch den auch<br />
der ältere vulkanische Untergrund<br />
sichtbar bleibt: „lebende“ Böden im<br />
mitteleuropäischen Sinne sind nicht<br />
vorhanden, sondern nur felsiger und<br />
steiniger Untergrund. Die Vegetation<br />
ist daher sehr lückenhaft. Bäume fehlen<br />
nahezu vollständig bzw. gedeihen<br />
nur mit menschlicher Hilfe.<br />
Auf Grund seiner Kargheit hat sich<br />
<strong>auf</strong> <strong>Lanzarote</strong> eine Reihe hoch interessanter<br />
Lebensräume entwickelt.<br />
Diese reichen von untermeerischen<br />
Höhlen mit augenlosen weißen Tiefseekrabben<br />
und blinden urzeitlichen<br />
Krebsen bis hin zu trockenen Steinund<br />
Sandwüsten. Viele Pflanzen und<br />
16 Der Falke 57, <strong>2010</strong><br />
Die Feuerberge im Timanfaya-Nationalpark zeigen<br />
eindrucksvoll den vulkanischen Ursprung der Insel.<br />
Nov. 2008.
Der Kanarenpieper hat nahezu alle Lebensräume<br />
<strong>auf</strong> <strong>Lanzarote</strong> besiedelt. Dez. 2005.<br />
Tiere kommen als Arten oder Unterarten<br />
nur <strong>auf</strong> <strong>Lanzarote</strong> oder zusätzlich<br />
<strong>auf</strong> der südlich angrenzenden<br />
Nachbarinsel Fuerteventura vor.<br />
» El Jable – Lebensraum für<br />
Spezialisten in Sand und Wind<br />
Zu den biologisch wertvollsten Lebensräumen<br />
<strong>Lanzarote</strong>s gehört die<br />
im Nordwesten der Insel gelegene<br />
Halbwüste. Dieses Gebiet unterliegt<br />
<strong>auf</strong> ganz besondere Weise der Dynamik<br />
des Passatwindes. Seit Jahrtausenden<br />
treibt er die in der Brandung<br />
des Atlantiks klein geriebenen Schalen<br />
unterschiedlichster Weichtiere<br />
und Stachelhäuter sowie winzige Gesteinstrümmer<br />
aus dem Meer über die<br />
Insel. Hier bilden sich weite Sandflächen<br />
und Dünen, die vom Wind in<br />
steter Bewegung gehalten und erst an<br />
Vulkankegeln im Hinterland <strong>auf</strong>gefangen<br />
und abgebremst werden. Der<br />
pflanzliche Bewuchs ist im Sommer<br />
und Herbst spärlich, umso erstaunlicher<br />
ist das üppig bunt blühende<br />
Pflanzenmeer im Frühjahr, das sich<br />
nach winterlichen Regenfällen entwickeln<br />
kann. „El Jable“ ist ein Lebensraum<br />
für Spezialisten. Die Fruchtbarkeit<br />
des vulkanischen Untergrundes<br />
und des vom Meer heran gewehten<br />
Sandes ermöglichen eine speziell an<br />
die hier herrschenden ökologischen<br />
Bedingungen angepasste Landwirtschaft<br />
im Dünensand.<br />
„El Jable“ gehört zu den wichtigsten<br />
Refugien der Kanarischen<br />
Kragentrappe → Tab. <strong>auf</strong> <strong>Lanzarote</strong>, die<br />
ansonsten nur <strong>auf</strong> der Nachbarinsel<br />
Fuerteventura und dem nördlich<br />
vorgelagerten Eiland La Graciosa<br />
vorkommt. Die äußerst scheue Kragentrappe<br />
ist hervorragend getarnt<br />
und lässt Beobachter nur <strong>auf</strong> großen<br />
Abstand an sich heran kommen.<br />
Entweder duckt sie sich hinter einem<br />
Dornlattichstrauch oder flieht bereits<br />
in weiter Entfernung. Trotzdem sind<br />
Kragentrappen immer wieder zu sehen.<br />
Im beginnenden Frühjahr gelingt<br />
es mit Ausdauer auch balzende<br />
Hähne zu beobachten, wenn sie mit<br />
zurückgelegtem Kopf und nach oben<br />
gestreckten Scheitel- und Kragenfedern<br />
wie ein großer weißer Puschel<br />
durch das Gelände sausen.<br />
Weitaus seltener ist <strong>auf</strong> <strong>Lanzarote</strong><br />
der Rennvogel. Auch er hat seine<br />
Hauptverbreitung <strong>auf</strong> <strong>Lanzarote</strong><br />
in „El Jable“. Die Art hält sich meist<br />
am Boden <strong>auf</strong>, wo Phasen schnellen<br />
L<strong>auf</strong>s mit kurzen Unterbrechungen<br />
abwechseln, während derer er regungslos<br />
hoch <strong>auf</strong>gerichtet die Umgebung<br />
mustert. Nur im Herbst finden<br />
sich größere Flugtrupps zusammen.<br />
Mit seinem kräftigen leicht<br />
gebogenen spitzen Schnabel legt er<br />
Insektenlarven aus dem Wurzelwerk<br />
der Pflanzen frei oder pickt Kleintiere<br />
<strong>auf</strong>. Recht häufig ist der Triel → , dessen<br />
melancholische Rufe vor allem<br />
in der Dunkelheit zu hören sind. Bei<br />
einem Besuch im Frühjahr ist die Luft<br />
in „El Jable“ erfüllt vom Gesang der<br />
Stummellerche → . Immer wieder trifft<br />
man <strong>auf</strong> den Südlichen Raubwürger<br />
→ und den Turmfalken → , die hier<br />
Dornbüsche als Ansitz nutzen. In „El<br />
Jable“ leben sie vor allem von der<br />
häufigen endemischen Atlantischen<br />
Eidechse.<br />
» Barrancos – Kerbtäler im<br />
Famara-Massiv<br />
Starke Regenfälle längst vergangener<br />
Zeiten dürften verantwortlich sein für<br />
die Erosion des Felsgesteins, in das<br />
vor allem am Ostrand des Famara-<br />
Massivs im Norden <strong>Lanzarote</strong>s tiefe<br />
Täler, die Barrancos, geschnitten<br />
wurden. Die größten sind die Barran-<br />
Männchen der Kanarischen Kragentrappe<br />
mit deutlich sichtbaren Kragenschmuckfedern.<br />
Okt. 2009.<br />
Der Falke 57, <strong>2010</strong> 17
Europäische Highlights<br />
cos Tenegüime westlich von Guatiza,<br />
Chafaris oberhalb von Tabayesco,<br />
Malpaso oberhalb von Haría und der<br />
angestaute Barranco bei Mala. Bis <strong>auf</strong><br />
den letzteren führen sie nur noch kurzfristig<br />
in den Wintermonaten Wasser.<br />
Die Täler wurden früher landwirtschaftlich<br />
genutzt, liegen jetzt jedoch<br />
brach, wodurch sich die ursprüngliche<br />
Flora und Fauna zu regenerieren<br />
beginnt. Hier hat der Kanarengirlitz →<br />
seinen Verbreitungsschwerpunkt. Vor<br />
allem in Chafaris und Malpaso singen<br />
die Männchen nahezu ganzjährig.<br />
Als Nahrungsquelle sehr beliebt sind<br />
die Früchte der uralten Feigenbäume.<br />
Eine weitere im Norden <strong>Lanzarote</strong>s<br />
und vor allem in den Barrancos heimische<br />
Besonderheit ist die als eigene<br />
Unterart beschriebene Blaumeise<br />
(Parus caeruleus degener). Sie weicht<br />
von der mitteleuropäischen Nominatform<br />
(P. c. coeruleus) ab. Wie die<br />
nordafrikanische Unterart P. c. ultramarinus<br />
hat sie eine anthrazitfarbene<br />
Kopfplatte. Von den Unterarten der<br />
anderen kanarischen Inseln unterscheidet<br />
sich diese Meise farblich<br />
durch einen hellen Flügelstreif, den<br />
sie wiederum mit P. c. ultramarinus<br />
teilt. In den steilen Wänden der Barrancos<br />
brüten Turmfalken, Felsentauben<br />
und die Schleier eule → . Eigene<br />
Untersuchungen der Schleiereulengewölle<br />
ergaben einen Überblick über<br />
das Spektrum nachtaktiver Kleinwirbeltiere<br />
<strong>auf</strong> <strong>Lanzarote</strong>. Neben Hausratte<br />
und Mauergecko wird die erst<br />
1983 entdeckte endemische Kanarenspitzmaus<br />
(Crocidura canariensis)<br />
erbeutet.<br />
Eine ganzjährig wassergefüllte Zisterne<br />
bietet im Barranco de Chafaris<br />
Gelegenheit zu besonderen Beobachtungen.<br />
Zur Tränke sammeln sich<br />
hier aus der Umgebung einheimische<br />
Brutvögel wie Bluthänflinge → und<br />
Zugvögel wie Rotkehlchen, Hausrotschwanz,<br />
Drosseln oder Gebirgsstelze.<br />
Diese, wie auch schlüpfende<br />
Individuen der Sahara-Pechlibelle<br />
(Ischnura saharensis), sind potenzielle<br />
Beute der Eleonorenfalken, die<br />
in immer wieder kehrenden Sturzflügen<br />
herabstoßen.<br />
Triel mit frisch geschlüpften Küken im blühenden El Jable. Die Altvögel führen die<br />
ersten zwei Tage nach dem Schlupf die Jungen in der Nähe des Nestes. März 2009.<br />
Bluthänflinge und die zu den selteneren<br />
Brutvögeln <strong>Lanzarote</strong>s zählende<br />
Samtkopf-Grasmücke haben<br />
ihr Hauptverbreitungsgebiet gleichfalls<br />
im Norden <strong>Lanzarote</strong>s außerhalb<br />
der Barrancos. Die Arten nutzen<br />
im Umfeld der Vulkane Corona, Los<br />
Helechos und La Quemada zwischen<br />
Máguez und Guinate vor allem die<br />
hier häufigen kräftigen Büsche des<br />
Kanarenampfers zur Brut.<br />
Das langgestreckte Famara-Massiv<br />
besteht aus den geologisch ältesten<br />
Gesteinsformationen. Besonders<br />
beeindruckend ist die am Meer gelegene<br />
Felswand, die hunderte Meter<br />
steil <strong>auf</strong>ragt und nur an wenigen<br />
Bereichen von einer schmalen Geröllhalde<br />
umgeben wird. Hier ist das<br />
Felsenhuhn zu Hause. Eleonoren-,<br />
Wüsten- und Turmfalken, Kolkraben<br />
und auch Sepiasturmtaucher finden<br />
hier sichere Brutplätze.<br />
» Lebensräume am Meeresrand<br />
Die nahezu überall <strong>auf</strong>tretende Mittelmeermöwe<br />
→ erinnert immer wieder<br />
daran, dass man sich <strong>auf</strong> einer Insel<br />
<strong>auf</strong>hält und das Meer nie fern ist. Die<br />
Küsten <strong>Lanzarote</strong>s sind überwiegend<br />
schroff und der starken Brandung<br />
ausgesetzt. Wenige Rastvögel, etwa<br />
Seidenreiher und Regenbrachvogel,<br />
suchen hier Nahrung. Von besonderem<br />
Interesse sind daher Bereiche, wo<br />
der Gezeitengang sich über größere<br />
Flächen auswirken kann, wie z. B.<br />
in La Santa im Nordwesten <strong>Lanzarote</strong>s<br />
nahe Tinajo. Angrenzend an<br />
einen breiten Sandstrand finden sich<br />
amphibische Lebensräume mit ausgedehnten<br />
Beständen der mit dem<br />
Queller verwandten Gliedermelde<br />
sowie Sand-, Schlick- und Felswatt.<br />
Mehrere Paare des Seeregenpfeifers<br />
brüten hier erfolgreich. Die Hauptbedeutung<br />
hat dieses Watt jedoch als<br />
Rastbiotop für ziehende <strong>Vögel</strong>. Hier<br />
treffen Löffler, Grau-, Silber-, Seiden-,<br />
Purpur- und Nachtreiher ein.<br />
Zu beobachten sind außerdem Kiebitz-,<br />
Gold-, Fluss- und Sandregenpfeifer,<br />
Steinwälzer, Flussuferläufer<br />
und Regenbrachvogel.<br />
Ein mariner Lebensraum mit ganz<br />
anderem Charakter ist die Laguna<br />
de Janubio westlich von Yaiza.<br />
Dieses Gewässer ist durch einen hohen<br />
Strandwall aus <strong>Lava</strong>gestein vom<br />
Meer abgetrennt und unterliegt nicht<br />
mehr dem direkten Zugang der Gezeiten.<br />
Allerdings sickert das Meerwasser<br />
ständig durch die poröse Barriere.<br />
Weil das Wasser in der Lagune<br />
in der Sonnenhitze stetig verdampft,<br />
ist es salzhaltiger als das Meer. Dieses<br />
bereits „eingedickte“ Wasser wird<br />
vom Menschen in einem Teilbereich,<br />
den Salinas de Janubio am Ostrand<br />
der Lagune, zur Salzgewinnung genutzt.<br />
In der Lagune in Vielzahl<br />
<strong>auf</strong>tretende Wirbellose, wie Salinenkrebschen<br />
oder Salzfliegen und ihre<br />
Larven, dienen der Vogelwelt als<br />
Nahrung. Dort wo keine Salinenbecken<br />
angelegt wurden, bieten flache<br />
Uferbereiche optimale Bedingungen<br />
18 Der Falke 57, <strong>2010</strong>
Der intensiver als die Nominatform<br />
gefärbte Turmfalke jagt <strong>auf</strong> <strong>Lanzarote</strong><br />
nahezu überall Eidechsen. Dez. 2005.<br />
zur Nahrungssuche. Seit etwa zehn<br />
Jahren entwickelt sich in der Laguna<br />
de Janubio die einzige Brutpopulation<br />
des Stelzenläufers <strong>auf</strong> den Kanarischen<br />
Inseln. Es handelt sich um<br />
etwa 20 Individuen, zu denen sich<br />
zur Zugzeit weitere Stelzenläufer<br />
gesellen. Brutvogel ist hier auch der<br />
Seeregenpfeifer.<br />
Die Laguna de Janubio ist eine Drehscheibe<br />
des Vogelzuges. Die Mehrzahl<br />
der Gäste stammt aus der europäischen<br />
und sibirischen Tundra und Arktis. Es<br />
sind Regenpfeifer wie Sand-, Kiebitzund<br />
Flussregenpfeifer sowie Schnepfenvögel<br />
wie Knutt, Sanderling,<br />
Alpen strandläufer, Sichelstrandläufer,<br />
Kampfläufer, Zwergstrandläufer, Uferund<br />
Pfuhlschnepfe, Regenbrachvogel,<br />
Rot- und Grünschenkel, Waldwasser-,<br />
Bruchwasser- und Flussuferläufer sowie<br />
Steinwälzer. Seltener rasten auch<br />
Säbel schnäbler und Austern fischer.<br />
Auf der freien Wasserfläche schwimmend<br />
können vereinzelt Schwarzhalstaucher,<br />
Knäkente, Löffelente oder<br />
Brandgans entdeckt werden. Als Irrläufer<br />
treten nord amerikanische Arten<br />
wie Graubruststrandläufer, Wilson-<br />
Wassertreter, Veilchen-, Berg- oder<br />
Bl<strong>auf</strong>lügelente <strong>auf</strong>.<br />
Ein ähnliches, wenn auch nicht so<br />
umfangreiches Artenspektrum von<br />
Regenpfeifern, Schnepfenvögeln und<br />
Enten findet sich in den Salinenbecken<br />
bei Los Cocoteros nahe Guatiza.<br />
Allerdings fehlt hier die naturnahe<br />
ausgedehnte Wasserfläche wie bei El<br />
Janubio. Viele der zuvor erwähnten<br />
Arten rasten <strong>auf</strong> dem der Stadt Arrecife<br />
vor gelagerten Felsriff. Sie können<br />
von der Uferpromenade in Höhe<br />
des kleinen Hafens Charco de San Ginés<br />
beobachtet werden.<br />
Auf den steinigen, mit anspruchslosen<br />
Pflanzen locker bewachsenen<br />
Flächen, die an den Uferrand der<br />
Laguna de Janubio anschließen, ist<br />
der <strong>auf</strong> <strong>Lanzarote</strong> weit verbreitete<br />
Wüstengimpel → bei der Suche nach<br />
Sämereien häufig zu sehen. Sein<br />
charakteristisches leises Trompeten<br />
ist bei dem meist heftigen Wind nur<br />
schwach hörbar. Er baut sein Nest<br />
in Lücken vom Menschen aus <strong>Lava</strong>brocken<br />
kunstvoll errichteter Mauern<br />
zwischen den Salinen. Die südlich der<br />
Lagune <strong>auf</strong>ragende Felswand bietet<br />
Brutmöglichkeiten für Turmfalke und<br />
Schleiereule.<br />
» Eleonorenfalken und<br />
seltene Seevögel im Naturpark<br />
Archipiélago Chinijo<br />
Der Insel <strong>Lanzarote</strong> ist nördlich der<br />
aus insgesamt fünf Eilanden bestehende<br />
Archipiélago Chinijo (= Kleines<br />
Archipel) vorgelagert. Mit Ausnahme<br />
der größten Insel La Graciosa sind<br />
alle anderen unbewohnt. Zusammen<br />
mit dem Steilhang des Risco de Famara,<br />
küstennahen Teilen des Gebietes<br />
„El Jable“ und dem dazwischen<br />
liegenden Meer ist der Archipel als<br />
Naturpark unter Naturschutz gestellt.<br />
Die Eilande, „Islotes“ genannt, bilden<br />
den Kern des Brutvorkommens einer<br />
Reihe gefährdeter Seevögel. Bei der<br />
Überfahrt mit der Fähre von Órzola<br />
nach La Graciosa sieht man Sepiasturmtaucher<br />
flach über Wellenberge<br />
und durch Wellentäler segeln. Sie<br />
halten sich hier von März bis Oktober<br />
<strong>auf</strong>, die restliche Zeit ziehen sie<br />
an die Küsten Südamerikas. Auf dem<br />
zum Archipiélago Chinijo gehörigen<br />
Eiland Alegranza gibt es mit mehr<br />
als 20 000 Paaren eine der größten<br />
Brutkolonien des Sepiasturmtauchers<br />
weltweit. Weitere Brutbestände finden<br />
sich am Risco de Famara und nahe<br />
dem Ort El Golfo am Rande des Nationalparkes<br />
„Timanfaya“. Die Nester<br />
Die Laguna de Janubio ist ein hypersaliner Lebensraum,<br />
umgeben von nur Der im Falke Frühjahr 57, <strong>2010</strong> blühenden, 19<br />
kargen Geröllfeldern. März 2009.
