Die kognitive Grundlage der Sprache: Sprache und Denken
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KAPITELl<br />
<strong>Die</strong> <strong>kognitive</strong> <strong>Gr<strong>und</strong>lage</strong> <strong>der</strong> <strong>Sprache</strong>:<br />
<strong>Sprache</strong> <strong>und</strong> <strong>Denken</strong><br />
1.0 Überblick<br />
<strong>Die</strong>ses erste Kapitel möchte den Leser mit einigen gr<strong>und</strong>legenden Aspekten von<br />
<strong>Sprache</strong> <strong>und</strong> Sprachwissenschaft vertraut machen. <strong>Sprache</strong> ist ein Mittel zur<br />
Kommunikation zwischen Menschen. Wie alle übrigen Kommunikationssysteme<br />
zeichnet sich auch <strong>Sprache</strong> durch den regelhaften Gebrauch von Zeichen aus. <strong>Die</strong><br />
systematische Untersuchung von Zeichen fällt in den Gegenstandsbereich <strong>der</strong><br />
Semiotik, die verbale <strong>und</strong> nonverbale Systeme sowohl menschlicher als auch tierischer<br />
Kommunikation analysiert.<br />
Man unterscheidet zwischen drei Zeichenarten, nämlich verweisenden Zeichen<br />
o<strong>der</strong> Indizes, abbildenden Zeichen o<strong>der</strong> Ikons, <strong>und</strong> konventionellen Zeichen,<br />
d.h. Symbolen. Den drei Zeichenarten liegen drei unterschiedliche <strong>kognitive</strong><br />
Strukturierungsprinzipien zugr<strong>und</strong>e, durch die Formen mit Inhalten in Beziehung<br />
gesetzt werden. Im Unterschied zu allen übrigen Zeichensystemen stützt sich die<br />
<strong>Sprache</strong> des Menschen auf alle drei Strukturierungsprinzipien; in ihr finden sowohl<br />
indexikalische als auch ikonische <strong>und</strong> symbolische Zeichen Verwendung. Der größte<br />
Teil <strong>der</strong> menschlichen <strong>Sprache</strong> besteht allerdings aus Symbolen.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Sprache</strong> ermöglicht es dem Menschen nicht nur zu kommunizieren, sie ist<br />
zugleich ein Medium <strong>und</strong> Spiegelbild seiner Vorstellungs- <strong>und</strong> Erfahrungswelt.<br />
<strong>Die</strong>se geht aus <strong>der</strong> Erfahrung des Menschen mit seiner Umwelt hervor <strong>und</strong> besteht<br />
aus Begriffen, die man auch als konzeptuelle Kategorien bezeichnet. Eine ganze<br />
Reihe dieser Begriffe bilden die <strong>Gr<strong>und</strong>lage</strong> für sprachliche Kategorien. <strong>Die</strong>s gilt<br />
aber bei weitem nicht für alle: konzeptuelle Kategorien machen einen viel<br />
größeren Teil <strong>der</strong> menschlichen Begriffswelt aus <strong>und</strong> sind damit umfassen<strong>der</strong> als das<br />
System <strong>der</strong> sprachlichen Zeichen. <strong>Die</strong> gewohnheitsmäßige, alltägliche<br />
Verwendung von Zeichen legt uns eine bestimmte Sichtweise auf unsere Umwelt<br />
nahe.<br />
1.1 Einleitung: Zeichensysteme<br />
Wir Menschen sind soziale Wesen. Wir wollen uns gegenseitig mitteilen, was in<br />
unseren Gedanken vor sich geht, was wir sehen, fühlen, glauben, wissen, was wir<br />
wollen o<strong>der</strong> was wir in diesem o<strong>der</strong> jenem Moment gerade tun. <strong>Die</strong>s können wir<br />
auf ganz unterschiedliche Art <strong>und</strong> Weise bewerkstelligen. So können wir etwa
2 SPRACHEUNDSPRACHWISSENSCHAFT<br />
unserem Erstaunen Ausdruck geben, indem wir die Augenbrauen hochziehen. Mit<br />
unseren Händen können wir Formen <strong>und</strong> Figuren andeuten, etwa wenn wir mit<br />
einem Zeigefinger die Form einer Wendeltreppe in <strong>der</strong> Luft nachzeichnen. Wir<br />
können unsere Gedanken aber auch zum Ausdruck bringen, indem wir sprechen.<br />
<strong>Die</strong>se verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten gewinnen für uns als Sprecher <strong>und</strong><br />
Hörer an Bedeutung, weil wir sie als „Zeichen für etwas" verstehen können.<br />
Durch ein Zeichen wird eine Form mit einer Bedeutung, o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s gesagt: eine<br />
Bedeutung mit einer bestimmten Form in Beziehung gesetzt. Zieht beispielsweise<br />
jemand seine Augenbrauen hoch, so kann das als ein Zeichen für sein Erstaunen<br />
verstanden werden. Schneuzt hingegen jemand seine Nase, so wird diesem<br />
Verhalten keine beson<strong>der</strong>e Bedeutung zugemessen - wir würden lediglich<br />
bemerken, daß sich diese Person aus irgendeinem Gr<strong>und</strong> die Nase geschneuzt hat.<br />
Doch auch das Naseschneuzen könnte zu einem Zeichen - sagen wir einmal für<br />
Protest - werden: man müßte sich nur auf diese Bedeutungszuordnung einigen. <strong>Die</strong>se<br />
Beispiele für Zeichen aus den Bereichen Mimik <strong>und</strong> Gestik sowie die durch<br />
Übereinkunft etablierte Verbindung einer Erscheinung mit einer Bedeutung<br />
illustrieren drei mögliche Zeichentypen: Index, Ikon <strong>und</strong> Symbol.<br />
Beginnen wir mit dem Index. Er zeigt auf etwas in seiner unmittelbaren Nähe<br />
(lat. = Index ,Zeigefinger'). Ein eindeutiges Beispiel für einen Index ist etwa ein<br />
Umleitungsschild o<strong>der</strong> ein Richtungsschild, das den Weg in die nächste Stadt, z.B. nach<br />
Berlin, weist. Beide Schil<strong>der</strong> haben eine für alle erkennbare Bedeutung:„hier entlang"<br />
bzw. „in dieser Richtung geht es nach Berlin". Bei indexikali-schen Zeichen<br />
stehen Form <strong>und</strong> Bedeutung in einer unmittelbaren Beziehung zueinan<strong>der</strong>, die man<br />
als Kontiguität bezeichnet. Bei <strong>der</strong> gesamten Körpersprache des Menschen, so auch<br />
bei mimischen Ausdrücken wie hochgezogenen Augenbrauen o<strong>der</strong> einer gekräuselten<br />
Stirn, handelt es sich um Indizes: sie werden als für jeden sichtbare Anzeichen für den<br />
Gemütszustand einer Person verstanden, in diesen beiden Fällen für Erstaunen bzw.<br />
Verärgerung. Ein weiteres indexikali-sches Zeichen ist z.B. ein schlingern<strong>der</strong> Gang -<br />
wir assoziieren unmittelbar, daß die so gehende Person offenbar volltrunken sein muß.<br />
Ein Ikon (griech. eikon = ,Replik/Abbildung').ist die sichtbare, hörbare o<strong>der</strong> auf<br />
sonstige Weise wahrnehmbare Darstellung <strong>der</strong> Sache, für die es steht. Ein ikonisches<br />
Zeichen ist <strong>der</strong> bezeichneten Sache auf gewisse Weise ähnlich. Wenn eine Straße an<br />
einer Schule vorbeiführt, so trifft man nicht selten auf ein Verkehrsschild, auf dem<br />
zwei Kin<strong>der</strong> abgebildet sind, die offenbar gerade die Straße überqueren. <strong>Die</strong>ses Schild<br />
soll die Autofahrer darauf aufmerksam machen, auf Schulkin<strong>der</strong> zu achten, die<br />
eventuell die Straße überqueren könnten. Natürlich ist das Schild <strong>der</strong> dargestellten<br />
Situation aus <strong>der</strong> Realität nur annähernd ähnlich, denn zu einem Zeitpunkt überquert<br />
vielleicht nur ein einzelnes Kind die Straße, zu einem an<strong>der</strong>en dann vielleicht eine<br />
ganze Schulklasse. Dennoch ist die Bedeutung des Verkehrsschildes allgemein<br />
