Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe

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88 Die Leitfrage der Philosophie und ihre Fraglichkeit verstanden im Hinblick auf die seienden Dinge selbst, das Wahrsein als Wahrsein der itQuy[tC(LOOV, der Dinge, also nicht das Wahrsein als Charakter des erfassenden Denkens der Dinge, Wahrsein nicht als Eigenschaft der Erkenntnis des Seienden, nicht als Eigenschaft der Aussage des A6yor;, über das Seiende, nicht als Eigenschaft des Meinens von ... als solchem, all das nicht, sondern einfach als Charakter des Seienden selbst. Im ersten Satz des Kapitels steht handgreiflich, daß etwas ganz anderes Thema ist als das, was man von vornherein bisher allgemein und unbesehen vorausgesetzt hat, daß es Thema sein müßte: das Wahrsein als Charakter des denkenden Bestimmens und Aussagens. Von diesem allerdings wird in E 4 gesagt: EiteL OE i] lJu[titAoxiJ ElJnv XUL i] OtULQElJtr;, EV OtUVOL~ UU' OUX EV 'wir;, itQuy[tUlJt, 'to 0' olhoor;, OV E'tEQOV OV 'twv XUQLOOr;,19, der Kategorien nämlich, ... UCPE'tEOV. Das Verbinden und Auseinanderlegen ist ein Verhalten des Denkens über das Seiende, es ist nicht im Seienden selbst, worüber gedacht wird, daher muß dieses und all seine Eigenschaften also auch das Wahrsein und Falschsein, beiseite blei- , ben. lJXE1t'tEOV OE 'tOU oV'tor;, UU'tOU "C(X utnu 20 , das Seiende selbst muß ins Auge gefaßt werden hinsichtlich dessen, was das Seiende selbst als Seiendes möglich macht. In E> 10 aber, wie im ganzen Buch E> überhaupt, wird dann nichts anderes als die Frage nach dem Seienden selbst, und zwar jetzt und zuletzt nach seinem Wahrsein und dessen Möglichkeit, nicht nach dem Wahrsein des Denkens gefragt. Und vom Wahrsein des Seienden wird behauptet, es mache sogar das eigentlichste Sein des Seienden aus. Das Problem bewegt sich also nicht nur überhaupt völlig im Rahmen der itQW't11 cptAOlJOCPLU, sondern ist selbst das radikalste Problem derselben. In E> 10 wird also überhaupt kein Problem der Logik oder Erkenntnistheorie behandelt, wie man einfach von vornherein annimmt, sondern es geht um das Grundproblem der Metaphysik. Kann aber dann noch ein Bedenken bestehen, dieses 19 a,a.o" E 4, 1027 b 29 ff. 20 a,a,O" E 4, 1028 a 3. § 9. Sein, Wahrheit, Anwesenheit 89 Kapitel als zugehörig zu dem Buch anzusehen, das die Leitfrage der antiken Metaphysik zur höchst möglichen Entfaltung bringt? Muß das Kapitel dann nicht notwendig dahin gehören? Das Kapitel ist nicht zusammenhanglos mit dem Buch und erst recht hat Aristoteles nicht dieses trotz der Zusammenhanglosigkeit dem Buch angefügt. Das eine ist unmöglicher als das andere. Aber wie konnte man so grob und hartnäckig das eigentliche Thema des Kapitels übersehen? Die Kommentatoren und die, die ihn zitieren, haben das Kapitel doch auch gelesen und interpretiert. Gewiß, aber lesen und lesen ist ein Unterschied. Die Frage ist, ob wir mit den rechten Augen lesen, d. h. ob wir überhaupt bei uns selbst vorbereitet sind, das zu sehen, was es zu sehen gilt. D. h. ob wir der Problematik gewachsen sind oder nicht, also hier, ob wir das Seinsproblem und also das Wahrheitsproblem und ihren möglichen Zusammenhang hinreichend ursprünglich verstehen, um uns in dem Horizont zu bewegen, in dem sich die antike Philosophie des Platon und Aristoteles gleichsam von selbst aufhält. Oder ob wir uns mit abgegriffenen philosophischen Begriffen und mit den von diesen erzeugten Scheinproblemen an die philosophische Überlieferung heranwagen und mit solchem jämmerlichen Rüstzeug des Sehens darüber Verfügungen treffen wollen, was im Text zu stehen hat und was Aristoteles gedacht haben darf. So geschieht es bei Schwegler. Man weiß, das Wahrheitsproblem gehört in die Logik. Das Sein nimmt man ohnehin für selbstverständlich und fragt gar nicht danach. Wenn nun Aristoteles im Hauptbuch der Lehre vom Sein ein Kapitel bringt, daß im ersten Satz gleich von der "Wahrheit handelt, dann gehört das eben nicht hierher. Ob nun solches Verfahren gröber oder feiner ausartet, ob summarisch oder ausführlich, ändert nichts an der grundsätzlichen Unmöglichkeit einer solchen Methodik. Wo also liegt der Grundmangel in der Auffassung des in Rede stehenden Kapitels? Daß man dem antiken Verständnis des Wesens der W ahrhei t ebensowenig nachgefragt hat wie dem Funda-