Europäische Highlights<br />
Ein weißer Flügelstrich kennzeichnet die nur<br />
<strong>auf</strong> <strong>Lanzarote</strong> und Fuerteventura vorkommende<br />
Blaumeisenunterart. April 2007.<br />
mit jeweils nur einem einzigen Ei<br />
werden in Bruthöhlen angelegt. Eier<br />
und vor allem die noch nicht flüggen,<br />
sehr fetten Jungen wurden bis<br />
in die jüngste Vergangenheit von den<br />
Einheimischen aus ihren Bruthöhlen<br />
genommen und als Nahrung genutzt.<br />
Noch in einem Kochbuch von 1982<br />
über die kanarische Küche finden sich<br />
verschiedene Rezepte zu Seevögeln,<br />
wie z. B. „Pardela frita con miel“ (Gebratener<br />
Sepiasturmtaucher mit Honig).<br />
So ist wahrscheinlich auch der<br />
Ursprung des Namens Caleta del Sebo<br />
(= Talgbucht) für den kleinen Hafen<br />
„Galapagos“ im Atlantik<br />
Die Besonderheit und Vielfalt des von<br />
Europa und Afrika abweichenden Artenspektrums<br />
der Kanarischen Inseln hat<br />
mehrere Ursachen. Wegen der isolierten<br />
vulkanischen Entstehung im Ozean war<br />
nicht jeder Tier- oder Pflanzengruppe<br />
eine Besiedlung möglich. Hierbei sind<br />
beispielsweise flugfähige Insekten und<br />
<strong>Vögel</strong> gegenüber Säugetieren im Vorteil.<br />
Räumlich getrennt von ihrem Ursprung<br />
entwickelten manche der erfolgreichen<br />
Einwanderer eigene Unterarten oder Arten.<br />
Einige hatten sogar die Gelegenheit,<br />
freie Lebensräume zu nutzen, die in ihrem<br />
Herkunftsgebiet durch dort vorhandene<br />
Arten besetzt waren. Dies hat zwar<br />
nicht bei <strong>Vögel</strong>n, wohl aber bei etlichen<br />
Pflanzen- und wirbellosen Tierarten zur<br />
<strong>auf</strong> La Graciosa in der Bedeutung<br />
des aus den <strong>Vögel</strong>n gewonnen Fettes<br />
für den Menschen zu suchen, denn<br />
nicht weit entfernt liegt eine größere<br />
Brutkolonie der Sepiasturmtaucher.<br />
Obwohl strafbar, ist auch heute manchem<br />
die Lust <strong>auf</strong> die traditionelle<br />
Speise noch nicht vergangen. Auf La<br />
Graciosa werden nach wie vor Kücken<br />
heimlich gesammelt. Die Kolonien<br />
<strong>auf</strong> Alegranza und im Nationalpark<br />
„Timanfaya“ werden daher während<br />
der Brutzeit von Rangern der Nationalparkverwaltung<br />
sowie freiwilligen<br />
Helfern des WWF bewacht.<br />
vielfältigen Aufspaltung, einer Radiation,<br />
geführt. Zudem haben im ozeanisch<br />
ausgeglichenen Klima Tiere und Pflanzen<br />
ein Refugium gefunden, die während des<br />
Tertiär vor vielen Millionen Jahren auch<br />
in Europa lebten, dort aber durch die erdgeschichtlich<br />
nachfolgenden Eiszeiten<br />
ausstarben. Die Artenvielfalt steigerte<br />
sich außerdem durch das unterschiedliche<br />
geologische Alter der einzelnen Inseln<br />
des Kanarischen Archipels zwischen<br />
20 (Fuerteventura) und einer Million<br />
Jahren (Hierro), wodurch immer wieder<br />
Neubesiedlungen erfolgten. Alle so entstandenen<br />
Arten und Unterarten sind in<br />
ihrem Vorkommen <strong>auf</strong> die Kanaren oder<br />
sogar <strong>auf</strong> eine einzige Insel wie <strong>Lanzarote</strong><br />
beschränkt und somit endemisch.<br />
Weitaus seltenere Brutvögel im<br />
Archipiélago Chinijo sind Kleiner<br />
Sturmtaucher, Atlantiksturmtaucher,<br />
Bulwer Sturmschwalbe → , Fregattensturmschwalbe<br />
→ und Madeirawellenläufer<br />
sowie die zudem im Nationalpark<br />
„Timanfaya“ brütende Sturmschwalbe.<br />
Es lohnt sich jedoch, von<br />
den Küsten Ausschau nach ihnen zu<br />
halten. Dabei wird der Blick auch immer<br />
wieder <strong>auf</strong> ziehende Brandseeschwalben<br />
fallen.<br />
Der Archipiélago Chinijo ist gleichfalls<br />
wichtigster Brutplatz verschiedener<br />
Greifvogelarten. Es gibt Bestände<br />
von über 200 Brutpaaren des<br />
von Mai bis Oktober zu beobachtenden<br />
Eleonorenfalken, der hier nicht<br />
nur seinen einzigen Brutplatz <strong>auf</strong><br />
den Kanaren sondern auch den südwestlichsten<br />
seines Verbreitungsgebietes<br />
hat. Im Risco de Famara und<br />
im Nationalpark „Timanfaya“ finden<br />
sich die meisten von etwa 20 Paaren<br />
des ganzjährig anwesenden Wüstenfalken.<br />
Weiterhin sind Fischadler und<br />
der Schmutzgeier → vertreten.<br />
Neben <strong>Vögel</strong>n, die ihren Verbreitungsschwerpunkt<br />
in bestimmten<br />
Lebensräumen haben, kommen andere<br />
nahezu überall vor. Der wohl<br />
häufigste ist der Kanarenpieper → .<br />
Die Art besiedelt mit Ausnahme des<br />
eigentlichen Küstensaums Flächen<br />
bis hin<strong>auf</strong> <strong>auf</strong> die Vulkane. Die <strong>Vögel</strong><br />
trippeln meist Nahrung suchend<br />
über den Boden und entfernen sich<br />
erst beim Näherkommen mit einem<br />
„psilitt“, um schon nach kurzem Flug<br />
wieder zu landen. Gleichfalls weit<br />
verbreitet ist die Brillengrasmücke,<br />
deren warnendes „drss“ aus kleinsten<br />
Dornsträuchern zu vernehmen ist. Ein<br />
etwas seltenerer aber doch markanter<br />
Brutvogel <strong>Lanzarote</strong>s ist der Wiedehopf.<br />
Man sieht ihn häufig in flatterhaftem<br />
Flug, bis er dann <strong>auf</strong> Steinwällen<br />
oder Stromleitungen landet.<br />
Hier ertönt sein Ruf, nach dem er <strong>auf</strong><br />
den Kanaren lautmalerisch „ta-bobo“<br />
genannt wird.<br />
» Lebensraumveränderungen durch<br />
den Menschen<br />
Massentourismus, ungehemmte Bebauung<br />
großer Teile <strong>Lanzarote</strong>s und<br />
Straßenbau während der letzten<br />
Jahrzehnte haben ihre Spuren hinterlassen.<br />
Bislang unberührte Naturflächen<br />
gingen verloren. Die in Jahr-<br />
20 Der Falke 57, <strong>2010</strong>
tausenden gewachsene Landschaft<br />
El Jable wird durch ungezügelte<br />
Sandentnahme für den Hotel- und<br />
Appart mentbau in den Touristenzentren<br />
großflächig zerstört. Intensivste<br />
Ziegenbeweidung verdrängt zudem<br />
die natürliche Vegetation und begünstigt<br />
wenige weideresistente Arten.<br />
Vogelschutz fand <strong>auf</strong> <strong>Lanzarote</strong> bis<br />
in die jüngste Vergangenheit kaum<br />
Wertschätzung. Die letzten Exemplare<br />
des rätselhaften Schwarzen<br />
Austernfischers → wurden Anfang<br />
des 20. Jahrhunderts beobachtet.<br />
Sepiasturmtauchern und Kragentrappen<br />
wurde zum Nahrungserwerb<br />
nachgestellt. Heute erfolgt die legale<br />
Vogeljagd als Freizeitbeschäftigung,<br />
zeitlich und räumlich beschränkt,<br />
noch <strong>auf</strong> Felsenhuhn, Wachtel, Turtel-<br />
und Felsentaube. Die vom Menschen<br />
verursachte Veränderung der<br />
Umwelt hat für einige Arten auch<br />
Vorteile gebracht. Bereits zu Beginn<br />
In den nördlichen Barrancos ist der<br />
Kanarengirlitz heimisch. März 2007.<br />
Fotos: U. Strecker.<br />
Reisetipps<br />
Kanarische Inseln<br />
Durch seine geringe Entfernung von etwa 100 km zum afrikanischen<br />
Kontinent ist <strong>Lanzarote</strong> vor allem zur Zugzeit im<br />
auch eine Unterkunft,<br />
gen, empfiehlt sich hier<br />
Frühjahr und Herbst besonders interessant. Nicht nur Wat-<br />
z. B. in Costa Teguise.<br />
und Wasservögel sondern auch eine Vielzahl europäischer<br />
Wer es etwas beschaulicher<br />
liebt, sollte kleinere Ortschaften<br />
Klein- und Großvögel nutzen die Insel zur Rast. Besonders<br />
eindrucksvoll wird das Zuggeschehen, wenn starke<br />
wir Arrieta, Punta Mujeres oder das im<br />
aus der Sahara kommende Ost- und Südostwinde (Calima<br />
Landesinnern liegende Städtchen Haría<br />
oder Harmattan) den vorherrschenden Nordostpassat durchbrechen.<br />
Sie können Zugvögel in Vielzahl mit sich reißen, die <strong>auf</strong><br />
man mit dem öffentlichen Busverkehr (gu-<br />
als Quartier auswählen. Von hier aus kann<br />
den Afrika am nächsten gelegenen Inseln <strong>Lanzarote</strong> und Fuerteventura<br />
für einige Zeit notlanden. Wer neben Vogelbeob-<br />
von dort aus zu wandern. Startpunkte für<br />
agua) bestimmte Punkte ansteuern, um<br />
achtungen auch an Pflanzen interessiert<br />
die nördlichen Barrancos sind die kleinen<br />
ist, sollte im Frühjahr anreisen.<br />
Ortschaften Guatiza, Tabayesco und Haría.<br />
Da die meisten biologisch<br />
Die Sandwüste El Jable erstreckt sich zwischen<br />
den Straßen Richtung Famara, Soo<br />
interessanten Gebiete im<br />
Norden der Insel lie-<br />
und Muñique, die man aus Richtung Teguise<br />
erreicht. Unweit hiervon liegen der<br />
Risco de Famara sowie La Santa. Den<br />
Risco kann man über den schönen weißen<br />
Sandstrand von Caleta de Famara<br />
erwandern, indem man von dort am Ende<br />
der sogenannten „Norwegersiedlung“ <strong>auf</strong>steigt.<br />
Das Watt La Santa liegt zwischen dem<br />
gleichnamigen „Sportknast“ und Tinajo. Zur<br />
Besichtigung der Laguna de Janubio im Süden<br />
der Insel startet man von einem der beiden Parkplätze<br />
an der Küste in das Innere des Gebietes.<br />
Eigentlich ein „Muß“ ist es, mindestens zwei der insgesamt<br />
sieben von César Manrique künstlerisch gestalteten<br />
Zentren zu besichtigen: dies sind die Höhle Jameos del Agua und<br />
das Vulkangebiet Montañas del Fuego. Es empfiehlt sich auch ein<br />
Besuch der ursprünglichen Inselhauptstadt Teguise mit ihren sehenswerten<br />
alten Gebäuden und Gassen. Hier kann man im Übrigen vom 10.<br />
Dezember 2009 bis 10. Januar <strong>2010</strong> die Fotoausstellung „Leben <strong>auf</strong> <strong>Lava</strong>“<br />
Karte verändert nach Wilkens 2009<br />
im Convento de Santo Domingo sehen. Diese Ausstellung von Ulrike Strecker<br />
Der Falke 57, <strong>2010</strong><br />
und dem Autor in Zusammenarbeit mit der Biosphärenreservatsverwaltung zeigt 21<br />
beeindruckende Fotos von den Lebensräumen, Tieren und Pflanzen <strong>Lanzarote</strong>s.