erkennbar: „Achtung, möglicherweise überqueren Schulkin<strong>der</strong> die Fahrbahn". Im<br />
Straßenverkehr gibt es eine ganze Reihe von Schil<strong>der</strong>n, die vor eventuellen<br />
Gefahrensituationen warnen, indem sie in stilisierter Form Dinge abbilden, durch die<br />
bestimmte Gefahren verursacht werden könnten: Kühe, springende Rehe, Kröten.<br />
Darüber hinaus werden auch Abbildungen von Lastwagen, PKWs, Traktoren,<br />
Fahrrä<strong>der</strong>n, Flüssen, Brücken, herabfallenden Steinen, S-Kurven usw. eingesetzt. <strong>Die</strong>se<br />
stilisierten Abbildungen<br />
SPRACHE UND DENKEN 3<br />
sind <strong>der</strong> bezeichneten Sache in gewisser Weise ähnlich <strong>und</strong> damit ebenfalls Beispiele<br />
für Ikons.<br />
Eine weitere Zeichenart ist das Symbol. Im Unterschied zum Ikon <strong>und</strong> zum<br />
Index besteht bei einem Symbol zwischen <strong>der</strong> bezeichnenden Form <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
durch diese Form bezeichneten Bedeutung keine natürliche Verbindung. <strong>Die</strong> Zuordnung<br />
einer Form zu einer Bedeutung beruht nicht auf Kontiguität (wie bei<br />
einem Index) o<strong>der</strong> Ähnlichkeit (bei einem Ikon), son<strong>der</strong>n auf Übereinkunft<br />
(Konvention). Ein Beispiel für ein symbolisches Zeichen aus dem Zeichensystem<br />
Verkehrsschil<strong>der</strong> ist ein auf dem Kopf stehendes rotes Dreieck: zwischen dieser<br />
Form <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bedeutung „Vorfahrt achten!" gibt es keinen erkennbaren<br />
natürlichen Zusammenhang. Vielmehr hat man sich darauf geeinigt, daß mit dieser<br />
Form eine bestimmte Bedeutung assoziiert werden soll. Symbole wie militärische<br />
Embleme, das Eurozeichen Teil <strong>der</strong><br />
sprachlichen Zeichen beruhen auf Konvention. Zwischen <strong>der</strong> Wortform Erstaunen<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Bedeutung, die diese Form für uns hat, gibt es keinen erkennbaren<br />
natürlichen Zusammenhang - an<strong>der</strong>s als etwa hochgezogene Augenbrauen (ein<br />
indexikalisches Zeichen) vermag nichts an dieser sprachlichen Form direkt auf<br />
einen Gefühlszustand zu verweisen. In <strong>der</strong> Sprachwissenschaft versteht man unter<br />
einem Symbol ein Zeichen, bei dem Menschen die Übereinkunft getroffen haben,<br />
eine bestimmte Form mit einer bestimmten Bedeutung in Beziehung zu setzen.<br />
<strong>Die</strong>ses Verständnis von Symbol lehnt sich an die ursprüngliche Bedeutung des<br />
griechischen Wortes symbolon , Wie<strong>der</strong>erkennungszeichen' an. In <strong>der</strong> Antike<br />
verwendete man ein solches symbolon beispielsweise, um Gäste o<strong>der</strong> Fre<strong>und</strong>e<br />
auch noch nach langen Jahren wie<strong>der</strong>erkennen zu können. Man zerbrach etwa<br />
einen Ring in zwei Teile, um ihn dann bei einem Wie<strong>der</strong>sehen wie<strong>der</strong> passend<br />
zusammenfügen <strong>und</strong> damit den Fre<strong>und</strong> wie<strong>der</strong>erkennen zu können. <strong>Die</strong> beiden<br />
Hälften des Ringes bedeuten für sich genommen nichts, ihr Sinn ergibt sich erst,<br />
wenn sie wie<strong>der</strong> zusammengesetzt werden. Ähnlich wie mit einem solchen Ring<br />
verhält es sich auch mit <strong>der</strong> Form <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bedeutung eines sprachlichen Zeichens.<br />
<strong>Die</strong> Lehre von den Zeichen <strong>und</strong> den Zeichensystemen in ihren unterschiedlichsten<br />
Ausprägungen heißt Semiotik (griech. semeion ,Zeichen'). Das elaborierteste<br />
Zeichensystem, mit dem sich die Semiotik beschäftigt, ist die menschliche<br />
<strong>Sprache</strong>. Doch die Semiotik interessiert sich nicht nur für sprachliche Zeichen,<br />
son<strong>der</strong>n auch für an<strong>der</strong>e Formen menschlichen Kommunikationsverhaltens wie<br />
Gesten, Kleidung usw. Nicht nur <strong>der</strong> Mensch, auch Tiere können unter Umständen<br />
mittels sehr ausgefeilter Zeichensysteme miteinan<strong>der</strong> kommunizieren: Bienen<br />
signalisieren einan<strong>der</strong> durch komplexe Muster von Tänzelbewegungen die<br />
Richtung, Entfernung <strong>und</strong> Größe einer Honigquelle; Affen verwenden ein<br />
Kommunikationssystem aus neun verschiedenen Schreien, um die Größe einer<br />
möglichen Gefahr <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Entfernung anzuzeigen; <strong>und</strong> Wale verwenden ein<br />
System aus ,Lie<strong>der</strong>n 4 , <strong>der</strong>en Entschlüsselung die Meeresbiologen bis heute vor ein<br />
Rätsel stellt. Bei aller Komplexität sind diese tierischen Zeichensysteme in ihren<br />
Möglichkeiten doch auch stark eingeschränkt, denn sie alle bestehen nahezu<br />
ausschließlich aus indexikalischen Zeichen, die eine unmittelbare Nähe des durch sie<br />
bezeichneten Gegenstandes voraussetzen. So kann eine Honigbiene zwar einer<br />
an<strong>der</strong>en Biene Informationen über in ihrer Nähe befindlichen Honig mittei-
4 SPRACHEUNDSPRACHWISSENSCHAFT<br />
len, sie kann jedoch nicht zum Ausdruck bringen, wieviel Honig vielleicht in Zukunft<br />
zu erwarten ist. <strong>Die</strong> Reichweite dieser indexikalischen Zeichen ist zudem auf die<br />
horizontale Dimension eingeschränkt. <strong>Die</strong>s zeigte ein Experiment in Pisa, bei dem<br />
man an <strong>der</strong> Spitze des Schiefen Turmes eine Honigquelle angebracht hatte: die<br />
oben am Turm freigelassenen Bienen vermochten es nicht, an<strong>der</strong>en Bienen am<br />
Fuße des Turmes Informationen über diese Honigquelle zuzutragen.<br />
Zwischen den drei Zeichenarten Index, Ikon <strong>und</strong> Symbol besteht ein klarer<br />
Unterschied: sie können unterschiedliche Grade <strong>der</strong> Abstraktheit erreichen.Indexikalische<br />
Zeichen sind in dieser Hinsicht die , primitivsten' <strong>und</strong> eingeschränktesten<br />
Zeichen: ihre Bedeutung ist an das ,Hier' <strong>und</strong> Jetzt' <strong>der</strong> jeweiligen Situation<br />
geb<strong>und</strong>en. Auch in menschlicher Kommunikation sind sie weit verbreitet: vor<br />
allem in <strong>der</strong> Körpersprache <strong>und</strong> bei Verkehrsschil<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> auch auf an<strong>der</strong>en Gebieten<br />
menschlichen Zusammenlebens, wie etwa in <strong>der</strong> Werbung. So sind die meisten<br />
kommerziellen Produkte ansich nur wenig attraktiv.Um ihre Attraktivität zu erhöhen,<br />
versuchen Werbefachleute, sie mit einer für die potentiellen Käufer attraktiveren Welt<br />
in Verbindung zu bringen. Wenn dies gelingt, dann verweisen beispielsweise<br />
Marlboro-Zigaretten aufgr<strong>und</strong> des indexikalischen Prinzips auf das abenteuerliche<br />
Leben des amerikanischen Cowboys in Marlboro Country. Im Vergleich zu Indizes<br />
erreichen ikonische Zeichen einen höheren Grad <strong>der</strong> Abstraktheit <strong>und</strong> sind deshalb<br />