90 Die Leitfrage der Philosophie und ihre Fraglichkeit ment und der Art des antiken Seinsverständnisses. Nun ist das Wahrheitsproblem - als Problem - in der Antike ebensowenig geklärt wie das Seinsproblem, und das gilt zugleich von aller nachkommenden Philosophie. Ja diese hat, aus Gründen, die wir jetzt nicht zu erörtern brauchen, nicht einmal verstanden, das wirklich aufzunehmen und fruchtbar zu machen, was die antike Entfaltung des Wahrheitsproblems erreicht hat. Liegen die Dinge so, dann dürfen wir erst recht nicht glauben, daß in einem Buch und Kapitel, das nun gar einen Zusammenhang zwischen Sein und Wahrheit behauptet und erörtert, alles in reiner Durchsichtigkeit abgehandelt sei. Im Gegenteil, wo die tiefste Proble-· matik erreicht ist, da bleibt bei aller Schärfe der Fragestellung die größte Dunkelheit. Zunächst, was verstehen die Griechen überhaupt, vorphilosophisch und philosophisch, unter Wahrheit?21 'AAi]{}ELU, Unverborgenheit; nicht verborgen, sondern entborgen sein; Entborgenheit, d. h. der Verborgenheit enthoben. Wahrheit als Entborgenheit ist demnach von vornherein schon nicht ein Charakter des Erkennens und Erfassens des Seienden, sondern des Seienden selbst. Entborgenheit ist Entborgenheit von Seiendem. Wenn also Aristoteles nach der Entborgenheit des Seienden, nach der Wahrheit des Seienden fragt, so ist das im antiken Sinne die nächstliegende und erste und eigentliche Frage, wenn nach der Wahrheit gefragt wird. Das Wahrheitsproblem ist von vornherein primär kein Problem des Erfassens und Erkennens. Dieses ist es nur und erst in zweiter Linie, nämlich insofern das Erfassen und Erkennen Seiendes in seiner Unverhülltheit, Entborgenheit erfaßt, ist das Erkennen seinerseits >wahr

88 Die Leitfrage <strong>der</strong> Philosophie und ihre Fraglichkeit<br />

verstanden im Hinblick auf die seienden Dinge selbst, das Wahrsein<br />

als Wahrsein <strong>der</strong> itQuy[tC(LOOV, <strong>der</strong> Dinge, also nicht das Wahrsein<br />

als Charakter des erfassenden Denkens <strong>der</strong> Dinge, Wahrsein<br />

nicht als Eigenschaft <strong>der</strong> Erkenntnis des Seienden, nicht als<br />

Eigenschaft <strong>der</strong> Aussage des A6yor;, über das Seiende, nicht als<br />

Eigenschaft des Meinens von ... als solchem, all das nicht, son<strong>der</strong>n<br />

einfach als Charakter des Seienden selbst. Im ersten Satz<br />

des Kapitels steht handgreiflich, daß etwas ganz an<strong>der</strong>es Thema<br />

ist als das, was man von vornherein bisher allgemein und unbesehen<br />

vorausgesetzt hat, daß es Thema sein müßte: das Wahrsein<br />

als Charakter des denkenden Bestimmens und Aussagens.<br />

Von diesem allerdings wird in E 4 gesagt: EiteL OE i] lJu[titAoxiJ<br />

ElJnv XUL i] OtULQElJtr;, EV OtUVOL~ UU' OUX EV 'wir;, itQuy[tUlJt, 'to 0' olhoor;,<br />

OV E'tEQOV OV 'twv XUQLOOr;,19, <strong>der</strong> Kategorien nämlich, ... UCPE'tEOV.<br />