Europäische Highlights<br />
des 19. Jahrhunderts profitierte der<br />
ursprünglich nicht heimische Weidensperling<br />
von landschaftsgärtnerischen<br />
Aktivitäten. Damals soll er<br />
erstmalig zahlreich bei Haría in den<br />
dortigen Palmen genistet haben, heute<br />
tritt er in allen Ortschaften <strong>auf</strong>. Wo<br />
Ziersträucher angepflanzt und bewässert<br />
werden, lebt neuerdings die<br />
Mönchsgrasmücke. Bis vor kurzem<br />
fand sich eine über die Jahre wachsende<br />
Brutpopulation von Kuhreihern<br />
und deren nächtlicher Schlafplatz in<br />
dem einzigen größeren Baumbestand<br />
<strong>Lanzarote</strong>s entlang der Uferpromenade<br />
in Arrecife. Dies wurde allerdings<br />
inzwischen aus hygienischen Gründen<br />
geändert, indem die Bäume beschnitten<br />
und <strong>auf</strong> den verbliebenen<br />
Ästen mit spitzem Draht Sitzen und<br />
Nestbau verhindert werden.<br />
Das Süßwasser künstlich angelegter<br />
Kleingewässer und feuchter<br />
Rasenflächen <strong>auf</strong> Golfplätzen sowie<br />
Abfalldeponien lockt etliche heimische<br />
und viele Rastvögel an. Hier<br />
sind interessante Beobachtungen zur<br />
Rastzeit zu machen.<br />
»»Schutzmaßnahmen zum Erhalt<br />
der Vielfalt<br />
Verschiedene Maßnahmen zum<br />
Schutz der Natur werden jedoch<br />
unternommen. So wurden als zwei<br />
Im Text genannte Vogelarten bzw. -unterarten, die nicht<br />
in akutellen Vogel führern genannt sind.<br />
** = endemisch <strong>auf</strong> <strong>Lanzarote</strong>, La Graciosa, Fuerteventura<br />
* = endemisch <strong>auf</strong> den Kanarischen Inseln<br />
Bl<strong>auf</strong>lügelente Anas discors<br />
Blaumeise<br />
Parus caeruleus degener**<br />
Bluthänfling<br />
Carduelis cannabina harterti**<br />
Bulwer Sturmschwalbe Bulweria bulwerii<br />
Fregattensturmschwalbe Pelagodroma marina<br />
Kanarengirlitz<br />
Serinus canarius*<br />
Kanarenpieper Anthus berthelotii<br />
Kanarische Kragentrappe Chlamydotis undulata fuertaventurae**<br />
Mittelmeermöwe Larus michahellis atlantis<br />
Schleiereule<br />
Tyto alba gracilirostris**<br />
Schmutzgeier<br />
Neophron percnopterus mojorensis<br />
Schwarzer Austernfischer Haematopus meadewaldoi (**)<br />
(ausgestorben)<br />
Stummellerche Calandrella rufescens polatzeki**<br />
Südlicher Raubwürger Lanius meridionalis koenigi*<br />
Triel<br />
Burhinus oedicnemus insularum**<br />
Turmfalke<br />
Falco tinnunculus dacotiae**<br />
Veilchenente<br />
Athya affinis<br />
Wüstenfalke<br />
Falco pelegrinoides<br />
Wüstengimpel Bucanetes githagineus amantum*<br />
Nationalpark<br />
Naturpark<br />
Geologisches Schutzgebiet<br />
Naturschutzgebiet<br />
Landschaftspark<br />
Landschaftsschutzgebiet<br />
Gebiet von wissenschaftlichem Interesse<br />
EU-Schutzgebiet (IBA/ZEPA)<br />
Janublo<br />
Rubicón<br />
Montañas<br />
del Fuego<br />
Yaiza<br />
Los Ajaches<br />
La Geria<br />
wichtige Schutzgebiete der Nationalpark<br />
„Timanfaya“ und der Naturpark<br />
„Archipiélago Chinijo“ eingerichtet.<br />
Beide Parks umfassen auch marine<br />
Lebensräume, wobei die ausgedehnten<br />
Flachwasserbereiche des<br />
„Archipiélago Chinijo“ eine besonders<br />
artenreiche Meeresfauna beherbergen.<br />
Beträchtliche Flächen für<br />
den Vogelschutz wichtiger Zonen<br />
wie „El Jable“ (einschließlich von<br />
Gebieten östlich von Teguise und<br />
im Süden der Insel) und „Laguna de<br />
Janubio“ wurden als „Zona Especial<br />
Para Aves“ (ZEPA = „Important Bird<br />
Area“) in das europäische Schutzgebietssystem<br />
Natura 2000 <strong>auf</strong>genommen.<br />
Im Süden der Insel ist geplant,<br />
die <strong>auf</strong>gelassenen Salzpfannen von<br />
Janubio zu restaurieren. In diesem<br />
Zusammenhang bemüht sich die Biospärenreservatsverwaltung<br />
die angrenzende<br />
Lagune zu erhalten. Um<br />
diesen wichtigen Rastplatz des Vogelzuges<br />
zu schützen und gleichzeitig<br />
den Besuchern zugänglich zu machen,<br />
sind hier Beobachtungsschirme<br />
geplant. Das im Nordwesten der Insel<br />
gelegene Vogelrastgebiet La Santa<br />
ist durch Flächenank<strong>auf</strong> vor weiterer<br />
Bebauung geschützt. Unsicher<br />
ist, ob ein angrenzender Meeresarm<br />
renaturiert werden kann. Hierdurch<br />
könnte ein <strong>auf</strong> <strong>Lanzarote</strong> einzigartiger<br />
Wattbereich erheblich erweitert<br />
und <strong>auf</strong> diese Weise der ursprüngliche<br />
Zustand wieder hergestellt werden.<br />
Innerhalb des „Archipiélago Chinijo“<br />
dürfen die ohnehin unbewohnten<br />
Eilande mit Ausnahme der größten<br />
Insel „La Graciosa“ nur mit spezieller<br />
Alegranza<br />
Montaña Clara<br />
La Graciosa<br />
Archipiélago Chinijo<br />
El Jable<br />
Teguise<br />
Haria<br />
Tegala Grande<br />
Arrecife<br />
Malpais de la Corona<br />
Tenegüime<br />
Roque<br />
del Este<br />
Los Jameos del Agua<br />
Schutzzonen <strong>auf</strong> <strong>Lanzarote</strong>.<br />
Quelle: Wilkens 2009, verändert.<br />
Genehmigung betreten werden. Dennoch<br />
ist es notwendig, dass freiwillige<br />
Helfer des WWF die Nester des<br />
Sepiasturmtauchers zur Brutzeit <strong>auf</strong><br />
Alegranza bewachen. Initiiert durch<br />
den Künstler César Manrique bestand<br />
als Besonderheit <strong>Lanzarote</strong>s bereits<br />
zu Beginn des Tourismus zumindest<br />
der Anspruch nachhaltiger Nutzung<br />
der Insel. Auf sein Bemühen ist die<br />
seit 1993 bestehende Anerkennung<br />
<strong>Lanzarote</strong>s als Biosphärenreservat<br />
zurückzuführen. Die von ihm gegründete<br />
Stiftung „Fundación César Manrique“<br />
setzt sich bis heute für die Ziele<br />
der Nachhaltigkeit <strong>auf</strong> der Insel ein.<br />
Horst Wilkens<br />
Informationen zum Thema:<br />
Wilkens H 2009: <strong>Lanzarote</strong>: Blinde<br />
Krebse, Wiedehopfe und Vulkane.<br />
Verlag Naturalanza Ulrike Strecker,<br />
Hamburg. (2. Aufl.).<br />
Strecker U, Wilkens H 2009: <strong>Lanzarote</strong>:<br />
Leben <strong>auf</strong> <strong>Lava</strong>. Verlag Naturalanza<br />
Ulrike Strecker, Hamburg. Bestellung<br />
beider Bücher per E-Mail: info@<br />
naturalanza.com oder telefonisch:<br />
0162/418 2226 sowie bei amazon.de<br />
www.naturalanza.com<br />
http://birdinglanzarote.blogspot.com/<br />
http://avesencanarias.blogspot.com/<br />
Dr. Horst Wilkens ist<br />
Professor an der Universität<br />
Hamburg und<br />
beschäftigt sich in seiner<br />
Forschung mit der Evolution<br />
von Höhlentieren<br />
und den Grundlagen der<br />
Artbildung. Weiterer Schwerpunkt ist<br />
der Naturschutz, besonders im Elbetal<br />
und <strong>auf</strong> <strong>Lanzarote</strong>.<br />
22 Der Falke 57, <strong>2010</strong>
Die Brutvögel Hagens, 1997–2008<br />
Von der Arbeitsgemeinschaft Avifauna Hagen<br />
306 Seiten, zahlr. Fotos, Grafiken und Karten, Hardcover,<br />
Format 21,5 x 29 cm.<br />
Biologische Station Umweltzentrum Hagen, 2009.<br />
ISBN 978-3-00-026037-7. EUR 19,90.<br />
In einer opulenten Aufmachung mit 388 Farbfotos von <strong>Vögel</strong>n<br />
(nicht alle aus dem Gebiet) und Lebensräumen sowie vielen Artkarten<br />
und Grafiken fasst dieses Buch den aktuellen Wissensstand<br />
über die Brutvögel einer westdeutschen Großstadt zusammen.<br />
Eingehende Erhebungen gingen der Auswertung voraus.<br />
Angaben zu den Bestandsgrößen sind sehr vorsichtig gehalten.<br />
Über relative Häufigkeiten kann man sich in einer „Hitliste“<br />
orientieren, weitere Details finden sich in den ausführlichen<br />
Arttexten. Die Karten geben keine Verbreitungsbilder (etwa besetzte<br />
Gitternetzfelder) wieder, sondern die durchschnittliche,<br />
für jeweils zehn Zählpunkte errechnete Individuenzahl in zehn<br />
Teilbereichen des Untersuchungsgebietes, die je einem Achtel<br />
eines Messtischblattes entsprechen. Das lässt zwar mögliche<br />
Dichte- oder besser Häufigkeitsunterschiede erkennen, ist aber<br />
nicht sehr anschaulich und auch statistisch etwas fragwürdig. Ob<br />
Unterschiede signifikant oder auch nur als wesentlich zu bewerten<br />
sind, bleibt dem Betrachter überlassen. Die Zählpunkte sind auch<br />
nicht nach einer Zufallsverteilung ausgewählt, sondern <strong>auf</strong> die<br />
Anteile „der Landschaft“ eines Teilbereiches bezogen. Mehr als ein<br />
grober Eindruck der räumlichen Verteilung<br />
war wohl auch nicht beabsichtigt, wäre<br />
aber mit einem feinmaschigen Gitternetz<br />
mit üblicher Präsenz-/Absenz-Methode<br />
sicher besser darzustellen gewesen. Einige<br />
Grafiken über Zeitreihen und saisonale<br />
Verteilungen ergänzen die sorgfältig<br />
zusammengestellten Arttexte, die sich<br />
bemühen, auch alle historischen Quellen<br />
zum Gebiet auszuwerten und die<br />
lokalen Befunde in das Wissen über<br />
die Avifauna des Bundeslandes einzuordnen.<br />
Hinweise <strong>auf</strong> Lebensraum und<br />
Schutzmaßnahmen fehlen nicht.<br />
Die moderne, sehr eingehende Übersicht<br />
der Brutvögel einer Fläche von ca. 160 km 2 findet hoffentlich<br />
die wünschenswerte Beachtung bei Einwohnern und Behörden der<br />
Stadt. Ihre großzügige Ausstattung und der sehr gefällig gegliederte<br />
Text kann durchaus Türen in bisher weniger der Heimatnatur und<br />
ihrer Vogelwelt verbundenen Kreisen öffnen. Für Vogelbeobachter,<br />
Avifaunisten und Naturschützer ist das Buch auch überregional<br />
gesehen interessant.<br />
E. Bezzel<br />
Ornithologischer Jahresbericht Helgoland Band 19, 2009<br />
Von Ornithologische Arbeitsgemeinschaft Helgoland e. V. (Hrsg.)<br />
112 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Softcover, Format<br />
15 x 21 cm.<br />
Bezug: Postfach 869, 27490 Helgoland<br />
ISSN 1438-3748. EUR 10,00 (für Mitglieder kostenlos).<br />
Die Helgolandberichte sind mittlerweile zu einem festen Bestandteil<br />
des relevanten feldornithologischen Informationsmarktes in Europa<br />
geworden. Da geht es längst nicht mehr nur um Aufzählung<br />
von Raritäten und anderen Episoden, sondern um Fortschreibung<br />
intensiver Beobachtungen, die mit jedem weiteren Jahr an überregionaler<br />
Bedeutung zunimmt. Lehrreiche, aber auch ausgesprochen<br />
begeisternde Fotos sind ein essenzieller Bestandteil des Berichtes<br />
und lohnen allein schon die Anschaffung. Die Jahresübersicht über<br />
die Vogelberingung <strong>auf</strong> der Insel mit Wiederfunden enthält viele<br />
weitere interessante Informationen, bietet aber auch zum Beispiel mit<br />
Fundkarten von Heckenbraunelle und Amsel Zusammenfassungen<br />
und damit tiefere Einblicke. Kurzum eine vielseitige Fundgrube, in<br />
die man sich mit Gewinn vertieft. Vorbildlich! E. Bezzel<br />
Neue Zeitschrift<br />
Otus. Bd. 1<br />
Von Otus e. V. (Hrsg.)<br />
80 Seiten, 74 farbige Abbildungen, 3 Sonagramme.<br />
Bezug/Mitgliedschaft: Angelika Krätzel, Postfach 1142,<br />
63881 Miltenberg, E-Mail: heft@otus-bayern.de.<br />
je EUR 15,00.<br />
Nachdem die Zeitschrift „Avifaunistik in Bayern“ (AviB), die innerhalb<br />
der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern erschien, Ende<br />
2007 eingestellt wurde, gründeten die bayrischen Feldornithologen<br />
im November 2008 einen neuen Verein: Otus e. V. – Verein für<br />
Feldornithologie in Bayern. Das vorliegende Heft ist das erste Heft<br />
einer Reihe, deren Herausgabe eines der Ziele des neuen Vereins<br />
ist. Die Redaktion besteht überwiegend aus früheren Mitgliedern<br />
der Redaktion von AviB – anscheinend waren die programmatischen<br />
Ziele innerhalb der OG Bayern nicht mehr durchführbar.<br />
Otus e. V. machte als erstes durch eine sehr gut gestaltete Webseite<br />
mit aktuellen Beobachtungen und<br />
Fotos <strong>auf</strong> sich <strong>auf</strong>merksam (www.<br />
otus-bayern.de); der Homepage<br />
ist auch zu entnehmen, dass die<br />
AG Seltene Brutvögel und die<br />
Bayrische Avifaunistische Kommission<br />
hier ihre neue Heimat<br />
gefunden haben.<br />
Das erste Otus-Heft erschien<br />
im November 2009 und schließt<br />
sich inhaltlich nahtlos an AviB<br />
an. Neben einem spritzigen<br />
Vorwort von Einhard Bezzel<br />
finden sich Artikel über Nachweise<br />
von Meerstrandläufer,<br />
Zwergscharbe und Zistensänger<br />
in Bayern, über einen ungewöhnlichen<br />
Zugstau am Kochelsee im Oktober 2008 und über<br />
die Gefiedervariation der Aschkopf-Schafstelze (die immer wieder<br />
in Bayern beobachtet wird). Aus der AG Seltene Brutvögel wird<br />
eine Übersicht der Neozoen und wieder angesiedelten Brutvögel<br />
Bayerns präsentiert, der längste Artikel (37 Seiten) ist jedoch der<br />
Bericht der Bayrischen Avifaunistischen Kommission für die Jahre<br />
2001–2007. Alle Artikel sind mit vielen Farbfotos und zum Teil<br />
mit übersichtlichen Diagrammen sowie einigen Sonagrammen<br />
versehen.<br />
Das erste Heft ist zwar etwas „seltenheitenlastig“, insgesamt aber<br />
sehr gut gelungen. Da die Mitglieder der Redaktion bereits früher<br />
mit anspruchsvollen Auswertungen auch häufigerer Vogelarten<br />
<strong>auf</strong> sich <strong>auf</strong>merksam gemacht haben, ist für die Zukunft sicher<br />
eine Ausweitung <strong>auf</strong> weitere feldornithologische Themen zu erwarten.<br />
Otus ist daher allen an der Feldornithologie Interessierten<br />
in Bayern und darüber hinaus wärmstens zu empfehlen! (jd)<br />
Veröffentlichungen<br />