auch komplexer. Um sie zu verstehen, muß ihre Ähnlichkeit mit dem Bezeichneten<br />
erkannt werden, d.h. <strong>der</strong> Betrachter muß die ikonische Verbindung zwischen Form<br />
<strong>und</strong> Bedeutung bewußt herstellen können. Ikonische Darstellungen können <strong>der</strong><br />
dargestellten Sache in hohem Maße ähnlich sein. So etwa bei Abbildungen von<br />
Heiligen, wie sie in <strong>der</strong> russischen bzw. in <strong>der</strong> griechisch-orthodoxen Kirche verehrt<br />
werden. <strong>Die</strong> Abbil<strong>der</strong> können aber auch stark abstrakt sein - wie im Falle von<br />
Piktogrammen, d.h. den stilisierten Abbildungen von Männern <strong>und</strong> Frauen, Autos<br />
o<strong>der</strong> Flugzeugen usw. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e kommen auch ikonische Zeichen in<br />
tierischen Kommunikationssystemen höchstwahrscheinlichnicht vor.<br />
Im Vergleich zu Indizes <strong>und</strong> Ikons weisen Symbole den höchsten Grad an<br />
Abstraktheit auf. Symbolische Zeichen sind deshalb auch nur in menschlichen<br />
Kommunikationssystemen zu finden. Sowohl indexikalische als auch ikonische<br />
Zeichen allein können den kommunikativen Bedürfnissen <strong>der</strong> Menschen nicht<br />
hinreichend gerecht werden, denn diese gehen weit über das Zeigen auf Dinge in<br />
unmittelbarer Nähe bzw. über das bloße Abbilden von Dingen hinaus. Wir Menschen<br />
wollen auch über Ereignisse kommunizieren, die in <strong>der</strong> Vergangenheit o<strong>der</strong>in <strong>der</strong><br />
Zukunft liegen, ebenso wie über Objekte inweiter Ferne <strong>und</strong> über Phanta siegebilde<br />
o<strong>der</strong> auch über unsere Gefühle, Sehnsüchte, Enttäuschungen <strong>und</strong> Hoffnungen usw.<br />
<strong>Die</strong>se Funktionen können nur durch Symbole erfülltwerden. Sie wurden von<br />
Menschen überall auf <strong>der</strong> Welt erf<strong>und</strong>en, um sich über alle möglichen Themen<br />
verständigen zu können. Das elaborierteste Zeichensystem, in dem alle drei<br />
Zeichenarten (mitunter auch in Kombination) zu finden sind, ist die menschliche<br />
<strong>Sprache</strong> in all ihren Erscheinungsformen. Ihre universalste Form ist gesprochene<br />
<strong>Sprache</strong>. Auf einer gewissen Stufe <strong>der</strong> Zivilisation <strong>und</strong> <strong>der</strong> geistigen Entwicklung hat<br />
sich dann schließlich auch die Schriftsprache entwickelt. Selbst wenn Menschen<br />
aufgr<strong>und</strong> von Behin<strong>der</strong>ungen die Laute einer <strong>Sprache</strong> nicht hören können, so sind sie<br />
dennoch in <strong>der</strong> Lage, mittels Symbolen zu kommunizie-<br />
SPRACHE UND DENKEN<br />
ren: Gehörlose haben mit <strong>der</strong> Gebärdensprache eine Form <strong>der</strong> menschlichen<br />
<strong>Sprache</strong> geschaffen, die nicht auf Lautformen angewiesen ist. <strong>Die</strong> Gesten <strong>der</strong><br />
Gebärdensprache beruhen weitestgehend auf Konvention <strong>und</strong> werden mit bestimmten<br />
Bedeutungen assoziiert.<br />
Abbildung 1: Beziehung von Form<strong>und</strong> Bedeutungbei Index, Ikon <strong>und</strong> Symbol<br />
Iko n<br />
<br />
Bedeutung<br />
I n d e x<br />
-+><br />
Bedeutung<br />
Kontiguität<br />
Ähnlichkeit<br />
Konvention<br />
Fassen wir anhand von Abbildung l nochmals zusammen. <strong>Die</strong> drei Zeichenarten<br />
Index, Ikon <strong>und</strong> Symbol spiegeln gr<strong>und</strong>legende <strong>kognitive</strong> Prinzipien wi<strong>der</strong>, durch<br />
die Formen mit Bedeutungen in Beziehung gesetzt werden können. Indexikalische<br />
Zeichen stellen das gr<strong>und</strong>legendste Prinzip dar: bei ihnen stützt sich die Zuordnung<br />
von Form <strong>und</strong> Bedeutung auf Kontiguität, d.h. auf die zeitliche o<strong>der</strong> räumliche<br />
Nähe zwischen Bezeichnendem (<strong>der</strong> Form) <strong>und</strong> Bezeichnetem (<strong>der</strong> Bedeutung).<br />
Dinge, die in unserer Vorstellung nahe beieinan<strong>der</strong> liegen, können dabei für<br />
einan<strong>der</strong> stehen: so verbinden wir oftmals einen Künstler sehr stark mit seinem<br />
Werk <strong>und</strong> versprachlichen diese Relation in Form von Äußerungen wie Am<br />
stärksten haben mich die Picassos beeindruckt. Ikonische Zeichen beruhen auf<br />
einem stärker verallgemeinernden <strong>und</strong> damit abstrakteren Prinzip: hier steht ein<br />
Abbild <strong>der</strong> Sache für die Sache selbst. <strong>Die</strong>ses Prinzip machen sich Bauern schon<br />
seit Jahrhun<strong>der</strong>ten zunutze, indem sie in ihren Fel<strong>der</strong>n Vogelscheuchen aufstellen,<br />
<strong>der</strong>en Form einem Bauern mit einer Mistgabel ähnelt. <strong>Die</strong> Vögel nehmen diese<br />
Nachbildungen als reale Feinde wahr <strong>und</strong> werden so abgeschreckt. Symbolische<br />
Zeichen schließlich ermöglichen es dem menschlichen <strong>Denken</strong>, über die Grenzen<br />
<strong>der</strong> Kontiguität <strong>und</strong> Ähnlichkeit hinaus konventionelle Beziehungen zwischen je<strong>der</strong><br />
beliebigen Form <strong>und</strong> je<strong>der</strong> beliebigen Bedeutung herzustellen. Auf diese Weise<br />
kann eine Rose für „Liebe" o<strong>der</strong> eine Eule für „Weis heit" stehen. <strong>Die</strong>se drei<br />
<strong>kognitive</strong>n Prinzipien <strong>der</strong> Indexikalität, Ikonizität <strong>und</strong> Symbolizität stellen die<br />
gr<strong>und</strong>legenden Strukturmomente von <strong>Sprache</strong> dar, auf die im folgenden Abschnitt<br />
etwas genauer eingegangen werden soll.<br />
1.2 Strukturierungsprinzipien in <strong>der</strong> <strong>Sprache</strong><br />
7.2.7 Das indexikalische Prinzip<br />
S y m b o l<br />
Der menschliche Geist besteht nur in einem <strong>und</strong> durch einen Körper. <strong>Die</strong> Körperwahrnehmung<br />
des Menschen bildet die <strong>Gr<strong>und</strong>lage</strong> für seine Orientierung im<br />
Raum. Wir Menschen nehmen uns deshalb als Mittelpunkt <strong>der</strong> Weltwahr: alles
6 SPRACHEUNDSPRACHWISSENSCHAFT<br />
um uns herum erfahren wir mit Bezug auf unseren Körper. <strong>Die</strong>se egozentrische<br />
Weltsicht schlägt sich auch in unserer <strong>Sprache</strong> nie<strong>der</strong>. Wenn wir miteinan<strong>der</strong><br />
sprechen, so dient uns unser Standpunkt in Raum <strong>und</strong> Zeit als Referenzpunkt, um<br />
an<strong>der</strong>e gedankliche Einheiten im Raum o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Zeit zu lokalisieren. Unseren<br />
Standpunkt bezeichnen wir mit hier, den Zeitpunkt unseres Sprechens mit jetzt.<br />
Wenn etwa jemand sagt Mein Nachbar ist jetzt hier, so weiß <strong>der</strong> Hörer dieser<br />
Äußerung, daß hier den Ort bezeichnet, an dem sich <strong>der</strong> Sprecher befindet, <strong>und</strong> daß<br />
jetzt sich auf den Zeitpunkt seines Sprechens bezieht. Das trifft selbst dann zu,<br />
