76 Die Leitfrage <strong>der</strong> Philosophie und ihre Fraglichkeit Für die drei erstgenannten Bedeutungen des Seins haben wir entsprechende antike Begriffe interpretiert und gezeigt: In <strong>der</strong> betreffenden Seinsbedeutung liegt immer mit >beständige Anwesenheitbeständige Anwesenheit
78 Die Leitfrage <strong>der</strong> Philosophie und ihre Fraglichkeit 2.) 't0 OV %o.tU oUllßeß'l']%6~, das Seiende hinsichtlich seines gerade so und so Seins, dasjenige Sein am Seienden, das sich an ihm gerade o<strong>der</strong> gerade einmal eingestellt hat, z. B. rot sein, weiß sein, was aber nicht notwendig zu sein braucht. 3.) tO OV %o.tU Mvo.llLV %UI. EVEfneLo.v, das Seiende hinsichtlich seines Möglichseins und Wirklichseins. 4.) tO OV w~ aA'l']~E~ %0.1. 'tjJeuöo~, das Seiende hinsichtlich von Wahrsein und Falschsein. Die Erforschung des OV TI OV muß sich offenbar über die vielfache Bedeutung des OV von vornherein klar sein. Das war nicht immer <strong>der</strong> Fall. Nur langsam wurde diese Klarheit erreicht, und auch bei Aristoteles sind nur faktisch diese vier unterschieden. Warum gerade sie und sie allein und im Hinblick worauf sie unterschieden werden, darüber gibt er nirgends Aufschluß. Für uns ist jetzt wichtig: Unter den Bedeutungen des Seins wird ausdrücklich das Wahrsein genannt. Muß nun die eigentliche Philosophie, die nach dem fragt, was das Seiende als solches eigentlich ist, nach allen vier Weisen des Seins fragen o<strong>der</strong> aber nur nach dem Seienden und dessen Sein, das eben als das eigentliche Seiende sich bekundet? Offenbar nur nach diesem. Denn wenn das <strong>Wesen</strong> des Seins am eigentlichen Seienden aufgeklärt ist, kann von da aus das uneigentliche Seiende in seinem <strong>Wesen</strong> geklärt werden. So verfährt Aristoteles nun auch in »Metaphysik« E (VI), wo er einen Aufriß vom thematischen Feld <strong>der</strong> eigentlichen Philosophie gibt, und zwar anhand <strong>der</strong> vier angeführten Bedeutungen des ov. Hierbei werden nun das an zweiter Stelle genannte OV %o.tU oUllßeß'l']%6e; und das an vierter Stelle genannte OV w~ aA'l']~E~ ausgeschieden aus dem Felde <strong>der</strong> Metaphysik. Es bleiben nur die an zweiter und dritter Stelle genannten Bedeutungen und diese sind nun auch faktisch abgehandelt in den Hauptbüchern <strong>der</strong> »Metaphysik«: Z, H, e, I (VII-X). Warum werden die zweite und die vierte Bedeutung ausgeschieden? Wir deuteten schon an, daß in ihnen Seiendes gemeint ist, an dem sich das Sein des eigentlichen Seienden, also auch das eigentliche Sein, § 9. Sein, Wahrheit, Anwesenheit 79 nicht bekundet. Inwiefern? Das OV %o.'tU oUllßeß'Il%6~ ist UOQLOtOV, es ist nicht und nie in seinem Sein bestimmt, es ist bald so, bald so, d. h. es meint nichts beständig Anwesendes, nicht rcEQo.~ und 1l0QCPf} , eiöoe;, son<strong>der</strong>n was bald auftaucht, bald verschwindet. Daher sagt Aristoteles: cpo.Lve'tUL YUQ 't0 OUllßEß'I']%O~ EYYU~ 'tL tOU lllJ OVtO~.3 Hier ist also nicht das eigentliche Seiende gemeint. Und weshalb wird das OV we; aA'I']~E~ ausgeschieden? Um es kurz zu sagen: Wahr und falsch sind Eigenschaften <strong>der</strong> Erkenntnis des Seienden, <strong>der</strong> Aussage, des A6yo~ über das Seiende. Aristoteles nennt es tij~ ÖLo.VOLo.e; 'tL rcu~0~4, einen Zustand und Charakter des denkenden Bestimmens des Seienden, aber nicht des Seienden selbst. Das Wahrsein betrifft nur das Erfassen und Denken des Seienden, aber nicht das Seiende selbst. Traditionell gesprochen, das Problem des Wahrseins (Wahrheit und Falschheit) gehört in die Logik und Erkenntnistheorie, aber nicht in die Metaphysik. So ist die Ausscheidung <strong>der</strong> zweiten und <strong>der</strong> vierten Bedeutung ganz in <strong>der</strong> Ordnung und ohne weiteres einleuchtend. Für die thematische Behandlung durch die Metaphysik als Erkenntnis des Seienden selbst und als solchen können nur das OV <strong>der</strong> Kategorien und das OV %UtU Mvo.llLV %0.1. EVEQYELUV in Frage kommen. Das OV <strong>der</strong> Kategorien - und zwar vor allem die erste und alle übrigen fundierende Kategorie - behandelt Aristoteles in »Metaphysik« Z, H, das OV %o.'tU Mvo.llLV %0.1. EVEQYELo.V, Sein im Sinne von Möglichsein und Wirklichsein in >}Metaphysik« e. Mehr noch, im Buch e wird nun EVEQYfLo. (EvtEAExELo.) als die Grundbedeutung <strong>der</strong> Wirklichkeit des eigentlich Wirklichen herausgestellt. Das eigentliche Seiende ist OV EVEQyEl~. Dasjenige, dem nach unserer Interpretation Beständigkeit in <strong>der</strong> Anwesenheit zugesprochen werden muß, verdient eigentlich die Benennung Seiendes, fJ OUOLo. %0.1. tO döo~ EVEQYELU EOtLV. 5 So ist das Buch e <strong>der</strong> aristotelischen »Metaphysik« dasjenige, worin das Sein des eigentlichen Seienden abgehandelt wird. 3 a.a.ü., E 2, 1026 b 21. 4 a.a.ü., E 4, 1028 a 1. :; a.a.ü., EI 8, 1050 b 2.