Der Falke 57, <strong>2010</strong> 23
Aktion<br />
Helgoländer Vogeltage 2009<br />
Bereits zum achten Mal fanden im Oktober 2009 die Helgoländer Vogeltage statt. Erneut<br />
konnte die Ornithologische Arbeitsgemeinschaft (OAG) Helgoland ein attraktives Programm<br />
<strong>auf</strong> die Beine stellen.<br />
Neben ornithologischen Führungen<br />
für Laien und Fortgeschrittene<br />
sowie einer Besichtigung<br />
des Fanggartens des Instituts<br />
für Vogelforschung „Vogelwarte<br />
Helgoland“ führte der Sponsor der<br />
Veranstaltung, die Firma Carl Zeiss<br />
Sports Optics, sein neuestes Produkt<br />
im Feld vor: Das Zeiss PhotoScope,<br />
ein Spektiv mit integrierter Digitalkamera.<br />
Tagsüber lud die Nordseehalle<br />
zum Genuss von Kaffee, Tee<br />
und Eintopf ein, daneben wurden die<br />
Teilnehmer an den Ständen von Carl<br />
Zeiss Sports Optics, OAG Helgoland,<br />
Birdingtours und Dr. Koch Reisen<br />
ausgiebig informiert.<br />
Abends gab es in der gut besuchten<br />
Nordseehalle Vorträge zu hören. Am<br />
8. Oktober erklärte Jan Ole Kriegs<br />
aus Münster den Zuhörern verschiedene<br />
genetische Methoden, die in<br />
der Ornithologie angewandt werden<br />
und mit denen er selbst ostasiatische<br />
Schwirle untersucht. Im Mittelpunkt<br />
des zweiten Abends stand das Rätselvogelquiz,<br />
das diesmal Roef Mulder<br />
aus den Niederlanden vorbreitet<br />
hatte. Mit 16 von 25 hatten Frank<br />
Stühmer und Tobias Rautenberg die<br />
meisten <strong>Vögel</strong> richtig erkannt, im<br />
anschließenden Stechen setzte sich<br />
Frank Stühmer durch und erhielt den<br />
begehrten Hauptpreis, ein Fernglas<br />
des Hauptsponsors. Sechs weitere<br />
Kandidaten erreichten 15 richtige<br />
Antworten, im Stechen teilten sich<br />
Wie in jedem Jahr präsentierten sich mehrere<br />
Gelbbrauen-Laubsänger sehr schön<br />
für die Kamera.<br />
Foto: J. Dierschke.<br />
Abends herrschte reges Treiben am<br />
Stand der OAG. Foto: U. Nettelmann.<br />
Detlef Gruber und Jochen Dierschke<br />
Platz 3. Am selben Abend informierte<br />
Benoit Paepegaey aus Frankreich die<br />
Zuhörer über das „Helgoland Frankreichs“,<br />
die bretonische Insel Ouessant.<br />
Es zeigten sich in der Tat viele<br />
Parallelen, aber auch einige schmerzliche<br />
Unterschiede (z. B. das weitgehende<br />
Fehlen amerikanischer Singvögel<br />
<strong>auf</strong> Helgoland).<br />
Auf der Suche nach einem potenziellen<br />
Buschspötter.<br />
Foto: R. Busch.<br />
24 Der Falke 57, <strong>2010</strong>
Am Samstag fand traditionell das<br />
Helgoländer Birdrace statt. Erneut<br />
wurden Spenden für die Avifauna<br />
Helgolands gesammelt, von der auch<br />
ein Probelayout in der Nordseehalle<br />
zu bewundern war. Insgesamt wurden<br />
knapp 3000 Euro erwirtschaftet,<br />
wobei in diesem Jahr besonders positiv<br />
zu erwähnen ist, dass mehrere<br />
Teams eigene Sponsoren vom Festland<br />
gewinnen konnten oder sich sogar<br />
selbst gesponsort haben. Eine Liste<br />
aller Sponsoren ist <strong>auf</strong> der Homepage<br />
der OAG Helgoland einzusehen<br />
(http://www.oag-helgoland.de). Insgesamt<br />
wurden 137 Arten notiert, von denen<br />
das Team „Shower of Bustards“, bestehend<br />
aus Frank Stühmer, Jochen<br />
Dierschke und Jan Ole Kriegs mit 100<br />
Arten am meisten sahen. Zweiter war<br />
das Team „Oriol“ von Frank Schwintech<br />
und Patricia Chaves mit 94 Arten.<br />
Unter allen Teilnehmern wurden<br />
wie immer attraktive Preise verlost,<br />
besonders glücklich war dabei Sven<br />
Baumung, der ein Spektiv gewann.<br />
Am Abend des 10. Oktober informierten<br />
Bettina Mendel (FTZ Westküste)<br />
und Volker Dierschke über die<br />
Lebensweise Helgoländer Heringsmöwen,<br />
die mit traditionellen Mitteln<br />
(Farbberingung) oder Hightech (GPS<br />
Datalogger) untersucht wurden.<br />
Das Tageslicht wurde von allen<br />
250 bis 300 Teilnehmern der Vogeltage<br />
ausgiebig zur Vogelbeobachtung<br />
genutzt. Besonders begehrt war dabei<br />
eine Weißbart-Grasmücke, die dem<br />
Ruf nach der Unterart S. c. moltoni<br />
angehörte. Diese Form brütet <strong>auf</strong><br />
den Balearen und in Süditalien, wurde<br />
jedoch nie zuvor in Deutschland<br />
festgestellt. Systematiker diskutieren<br />
derzeit, ob es nicht sogar eine eigene<br />
Art sein könnte. Daneben gab es<br />
einen Waldpieper, Helgolands dritten<br />
Silberreiher-Nachweis, zwei Wellenläufer,<br />
eine Schwalbenmöwe und<br />
einige Gelbbrauen-Laubsänger zu<br />
Deutschlands erster Steinortolan erschien leider<br />
erst zwei Tage nach Abreise der meisten Besucher<br />
der Vogeltage. Foto: H. Schmaljohann. Helgoland, 13.10.2009.<br />
betrachten. Aber auch die häufigeren<br />
Arten präsentierten sich gut für die<br />
Fotografen, sodass viele Gigabyte,<br />
aber auch noch einzelne Dias produziert<br />
wurden. Besonders belohnt<br />
wurden Vogelbeobachter, die ihren<br />
Aufenthalt über die Vogeltage hinaus<br />
verlängerten: Am 13.10. hatten sie<br />
Gelegenheit, den ersten in Deutschland<br />
festgestellten Steinortolan zu<br />
bewundern.<br />
Jochen Dierschke, Volker Dierschke<br />
Auf dem Festland inzwischen<br />
keine Seltenheit mehr, für Helgoland<br />
stellte dieser Silberreiher<br />
aber erst den dritten Nachweis<br />
dar. Foto: T. Kuppel. Helgoland, 10.10.2009.<br />
Der Falke 57, <strong>2010</strong> 25
Termine<br />
Jahrestagung <strong>2010</strong> der OAG für Schleswig-<br />
Holstein und Hamburg<br />
Die Jahrestagung <strong>2010</strong> der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft<br />
für Schleswig-Holstein und Hamburg<br />
findet am Sonntag, 7. März <strong>2010</strong> in<br />
Paulsens Gasthof in Fockbek bei Rendsburg<br />
statt. Beginn 10.30 Uhr (vorher ab 9.00 Uhr<br />
Mitgliederversammlung).<br />
Themenschwerpunkt mit drei Vorträgen am Vormittag<br />
sind Möwen (Dachbruten, Ergebnisse zu Zug und Raumnutzung<br />
der Heringsmöwe nach fünf Jahren Farbberingung<br />
<strong>auf</strong> Helgoland und Amrum und Dataloggereinsatz),<br />
außerdem Beiträge zur Brandseeschwalbe <strong>auf</strong> Norderoog,<br />
zum Habicht in Schleswig-Holstein und Berichte aus den<br />
l<strong>auf</strong>enden Projekten, z. B. Ergebnisse der Vogelzugplanbeobachtungen<br />
2009.<br />
Weitere Informationen und das vollständige Tagungsprogramm<br />
sind <strong>auf</strong> der Homepage www.ornithologie-schleswigholstein.de<br />
zu finden.<br />
Stunde der Wintervögel<br />
Am 6. Januar ist es wieder soweit: In ganz Bayern sind<br />
Naturinteressierte den Wintervögeln <strong>auf</strong> der Spur.<br />
Die Aktion wurde, wie die Stunde der Gartenvögel, nach<br />
dem Vorbild des Big Garden BirdWatch der Royal Society<br />
for the Protection of Birds (RSPB) in Großbritannien konzipiert,<br />
der wichtige Daten über die Vogelwelt in Großbritannien<br />
liefert. In den Jahren 2005 bis 2008 wurde die<br />
Stunde der Wintervögel nur in München und Umgebung<br />
durchgeführt, im Jahr 2009 dann erstmals bayernweit mit<br />
6800 Meldungen und 270 000 gemeldeten <strong>Vögel</strong>n. <strong>2010</strong><br />
nimmt auch BirdLife Österreich an der Aktion teil.<br />
Mit der Stunde der Wintervögel wollen die Initiatoren<br />
Daten über das Verhalten der <strong>Vögel</strong> sammeln, die sich im<br />
26 Der Falke 57, <strong>2010</strong><br />
TV Programmvorschau<br />
Regelmäßige Sendungen:<br />
Mo – Fr<br />
» ZDF. 15.15 Uhr: Tierisch Kölsch: Geschichten aus dem<br />
Domstadt-Zoo<br />
» ARD. 16.10 Uhr: Leopard, Seebär & Co.<br />
Geschichten aus dem Tierpark Hagenbeck in Hamburg<br />
» hr Fernsehen. 17.00 Uhr: Weiches Fell und scharfe<br />
Krallen Zoogeschichten<br />
Mittwochs<br />
» NDR. 18.45 Uhr: DAS! Norddeutschland und die Welt<br />
» MDR. 19.50 Uhr: Tierisch, tierisch. Das Tiermagazin<br />
Weitere Sendungen:<br />
Mittwoch, 6. Januar <strong>2010</strong><br />
» 3sat. 19.15 Uhr: Galapagos – Die Kräfte der Natur<br />
» NDR Fernsehen. 20.15 Uhr: Alaskas Welt der Giganten<br />
Der Denali Nationalpark<br />
Donnerstag, 7. Januar <strong>2010</strong><br />
» hr Fernsehen. 14.15 Uhr: Die Sage vom Vogel in<br />
der Hand<br />
Freitag, 8. Januar <strong>2010</strong><br />
» hr Fernsehen. 14.15 Uhr: An den Ufern der Save<br />
Eine Flusslandschaft in Kroatien<br />
» hr Fernsehen. 20.15 Uhr: Wunder der Erde<br />
Von Inseln und Bodden – Bilder von der Ostseeküste<br />
Winter in Bayern und Österreich <strong>auf</strong>halten.<br />
Dabei werden die Auswirkungen der<br />
Winterfütterung von <strong>Vögel</strong>n, Folgen des<br />
Klimawandels und die Bestandsentwicklung<br />
der Arten ausdrücklich genannt. Die Aktion dient<br />
auch dazu, Öffentlichkeitsarbeit für den Vogelschutzgedanken<br />
zu betreiben und die Kenntnis der heimischen Vogelwelt<br />
zu erhöhen.<br />
So können Sie mitmachen:<br />
1. Gezählt werden alle <strong>Vögel</strong>, die innerhalb einer Stunde<br />
vor dem Fenster, am Balkon, im Garten oder im Park gesehen<br />
werden. Angegeben wird am Ende der Stunde die<br />
Maximalzahl gleichzeitig gesehener <strong>Vögel</strong> derselben Art.<br />
Die Uhrzeit und ob z. B. ein Futterhäuschen <strong>auf</strong>gestellt ist,<br />
spielen dabei keine Rolle. Als Bestimmungshilfe sind <strong>auf</strong><br />
der Internetseite www.lbv.de/aktiv-werden/wintervoegel.html<br />
Steckbriefe der 21 wichtigsten Wintervögel zu finden.<br />
2. Die Beobachtungen können <strong>auf</strong> unterschiedlichen Wegen<br />
gemeldet werden:<br />
- online <strong>auf</strong> o. g. Internetseite<br />
- per Post können Faltblatt oder Meldebogen an den LBV,<br />
Eisvogelweg 1, 91161 Hilpoltstein gesandt werden,<br />
- per Fax können Faltblatt oder Meldebogen unter der<br />
Nummer 09174/4775-75 an den LBV gefaxt werden.<br />
Einsendeschluss ist der 13.1.<strong>2010</strong>.<br />
Ergebnisse sind ab 6. Januar in der Online-Auswertung<br />
<strong>auf</strong> o. g. Internetseite zu finden. Alle Teilnehmer erhalten<br />
die Abschlussauswertung auch per Post.<br />
Vogelschutz<br />
Gänsegeier kollidiert mit Windturbine<br />
Am 27. November 2009 kollidierte ein Gänsegeier mit dem<br />
Rotorblatt einer Windturbine <strong>auf</strong> Kreta (www.youtube.com/<br />
watch?v=9srPoOU6_Z4). Gänsegeier zählen zu geschützen<br />
Arten und sind im Anhang I der Vogelschutzrichtlinie der<br />
5. Januar – 5. Februar <strong>2010</strong><br />
Samstag, 9. Januar <strong>2010</strong><br />
» Bayerisches Fernsehen. 14.35 Uhr: Zeit für Tiere<br />
u. a.: Familienzusammenführung<br />
» Bayerisches Fernsehen. 19.00 Uhr: natur exclusiv<br />
Winterzauber in Japan<br />
Sonntag, 10. Januar <strong>2010</strong><br />
» 3sat. 13.05 Uhr: Winter-Wildnis<br />
Dienstag, 12. Januar <strong>2010</strong><br />
» hr Fernsehen. 14.15 Uhr: Der Tanz des Haubentauchers<br />
Tiere an schlesischen Seen<br />
» 3sat. 14.30 Uhr: Bunte <strong>Vögel</strong> in Wien<br />
Donnerstag, 14. Januar <strong>2010</strong><br />
» hr Fernsehen. 14.15 Uhr: Der Flug des Waldrapps<br />
Samstag, 16. Januar <strong>2010</strong><br />
» MDR. 11.36 Uhr: Unter Stelzenläufern und Regenpfeifern<br />
Vogelparadies am Ndutu-See<br />
Mittwoch, 20. Januar <strong>2010</strong><br />
» hr Fernsehen. 14.15 Uhr: Göttervögel – Galgenvögel<br />
Geschichten von Kolkraben & Co.<br />
Mittwoch, 27. Januar <strong>2010</strong><br />
» hr Fernsehen. 14.15 Uhr: Geier, Würger, Schwarze<br />
Witwen: Tierbeobachtungen in den Wüsten Israels
EU <strong>auf</strong>geführt. Auf dem griechischen Festland konnten in<br />
jüngsten Bestandserfassungen nur noch 30 Paare gezählt<br />
werden, ein etablierter Bestand von etwa 150 Paaren brütet<br />
<strong>auf</strong> der Insel Kreta, wo der oben erwähnte Windpark<br />
nur knapp einen Kilometer außerhalb eines Natura 2000<br />
Schutzgebietes gebaut wurde. Die Hellenic Ornithological<br />
Society (HOS, BirdLife Partner in Griechenland) protestiert<br />
seit Jahren gegen die Genehmigungen von Windparkanlagen<br />
in Schutzgebieten wie SPAs, in Zugrouten-Engpässen,<br />
<strong>auf</strong> einzelnen unbewohnten Inseln und in Ramsar-<br />
Feuchtgebieten. Der kurze Film zeigt deutlich die Gefahr,<br />
die Windturbinen für <strong>Vögel</strong> darstellen. Die Naturschützer<br />
hoffen jedoch, in Zukunft nicht nur danebenstehen und<br />
zuschauen zu müssen, sondern fordern Reglementierungen<br />
der EU, in denen Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer<br />
Ener gien im Einklang mit Schutzbemühungen zum Erhalt<br />
der Artenvielfalt stehen.<br />
„<strong>Vögel</strong> in Deutschland 2009“:<br />
30 Jahre Vogelschutzrichtlinie<br />
1979 wurde die EG-Vogelschutzrichtlinie verabschiedet,<br />
im letzten Jahr feierte sie ihr 30-jähriges<br />
Jubiläum. Anlass genug, sich in „<strong>Vögel</strong> in Deutschland<br />
2009“, am 10. Dezember 2009 in Bonn der<br />
Öffentlichkeit vorgestellt, näher mit den Errungenschaften<br />
wie auch Versäumnissen im europäischen<br />
und deutschen Vogelschutz zu befassen.<br />
Die wichtigsten Fakten von „<strong>Vögel</strong> in Deutschland<br />
2009“:<br />
• Bestände vieler Vogelarten nehmen weiter ab: Die<br />
Situa tion hat sich gegenüber dem Vorjahr weiter verschlechtert:<br />
<strong>Vögel</strong> der Agrarlandschaft und Bodenbrüter<br />