wenn es für Hörer <strong>und</strong> Sprecher eine große Differenz in Raum <strong>und</strong> Zeit gibt (z.B.<br />
bei einem transatlantischen Briefwechsel). Von unserem Standpunkt aus entfernte<br />
Orte bezeichnen wir mit da, o<strong>der</strong> bei größerer Entfernung auch mit da drüben. In<br />
ähnlicher Weise bezeichnen wir Zeitpunkte, die vom Zeitpunkt des Sprechens<br />
abweichen, mit dann. Sowohl Zeitpunkte in <strong>der</strong> Vergangenheit (Dann wan<strong>der</strong>te er<br />
nach Australien aus) als auch in <strong>der</strong> Zukunft (Dann wird er nach Australien<br />
auswan<strong>der</strong>n) können wir so bezeichnen. Wörter wie hier, da, jetzt, dann, heute,<br />
morgen, dies, das, kommen <strong>und</strong> gehen sowie auch die Personalpronomen ich, du, wir<br />
werden als deiktische Ausdrücke bezeichnet (griech. deiktos, dei-knumi,zeigen' ).<br />
Deiktika sind immer auf die Perspektive des Sprechers bezogen, aus <strong>der</strong> heraus dieser<br />
die Welt sieht. Sie sind somit von <strong>der</strong> Situation abhängig, in <strong>der</strong> sie verwendet<br />
werden. Nehmen wir einmal an, in einem Zugabteil habe jemand ein Flugblatt mit<br />
dem folgenden Aufruf liegengelassen: Großdemonstration gegen Sozialkürzungen.<br />
Treffpunkt: Morgen, zehn Uhr, hier\ Wir wissen we<strong>der</strong> an welchem Ort, noch zu<br />
welcher Zeit dieser Zettel ausgeteilt wurde. Ohne ein Wissen um den situativen<br />
Kontext fehlt uns jeglicher Referenzpunkt, <strong>der</strong> zur Interpretation <strong>der</strong> deiktischen<br />
Ausdrücke in diesem Demonstrationsaufruf notwendig ist. Der Handzettel macht für<br />
uns deshalb keinenSinn.<br />
Das Ego des Sprechers stellt aber nicht nur bei <strong>der</strong> Beschreibung von Ereignissen<br />
das deiktische Zentrum dar, von dem aus dieser die Welt betrachtet. Auch wenn er<br />
die Anordnung von Dingen im Raum bezeichnen will, so lokalisiert er diese mit Bezug<br />
auf sein Ego als deiktisches Zentrum. Selbst Dinge, die im Vergleich zum Sprecher<br />
sehr viel größer sind, werden vom Standpunkt des Sprechers aus gesehen <strong>und</strong><br />
bezeichnet. So sprechen wir normalerweise von unserer Umgebung („alles, was uns<br />
umgibt") <strong>und</strong> unserer f/mwelt („die Welt um uns herum") <strong>und</strong>machen damit uns selbst<br />
<strong>und</strong> nicht etwa die doch viel größere Welt zum Bezugspunkt. Wenn wir die<br />
Aufmerksamkeit des Hörers in beson<strong>der</strong>em Maße auf die Welt lenken wollen, so<br />
können wir allerdings auch die Welt zum Referenzpunkt machen - wie etwa in dem<br />
folgenden Titel einer Fernsehsendung über Umweltschutz: Globus - die Welt, in <strong>der</strong><br />
wir leben. Wir sind also nicht gezwungen, immer eine egozentrische Perspektive<br />
einzunehmen, sie wird uns aber oft durch unsere <strong>Sprache</strong> nahegelegt. Ebenso gut kann<br />
sich ein Sprecher auch in die Perspektive des Hörers versetzen <strong>und</strong> ihn ausdrücklich<br />
zum deiktischen Zentrum seiner Äußerung werden lassen. Für Touristenführer bei<br />
Stadtr<strong>und</strong>fahrten ist diese Verschiebung des deiktischen Zentrums durchaus die<br />
Regel: Zu Ihrer Rechten sehen Sie das mittelalterliche Kloster.<br />
Das Ego dient auch als deiktisches Zentrum, um Dinge in bezug auf an<strong>der</strong>e<br />
Dinge zu lokalisieren. Wenn <strong>der</strong> Sprecher in Abb. 2a sagt Das Fahrrad steht<br />
hinter dem Baum, so zieht er in Gedanken eine Orientierungslinie von seinem<br />
SPRACHE UND DENKEN<br />
Standpunkt aus zum Baum <strong>und</strong> lokalisiert dann das Fahrrad in Abhängigkeit von<br />
seinem Standpunkt auf dieser Linie als hinter dem Baum.<br />
Abbildung 2. Deiktische Orientierung (a, b) <strong>und</strong> intrinsische Orientierung (c, d)<br />
a. Das Fahrrad hinter dem Baum<br />
b. Das Fahrrad vor dem Baum<br />
c. Das Fahrrad vor dem Auto d. Das Fahrrad hinter dem Auto<br />
<strong>Die</strong>se intrinsische Orientierung, die wir von<br />
Menschen geschaffenen Artefakten wie dem Auto in den Abbildungen (2c) <strong>und</strong><br />
(2d) zumessen, geht wie<strong>der</strong>um auf unsere Erfahrung mit <strong>der</strong> räumlichen<br />
Ausdehnung unseres Körpers zurück: sitzt <strong>der</strong> Fahrer im Auto, so sind die<br />
Vor<strong>der</strong>seite des Fahrers <strong>und</strong> die Vor<strong>der</strong>seite des Wagens in gleicher Richtung<br />
orientiert: rechts vom Fahrer befindet sich die rechte, links vom Fahrer die linke<br />
Seite des Autos. <strong>Die</strong> Rückseite des Autos ist auch für den Fahrer hinten. So wie<br />
wir in bezug auf unseren Körper von vorne, hinten, oben, unten, <strong>der</strong> linken <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> rechten Seite sprechen, so nehmen wir auch für Hemden, Stühle, Autos,<br />
Häuser, Schränke <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Artefakte jeweils eine intrinsische Orientierung an.<br />
Wir benutzen diese Dinge richtungsgeb<strong>und</strong>en mit Bezug auf unsere eigene Vor<strong>und</strong><br />
Rückorientierung. <strong>Die</strong>se Artefakte haben deshalb für uns eine vor<strong>der</strong>e,<br />
hintere, linke <strong>und</strong> rechte Seite, ein Oben <strong>und</strong> ein Unten, die von <strong>der</strong> Perspektive<br />
des Sprechers unabhängig ist.<br />
Auf einer viel gr<strong>und</strong>legen<strong>der</strong>en Ebene übertragen wir unsere egozentrische<br />
Orientierung auf den Menschen an sich. <strong>Die</strong> psychologische Nähe, die wir zu<br />
unseren Mitmenschen spüren, führt zu einer anthropozentrischen Perspektive<br />
(griech. anthropos ,Mensch 4 ). Unsere anthropozentrische Orientierung beruht auf<br />
<strong>der</strong> Tatsache, daß wir in erster Linie an unseren Mitmenschen interessiert sind,<br />
an ihren Handlungen, ihren Gedanken, ihren Erfahrungen, ihrem Besitz, ihren
Bewegungen usw. Bei <strong>der</strong> Beschreibung von Ereignissen nehmen Menschen<br />
deshalb stets eine privilegierte Stellung ein: wenn wir ein Ereignis beschreiben, in<br />
dem in irgendeiner Weise ein Mensch vorkommt, so wird dieser
8 SPRACHEUNDSPRACHWISSENSCHAFT<br />
tendenziell zuerst genannt. Er bildet typischerweise das Subjekt des Satzes. <strong>Die</strong><br />
folgenden Beispiele haben alle ein menschliches Subjekt <strong>und</strong> machen deutlich,<br />
wie wir üblicherweise Ereignisse o<strong>der</strong> Zustände beschreiben:<br />
(1) a. Der Streber kennt das Gedicht natürlich mal wie<strong>der</strong> in- <strong>und</strong> auswendig, b.<br />
Karl hätte gerne noch ein Stück Kuchen gegessen, c. Ich habe schon wie<strong>der</strong><br />
meine Kontaktlinsen verloren.<br />
Eine nicht-menschliche Einheit wird nur dann einer menschlichen als Subjekt des<br />
Satzes vorgezogen, wenn sie beson<strong>der</strong>s in den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> gestellt werden soll.<br />
Wenn beispielsweise ein Lehrer den Wissensabstand zu seinen Schülern hervor heben<br />
