Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe

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Die Leitfrage der Philosophie und ihre Fraglichkeit dann leuchtet sofort der innere Strukturzusammenhang des philosophischen Begriffes EVEfJ"YEW. mit ouaLU als nUQouaLu auf. Wir gewinnen zugleich damit einen Lichtblick für das Verständnis des Grundbegriffes der platonischen Lehre vom Sein: illEu bzw. eIöo~. Die begriffliche Fassung der platonischen Lehre von Sein als »Ideenlehre« ist freilich eine Verfälschung, sofern dieser Begriff rein doxographisch genommen ist. Sein besagt für Platon Was-sein. Was etwas ist, das zeigt sich in seinem >Aussehen

74 Die Leitfrage der Philosophie und ihre Fraglichkeit Hauptbedeutungen. Offenbar hängt von der Rechtmäßigkeit dieser Interpretation alles Folgende ab. Denn angenommen, diese Interpretation von Sein, ovuLa, als beständige Anwesenheit wäre nicht stichhaltig, dann bestände kein Anhalt dafür, einen Problemzusammenhang von Sein und Zeit zu entfalten, wie es die Grundfrage fordert. Allein, so große Bedeutung die antike Metaphysik überhaupt und die ihr folgende abendländische Metaphysik für unser Problem haben, so weit geht die Tragweite doch nicht. Denn gesetzt, die von uns dargelegte Interpretation des Seins wäre aus irgendwelchen Gründen nicht durchführbar, so könnte unmittelbar aus unserem eigenen Verhalten zum Seienden die behauptete Orientierung des Seinsverständnisses dargelegt werden. Daher müssen wir sagen, wir entfalten die Leitfrage der Metaphysik zur Grundfrage (Sein und Zeit) nicht deshalb, weil in der Antike schon und späterhin, freilich zwar unausgesprochen, Sein aus der Zeit verstanden würde, sondern umgekehrt, weil, wie sich zeigen läßt, das menschliche Seinsverständnis das Sein aus der Zeit verstehen muß. Deshalb muß überall da, wo das Sein irgendwie Thema wird, das Licht der Zeit zum Vorschein kommen. Unsere These, OVULa besagt beständige Anwesenheit, d. h. diese Interpretation der Geschichte der Metaphysik, kann nie als Begründung des Problems von Sein und Zeit in Frage kommen, sondern dient nur als Beispiel der Entfaltung und Vorführung des Problems. Noch mehr, wir können diese Zusammenhänge in der antiken Seinsauffassung gar nicht erblicken und finden, wenn wir nicht schon den sachlichen Zusammenhang philosophierend uns klargemacht haben. Freilich hat die Geschichte der Metaphysik doch noch eine andere Bedeutung für unsere eigene Problemfindung als die des Exemplarischen. Wir können zwar nie ein Problem oder eine These autoritativ begründen und uns darauf stützen, weil es Platon oder Kant gesagt haben. Trotzdem hat der Rückgang in die Geschichte einen anderen als nur Beispielswert, als sei er nur Gelegenheit, ein früheres, jetzt überwundenes Stadium des Pro- § 9. Sein, Wahrheit, Anwesenheit 75 blems zu zeigen. Abgesehen davon, daß es in der Philosophie keinen Fortschritt gibt, sondern jede echte Philosophie so klein und so groß ist wie jede andere, hat doch die frühere Philosophie eine wenngleich verborgene ständige Auswirkung auf unser heutiges Dasein. Wenn wir daher den antiken Seinsbegriff zu fassen versuchen, so ist das keine Sache einer äußerlichen historischen Kenntnisnahme. Wir werden sehen, daß er in einer gewandelten Form in Hegels Metaphysik noch da ist. Auf den inneren Zusammenhang der hegeIschen Metaphysik mit der antiken ist jetzt nicht einzugehen, umso mehr als wir den antiken Seinsbegriff nur in einigen Ausprägungen verfolgten. Wir hielten uns bei deren Auswahl an das, was wir rein systematisch-sachlich über die Bedeutung des Seins anführten bei der Kennzeichnung des Seinsverständnisses. Wir sprachen von der anfänglichen Gegliedertheit des Seins, die wir uns näher brachten durch die verschiedenen Bedeutungen des >istist weiß< drückt das Weiß sein aus, also das Soundso-sein der Kreide; so und so: was ihr nicht notwendig zukommt, sie könnte auch rot oder grün sein. Sagen wir: »Die Kreide ist ein materielles Ding«, dann meinen wir auch ein Sein der Kreide, aber kein beliebiges, sondern solches, das zu ihr gehört, gehören muß, wenn sie soll sein können, was sie ist. Dieses Sein ist kein beliebiges Soundso-sein, sondern ein für sie notwendiges Was-sein. Sagen wir: »Die Kreide ist«, d. h. »ist vorhanden«, etwa gegenüber einer versuchten Behauptung, sie sei nur eingebildet, dann besagt Sein Vorhanden-sein (Wirklichkeit).l Sagen wir ferner die jetzt erwähnten Sätze in einer bestimmten Betonung: »Die Kreide ist weiß«, »Die Kreide ist ein ma terielles Ding «, »Die Kreide ist vorhanden «, dann meinen wir mit der Betonung wiederum ein bestimmtes Sein. Wir wollen sagen: Es ist wahr - das Was-sein der Kreide, das Ding-sein, das Vorhanden-sein. Wir meinen jetzt das Wahrsein. 1 Kant: Dasein; vgl. dagegen meine Terminologie.