Das Verbinden und Auseinan<strong>der</strong>legen ist ein Verhalten des<br />

Denkens über das Seiende, es ist nicht im Seienden selbst, worüber<br />

gedacht wird, daher muß dieses und all seine Eigenschaften<br />

also auch das Wahrsein und Falschsein, beiseite blei-<br />

,<br />

ben.<br />

lJXE1t'tEOV OE 'tOU oV'tor;, UU'tOU "C(X utnu 20 , das Seiende selbst muß<br />

ins Auge gefaßt werden hinsichtlich dessen, was das Seiende<br />

selbst als Seiendes möglich macht. In E> 10 aber, wie im ganzen<br />

Buch E> überhaupt, wird dann nichts an<strong>der</strong>es als die Frage nach<br />

dem Seienden selbst, und zwar jetzt und zuletzt nach seinem<br />

Wahrsein und dessen Möglichkeit, nicht nach dem Wahrsein des<br />

Denkens gefragt. Und vom Wahrsein des Seienden wird behauptet,<br />

es mache sogar das eigentlichste Sein des Seienden aus. Das<br />

Problem bewegt sich also nicht nur überhaupt völlig im Rahmen<br />

<strong>der</strong> itQW't11 cptAOlJOCPLU, son<strong>der</strong>n ist selbst das radikalste Problem<br />

<strong>der</strong>selben. In E> 10 wird also überhaupt kein Problem <strong>der</strong> Logik<br />

o<strong>der</strong> Erkenntnistheorie behandelt, wie man einfach von vornherein<br />

annimmt, son<strong>der</strong>n es geht um das Grundproblem <strong>der</strong> Metaphysik.<br />

Kann aber dann noch ein Bedenken bestehen, dieses<br />

19 a,a.o" E 4, 1027 b 29 ff.<br />

20 a,a,O" E 4, 1028 a 3.<br />

§ 9. Sein, Wahrheit, Anwesenheit 89<br />

Kapitel als zugehörig zu dem Buch anzusehen, das die Leitfrage<br />

<strong>der</strong> antiken Metaphysik zur höchst möglichen Entfaltung<br />

bringt? Muß das Kapitel dann nicht notwendig dahin gehören?<br />

Das Kapitel ist nicht zusammenhanglos mit dem Buch und erst<br />

recht hat Aristoteles nicht dieses trotz <strong>der</strong> Zusammenhanglosigkeit<br />

dem Buch angefügt. Das eine ist unmöglicher als das an<strong>der</strong>e.<br />

Aber wie konnte man so grob und hartnäckig das eigentliche<br />

Thema des Kapitels übersehen? Die Kommentatoren und die, die<br />

ihn zitieren, haben das Kapitel doch auch gelesen und interpretiert.<br />

Gewiß, aber lesen und lesen ist ein Unterschied. Die Frage<br />

ist, ob wir mit den rechten Augen lesen, d. h. ob wir überhaupt<br />

bei uns selbst vorbereitet sind, das zu sehen, was es zu sehen<br />

gilt. D. h. ob wir <strong>der</strong> Problematik gewachsen sind o<strong>der</strong> nicht,<br />

also hier, ob wir das Seinsproblem und also das Wahrheitsproblem<br />

und ihren möglichen Zusammenhang hinreichend ursprünglich<br />

verstehen, um uns in dem Horizont zu bewegen, in<br />

dem sich die antike Philosophie des Platon und Aristoteles<br />

gleichsam von selbst aufhält. O<strong>der</strong> ob wir uns mit abgegriffenen<br />

philosophischen Begriffen und mit den von diesen erzeugten<br />

Scheinproblemen an die philosophische Überlieferung heranwagen<br />

und mit solchem jämmerlichen Rüstzeug des Sehens<br />

darüber Verfügungen treffen wollen, was im Text zu stehen hat<br />

und was Aristoteles gedacht haben darf. So geschieht es bei<br />

Schwegler. Man weiß, das Wahrheitsproblem gehört in die Logik.<br />

Das Sein nimmt man ohnehin für selbstverständlich und<br />

fragt gar nicht danach. Wenn nun Aristoteles im Hauptbuch <strong>der</strong><br />

Lehre vom Sein ein Kapitel bringt, daß im ersten Satz gleich<br />

von <strong>der</strong> "Wahrheit handelt, dann gehört das eben nicht hierher.<br />

Ob nun solches Verfahren gröber o<strong>der</strong> feiner ausartet, ob summarisch<br />

o<strong>der</strong> ausführlich, än<strong>der</strong>t nichts an <strong>der</strong> grundsätzlichen<br />

Unmöglichkeit einer solchen Methodik.<br />

Wo also liegt <strong>der</strong> Grundmangel in <strong>der</strong> Auffassung des in Rede<br />

stehenden Kapitels? Daß man dem antiken Verständnis des <strong>Wesen</strong>s<br />

<strong>der</strong> W ahrhei t ebensowenig nachgefragt hat wie dem Funda-

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