will, so könnte ersagen: Morgen muß dieses Gedicht aber von jedem hier in- <strong>und</strong><br />
auswendig gekanntwerden. Da es aber sehr unwahrscheinlich ist, daß wir uns von<br />
uns selbst (<strong>und</strong> in diesem Fall von unseren Kenntnissen) distanzieren wollen,<br />
werden wir kaum sagen: *<strong>Die</strong>ses Gedicht wird von mir in- <strong>und</strong> auswendig gekannt<br />
(ein vorangestelltes * Sternchen markiert einen sprachlichen Ausdruck als nicht<br />
akzeptabel). Satz (Ib) läßt nur ein menschliches Subjekt zu, <strong>und</strong> auch (Ic) läßt sich<br />
vielleicht noch als ? Meine Kontaktlinsen sind mir schonwie<strong>der</strong> verlorengegangen,<br />
aber wohl kaum als *Meine Kontaktlinsen wurden schon wie<strong>der</strong> von mir verloren<br />
konstruieren.<br />
Auch in an<strong>der</strong>en Bereichen <strong>der</strong> Grammatik erhält <strong>der</strong> Mensch eine beson<strong>der</strong>s<br />
herausragende Rolle. <strong>Die</strong>se kann in den Grammatiken verschiedener <strong>Sprache</strong>n<br />
ähnlich, aber auch ganz unterschiedlich hervortreten. So wird sowohl im Englischen<br />
als auch im Deutschen bei <strong>der</strong> Verwendung von Personalpronomen viel stärker<br />
differenziert, wenn auf Menschen Bezug genommen wird als beim Bezug auf Dinge.<br />
Für Menschen gibt es je zwei grammatische Personenim Singular <strong>und</strong>Plural, die für<br />
die sprechende (ich, wir) <strong>und</strong> die angesprochene (natürliche) Person (du, ihr)<br />
reserviert sind. Für die besprochenen Dinge (<strong>und</strong> Personen) gibt es jeweils nur eine<br />
Person im Singular <strong>und</strong> im Plural (er, sie, es). Im Englischen wird durch beson<strong>der</strong>e<br />
Personalpronomen zwischen männlichen <strong>und</strong> weiblichen Personen differenziert (he<br />
bzw. she), für Dinge steht lediglich ein Pronomen zur Verfugung (//). Zudem gibt es<br />
spezielle Frage- <strong>und</strong> Relativpronomen, die sich auf Menschen, <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e, die sich auf<br />
nicht-menschliche Einheiten beziehen (who, whom fürPersonen gegenüber which für<br />
Sachen).<br />
Außerdem findet sich im Englischen auch noch eine beson<strong>der</strong>e besitzanzeigende<br />
Form für Menschen (the man's coat, aber nicht *the house's roof son<strong>der</strong>n<br />
the roof of the house). Ähnliches findet sich zunehmend auch in <strong>der</strong> deutschen<br />
Umgangssprache; neben dem standardsprachlichen das Haus des Vaters bzw. das<br />
Haus vom Vater ist in bestimmten sozialen Gruppen auch dem Vater sein Haus<br />
gebräuchlich, nicht aber *dem Haus seine Tür.<br />
1.2.2 Das ikonischePrinzip<br />
Von Ikonizität o<strong>der</strong> Abbildhaftigkeit spricht man, wenn zwischen einer sprachlichen<br />
Form <strong>und</strong> <strong>der</strong> von ihr bezeichneten Sache Ähnlichkeiten bestehen. Man<br />
unterscheidet drei unterschiedliche Prinzipien <strong>der</strong> Ikonizität: das Abfolgeprinzip, das<br />
Distanzprinzip sowie das Quantitätsprinzip.<br />
SPRACHE UND DENKEN 9<br />
Das Abfolgeprinzip stellt eine Ähnlichkeitsbeziehung zwischen zeitlichen<br />
Ereignissen in unserer Erfahrung <strong>und</strong> <strong>der</strong> linearen Abfolge von sprachlichen<br />
Formen in einer sprachlichen Konstruktion her. Es kann in seiner einfachsten Erscheinungsform<br />
die Abfolge von zwei o<strong>der</strong> mehr Teilsätzen bestimmen. Nehmen<br />
wir nur einmal die geschichtsträchtigen Worte des römischen Feldherrn Julius<br />
Cäsar Veni, vidi, vici ,Ich kam, sah <strong>und</strong> siegte 4 . <strong>Die</strong> Abfolge <strong>der</strong> Teilsätze entspricht<br />
<strong>der</strong> Abfolge <strong>der</strong> wirklichen Ereignisse, die mit ihnen beschrieben werden.<br />
O<strong>der</strong> noch ein Beispiel: Zirkusleute o<strong>der</strong> Schausteller locken ihr Publikum mit<br />
Slogans wie: Kommen, sehen, staunen: zuerst geht man in den Zirkus, dann sieht<br />
man die Auftritte, <strong>und</strong> durch das Zuschauen wird man ins Staunen versetzt. Würde<br />
man die Anordnung dieser einzelnen Teilsätze än<strong>der</strong>n, so erhielte man mehr o<strong>der</strong><br />
weniger unsinnige Sätze (*ich siegte, kam <strong>und</strong> sah', * staunen, kommen, sehen). In<br />
an<strong>der</strong>en Kontexten mag eine Umstellung aber durchaus möglich sein.<br />
Än<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> linearen Anordnung von Teilsätzen bringen dann automatisch<br />
eine verän<strong>der</strong>te Darstellung <strong>der</strong> erfahrenen Ereignissequenz mit sich:<br />
(3) a. Claudia heiratete <strong>und</strong> bekam ein Kind,b.<br />
Claudia bekam ein Kind <strong>und</strong> heiratete.<br />
<strong>Die</strong> koordinierende Konjunktion <strong>und</strong> sagt für sich genommen noch nichts über<br />
die Abfolge <strong>der</strong> Ereignisse aus, die sie miteinan<strong>der</strong> verknüpft. <strong>Die</strong> natürliche Abfolge<br />
<strong>der</strong> Ereignisse wird durch die Anordnung <strong>der</strong> beiden Teilsätze in sprachlicher<br />
Form abgebildet. Setzen wir anstelle <strong>der</strong> beiordnenden Konjunktion <strong>und</strong> die<br />
temporale Konjunktion bevor bzw. nachdem ein, so kann ein <strong>und</strong> dasselbe Ereignis<br />
entwe<strong>der</strong> ikonisch (4a, 5a) o<strong>der</strong> nicht-ikonisch (4b, 5b) versprachlicht werden:<br />
(4) a. Claudia heiratete, bevor sie ihr Kind bekam, (ikonisch) b. Bevor<br />
sie ihr Kind bekam, heiratete Claudia.<br />
(5) a. Nachdem Claudia geheiratet hatte, bekam sie ein Kind, (ikonisch) b.<br />
Claudia bekam ein Kind, nachdemsie geheiratet hatte.<br />
Auch die innere Struktur von Sätzen kann auf dem ikonischen Prinzip <strong>der</strong> sequentiellen<br />
Abfolge beruhen. <strong>Die</strong> Beispielsätze in (6a) <strong>und</strong> (6b) bestehen aus<br />
denselben Wörtern, haben aber durch die jeweils unterschiedliche Stellung des<br />
Adjektivs grün unterschiedliche Bedeutungen.<br />
(6) a. Peter strich diegrüne Türe an. b.<br />
Peter strich die Türe grün an.<br />
In (6a) war die Türe bereits grün, bevor Peter sie anstrich. Mit welcher Farbe er sie<br />
überstrich, läßt sich aus diesem Satz nicht erkennen. In (6b) hingegen ist die<br />
ursprüngliche Farbe <strong>der</strong> Türe nicht näher bestimmt. Hier ist die Farbe nach dem<br />
Streichen bezeichnet: nachdem Peter die Türe angestrichen hatte, war sie grün. Im<br />
Deutschen werden Adjektive in <strong>der</strong> Regel dem Substantiv, das sie näher bezeichnen,<br />
vorangestellt (6a). Wird das Adjektiv nachgestellt (6b), so spiegelt die-
10 SPRACHE UND SPRACHWISSENSCHAFT<br />
se Stellung nach dem Prinzip <strong>der</strong> Ikonizität das Ergebnis <strong>der</strong> Ereignissequenz<br />
wi<strong>der</strong> - im vorliegenden Fall die Farbe <strong>der</strong> Türe nach dem Anstreichen. Auch die<br />
sequentielle Anordnung von Einzelelementen in zweiteiligen Wendungen folgt<br />