weisen starke Bestandsverluste <strong>auf</strong>.<br />
• Mäßiger Erhaltungszustand bei besonders geschützten<br />
Arten in Deutschland: Knapp 50 % dieser Arten stehen<br />
<strong>auf</strong> der Roten Liste.<br />
• Wandernde Arten: überwiegend gut geschützt, aber<br />
Handlungs- und Forschungsbedarf bei Arten mit Brutgebieten<br />
in der Arktis, insbesondere Zwergschwan und<br />
Waldsaatgans.<br />
• Besserer rechtlicher Schutz und Management für Vogelschutzgebiete<br />
erforderlich: 11,2 % der Landfläche und<br />
weitere Meeresflächen sind in Deutschland als Vogelschutzgebiet<br />
ausgewiesen. Aber: Viele Vogelschutzgebiete<br />
sind noch rechtsverbindlich zu schützen, es mangelt<br />
an gebietsspezifischen Managementplänen.<br />
• Vertragsnaturschutz – wichtige Ergänzung für den Erhalt<br />
der Artenvielfalt: Die Zahlung von Fördermitteln<br />
in der Fläche ist zwingend an Schutzleistungen für die<br />
Biologische Vielfalt zu koppeln.<br />
• Förderinstrumente künftig stärker nutzen: vielfältige<br />
Möglichkeiten zur Finanzierung von Naturschutzzielen<br />
in Natura 2000-Gebieten.<br />
Wer mehr wissen möchte: „<strong>Vögel</strong> in<br />
Deutschland 2009“ kann über den DDAzzgl.<br />
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Der Bericht kann auch kostenlos von der<br />
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Der Falke 57, <strong>2010</strong> 27
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Auflösung vom Dezember:<br />
Winterlicher „Singvogel“<br />
Schwäne sind ein fester Bestandteil unserer Wintervogelwelt. Aufgrund ihres weißen Gefieders<br />
und der eindrucksvollen Größe fielen sie den Menschen schon immer <strong>auf</strong> und<br />
gingen in zahlreiche Mythen und Märchen ein. In Parks stehen sie vielen Menschen besonders<br />
nahe – und wehe, man würde ihren Lieblingen etwas antun. In der freien Natur,<br />
<strong>auf</strong> großen Seen oder in der weiten Flur vermitteln sie etwas von großer Freiheit, selbst<br />
wenn sie sich als Höckerschwäne entpuppen.<br />
Damit habe ich schon etwas vorausgenommen,<br />
denn unser Rätselbild zeigt einen großen weißen<br />
Vogel. Im tiefen Wasser gründelnd wirbelt er einiges<br />
<strong>auf</strong>, als er seinen Hals hochzieht. Der Kopf ist noch<br />
teilweise verdeckt, sodass eines der wichtigsten Bestimmungsmerkmale<br />
für Schwäne, der Schnabel, nicht zu<br />
sehen ist. Ein „großer weißer Vogel“ in freier Natur ist in<br />
der Regel natürlich keine dumme Gans, wie uns ein geflügeltes<br />
Wort glauben machen möchte. Nichtdestotrotz<br />
werden wir einen kurzen Blick auch dar<strong>auf</strong> werfen, ob<br />
es sich um eine Hausgans oder gar eine Schneegans<br />
handeln könnte.<br />
Dabei hilft uns der Körperbau: Schwäne haben einen<br />
sehr langen, dünnen Hals. Dadurch wirken sie<br />
elegant und anmutig, insbesondere der Höckerschwan,<br />
wenn er seinen Hals gebogen hält. Dies hat ihn zur perfekten<br />
Requisite eines Barock-Parks gemacht, unterstützt<br />
noch von einer Mutation, bei der die Jungen schon<br />
weiß erscheinen wie die Eltern. Gänse dagegen haben<br />
nur mittellange Hälse und sind kräftig gebaut. Sie sind<br />
kleine Kraftpakete, die zu außerordentlichen Leistungen<br />
fähig sind, denken wir nur an die langen Flüge in die<br />
arktischen Brutgebiete oder die Überfliegung des Himalaja.<br />
Beim erneuten Blick <strong>auf</strong> den Rätselvogel wird rasch<br />
klar, dass wir es mit der schlanken, eleganten Form der<br />
beiden Gruppen zu tun haben, den Schwänen. Auch für<br />
die dunklen Schwingen der Schneegans gibt es keine<br />
Anzeichen.<br />
Sehen wir einmal von der Möglichkeit ab, dass unser<br />
Rätselschwan zur allzeit weißen Immutabilis-Parkvariante<br />
des Höckerschwans gehören könnte, können<br />
wir auch sagen, dass es sich wohl um ein erwachsenes<br />
Tier handelt. Wir sehen nur weiße Federn, keine Anzeichen<br />
des braunen Jugendkleides. Für den Rest braucht es<br />
28 Der Falke 57, <strong>2010</strong>
vielleicht etwas Erfahrung, denn wir können dem Kopf<br />
keine weiteren Merkmale entlocken. Dunkle Abzeichen<br />
im Augenbereich, die <strong>auf</strong> den Höckerschwan hindeuten<br />
würden, könnten auch durch täuschende Licht-Schatten-Effekte<br />
zustandegekommen sein. Die Rostfärbung<br />
am Hals gibt uns aber den entscheidenden Hinweis: Diese<br />
kommt beim Singschwan häufig vor, beim Höckerschwan<br />
jedoch nur selten. Wenn überhaupt, dann hat<br />
bei letzterem der Kopf einen solchen Farbhauch, nicht<br />
aber der ganze Hals. Eine solche Verfärbung des Gefieders<br />
ist eigentlich eine Verschmutzung der Federn,<br />
kann bei einem Schwan aber den entscheidenden Hinweis<br />
geben.<br />
Werfen wir noch einen Blick <strong>auf</strong> den Zwergschwan.<br />
Dieser ähnelt dem Singschwan, ist etwas kleiner<br />
und kompakter, und hat einen proportional kürzeren<br />
Hals. Der Hals von unserem Rätselschwan ist indes<br />
sehr lang und schlank, sodass wir bei unserer Bestimmung<br />
bleiben: Das Rätselbild zeigt einen erwachsenen<br />
Singschwan. Ein wirklich gutes Auflösungsfoto gibt es<br />
jedoch nicht, sodass wir dem Fotografen und FALKE-<br />
Mitarbeiter Hans-Joachim Fünfstück glauben wollen,<br />
dass dem tatsächlich so ist.<br />
Singschwäne sind ursprünglich <strong>Vögel</strong> der Tundra, wo<br />
sie an Waldseen brüten. Sie überwintern in größerer<br />
Zahl in Nordwest- und Mitteleuropa, breiten sich derzeit<br />
aber südwärts aus. Seit den 1990er Jahren brüteten einzelne<br />
Paare auch in Deutschland. Ihr Name geht <strong>auf</strong> ihre<br />
Rufe zurück, im Unterschied zum „Stummen Schwan“,<br />
wie eine alte Bezeichnung für den Höckerschwan lautete.<br />
Der ist jedoch keineswegs stumm, wie jeder Eindringling<br />
in ein Höckerschwan-Revier weiß. Während<br />
des Fluges lässt der Höckerschwan zudem ein singendes<br />
Geräusch hören, das von den Schwungfedern erzeugt<br />
Gewinner des<br />
Dezember-Rätsels:<br />
Rainer Brodkorb, Bottrop<br />
Angela Reisch, Hamburg<br />
Kathrin Beelte, Hildesheim<br />
Wir gratulieren.<br />
Eingesandte Lösungen: 118<br />
davon Singschwan (47), Höckerschwan (62),<br />
Zwergschwan (4), Rosaflamingo (3) sowie Chileflamingo<br />
und Kormoran.<br />
wird. So kann er während des Fluges <strong>auf</strong> Kontaktrufe<br />
verzichten, da ohnehin zu hören ist, wo der nächste<br />
Schwan fliegt. Das Kontakthalten ist einerseits für den<br />
Formationsflug wichtig, der Energie sparen hilft bei den<br />
weiten Wanderungen, andererseits bei Nacht und Nebel,<br />
um die Gruppe nicht zu verlieren.<br />
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Singschwan.<br />
Fotos: H.-J. Fünfstück.21.4.2008<br />
Der Falke 57, <strong>2010</strong> 29
Vogelschutz<br />
Kein Ende in Sicht:<br />
Zugvogelwilderei <strong>auf</strong> Malta<br />
Mit seiner zentralen Lage im Mittelmeer ist der maltesische Archipel ein wichtiger Trittstein<br />
für den Vogelzug zwischen Europa und Afrika. Besonders bei schlechtem Wetter legen zahlreiche<br />
Zugvögel einen Zwischenstop <strong>auf</strong> der gerade einmal 360 Quadratkilometer großen<br />
Inselgruppe ein. Der Einflug großer Vogelschwärme zu den Rastplätzen <strong>auf</strong> Malta und Gozo<br />
ist ein einzigartiges Naturschauspiel, das jedes Jahr zahlreiche Vogelbeobachter begeistert.<br />
Leider sind der Abschuss geschützter Arten und der illegale Vogelfang nach wie vor weit verbreitet.<br />
Allein im September und Oktober 2009 beobachteten Vogelschützer des Komitees<br />
gegen den Vogelmord und von Birdlife Malta mehr als 900 Fälle von illegaler Jagd, darunter<br />
den Abschuss von Fischadlern, Wespenbussarden, Rohrweihen, Baumfalken und eines Schreiadlers.<br />
Axel Hirschfeld und David Conlin berichten über die Situation im Herbst 2009.<br />
Seit Maltas Beitritt zur Europäischen<br />
Union am 1. Mai 2004<br />
richteten sich die Hoffnungen<br />
von Vogelfreunden in ganz Europa<br />
dar<strong>auf</strong>, dass mit der Umsetzung der<br />
Vogelschutzrichtlinie endlich auch<br />
Fortschritte bei der Bekämpfung der<br />
Wilderei <strong>auf</strong> Malta erzielt werden.<br />
Und in der Tat gab es seitdem einige<br />
entscheidende Gesetzesänderungen,<br />
wie zum Beispiel das Verbot der<br />
Frühlingsjagd <strong>auf</strong> Turteltauben und<br />
Wachteln sowie die Beendigung des<br />
Fangs von Finken mit Klappnetzen<br />
(siehe Infokasten). Um auch die <strong>auf</strong><br />
der Insel rastenden Greifvögel besser<br />
vor Abschüssen schützen zu können,<br />
führte die Regierung in Valletta zusätzlich<br />
ein nachmittägliches Jagdverbot<br />
in der Zeit vom 15. bis zum 30.<br />
September ein. Damit Wespenbussard<br />
& Co ungestört zu ihren Schlafplätzen<br />
fliegen können, wurde in diesem<br />
Zeitraum von 15 Uhr bis Sonnenuntergang<br />
die Jagd komplett untersagt.<br />
Zuständig für die Überwachung der<br />
Schutzvorschriften ist die maltesische<br />
Umweltpolizei A.L.E. (Administrative<br />
Law Enforcement). Doch obwohl die<br />
große Mehrheit der Bevölkerung die<br />
illegale Jagd ablehnt, gibt es bis heute<br />
keine wirksamen Kontrollen. Der<br />
Grund: Die A.L.E ist seit Jahren nicht<br />
verstärkt worden und steht mit maximal<br />
zehn Beamten pro Schicht immer<br />
noch einer mehr als tausendfachen<br />
Übermacht gegenüber.<br />
30 Der Falke 57, <strong>2010</strong><br />
Wegen seiner zentralen Lage im Mittelmeerraum<br />
ist Malta ein wichtiger Trittstein für<br />
den Vogelzug zwischen Europa und Afrika.<br />
Foto: A. Heyd/KgdV. Bahrija, September 2009.
»»Vogelschutzcamps gegen die<br />
Wilderei<br />
Um die Umweltpolizei bei ihrer Arbeit<br />
zu unterstützen und um Daten<br />
über den Vogelzug zu sammeln,<br />
orga nisieren das deutsche Komitee<br />
gegen den Vogelmord und Birdlife<br />
Malta jedes Jahr sogenannte Zugvogelschutzcamps<br />
mit internationaler<br />
Beteiligung. Unterstützt werden<br />
die Vogelschützer dabei von der britischen<br />
RSPB, dem NABU und der<br />
Stiftung Pro Artenvielfalt, die jedes<br />
Jahr namhafte Beträge für die Einsätze<br />
zur Verfügung stellen. Wichtigstes<br />
Ziel dieser Aktionen ist es,<br />
Der Pirol steht in Deutschland <strong>auf</strong> der Vorwarnliste<br />
der gefährdeten Vogelarten und<br />
ist durch die Europäische Vogelschutzrichtlinie<br />
streng geschützt. Auf Malta werden<br />
jedes Jahr zahlreiche Pirole und andere<br />
Langstreckenzieher abgeschossen. Dieses<br />
Weibchen starb <strong>auf</strong> dem Zug ins Winterquartier.<br />
Foto: A. Hirschfeld/KgdV. St. Paul´s Bay, September 2009.<br />
An den Einsätzen gegen die illegale Vogeljagd<br />
<strong>auf</strong> Malta nehmen jedes Jahr mehr<br />
als 100 Freiwillige aus ganz Europa teil.<br />
Mit Spektiven und Ferngläsern überwacht<br />
dieses Team des Komitees gegen den Vogelmord<br />
den Einflug von Greifvögeln zum<br />
Schlafplatz in Mizieb.<br />
Foto: A. Hirschfeld/KgdV. Mai 2009.<br />
Eine Gruppe maltesischer Jäger wartet<br />
<strong>auf</strong> Beute. Insgesamt sind in der nur 360<br />
Quadratkilometer großen Inselrepublik<br />
mehr als 13 000 Jäger registriert.<br />
<br />
Foto: A. Hirschfeld/KgdV.<br />
Wilderei durch die ständige Präsenz<br />
von mit Videokameras und Ferngläsern<br />
ausgestatteten Beobachtern<br />
(Bird Guards) zu verhindern. Darüber<br />
hinaus werden alle von den Teilnehmern<br />
beobachteten Verstöße soweit<br />
wie möglich dokumentiert und<br />
bei den Behörden zur Anzeige gebracht.<br />
Durch die konsequente und<br />
möglichst zeitnahe Veröffentlichung<br />
beobachteter Straftaten im Internet<br />
und begleitende Öffentlichkeitsarbeit<br />
sollen sowohl die Behörden als auch<br />
die maltesische Bevölkerung für das<br />
Problem sensibilisiert und für mehr<br />
Engagement bei der Bekämpfung der<br />
Wilderei gewonnen werden. Die Einsätze<br />
im Herbst 2009 begannen am<br />
11. September und dauerten bis zum<br />
4. Oktober. Insgesamt nahmen mehr<br />
Der Falke 57, <strong>2010</strong> 31
Vogelschutz<br />
Bei einem Vogelfänger beschlagnahmte Mornellregenpfeifer.<br />
Foto: A. Hirschfeld/KgdV. Xemxija, September 2008.<br />
Beamte der maltesischen Umweltpolizei beschlagnahmen<br />
ein illegales Klappnetz für den Fang von Limikolen.<br />
Foto: A. Hirschfeld/KgdV. April 2008.<br />
als 80 Teilnehmer aus elf verschiedenen<br />
Ländern an den Aktionen teil.<br />
Um einen möglichst großen Teil der<br />
jagdlichen Brennpunkte abzudecken,<br />
wurden die Einsatzgebiete der einzelnen<br />
Teams täglich zwischen den Leitstellen<br />
der beiden Verbände und der<br />
Polizei abgestimmt.<br />
Das Ergebnis ist niederschmetternd:<br />
Trotz Anwesenheit der Bird Guards<br />
wurden während der dreiwöchigen<br />
Aktion von den Teams des Komitees<br />
insgesamt 486 Fälle von illegaler<br />
Jagd und Vogelfang registriert.<br />
Diese umfassten 23 direkt beobachtete<br />
und teilweise gefilmte Abschüsse<br />
von Greifvögeln (darunter zwei<br />
Fischadler) sowie 31 Fälle, in denen<br />
geschützte Arten beschossen, jedoch<br />
nicht oder zumindest nicht tödlich<br />
getroffen wurden. Dazu kommen 24<br />
Beobachtungen oder Funde von geschützten<br />
<strong>Vögel</strong>n mit mutmaßlichen<br />
Schussverletzungen und 29 gemeinsam<br />