74 Die Leitfrage <strong>der</strong> Philosophie und ihre Fraglichkeit<br />

Hauptbedeutungen. Offenbar hängt von <strong>der</strong> Rechtmäßigkeit<br />

dieser Interpretation alles Folgende ab. Denn angenommen,<br />

diese Interpretation von Sein, ovuLa, als beständige Anwesenheit<br />

wäre nicht stichhaltig, dann bestände kein Anhalt dafür, einen<br />

Problemzusammenhang von Sein und Zeit zu entfalten, wie es<br />

die Grundfrage for<strong>der</strong>t.<br />

Allein, so große Bedeutung die antike Metaphysik überhaupt<br />

und die ihr folgende abendländische Metaphysik für unser Problem<br />

haben, so weit geht die Tragweite doch nicht. Denn gesetzt,<br />

die von uns dargelegte Interpretation des Seins wäre aus<br />

irgendwelchen Gründen nicht durchführbar, so könnte unmittelbar<br />

aus unserem eigenen Verhalten zum Seienden die behauptete<br />

Orientierung des Seinsverständnisses dargelegt werden. Daher<br />

müssen wir sagen, wir entfalten die Leitfrage <strong>der</strong> Metaphysik<br />

zur Grundfrage (Sein und Zeit) nicht deshalb, weil in <strong>der</strong> Antike<br />

schon und späterhin, freilich zwar unausgesprochen, Sein aus <strong>der</strong><br />

Zeit verstanden würde, son<strong>der</strong>n umgekehrt, weil, wie sich zeigen<br />

läßt, das menschliche Seinsverständnis das Sein aus <strong>der</strong> Zeit<br />

verstehen muß. Deshalb muß überall da, wo das Sein irgendwie<br />

Thema wird, das Licht <strong>der</strong> Zeit zum Vorschein kommen. Unsere<br />

These, OVULa besagt beständige Anwesenheit, d. h. diese Interpretation<br />

<strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Metaphysik, kann nie als Begründung<br />

des Problems von Sein und Zeit in Frage kommen, son<strong>der</strong>n<br />

dient nur als Beispiel <strong>der</strong> Entfaltung und Vorführung des Problems.<br />