dem ikonischen Prinzip <strong>der</strong> Abfolge, d.h. die lineare Abfolge <strong>der</strong> sprachlichen<br />
Formen entspricht <strong>der</strong> temporalen Abfolge <strong>der</strong> Ereignisse:<br />
(7) a. jetzt o<strong>der</strong> nie, früher o<strong>der</strong> später, Tag <strong>und</strong> Nacht,von früh bis spät.<br />
b. Ursache<strong>und</strong>Wirkung, ParkandRide, einKommen<strong>und</strong> Gehen, Geben <strong>und</strong><br />
Nehmen, werzuerst kommt, mahlt zuerstetc.<br />
<strong>Die</strong> Anordnung <strong>der</strong> einzelnen Wörter in diesen Beispielen ist in <strong>der</strong> Regel nicht<br />
umkehrbar - niemand würde von *nie o<strong>der</strong> jetzt, *später o<strong>der</strong> früher, o<strong>der</strong> gar von<br />
* Wirkung <strong>und</strong> Ursache reden. <strong>Die</strong> zweiteiligen Ausdrücke in (7) beziehen sich<br />
entwe<strong>der</strong> auf rein zeitliche Abläufe, durch die die Abfolge <strong>der</strong> sprachlichen Formen<br />
bestimmt werden (7a), o<strong>der</strong> auf Ereignisse, die wir immer wie<strong>der</strong> als in dieser<br />
Reihenfolge ablaufend erfahren o<strong>der</strong> erwarten <strong>und</strong> die wir dieser Erfahrung<br />
entsprechend auch sprachlich so anordnen. Kehren wir in <strong>der</strong> Beschreibung von<br />
zeitlichen Abfolgen die Anordnung <strong>der</strong> Elemente um, so kann damit eine<br />
beson<strong>der</strong>e Bedeutung ausgedrückt werden. Normalerweise würde man immer von<br />
Tag <strong>und</strong> Nacht (Für dieses Auto habe ich Tag <strong>und</strong> Nacht geschuftet), nicht aber von<br />
' Nacht <strong>und</strong> Tagreden - es sei denn, <strong>der</strong> Sprecher will beson<strong>der</strong>s hervorheben,<br />
welche bedeutungsvolle Rolle die Nacht für ihn spielt - wie etwa Frank Sinatra in<br />
seinem Song Night andDay.<br />
Ein weiteres Beispiel für das ikonische Prinzip <strong>der</strong> Abfolge ist die Wortstellung<br />
von Subjekt, Verb <strong>und</strong> Objekt in Sätzen. In nahezu allen <strong>Sprache</strong>n <strong>der</strong> Welt steht im<br />
Satz als Normalfall das Subjekt vor dem Objekt. Theoretisch gesehen können<br />
Subjekt (S), Verb (V) <strong>und</strong> Objekt (O) in einem einfachen Aussagesatz in sechs<br />
verschiedenen Kombinationen auftreten: SVO, SOV, VSO, OSV, OVS, VOS.<br />
Davon sind allerdings die ersten drei Wortstellungsmuster (8a-c) am gebräuchlichsten.<br />
(8) a. SVO: DerAnwaltschrieb denBrief. Engl. TheLawyer<br />
wrote the letter. b. SOV: (Er weiß, daß) <strong>der</strong> Anwalt den<br />
Brief schrieb.<br />
* (Heknows that) the lawyer the letter wrote c.<br />
VSO: (Endlich) schrieb <strong>der</strong> Anwalt den Brief.<br />
*Finally wrote the lawyer the letter.<br />
Sowohl im Englischen als auch in den romanischen <strong>Sprache</strong>n besteht innerhalb<br />
des Satzes eine feste Wortstellung: wie die direkten Übersetzungsversuche in<br />
(8b) <strong>und</strong> (8c) zeigen, ist im Englischen nur SVO möglich. Deutsch, Nie<strong>der</strong>län disch<br />
<strong>und</strong> die skandinavischen <strong>Sprache</strong>n lassen auch die übrigen Wortstellungsmöglichkeiten<br />
zu: SVO tritt in Hauptsätzen (8a), SOV in Nebensätzen (8b) <strong>und</strong><br />
VSO nach Adverbien auf (8c).<br />
Was ist aber nun an diesem Phänomen ikonisch? In den <strong>Sprache</strong>n dieser<br />
Welt tritt das Subjekt im Satz überwiegend vor dem Objekt auf. <strong>Die</strong>se Anordnung<br />
ist durch die Art <strong>und</strong> Weise motiviert, wie wir Menschen die interne Struk-<br />
SPRACHEUNDDENKEN 11<br />
tur von Ereignissen wahrnehmen. <strong>Die</strong> agierende Einheit findet im Satz durch das<br />
Subjekt Ausdruck, darauf folgt die Aktion des Subjekts, gefolgt von den Auswirkungen<br />
dieser Aktion, die mit dem Objekt verb<strong>und</strong>en werden.<br />
Das Abstandsprinzip bildet sprachlich ab, in welchem konzeptuellen Abstand<br />
Dinge für uns stehen. Dinge, die konzeptuell als zusammengehörig wahrgenommen<br />
werden, treten tendenziell auch in <strong>der</strong> sprachlichen Form nah beieinan<strong>der</strong><br />
auf, während Dinge, die für uns konzeptuell nicht zusammengehören, in<br />
<strong>der</strong> sprachlichen Äußerung in einer gewissen Distanz zueinan<strong>der</strong> stehen:<br />
(10) a. Rumpelstilzchen heiratet die Prinzessin.<br />
b. Rumpelstilzchen wirddie Prinzessin heiraten.<br />
c. Rumpelstilzchen hofft, die Prinzessin zu heiraten.<br />
d. Rumpelstilzchen träumtdavon, diePrinzessin zuheiraten.<br />
In (10a) stehen das Subjekt Rumpelstilzchen <strong>und</strong> dessen Handlung sowie das Akkusativobjekt,<br />
auf das sich diese Handlung bezieht, unmittelbar beieinan<strong>der</strong>. <strong>Die</strong><br />
Handlung wird vollzogen. In (lOb) tritt das Vollverb in Entfernung zum Subjekt,<br />
<strong>und</strong> das Hilfsverb wird zum Anzeiger für eine mögliche Handlung in <strong>der</strong> Zukunft -<br />
aller Wahrscheinlichkeit nach wird die Handlung stattfinden. In (lOc) <strong>und</strong> (lÖd)<br />
wird <strong>der</strong> Vollzug <strong>der</strong> Handlung zunehmend irrealer. In <strong>der</strong> sprachlichen Form des<br />
Ausdrucks schlägt sich das in zunehmendem Abstand zwischen dem Subjekt,<br />
dem Objekt <strong>und</strong> dem Verb nie<strong>der</strong>.<br />
Ein weiteres Beispiel für ikonische Distanz ist die Wahl zwischen Dativobjekt<br />
<strong>und</strong> präpositionalem Akkusativobjekt im folgenden Satz:<br />
(11) a. Romeo schickte seiner Fre<strong>und</strong>in einen Liebesbrief, b.<br />
Romeo schickte einen Liebesbriefe« seine Fre<strong>und</strong>in.<br />
In (lla) ist seine Fre<strong>und</strong>in als Empfänger des Briefes direkt von <strong>der</strong> Handlung<br />
Romeos betroffen; aus <strong>der</strong> unmittelbaren Nähe des indirekten Objekts seiner<br />
Fre<strong>und</strong>in zum Subjekt Romeo <strong>und</strong> seiner Handlung schicken erkennen wir, daß sie<br />
den Brief auch erhalten hat. In (llb) steht zwischen <strong>der</strong> Handlung Romeos<br />
(schicken) <strong>und</strong> seiner Fre<strong>und</strong>in zunächst das von ihm verschickte Objekt als Akkusativobjekt<br />
(einen Liebesbrief) <strong>und</strong> dann an seine Fre<strong>und</strong>in als Präpositionalobjekt.<br />
Durch den größeren Abstand zwischen dem Verb schickt <strong>und</strong> <strong>der</strong> präpositionalen<br />
Ergänzung mit an wird stärker in den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> gestellt, daß Romeo<br />
den Liebesbrief auf den Weg geschickt hat. Dabei bleibt unklar, ob Romeos<br />
Fre<strong>und</strong>in den Brief auch tatsächlich bekommen hat.<br />
Das ikonische Abstandsprinzip tritt auch in abstrakterer Form auf. In <strong>Sprache</strong>n,<br />
die in <strong>der</strong> Anrede von Personen zwischen du <strong>und</strong> Sie unterscheiden, spiegelt<br />
sich die soziale Distanz des Sprechers zum Hörer im Personsystem wi<strong>der</strong>. Wie<br />