mit der Polizei beschlagnahmte<br />
Limikolen. Bei nächtlichen Kartierungen<br />
wurden zudem die Standorte<br />
von 119 illegalen „bird callern“ erfasst,<br />
mit denen Jäger und Vogelfänger<br />
nachts Zugvögel vor ihre Netze<br />
und Flinten locken. Im gleichen<br />
Zeitraum registrierten die Helfer von<br />
Birdlife Malta 467 Zwischenfälle,<br />
darunter 82 Schüsse <strong>auf</strong> geschützte<br />
Arten, 64 illegale Lockgeräte und 48<br />
Fälle, bei denen Jäger verbotene automatische<br />
Waffen einsetzten. Zudem<br />
wurden von Mitte August bis Mitte<br />
Oktober insgesamt 50 tote oder angeschossene<br />
geschützte <strong>Vögel</strong> bei der<br />
Organisation eingeliefert.<br />
„Die Wilderei ist nach wie vor<br />
weit verbreitet und konterkariert die<br />
Schutzbemühungen, die bei uns bedrohten<br />
Arten helfen sollen“, fasst<br />
Komiteevorsitzender Heinz Schwarze<br />
die Ergebnisse zusammen. „Zwar<br />
hat das von der Regierung verhängte<br />
Jagdverbot am Nachmittag zu einer<br />
deutlichen Reduzierung der Abschüsse<br />
nach 15 Uhr beigetragen, für viele<br />
Greifvögel bedeutet das jedoch nur<br />
eine Galgenfrist von einer Nacht, da<br />
sie spätestens beim Abflug von ihren<br />
Schlafplätzen am nächsten Morgen<br />
wieder unter Beschuss geraten“, so<br />
der Vogelkundler.<br />
Aktivisten des Vogelschutzcamps bergen<br />
einen frisch geschossenen Ziegenmelker.<br />
Foto: A. Raine/Birdlife Malta, Mizieb, 21.9.2009.<br />
32 Der Falke 57, <strong>2010</strong>
» Wichtige Schlafplätze: Buskett<br />
und Mizieb<br />
Jahrhundertelange Abholzung hat<br />
dazu geführt, dass es kaum noch größere<br />
Baumbestände <strong>auf</strong> Malta gibt.<br />
Umso größer ist die Bedeutung der<br />
wenigen verbliebenen Wälder als sicherer<br />
Schlafplatz für Zugvögel. Die<br />
beiden wichtigsten Rastgebiete <strong>auf</strong><br />
der Hauptinsel sind der Park „Buskett<br />
Gardens” im Zentrum Maltas und ein<br />
bewaldeter, etwa 75 Hektar großer<br />
Bergrücken bei Mizieb im Norden<br />
der Insel. Mit seinem dichten Bestand<br />
an Kiefern und Phönizischem<br />
Wacholder hat Mizieb vor allem als<br />
Schlafplatz für Greifvögel wie Rohrund<br />
Wiesenweihen, Wespenbussarde,<br />
Schwarzmilane, Fischadler und<br />
Baum falken große Bedeutung. Aber<br />
während Buskett <strong>auf</strong>grund seiner<br />
Bedeutung für den Vogelzug bereits<br />
1993 zum jagdfreien Vogelschutzgebiet<br />
erklärt wurde, hat der Wald bei<br />
Mizieb bisher keinerlei wirksamen<br />
Schutzstatus. Ganz im Gegenteil: Die<br />
gesamte Fläche ist ein von der maltesischen<br />
Jägervereinigung FKNK (Federation<br />
for Hunting and Conservation)<br />
gemanagtes „Wildschutzgebiet”,<br />
in dem Hunderte Jäger regelmäßig<br />
ihrem Hobby nachgehen. Entsprechend<br />
sieht es dort aus: Aus Steinen,<br />
Brettern und alten Ölfassern haben<br />
Jäger mehr als 250 Schießhütten errichtet,<br />
überall liegen Müll und leere<br />
Schrotkartuschen herum, dazwischen<br />
immer wieder Schilder mit der Aufschrift<br />
„Hunting area” oder „keep<br />
out!”.<br />
Erfolge <strong>auf</strong> Malta<br />
Mit dem Beitritt zur Europä Belgischen Vogelschutzverbandes<br />
ischen Union hat sich Malta im<br />
Jahr 2004 dazu verpflichtet, die<br />
Bestimmungen der Europäischen<br />
als Verletzung von EURecht gewertet.<br />
Parallel dazu sorgte eine<br />
Klage von Birdlife International bei<br />
Vogel schutzrichtlinie vollständig der EU Kommission dafür, dass der<br />
in nationa les Recht umzusetzen.<br />
Dazu gehört auch das Verbot des<br />
<strong>auf</strong> Malta bisher weit verbreiteten<br />
Fangs von sieben in der EU geschützten<br />
Singvogelarten (Erlenzeisig,<br />
Hänfling, Buchfink, Girlitz,<br />
Kernbeißer, Stieglitz und Grünfink)<br />
mit großen Klappnetzen. Von der<br />
Abschaffung ihres „Hobbys“ waren<br />
Ende 2008 etwa 4000 Fänger und<br />
Vogelhalter betroffen.<br />
Ein weiterer wichtiger Erfolg für<br />
den Vogelschutz <strong>auf</strong> Malta ist das<br />
Verbot der Jagd <strong>auf</strong> im Frühling<br />
heimkehrende Zugvögel, das seit<br />
dem Jahr 2007 in Kraft ist. Zuvor<br />
hatte der Petitionsausschuss des<br />
Europäischen Parlamentes die Genehmigung<br />
dieser Praxis nach einer<br />
Beschwerde des Komitees gegen<br />
den Vogelmord und des Königlich<br />
Fall vor den Europäischen Gerichtshof<br />
in Luxemburg kam. Am 10.<br />
September 2009 wurde Malta dort<br />
endgültig wegen Verstoß gegen die<br />
Vogelschutzrichtlinie in den Jahren<br />
2004 bis 2006 (als Malta bereits<br />
EUMitglied und die Frühlingsjagd<br />
weiterhin erlaubt war) verurteilt.<br />
Ob es allerdings bei einem dauerhaften<br />
Verbot bleibt, ist unsicher.<br />
Auf Druck der Jagdlobby wird in<br />
Valletta zurzeit ernsthaft über eine<br />
Wiedereinführung der Frühlingsjagd<br />
unter angeblich „limitierten<br />
Bedingungen“ diskutiert. Da Jäger<br />
und ihre Familien nach wie vor<br />
eine sehr mächtige Wählergruppe<br />
darstellen, ist zu erwarten, dass dieser<br />
Plan bei den Parlamentswahlen<br />
im Jahr 2011 ein wichtiges Wahlkampfthema<br />
sein wird.<br />
Da in Mizieb bereits im vergangenen<br />
Jahr beobachtet wurde, wie Jäger<br />
Rohrweihen, Baumfalken und einen<br />
Schwarzstorch töteten, wurde das<br />
Waldstück während der Jagdsaison<br />
2009 besonders intensiv überwacht.<br />
Als am Morgen des 20. Septembers<br />
der Abschuss mehrerer Rohrweihen<br />
im östlichen Teil des Gebietes gemeldet<br />
wurde, organisierte das Komitee<br />
gemeinsam mit Birdlife Malta<br />
eine großangelegte Suchaktion. Und<br />
tatsächlich wurden an der Stelle,<br />
wo die Schüsse gefallen waren, drei<br />
frischtote Rohrweihen sowie der bereits<br />
einige Tage alte Kadaver eines<br />
Baumfalken gefunden. Die Tiere waren<br />
notdürftig unter großen Steinen<br />
und einem verrosteten Ölfass versteckt<br />
worden und wiesen eindeutige<br />
Schussverletzungen <strong>auf</strong>. Die Suche<br />
wurde dar<strong>auf</strong>hin ausgeweitet und<br />
weitere Vogelkadaver – ebenfalls<br />
versteckt unter Geröll und Abfällen –<br />
kamen ans Tageslicht. Als klar wurde,<br />
dass praktisch überall in dem Gebiet<br />
die Überreste toter Zugvögel lagen,<br />
informierte das Komitee die Umweltpolizei<br />
und forderte Unterstützung<br />
Dieser junge Wespenbussard hat seine erste Reise nach Afrika nicht überlebt und<br />
wurde geschossen im Norden Maltas gefunden. Foto: A. Heyd/KgdV, Manikata, September 2008.<br />
» Der Vogelfriedhof von Mizieb<br />
Der Falke 57, <strong>2010</strong> 33
Vogelschutz<br />
Wespenbussarde gehören zu den häufigsten<br />
Jagdopfern <strong>auf</strong> Malta.<br />
Foto: S. Agmon/KgdV. Buskett, September 2009.<br />
Schießopfer Rosa Flamingo<br />
Rosa Flamingos sind seltene Gäste<br />
<strong>auf</strong> Malta und bei Jägern als besondere<br />
Trophäe sehr begehrt. Mitte<br />
September 2008 landete ein völlig<br />
erschöpfter Jungvogel dieser Art<br />
Rosa Flamingos sind augfrgund ihrer Seltenheit eine<br />
begehrte Trophäe.<br />
Foto: BirdLife Malta.<br />
Dieser Jungvogel hat Glück gehabt und<br />
wird mit leichten Verletzungen zu einem<br />
Tierarzt gebracht. Foto: A. Hirschfeld/KgdV.<br />
zwischen zahlreichen Touristen in<br />
einer Badebucht im Norden der Insel<br />
und ließ sich stundenlang beobachten<br />
und filmen. Bilder des bunten<br />
Exoten, der zwischen badenden<br />
Kindern nach Nahrung suchte, fanden<br />
sogar ihren Weg in die Abendnachrichten<br />
des maltesischen Fern<br />
sehens. Vom Strand aus flog das<br />
Tier später in das nahe gelegene<br />
Naturschutzgebiet „Il Gadhira“, wo<br />
es mehrere Wochen lang blieb, um<br />
Kräfte für den Rest seiner Reise zu<br />
sammeln. Am 14. Oktober<br />
wurde beobachtet,<br />
wie der Vogel das<br />
sichere Schutzgebiet<br />
verließ und Richtung<br />
Meer flog. Doch nur<br />
eine Stunde später<br />
kehrte das Tier schwer<br />
verletzt zurück. An<br />
Brust und Bauch des<br />
Flamingos waren<br />
zahlreiche blutende<br />
Wunden zu sehen –<br />
eindeutige Anzeichen<br />
für einen Beschuss<br />
mit Schrot. Doch obwohl<br />
selbst Experten<br />
dem Tier keine großen<br />
Überlebenschancen einräumten,<br />
überlebte der Flamingo und blieb<br />
ein gutes halbes Jahr in der Bucht<br />
von Gadhira. Am 24. Mai 2009<br />
wurde der Vogel das letzte Mal beobachtet.<br />
Ob er es geschafft hat,<br />
Malta lebend zu verlassen, ist leider<br />
nicht bekannt.<br />
Komiteemitarbeiter Gaetano Giambusso mit einem<br />
unter einem alten Ölfass versteckten Wespenbussardkadaver.<br />
Foto: A. Heyd/KgdV. Mizieb, 20.9.2009.<br />
an. Bis zum Abend des 21. Septembers<br />
wurde das Gebiet zu etwa einem<br />
Drittel gründlich abgesucht und dabei<br />
insgesamt 213 Vogelleichen und<br />
skelette gefunden. In der Mehrheit<br />
handelte es sich dabei um Greifvögel,<br />
darunter 38 Rohrweihen, 14 Wespenbussarde,<br />
sechs Baumfalken, fünf<br />
Turmfalken, eine Wiesen oder Steppenweihe,<br />
24 nicht näher bestimmbare<br />
Falken sowie 47 größere Greifvögel.<br />
Darüber hinaus wurden 33<br />
Nachtreiher, ein Graureiher, ein Purpurreiher,<br />
drei Wiedehopfe, ein Pirol,<br />
vier Ziegenmelker, ein Bienenfresser,<br />
eine Nachtigall sowie Knochen von<br />
33 weiteren <strong>Vögel</strong>n in unterschiedlichen<br />
Stadien der Verwesung entdeckt.<br />
Aber trotz dieser unglaublichen<br />
Menge toter <strong>Vögel</strong> wurde weder das<br />
Waldstück abgesperrt noch der restliche<br />
Teil von der Polizei durchsucht.<br />
Stattdessen durften Jäger dort weiter<br />
ungestört ihrem Hobby nachgehen<br />
und am 24. September sogar eine<br />
Protestversammlung gegen die Präsenz<br />
ausländischer Vogelschützer <strong>auf</strong><br />
Malta abhalten. Und weiter: Obwohl<br />
es sich um das größte bisher <strong>auf</strong> Malta<br />
<strong>auf</strong>gedeckte Jagdverbechen handelt,<br />
haben sowohl die Regierung als<br />
auch die Opposition bisher zu den<br />
Funden von Mizieb geschwiegen. Bis<br />
heute hat die maltesische Polizei keine<br />
Untersuchungsergebnisse veröf<br />
34 Der Falke 57, <strong>2010</strong>
fentlicht oder weitere Suchaktionen<br />
veranlasst.<br />
»»Forderungen des Komitees<br />
Fazit: Trotz EU-Beitritt gibt es <strong>auf</strong><br />
Malta in Sachen Zugvogelschutz<br />
noch viel zu tun. Die Umsetzung der<br />
Europäischen Vogelschutzrichtlinie<br />
hat bisher fast ausschließlich <strong>auf</strong><br />
dem Papier stattgefunden; von einem<br />
wirksamen Vollzug der Jagdgesetze<br />
kann keine Rede sein. Die Reaktion<br />
der Behörden <strong>auf</strong> das Vogelmassaker<br />
in Mizieb zeigt, dass es zurzeit <strong>auf</strong><br />
Malta offenbar keinerlei politischen<br />
Willen gibt, die Wilderei wirksam zu<br />
bekämpfen. Damit Zugvögel <strong>auf</strong> Malta<br />
besser vor Verfolgung geschützt<br />
werden können, ist die Verstärkung<br />
der A.L.E. mit mehr Personal und besserer<br />
Ausrüstung von entscheidender<br />
Bedeutung. Die Arbeit der Polizei<br />
besteht bisher hauptsächlich darin,<br />
<strong>auf</strong> Meldungen von Vogelschützern<br />
und aus der Bevölkerung zu reagieren.<br />
Dies führt besonders an Tagen<br />
mit starkem Zuggeschehen regelmäßig<br />
zu einer völligen Überlastung der<br />
wenigen verfügbaren Kräfte. Damit<br />
die Wilderei endlich effektiv bekämpft<br />
werden kann, muss die Präsenz<br />
von Polizeibeamten im Bereich<br />
der Rastplätze massiv verstärkt werden.<br />
Gleichzeitig muss dafür gesorgt<br />
werden, dass überführte Täter auch<br />
angemessen bestraft werden. Leider<br />
bewegen sich die von maltesischen<br />
Gerichten wegen Verstößen gegen das<br />
Jagdgesetz verhängten Strafen sehr<br />
oft im untersten Bereich der gesetzlich<br />
möglichen Skala. So wurde am 6.<br />
Oktober 2009 ein Mann aus Bahrija<br />
wegen Tierquälerei und illegalem Besitz<br />
von 75 streng geschützten Watvögeln<br />
(darunter Sichelstrandläufer,<br />
Mornell regenpfeifer, Bruchwasserläufer<br />
und Zwergstrandläufer) zu einer<br />
Geldbuße von lediglich 600 Euro<br />
verurteilt, was umgerechnet acht Euro<br />
pro Vogel entspricht. Ein Vogelfänger,<br />
den die Bird-Guards des Komitees im<br />
Mai 2008 in flagranti beim illegalen<br />
Fang von Ortolanen erwischt hatten,<br />
wurde am 18. Februar 2009 zu einer<br />
Geldstrafe von lächerlichen 466 Euro<br />
verurteilt.<br />
Um den Druck <strong>auf</strong> die maltesische<br />
Regierung zu erhöhen, haben Birdlife<br />
Malta und das Komitee gegen den<br />
Vogelmord die Europäische Kommission<br />
über die Ergebnisse ihrer Camps<br />
informiert. Parallel dazu l<strong>auf</strong>en die<br />
Vorbereitung für die Aktionen im<br />
nächsten Jahr <strong>auf</strong> Hochtouren. Für<br />
die Einsätze im Herbst <strong>2010</strong> werden<br />
übrigens noch fähige Vogelbeobachter<br />
mit Mut und Teamgeist gesucht.<br />
Wer Interesse an einer Teilnahme<br />
hat, kann sich beim Komitee oder<br />
bei Birdlife Malta bewerben.<br />
Axel Hirschfeld, David Conlin<br />
Kreisende Rohrweihen über der Hauptstadt<br />
Valletta.<br />
Foto: S. Agmon/KgdV, September 2009.<br />
Informationen zum Thema:<br />
Der Abschlussbericht des Komitee-<br />