Noch mehr, wir können diese Zusammenhänge in <strong>der</strong> antiken<br />

Seinsauffassung gar nicht erblicken und finden, wenn wir<br />

nicht schon den sachlichen Zusammenhang philosophierend uns<br />

klargemacht haben.<br />

Freilich hat die Geschichte <strong>der</strong> Metaphysik doch noch eine an<strong>der</strong>e<br />

Bedeutung für unsere eigene Problemfindung als die des<br />

Exemplarischen. Wir können zwar nie ein Problem o<strong>der</strong> eine<br />

These autoritativ begründen und uns darauf stützen, weil es<br />

Platon o<strong>der</strong> Kant gesagt haben. Trotzdem hat <strong>der</strong> Rückgang in<br />

die Geschichte einen an<strong>der</strong>en als nur Beispielswert, als sei er nur<br />

Gelegenheit, ein früheres, jetzt überwundenes Stadium des Pro-<br />

§ 9. Sein, Wahrheit, Anwesenheit 75<br />

blems zu zeigen. Abgesehen davon, daß es in <strong>der</strong> Philosophie<br />

keinen Fortschritt gibt, son<strong>der</strong>n jede echte Philosophie so klein<br />

und so groß ist wie jede an<strong>der</strong>e, hat doch die frühere Philosophie<br />

eine wenngleich verborgene ständige Auswirkung auf unser<br />

heutiges Dasein. Wenn wir daher den antiken Seinsbegriff zu<br />

fassen versuchen, so ist das keine Sache einer äußerlichen historischen<br />

Kenntnisnahme. Wir werden sehen, daß er in einer gewandelten<br />

Form in Hegels Metaphysik noch da ist. Auf den inneren<br />

Zusammenhang <strong>der</strong> hegeIschen Metaphysik mit <strong>der</strong> antiken ist<br />

jetzt nicht einzugehen, umso mehr als wir den antiken Seinsbegriff<br />

nur in einigen Ausprägungen verfolgten. Wir hielten uns<br />

bei <strong>der</strong>en Auswahl an das, was wir rein systematisch-sachlich<br />

über die Bedeutung des Seins anführten bei <strong>der</strong> Kennzeichnung<br />

des Seinsverständnisses. Wir sprachen von <strong>der</strong> anfänglichen Geglie<strong>der</strong>theit<br />

des Seins, die wir uns näher brachten durch die verschiedenen<br />

Bedeutungen des >istist weiß< drückt das Weiß sein aus, also<br />

das Soundso-sein <strong>der</strong> Kreide; so und so: was ihr nicht notwendig<br />

zukommt, sie könnte auch rot o<strong>der</strong> grün sein. Sagen wir:<br />

»Die Kreide ist ein materielles Ding«, dann meinen wir auch ein<br />

Sein <strong>der</strong> Kreide, aber kein beliebiges, son<strong>der</strong>n solches, das zu ihr<br />

gehört, gehören muß, wenn sie soll sein können, was sie ist. Dieses<br />

Sein ist kein beliebiges Soundso-sein, son<strong>der</strong>n ein für sie notwendiges<br />

Was-sein. Sagen wir: »Die Kreide ist«, d. h. »ist vorhanden«,<br />

etwa gegenüber einer versuchten Behauptung, sie sei<br />

nur eingebildet, dann besagt Sein Vorhanden-sein (Wirklichkeit).l<br />

Sagen wir ferner die jetzt erwähnten Sätze in einer bestimmten<br />

Betonung: »Die Kreide ist weiß«, »Die Kreide ist ein<br />

ma terielles Ding «, »Die Kreide ist vorhanden «, dann meinen wir<br />

mit <strong>der</strong> Betonung wie<strong>der</strong>um ein bestimmtes Sein. Wir wollen<br />

sagen: Es ist wahr - das Was-sein <strong>der</strong> Kreide, das Ding-sein,<br />

das Vorhanden-sein. Wir meinen jetzt das Wahrsein.<br />

1 Kant: Dasein; vgl. dagegen meine Terminologie.

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