bereits erwähnt wird im Deutschen zwischen <strong>der</strong> sprechenden Person ich (1. Person<br />
Singular), <strong>der</strong> angesprochenen Person du (2. Person Singular) <strong>und</strong> einer<br />
besprochenen Person (3. Person Singular) er, sie, es unterschieden. <strong>Die</strong> erste Person<br />
<strong>und</strong> die zweite Person sind für Personen reserviert. Wenn zwischen zwei Personen<br />
nun eine soziale Distanz besteht (z.B. bei Fremden usw.), wird jedoch bei <strong>der</strong><br />
direkten Anrede in <strong>der</strong> Regel nicht die 2. Person Singular verwendet, denn
12 SPRACHE UND SPRACHWISSENSCHAFT<br />
diese Anrede mit du wäre <strong>der</strong> Situation unangemessen <strong>und</strong> unhöflich. Stattdessen<br />
wird die 3. Person Plural Sie, d.h. die sprachliche Form <strong>der</strong> besprochenen, unspezifizierten<br />
3. Person Plural, als Distanzform verwendet. <strong>Die</strong> soziale Distanz wird<br />
durch Distanz im Personsystem <strong>der</strong> <strong>Sprache</strong> ausgedrückt.<br />
Das ikonische Prinzip <strong>der</strong> Quantität bezieht sich darauf, daß wir tendenzi-ell ein<br />
Mehr an sprachlichen Formen mit einem Mehr an Bedeutung gleichsetzen bzw.<br />
weniger Form mit weniger Bedeutung. Durch die Dehnung von Vokalen können<br />
wir auf ikonische Weise ausdrücken, daß etwas sehr groß ist: ein Riiie-seneis.<br />
Dasselbe Prinzip verwenden auch kleine Kin<strong>der</strong>, wenn sie Pluralität ausdrücken<br />
wollen, z.B. Guck mal, Mama: Blume, noch ' ne Blume, noch ' ne Blume. In vielen<br />
<strong>Sprache</strong>n wird das Quantitätsprinzip systematisch als Strategie verwendet, um<br />
durch mehr sprachliche Form Pluralität auszudrücken. So bedeutet cow-cow in <strong>der</strong><br />
afrikanischen <strong>Sprache</strong> Zulu ,Kühe 4 , w//-w/7 (,wheel-wheel' ) inTok Pisin ,Fahrrad'<br />
<strong>und</strong>plek-plek (,place-place 6 ) in Afrikaans ,an mehreren Orten' . <strong>Die</strong>ses ikonische<br />
Mittel <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>holung bezeichnet man als Reduplikation. Es liegt auf <strong>der</strong> Hand,<br />
daß Reduplikation nicht eben das ökonomischste Mittel zum Ausdruck <strong>der</strong><br />
Vorstellung , quantitativ mehr' darstellt. <strong>Die</strong> meisten <strong>Sprache</strong>n haben effizientere,<br />
symbolische Wege gef<strong>und</strong>en, um die Vorstellung von Pluralität sprachlich<br />
auszudrücken. Doch auch hier bedeutet ein Mehr an sprachlicher Form ein Mehr an<br />
Bedeutung - so wird <strong>der</strong> Plural im Deutschen bei vier <strong>der</strong> insgesamt fünf häufigsten<br />
Pluraltypen durch Anhängen eines Pluralmorphems (d.h. einer zusätzlichen<br />
sprachlichen Form) gebildet:<br />
Übersicht1. Pluralmorpheme<br />
PluralSchaf -e<br />
<br />
<br />
! "#<br />
$#%& ' '<br />
( & ()<br />
*+,-%&"%'%<br />
&"'%&<br />
"'%."'<br />
%./ %"%"<br />
0 *+1-2 &<br />
34 5 )<br />
SPRACHEUNDDENKEN 13<br />
(13) a. Jetzt reicht' s aber: sei endlich still! Du gehst mir echt auf die Nerven,b.<br />
Hält' s Maul!<br />
Das Prinzip <strong>der</strong> Quantität legt darüber hinaus nahe, zum Ausdruck von weniger<br />
Bedeutung auch weniger sprachliche Form zu verwendet. Oft vermeiden wir die<br />
Wie<strong>der</strong>holung von Informationen, indem wir elliptische Sätze verwenden. <strong>Die</strong><br />
weniger explizite Form (14a) wird <strong>der</strong> ausführlicheren Form (14b) vorgezogen:<br />
(14) a. Haribo macht Kin<strong>der</strong> froh, <strong>und</strong> Erwachsene ebenso.<br />
b. Haribo macht Kin<strong>der</strong> froh, <strong>und</strong> Haribomacht Erwachsene ebenso froh<br />
wie Kin<strong>der</strong>.<br />
In (14a) ersetzt ebenso den gesamten verbalen Teil des beigeordneten Satzes, <strong>der</strong> in<br />
(14b) auf das Subjekt Haribo folgt. Eine ganze Reihe syntaktischer Phänomene wie<br />
etwa die Verwendung von Pronomen <strong>und</strong> elliptischer Sätze geht auf das ikonische<br />
Prinzip <strong>der</strong> Quantität zurück.<br />
7.2.3 Das symbolischePrinzip<br />
Das symbolische Prinzip liegt allen symbolischen sprachlichen Zeichen zugr<strong>und</strong>e:<br />
die Zuordnung einer bestimmten sprachlichen Form zu einer bestimmten Bedeutung<br />
beruht auf Konvention. <strong>Die</strong>se Zuordnungen finden sich als lexikalische Einheiten<br />
o<strong>der</strong> Wörter im Wortschatz einer <strong>Sprache</strong>. So wird dem Konzept „Haus" im<br />
Deutschen die sprachliche Form Haus zugeordnet. Der Bedeutung „Haus" sind in<br />
verschiedenen <strong>Sprache</strong>n unterschiedliche sprachliche Formen zugeordnet: im<br />
Englischen house, im Nie<strong>der</strong>ländischen huis, im Italienischen <strong>und</strong> Spanischen<br />
casa, im Französischen maison, im Finnischen talo <strong>und</strong> in <strong>der</strong> russischen <strong>Sprache</strong><br />
dorn. <strong>Die</strong>se verschiedenen Formen zeichnen sich durch nichts aus, das sie in<br />
beson<strong>der</strong>er Weise als zur Bezeichnung des Konzeptes „Haus" beson <strong>der</strong>s geeignet<br />
erscheinen ließe. Eine gleiche o<strong>der</strong> ähnliche sprachliche Form kann sogar in einer<br />
an<strong>der</strong>en <strong>Sprache</strong> einem völlig an<strong>der</strong>en Konzept zugeordnet sein. Das italienische<br />
casa ist dem Klang nach dem nie<strong>der</strong>ländischen kaas sehr ähnlich, die bezeichneten<br />
Konzepte haben allerdings nichts miteinan<strong>der</strong> gemein. <strong>Die</strong> deutsche Form Dom<br />
klingt im Deutschen ähnlich wie das russische dom\ an<strong>der</strong>s als im Russischen<br />
bezeichnet Dom im Deutschen aber nicht „ein einfaches Haus", son<strong>der</strong>n „die<br />
Kirche des Bischofs".<br />
Da es bei sprachlichen Symbolen keinen natürlich vorgegebenen Zusammenhang<br />
zwischen dem bezeichneten Konzept <strong>und</strong> <strong>der</strong> bezeichnenden sprachlichen Form<br />
gibt, nannte <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong> <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Sprachwissenschaft, Ferdinand de<br />
Saussure, die Zuordnung einer Form zu einer Bedeutung bei sprachlichen Zeichen<br />
arbiträr, d.h. willkürlich. <strong>Die</strong>se Charakterisierung trifft auf den überwiegenden<br />
Teil <strong>der</strong> einfachen Wörter einer <strong>Sprache</strong> mit Sicherheit zu. Allerdings steht die<br />
Hypothese von <strong>der</strong> Arbitrarität sprachlicher Zeichen nicht im Einklang mit einem<br />
unserer gr<strong>und</strong>legendsten Wesensmerkmale. Wir versuchen ständig, Formen auf<br />
ihre Bedeutung hin zu interpretieren. So kann beim überwiegenden Teil neuer<br />
Wörter o<strong>der</strong> neuer Bedeutungen die Zuordnung einer sprachlichen Form zu einer<br />
bestimmten Bedeutung eindeutig als nicht arbiträr charakterisiert
14 SPRACHE UND SPRACHWISSENSCHAFT<br />
werden. Neue komplexe Wörter werden in <strong>der</strong> Regel unter Rückgriff auf bereits<br />