Zugvogelschutzcamps im Herbst<br />
2009 sowie ein ausführliches Dossier<br />
über den „Vogelfriedhof” von<br />
Mizieb können <strong>auf</strong> der Homepage<br />
des Komitees (www.komitee.de)<br />
gegen den Vogelmord heruntergeladen<br />
werden. Dort sind auch die<br />
Tagebücher der letzten Einsätze<br />
sowie eine Tabelle der <strong>auf</strong> Malta<br />
jagdbaren Vogelarten abrufbar.<br />
Informationen über die Kampagnen<br />
von Birdlife Malta gibt es<br />
unter:<br />
www.birdlifemalta.org<br />
Axel Hirschfeld ist Biologe<br />
und Autor zahlreicher TV-<br />
Reportagen und Fachartikel<br />
über illegalen Tierhandel<br />
und Jagd. Seit 2001 arbeitet<br />
er als Artenschutzreferent<br />
und Pressesprecher für<br />
das Komitee gegen den Vogelmord und<br />
leitet die Einsätze des Verbandes gegen<br />
die illegale Zugvogeljagd <strong>auf</strong> Malta.<br />
Polizisten beruhigen einen <strong>auf</strong>gebrachten Jäger, der sich durch die Anwesenheit von<br />
ausländischen Vogelschützern gestört fühlt. Foto: D. Conlin/KgdV. September 2008.<br />
David Conlin ist pensionierter<br />
Stabsoffizier der<br />
Britischen Armee und<br />
Diplomat. Seit Mitte der<br />
1990er Jahre setzt er sich<br />
mit dem von ihm <strong>auf</strong>gebauten<br />
Netzwerk „Proact“,<br />
für einen besseren Vogelschutz in der EU<br />
ein. Seit 2007 organisiert er als freier<br />
Mitarbeiter für das Komitee gegen den<br />
Vogelmord Einsätze gegen die Zugvogeljagd<br />
im Mittelmeerraum.<br />
Der Falke 57, <strong>2010</strong> 35
Standpunkte<br />
Vogeljagd im Mittelmeerraum<br />
Lange Zeit war Italien eines der Schwerpunktländer für illegalen<br />
Vogelfang im Mittelmeergebiet. So wurden beispielsweise im südlichen<br />
Italien alljährlich Greifvögel in großer Zahl geschossen.<br />
Auch wenn es in Italien noch immer Probleme mit illegalem Vogelfang<br />
gibt – die Situation hat sich deutlich verbessert. Christoph<br />
Hein von migration unlimited hat uns erzählt, wie es dazu kam.<br />
DER FALKE: Was ist migration-unlimited ?<br />
Christoph Hein: Hinter dem Namen migration-unlimited<br />
verbirgt sich eine Bundesarbeitsgruppe unter dem Dach des<br />
Naturschutzbund Deutschland (NABU). Ihr Ziel ist es, lokalen<br />
Partnerorganisationen oder Gruppen im Mittelmeerraum<br />
bei Vorhaben zum Schutz von Zugvögeln gegen illegalen<br />
Fang oder illegale Bejagung zur Seite zu stehen. Im<br />
Vordergrund steht dabei keine reine Finanzhilfe, sondern<br />
eine zumeist lange Jahre andauernde enge Kooperation bei<br />
direkten Aktionen gegen Wilderei, aber auch der Umweltbildung,<br />
der Schulung von Lehrern vor Ort, der Einflussnahme<br />
gegenüber Politik und Behörden im jeweiligen Land,<br />
der Ausweisung und Begründung von Schutzgebieten. migration-unlimited<br />
hat immer eine lokale Partnerorganisation,<br />
die das Projekt federführend betreut.<br />
Seit wann arbeitet migration-unlimited in Süditalien?<br />
Unsere Projektpartnerschaft mit Ornithologen an der<br />
Straße von Messina geht <strong>auf</strong> das Jahr 1986 und ein erstes<br />
Treffen im Zuge einer Konferenz zum Greifvogelschutz<br />
in Kalabrien zurück. Das erste internationale Camp zum<br />
Schutz ziehender Greifvögel und Störche in Messina (Sizilien)<br />
fand unter Leitung von Anna Giordano im Frühjahr<br />
1987 statt. In den dar<strong>auf</strong>folgenden Jahren haben schätzungsweise<br />
600 überwiegend jugendliche Naturschützer<br />
aus ganz Europa und einige aus Übersee mit uns für den<br />
Stopp des illegalen Abschusses von Zugvögeln in Süditalien<br />
gestritten.<br />
Wie hat sich der illegale Abschuss von <strong>Vögel</strong>n in Süditalien<br />
in den vergangenen Jahren verändert?<br />
unsere lokalen Partner kaum ständig überall präsent sein<br />
können. Die Forstpolizei, aber auch andere Polizeieinheiten<br />
arbeiten fast ausnahmslos zu unserer Zufriedenheit,<br />
eigenständig und daran interssiert, den guten Status<br />
quo zu erhalten.<br />
Was sind die Ursachen hierfür?<br />
Die Ursachen für den Rückgang sind vielschichtig. An<br />
erster Stelle ist die lange Jahre <strong>auf</strong>rechterhaltene konsequente<br />
Verfolgung durch die Polizeisondereinheiten zu<br />
nennen, die allerdings auch erst Dank unseres Drucks und<br />
der aktiven logistischen Hilfe erfolgreich gegen Wilderer<br />
vorgehen konnten. Nicht zu vernachlässigen ist auch der<br />
Generationenwechsel. Die Jäger, die der Greifvogeljagd aus<br />
alter Tradition nachgegangen sind, sind – wie wir Aktive<br />
– mittlerweile gut 20 Jahre älter geworden und riskieren<br />
für das Hobby nicht mehr, von der Polizei und den Gerichten<br />
verfolgt zu werden; die junge Generation hat überwiegend<br />
andere Interessen und wird auch von den Vätern<br />
nicht mehr so häufig wie früher zur Jagd mitgenommen.<br />
Die Jungen erkennen, dass die Traditionen, die die Jagd<br />
einst begründet haben, in der modernen Zeit keinen Platz<br />
mehr haben. Das allgemeine Umweltbewusstsein ist Dank<br />
der Medien und der Arbeit der Umweltschutzverbände gestiegen.<br />
Zu guter Letzt – und dieser Punkt ist, denke ich,<br />
nicht zu unterschätzen – ist die langjährige enge Freundschaft<br />
zwischen den Projektbeteiligten Motor und Quelle<br />
der Kraft gewesen, einen anfänglich aussichtlos erscheinenden<br />
Kampf gegen alle Widerstände und Rückschläge<br />
zu führen.<br />
Welche Projekte bearbeitet migration-unlimited aktuell?<br />
In den ersten Jahren unserer Camps wurden wir täglich<br />
mit Abschüssen bedrohter oder gefährdeter Greifvögel direkt<br />
vor unseren Augen konfrontiert. Tage mit bis zu 1000<br />
Schuss im direkten Umfeld und Dutzende toter oder angeschossener<br />
Tiere waren die Regel. Geschätzt starben etwa<br />
5000 bis 6000 Wespenbussarde jedes Frühjahr während des<br />
Vogelzuges. Aggressionen oder Anfeindungen gegen die<br />
Campteilnehmer durch Jäger waren keine Seltenheit, die<br />
zuständigen Behörden waren anfangs vollkommen inaktiv.<br />
Heute ist die Zahl der illegal während des Frühjahrszuges<br />
geschossenen <strong>Vögel</strong> <strong>auf</strong> wahrscheinlich kaum noch<br />
ein Dutzend gesunken. Betrachtet man die Größe des<br />
Einzugsgebietes, ist das ein sensationeller Rückgang, da<br />
Seitdem sich die Lage an der Straße von Messina so entspannt<br />
hat, haben wir eine neue Projektpartnerschaft mit<br />
einer kleinen Naturschutzorganisation im Norden der Insel<br />
Zypern <strong>auf</strong>leben lassen. Hier stellen sich wenige Aktive<br />
gegen etwa 20 000 registrierte Jäger und Hunderte Vogelfänger,<br />
die mit Netzen und Leimruten in erster Linie Singvögel<br />
während der Zugzeiten fangen. Schätzungen gehen<br />
von bis zu zehn Millionen <strong>Vögel</strong>n aus, die dort alljährlich<br />
ihr Leben lassen müssen. Mit einer anderen Partnergruppe<br />
südlich von Istanbul bemühen wir uns, Probleme für ziehende<br />
Störche zu lösen, die durch nicht ausreichend isolierte<br />
Mittelspannungsleitungen dort ebenfalls während<br />
der Zugzeiten schmerzliche Verluste erleiden.<br />
36 Der Falke 57, <strong>2010</strong>
Vogelschutz<br />
Malta: Rückkehr „häufiger“ Vogelarten<br />
Das Jahr 2009 war für Maltas Brutvögel von besonderer Bedeutung, wie ein von BirdLife<br />
Malta veröffentlichter Bericht zur Lage der Inselvogelwelt deutlich macht. Einige Vogelarten<br />
scheinen vom Verbot der Frühjahrsjagd zu profitieren und Malta wieder als Brutgebiet<br />
zu nutzen.<br />
Nach fast 100 Jahren kehrt auch die Gebirgsstelze<br />
als Brutvogel nach Malta zurück.<br />
Foto: M. Schäf.<br />
Im „2009 Rare Breeding Bird Report“<br />
sind alle Brutbeobachtungen<br />
seltener Vogelarten gemäß der<br />
strikten Kriterien des European Bird<br />
Census Council und BirdLife Malta<br />
für Brutnachweise sehr seltener Arten<br />
<strong>auf</strong> Malta und den dazugehörigen<br />
Inseln enthalten. Die Ergebnisse zeigen,<br />
dass neun seltene Vogelarten,<br />
von denen die meisten in anderen<br />
Ländern recht häufig sind, in ihrer<br />
Gesamtverbreitung <strong>auf</strong> den maltesischen<br />
Inseln im Vergleich zum Vorjahr<br />
in ihren Beständen zugenommen<br />
haben. Vier dieser im Jahr 2009 <strong>auf</strong><br />
Malta brütenden Arten waren im Bericht<br />
von 2008 nicht <strong>auf</strong>geführt.<br />
Als Highlights der Studie gelten die<br />
bestätigten Brutnachweise für Turmfalken<br />
(zwei Brutpaare) – die ersten<br />
seit 15 Jahren! – sowie die Eroberung<br />
Maltas als Brutlebensraum einer für<br />
die Inseln neuen Art: des Fahlseglers.<br />
Weiterhin konnte erstmalig seit fast<br />
100 Jahren eine Brut der Gebirgsstelze<br />
nachgewiesen werden. Ebenso gelang<br />
der insgesamt erst vierte bestätigte<br />
Nachweis von Kuckucksbruten.<br />
Nach Angaben von Dr. Andre<br />
Raine, Conservation Manager bei<br />
BirdLife Malta, vermuten Vogelschützer,<br />
dass das während der letzten zwei<br />
Jahre durchgesetzte Verbot der Frühjahrsjagd<br />
eine wichtige Rolle bei der<br />
Etablierung dieser Arten spielt, da die<br />
<strong>Vögel</strong> zu Beginn der Brutzeit weniger<br />
gestört werden. Obwohl die illegale<br />
Jagd, besonders im Süden, auch weiterhin<br />
verbreitet ist, war die Intensität<br />
der Jagdaktivitäten während des<br />
Frühjahrszuges deutlich geringer als<br />
vor dem Verbot. Nachdem die Frühjahrsjagd<br />
nun verboten ist, besteht das<br />
größte Problem für seltene Brutvögel<br />
im illegalen Abschuss während der<br />
Jagdsaison <strong>auf</strong> Kaninchen, die am 1.<br />
Fahlsegler brüteten im<br />
Jahr 2009 zum ersten<br />
Mal <strong>auf</strong> Malta.<br />
Foto: R. Martin.<br />
Juni beginnt. Konstantin Kreiser, EU<br />
Policy Manager bei der Europaabteilung<br />
von BirdLife International, zeigt<br />
sich erfreut über die Rückkehr von<br />
Vogelarten nach Malta als Brutvögel.<br />
Dies sei ein großer Erfolg für BirdLife<br />
und die EUVogelschutzRichtlinie –<br />
nach der sich anscheinend auch Malta<br />
endlich richten will.<br />
Leider gingen bei BirdLife Malta<br />
auch dieses Jahr in den Monaten<br />
Juni und Juli wieder geschossene,<br />
geschützte <strong>Vögel</strong> ein – einschließlich<br />
Arten, die im Frühjahr <strong>auf</strong> Malta gebrütet<br />
hatten.<br />
Trotz solcher Abschüsse wurden im<br />
Jahr 2009 auch ausgesprochen positive<br />
Veränderungen registriert. Maltesische<br />
Dörfer beherbergten neue<br />
Kolonien brütender Mauersegler,<br />
während <strong>auf</strong> den Feldern Turmfalken<br />
Futter für ihre Jungen finden konnten.<br />
Nach wie vor ist es von großer<br />
Bedeutung, <strong>auf</strong> Malta eine ständige<br />
Wildlife Crime Unit <strong>auf</strong>zubauen um<br />
seltene Vogelarten das ganze Jahr<br />
über schützen zu können – vor allem<br />
auch während der Brutsaison im<br />
Sommer, wenn die <strong>Vögel</strong> durch illegale<br />
Jagd besonders gefährdet sind.<br />
Anita Schäffer<br />
Quelle: BirdLife Presseinfo vom 25.08.2009,<br />
www.birdlife.org/news/news/2009/08/<br />
malta_rare_bird.html<br />
Der Falke 57, <strong>2010</strong> 37
Vogelschutz<br />
Illegaler Fang in Südwestfrankreich:<br />
Ursache für den Rückgang der Ortolane?<br />
Der illegale Fang von Ortolanen in Frankreich ist Vogelschützern in ganz Europa schon seit<br />
geraumer Zeit ein Dorn im Auge. Während diese Art vielerorts zu einer echten Rarität geworden<br />
ist, wandern in Südfrankreich noch immer Tausende Ortolane buchstäblich in den<br />
Kochtopf. Tradition hin oder her – dieser Zustand ist untragbar.<br />
Nach BirdLife Internationals<br />
Publikation Birds in Europe<br />
gehen die europäischen<br />
Bestände des Ortolans fast überall<br />
zurück. Aufgrund einer rapiden historischen<br />
Abnahme, von der sich die<br />
Art nie erholt hat, stuft BirdLife den<br />
Ortolan in Europa als „dezimiert“ (depleted)<br />
ein. Immer wieder sind Stimmen<br />
laut geworden, die die mangelnde<br />
Bestandserholung teilweise <strong>auf</strong><br />
den massiven Fang <strong>auf</strong> dem Zug in<br />
Frankreich zurückführen<br />
Mitglieder der Ligue pour la Protection<br />
des Oiseaux (LPO, BirdLife<br />
Partner in Frankreich) und der Umweltorganisation<br />
SEPANSO starteten<br />
im August 2009 eine groß angelegte<br />
Aktion gegen den Ortolanfang im<br />
Département Les Landes in Südwestfrankreich.<br />
Mehr als 200 Fallen wurden<br />
dabei zerstört und mehrere Dutzend<br />
Ortolane befreit. Ortolane sind<br />
seit 1999 in Frankreich geschützt,<br />
wegen ihres guten Geschmacks aber<br />
als illegale Beute nach wie vor sehr<br />
begehrt. In jedem Jahr werden zwischen<br />
Mitte August und Ende September<br />
im Süden von Les Landes und<br />
im Norden des Département PyrénéesAtlantiques<br />
30 000 bis 50 000<br />
Ortolane zu Speisezwecken gefangen,<br />
wie Bougrain erläutert. Das ent<br />
Mit Drahtfallen werden Ortolane gefangen<br />
und anschließend in Käfigen gemästet.<br />
Foto aus LPOVideo: http://www.lpo.fr/comm/2009/<br />
comm20090830.shtml<br />
spricht der gesamten Brutpopulation<br />
der Beneluxstaaten, Deutschlands,<br />
Dänemarks, Österreichs, der Tschechischen<br />
Republik und der Slowakei<br />
zusammengenommen.<br />
» Gezielter Schutz ab <strong>2010</strong>?<br />
Der Präsident von LPO, Bougrain<br />
Dubourg klagt die „inakzeptable<br />
Tole ranz“ der Behörden gegenüber<br />
den Vogelfängern an: Im Jahr 2008<br />
wurden lediglich in acht Fällen Ermittlungsverfahren<br />
eingeleitet, während<br />
die LPO die Zahl der Vogelfänger<br />
<strong>auf</strong> über 1200 schätzt.<br />
„Wir verlangen von der Regierung,<br />
hier Verantwortung zu zeigen”,<br />
sagte Bougrain Dubourg der Agence<br />
FrancePresse (AFP). Er hätte vom<br />
Umweltminister, JeanLouis Borloo<br />
die Zusage erhalten, dass die Behörden<br />
etwas unternehmen, aber geschehen<br />
sei kaum etwas. „Es hat zwanzig<br />
Jahre gedauert, den Fang von Turteltauben<br />
zu unterbinden. Ich hoffe, der<br />
Ortolan muss nicht so lange <strong>auf</strong> seinen<br />
Schutz warten“, setzte Bougrain<br />
Dubourg fort.<br />
Die Umweltstaatssekretärin Chantal<br />
Jouanno gab AFP gegenüber zu,<br />
dass die Regierung 30 Jahre lang<br />
tatenlos zugesehen habe, bekräftigte<br />
jedoch, dass es von <strong>2010</strong> an, dem Internationalen<br />
Jahr der Biologischen<br />
Vielfalt, keine Toleranz für den Ortolanfang<br />
mehr geben würde. Nachdem<br />
diese Vogelart in den letzten 20 Jahren<br />
70 bis 90 Prozent der Population<br />
eingebüßt hat, steht der Ortolan recht<br />
nahe am Rand des Aussterbens. 2008<br />
wären 17 Mitarbeiter der Staatlichen<br />
Jagdbehörde ONCFS be<strong>auf</strong>tragt worden,<br />
1200 bis 1500 Vogelfänger in 60<br />
Gemeinden der Region <strong>auf</strong>zuspüren.<br />
Früher galten Ortolane als Delikatesse<br />
am königlichen Hof, heute erlangen<br />
die <strong>Vögel</strong> noch hohe Preise<br />
Ortolane (hier ein Männchen) gelten in Südfrankreich<br />
nach wie vor als Delikatesse.<br />
Foto: H. Tuschl/Naturfotoarchiv Willner. Bulgarien, Mai 2008.<br />
<strong>auf</strong> dem Schwarzmarkt. Gefangene<br />
Ortolane werden in Käfigen gehalten<br />
und gemästet, bevor sie <strong>auf</strong> dem<br />
Speisetisch landen. Unter http://www.<br />
lpo.fr/comm/2009/comm2009-08-30.shtml<br />
kann ein LPOVideo von der Operation<br />
Ortolan abgerufen werden.<br />
Peter Herkenrath<br />
Literatur zum Thema:<br />
Bernardy P 2009: Ökologie und<br />
Schutz des Ortolans (Emberiza hortulana)<br />
in Europa – IV. Internationales<br />
OrtolanSymposium. Naturschutz<br />
Landschaftspfl. Niedersachs. H. 45.<br />
Lang M 2007: Niedergang der<br />
süddeutschen OrtolanPopulation<br />
Emberiza hortulana – liegen die Ursachen<br />
außerhalb des Brutgebiets?<br />
Vogelwelt 128: 179196.<br />
38 Der Falke 57, <strong>2010</strong>
Rote Liste 2009: Ist das weltweite<br />
Artensterben noch <strong>auf</strong>zuhalten?<br />
Gemäß der neuesten, aktualisierten Ausgabe der Roten Liste gefährdeter Arten der IUCN<br />
sind 17 291 von insgesamt 47 677 untersuchten Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben<br />
bedroht.<br />
Weltweit nimmt die Artenvielfalt<br />
nach wie vor weiter<br />
ab. Im Januar <strong>2010</strong> beginnt<br />
das Internationale Jahr der Biodiversität<br />
– die aktuelle Rote Liste der IUCN<br />
zeigt jedoch deutlich, dass das von<br />
der weltweiten Staatengemeinschaft<br />
im Rahmen der Konvention über<br />
den Erhalt der Biologischen Vielfalt<br />
gesetzte Ziel, bis zum Jahr <strong>2010</strong> den<br />
Verlust der Artenvielfalt deutlich zu<br />
verlangsamen, nicht erreicht wurde.<br />
Es wird Zeit, dass Regierungen sich<br />
ernsthaft mit dem Schutz von Arten<br />
befassen. Der Erhalt der Biodiversität<br />
muss hoch oben <strong>auf</strong> der Prioritätenliste<br />
stehen, bevor die Zeit für wirksame<br />
Maßnahmen abgel<strong>auf</strong>en ist.<br />
»»Die aktuelle Situation<br />
Bereits vor einigen Wochen hat Bird<br />
Life International, als zuständige Instanz<br />
für die Beurteilung der Situation<br />
in der Vogelwelt, die aktualisierte<br />
Ausgabe der Roten Liste bedrohter<br />
Vogelarten 2009 veröffentlicht.<br />
Von den insgesamt 9998 bekannten,<br />
untersuchten Vogelarten<br />
weltweit sind 137 bereits ausgestorben<br />
oder gelten als verschollen.<br />
Weitere 192 sind nach der neuesten<br />
Roten Liste vom Aussterben bedroht,<br />
362 stark gefährdet und 669<br />
gefährdet. In anderen Artengruppen<br />
sieht es noch schlechter aus. Weltweit<br />
wurden 5490 Säugetierarten<br />
hinsichtlich ihrer Bestandssituation<br />
bewertet. 79 Säugetierarten gelten<br />
demnach als ausgestorben oder verschollen,<br />
188 Säugetierarten sind<br />
vom Aussterben bedroht. Zahlreiche<br />
Arten finden sich in den Kategorien<br />
„stark gefährdet“ (449) und „gefährdet“<br />
(505). Stellvertretend für die<br />
Gefährdungssituation vieler anderer<br />
Säugetierarten steht das mäuseartige<br />
Voalavo Voalavo antsahabensis, das<br />
in diesem Jahr zum ersten Mal in<br />
der Kategorie „stark gefährdet“ <strong>auf</strong>geführt<br />
wird. Das Vorkommen dieses<br />
nur <strong>auf</strong> Madagaskar heimischen Nagers<br />
beschränkt sich <strong>auf</strong> tropische<br />
Bergwälder. Sein Lebensraum wird<br />
durch Brandrodung immer kleiner.<br />
Mittlerweile stehen auch insgesamt<br />
1677 Reptilienarten <strong>auf</strong> der weltweiten<br />
Roten Liste, 293 davon waren<br />
alleine in diesem Jahr hinzugefügt<br />
worden. 22 Arten gelten bereits als<br />
ausgestorben oder verschollen, ganze<br />
469 Reptilienarten sind vom Aussterben<br />
bedroht. Unter den Neuzugängen<br />
sind 165 <strong>auf</strong> den Phillippinnen endemische,<br />
also nur dort vorkommende<br />
Arten, darunter auch die stark gefährdete<br />
Panay Waran Varanus mabitang.<br />
Die Bedrohung für diese hochspezialisierte<br />
Art besteht ebenfalls in<br />
Lebensraumverlust durch land- und<br />
holzwirtschaftliche Nutzung in ihrem<br />
Vorkommensgebiet, zudem wird<br />
die Echse von den Einheimischen als<br />
Nahrungsquelle gejagt. Verlust des<br />
Lebensraumes spielte auch bei der<br />
Einstufung der Philippinischen Segelechse<br />
Hydrosaurus pustulatus in<br />
die Kategorie „gefährdet“ eine große<br />
Rolle. Daneben besteht eine Hauptursache<br />
für Bestandrückgänge dieser<br />
Art im Sammeln frisch geschlüpfter<br />
Echsen zum Verzehr ebenso wie für<br />
den Handel als Haustiere. Zweifellos<br />
ist die Gefährdungssituation unter<br />
den Reptilien bereits sehr ernst – und<br />
könnte sogar noch schlimmer sein.<br />
Zwei bis drei Millionen US Dollar<br />
wären nötig um die Bestandstrends<br />
aller Reptilienarten bewerten und<br />
ein genaueres Bild der Situation erhalten<br />
zu können – bisher fehlt hierfür<br />
jedoch das Geld. Die am meisten<br />
gefährdete Artengruppe stellen die<br />
Amphibien: von den 6285 weltweit<br />
untersuchten Amphibienarten sind<br />
etwa 30 % gefährdet. 39 Arten hiervon<br />
sind bereits ausgestorben oder<br />
gelten als verschollen, 484 Arten sind<br />
vom Aussterben bedroht, 754 stark<br />
gefährdet und 657 gefährdet. Die<br />
Kihansi Gischtkröte Nectophrynoides<br />
asperginis musste aus der Kategorie<br />
„vom Aussterben bedroht“ in die<br />
Kategorie „verschollen“ hochgestuft<br />
werden. Das einzige Vorkommen<br />
der Art war von den Kihansi Fällen<br />
in Tansania bekannt, wo die Kröte<br />
einstmals mit mehr als 17 000 Individuen<br />
verbreitet war. Mittlerweile<br />
verhindert der Bau eines Dammes<br />
oberhalb der Kihansi Fälle 90 % des<br />
ursprünglichen Wasserstromes in die<br />
Schlucht und reduzierte damit den<br />
Aufgrund intensiver Schutzbemühungen konnte der Lear<br />
Ara in Brasilien aus der höchsten Gefährdungsstufe herausgenommen<br />
werden. Foto: A. & G. Swash (WorldWildlifeImages.com).<br />
Lebensraum der Kihansi Gischtkröte<br />
massiv. Die Ausbreitung einer Pilzkrankheit<br />
(Chytridiomycosis) war<br />
letztendlich wohl ausschlaggebend<br />
für das vollständige Verschwinden<br />
der Art. Ein Pilz gefährdet auch die<br />
Bestände eines Baumfrosches in Panama,<br />
Ecnomiohyla rabborum, der in<br />
der neuen Roten Liste als „vom Aussterben<br />
bedroht“ geführt wird. Seit<br />
im Jahr 2006 ein Pilz mit dem Namen<br />
Batrachochytrium dendrobatidis im<br />
Der Falke 57, <strong>2010</strong> 39
Vogelschutz<br />
einzigen Vorkommensgebiet der Art<br />
in ZentralPanama entdeckt worden<br />
war, hatten Wissenschaftler nur noch<br />
ein einziges Männchen rufen hören.<br />
Baumfrösche dieser Art wurden zwar<br />
zu Nachzuchtzwecken gefangen, alle<br />
bisherigen Zuchtversuche waren jedoch<br />
erfolglos. Besonders dramatisch<br />
sieht die Situation im Reich der<br />
Pflanzen aus: Von den weltweit untersuchten<br />
Pflanzenarten sind 12 151<br />
in der Roten Liste verzeichnet. 8500<br />
Pflanzenarten finden sich in den<br />
hoch gefährdeten Kategorien, davon<br />
gelten 114 Arten bereits als „ausgestorben<br />
oder verschollen“. Ein außergewöhnliches<br />
Beispiel liefert eine<br />
Bromelienart, Puya raimondii, die<br />
auch nach erneuter Bewertung in der<br />
Kategorie „stark gefährdet“ verbleibt.<br />
Die in den Anden Perus und Boliviens<br />
beheimatete Pflanze bildet nur<br />
alle 80 Jahre (!) Samen aus und stirbt<br />
dann. Möglicherweise hat der Klimawandel<br />
das Aussamen alter Pflanzen<br />
bereits aus dem Gleichgewicht gebracht,<br />
zudem leiden die Jungpflanzen<br />
unter Tritt und Fraßschäden<br />
durch Weidevieh. Trotz aller negativen<br />
Beispiele sind in der aktuellen<br />
Roten Liste auch großartige Naturschutzerfolge<br />
zu finden. Der Lear Ara<br />
in Brasilien beispielsweise konnte aus<br />
der höchsten Gefährdungsstufe „vom<br />
Aussterben bedroht“ heruntergestuft<br />
werden. Durch Schutzbemühungen,<br />
bei denen zahlreiche nationale und<br />
internationale Verbände, die brasilianische<br />
Regierung sowie Landbesitzer<br />
zusammenarbeiteten, konnte sich<br />
der Bestand dieses atemberaubenden,<br />
blauen Papageis vervierfachen! In<br />
Neuseeland profitierte der Chathamsturmvogel<br />
Pterodroma axillaris von<br />
Maßnahmen, die das New Zealand<br />
Department of Conservation zum<br />
Schutz der Art durchführte, und wurde<br />
dar<strong>auf</strong>hin aus der Kategorie „vom<br />
Aussterben bedroht“ herausgenommen.<br />
Und <strong>auf</strong> Mauritius wurde der<br />
Mauritiusweber Foudia rubra vom<br />
Rand des Aussterbens zurückgeholt,<br />
nachdem die Art <strong>auf</strong> eine Beutegreifer<br />
freie Insel umgesiedelt und eine neue<br />
Population <strong>auf</strong>gebaut werden konnte.<br />
Der Mauritiusweber wird nun als<br />
„stark gefährdet“ in der Roten Liste<br />
geführt. Chathamsturmvogel ebenso<br />
wie Mauritiusweber sind Beispiele<br />
für Arten, deren Hauptbedrohung in<br />
eingeführten, ursprünglich nicht heimischen<br />
Arten, z. B. Beutegreifern,<br />
besteht. Die Bekämpfung <strong>auf</strong> Inseln<br />
eingeführter Arten ist eine von zehn<br />
Schlüsselmaßnahmen, die BirdLife<br />
International herausgearbeitet hat,<br />
um das weitere Aussterben von Vogelarten<br />
zu verhindern. Die Veränderungen<br />
in der diesjährigen Roten Liste<br />
zeigen, dass es durchaus möglich<br />
ist, die Situation für einzelne Arten<br />
zu verbessern. Dazu bedarf es „nur“<br />
guten Willens zum Handeln und die<br />
Mittel zur Durchführung.<br />
Anita Schäffer<br />
Quelle: BirdLife International<br />
Presseinfo 3.10.2009;<br />
Rote Liste 2009 der IUCN, www.iucnredlist.org<br />
Veränderungen der Vogelwelt Großbritanniens<br />
Während der letzten zehn Jahre ging es seltenen<br />
Vogelarten in Großbritannien anscheinend bedeutend<br />
besser als wesentlich häufigeren Arten.<br />
Eine von führenden Naturschutzorganisationen des<br />
Landes veröffentlichte Studie zum Status von 210 natürlicherweise<br />
in Großbritannien brütenden Vogelarten zeigt,<br />
dass bei fast 60 % der 63 seltenen Arten Bestandszunahmen<br />
zu verzeichnen sind. Bestandsabnahmen finden sich<br />
bei nur 28 % der seltenen Arten, in Kontrast dazu jedoch<br />
auch bei vier von zehn häufigen Vogelarten.<br />
Als „selten“ gelten Vogelarten mit weniger als 1000<br />
Brutpaaren. Zu den Arten, die sich gut entwickeln, zählen<br />
u. a. Fischadler, Wachtelkönig, Säbelschnäbler, Zaunammer<br />
und Triel – sie alle profitieren von intensiven<br />
Schutzmaßnahmen. Den Naturschutzerfolgen stehen Bestandsrückgänge<br />
häufiger Arten wie z. B. Bluthänfling,<br />
Nachtigall, Mauersegler, Feldlerche, Star, Haussperling,<br />
Turmfalke und Fitis gegenüber. Die Ursachen für die fallenden<br />
Bestandszahlen sind hierbei sehr unterschiedlich,<br />
von Veränderungen der Landnutzung im Brutgebiet bis<br />
hin zu Gefahren in den Überwinterungsräumen der ziehenden<br />
Arten.<br />
Die Naturschützer sind sich einig, dass mit gezielten<br />
Maßnahmen auch den häufigen Arten geholfen werden<br />
kann. Jetzt gilt es die Erfahrungen beim Schutz seltener<br />
Arten <strong>auf</strong> die überall anzutreffenden anzuwenden.<br />
Anita Schäffer<br />
Quelle: RSPB Presseinfo vom 28.10.2009<br />
Die Bestände vieler seltener Vogelarten wie z. B. der Zaunammer<br />
(hier ein Männchen) entwickeln sich in Großbritannien <strong>auf</strong>grund<br />
intensiver Schutzbemühungen positiv.<br />
Foto: M. Schäf.<br />
40 Der Falke 57, <strong>2010</strong>
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