bestehendes sprachliches Material gebildet. Gerade deswegen erhalten sie für uns<br />
Bedeutung. Komplexe Wörter sind also vielmehr durch bereits bestehende Zeichen<br />
motiviert. Auf den ersten Blick mag beispielsweise das aus dem Englischenins<br />
Deutsche entlehnte Wort Software arbiträr erscheinen. Wenn wir aber einmal näher<br />
betrachten, wie es zu dieser Wortbildung kam,so zeichnet sich ein an<strong>der</strong>esBild ab.<br />
Im Englischen wurde Software in Analogie zum bereits bestehenden Wort<br />
Hardware gebildet, das aus den einfachen Wörtern hard <strong>und</strong> wäre zusammengesetzt<br />
wurde. Sowohl hard als auch wäre sind arbiträr, d.h. die Zuordnung <strong>der</strong><br />
sprachlichen Form zur Bedeutung ist willkürlich. Das zusammengesetzte Wort<br />
hardware allerdings kann man bereits nicht mehr als völlig arbiträr bezeichnen,<br />
denn die Wortzusammensetzung hat aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> beiden Einzelwörter eine relativ<br />
offensichtliche Bedeutung. <strong>Die</strong> ursprüngliche englische Bedeutung von hardware<br />
ist ,Ausrüstung <strong>und</strong> Geräte für Heim <strong>und</strong> Garten 4 . <strong>Die</strong>se Bedeutung wurde dann auf<br />
Maschinen- <strong>und</strong> Computerteile ausgedehnt. Analog zu diesen ,greifbaren' Teilen des<br />
Computers bezeichnet man die Programme als Software. Auch bei Software handelt<br />
es sich um ein Symbol, denn die Zuordnung <strong>der</strong> sprachlichen Form zu dieser<br />
Bedeutung beruht auf Konvention. Allerdings ist diese Zuordnung nicht rein<br />
willkürlich, son<strong>der</strong>n motiviert. Der sprachwissenschaftliche Begriff <strong>der</strong><br />
Motiviertheit bezieht sich auf nicht-arbiträre Zuordnungen sprachlicher Formen zu<br />
bestimmten Inhalten eines sprachlichen Ausdrucks.<br />
Motiviertheit ist ein Aspekt, <strong>der</strong> sowohl für den Sprecher als auch für den<br />
Hörer eine wichtige Rolle spielt. Insbeson<strong>der</strong>e bei neuen sprachlichen Ausdrük-ken<br />
ist <strong>der</strong> Hörer bemüht, <strong>der</strong>en Bedeutung unter Rückgriff auf bereits bekannte<br />
Ausdrücke zu entschlüsseln. <strong>Die</strong>se Suche nach dem Sinn eines Ausdrucks hat<br />
gelegentlich sogenannte Alltagsetymologien zum Ergebnis. So ist beispielsweise das<br />
englische Wort crayßsh das Ergebnis einer alltagsetymologischen Interpretation des<br />
französischen Wortes crevice, das wie<strong>der</strong>um auf das germanische Wort krebiz<br />
,Krebs' zurückgeht. Ähnlich verhält es sich mit dem etymologisch unklaren<br />
spanisch-karibischen Wort hamace ,hängendes Bett' , das ins Englische ent lehnt <strong>und</strong><br />
zu hammoc assimiliert wurde. Im Nie<strong>der</strong>ländischen wurde dieser Ausdruck durch<br />
alltagsetymologische Interpretation als hangmat ,hängen<strong>der</strong> Teppich' <strong>und</strong> von dort<br />
ins Deutsche als Hängematte entlehnt.<br />
1.3 Sprachliche <strong>und</strong> konzeptuelle Kategorien<br />
L 3. J Konzeptuelle Kategorien<br />
In den vorangegangenen Abschnitten wurde im wesentlichen auf die Zuordnung<br />
von sprachlicher Form zu einem Konzept als <strong>der</strong> Bedeutung eines Symbols o<strong>der</strong><br />
Wortes eingegangen. So stellt es sich in Wörterbüchern dar. <strong>Sprache</strong> existiert<br />
aber in den Köpfen <strong>der</strong> Sprecher einer bestimmten <strong>Sprache</strong>. Wenn man also dem<br />
Phänomen <strong>Sprache</strong> auf den Gr<strong>und</strong> gehen will, so muß man auch auf die Vorstellungs-<br />
<strong>und</strong> Begriffswelt <strong>der</strong> Sprecher eingehen, auf die diese Symbole zurückgehen.<br />
Zunächst einmal ist festzustellen, daß <strong>Sprache</strong> nur einen kleinen Teil <strong>der</strong><br />
SPRACHE UND DENKEN 15<br />
konzeptuellen Vorstellungswelt des Menschen ausmacht. Ein Konzept läßt sich<br />
definieren als „Vorstellung davon, wie etwas in <strong>der</strong> Realität ist". Konzepte kön nen<br />
sich auf einzelne gedankliche Einheit, sogenannte Entitäten, beziehen, wie etwa<br />
auf die Vorstellung, die man von seiner Mutter hat. Sie können sich aber auch<br />
auf ein ganzes Set von gedanklichen Einheiten beziehen: das Konzept „Gemüse"<br />
bezieht sich nicht auf eine einzelne Entität, son<strong>der</strong>n umfaßt eine Menge (o<strong>der</strong> ein<br />
sogenanntes Set) einzelner Arten von Gemüse. Konzepte, die sich auf ein ganzes<br />
Set von Entitäten beziehen, sind strukturiert: sie umfassen bestimmte Einheiten,<br />
schließen an<strong>der</strong>e aber aus. Das Konzept „Gemüse" umfaßt zum Beispiel die<br />
Gemüsearten Mohren, Kohl, Salat, Tomaten usw., während es Äpfel, Birnen <strong>und</strong><br />
Bananen ausschließt. Letztere sind Teil eines an<strong>der</strong>en strukturierten Konzeptes.<br />
Strukturierte Konzepte, mit denen wir die Wirklichkeit in für uns relevante Einheiten<br />
zerglie<strong>der</strong>n, bezeichnet man als Kategorien - durch sie können wir ein Set einzelner<br />
gedanklicher Einheiten (z.B. Äpfel, Birnen, Bananen) zusammenfassen <strong>und</strong> als<br />
ein Ganzes (Obst) verstehen. Immer wenn wir etwas wahrnehmen, ordnen wir<br />
es unmittelbar in Kategorien ein. Wenn wir beispielsweise von irgendwoher Musik<br />
hören, so werden wir diese Musik nahezu automatisch als eine bestimmte Art von<br />
Musik kategorisieren, als Pop, Hip-Hop, Rock' n Roll, Klassik o<strong>der</strong> eine an<strong>der</strong>e uns<br />
bekannte Art von Musik. Unsere Wirklichkeit ist also keineswegs so etwas wie<br />
eine ,objektive Realität' , vielmehr wird siedurch unsere Kategorisierung, unsere<br />
Wahrnehmung, unser Wissen, unsere Einstellung, kurz durch unsere menschliche<br />
Erfahrung bestimmt. Das soll aber auch nicht bedeuten, daß wir uns eine<br />
individuelle, subjektive Realität schüfen. Es bedeutet lediglich, daß wir als<br />
Mitglie<strong>der</strong> einer Sprachgemeinschaft über unsere intersubjektiven Erfahrungen<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong>en Bezeichnung übereingekommen sind.<br />
Konzeptuelle Kategorien, die in <strong>Sprache</strong> nie<strong>der</strong>gelegt sind, bezeichnet man<br />
als sprachliche Kategorien o<strong>der</strong> auch als sprachliche Zeichen. Wenn man <strong>Sprache</strong><br />
in diesem weiter gefaßten Sinne als Zeichensystem verstehen will, so muß ein<br />
solches Modell von <strong>Sprache</strong> die menschliche Kategorisierung <strong>und</strong> die durch<br />
Menschen erfahrene Wirklichkeit mit einschließen. Der Zusammenhang zwischen<br />
dem ,menschlichen Konzeptualisierer 4 , seinen konzeptuellen Kategorien<br />
<strong>und</strong> sprachlichen Zeichen läßt sich wie folgt darstellen:<br />
Abbildung 3. Modell <strong>der</strong> konzeptuellen Vorstellungs- <strong>und</strong> Erfahrungswelt<br />
,menschlicher Konzeptualisierer 4 erfahrene Welt<br />
l<br />
Konzepte/Kategorien<br />
sprachliche Konzepte<br />
Gedanken<br />
Form 6<br />
Bedeutung