Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe
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56 Die Leitfrage <strong>der</strong> Philosophie und ihre Fraglichkeit<br />
Hof, im weiteren philosophischen Gebrauch jedes vorhandene<br />
Seiende als vorhandenes. Wenn wir nun unter Leitung <strong>der</strong> Leitfrage:<br />
Was ist das Seiende als solches?, achthaben auf das zunächst<br />
begegnende Seiende, die Dinge, seien es Natur- o<strong>der</strong> Gebrauchsdinge<br />
um uns, und wenn wir fragen, was an ihnen die<br />
Seiendheit ausmache, dann scheint diese Frage eindeutig gestellt<br />
und vorbereitet zu sein für eine Antwort. Daß aber diese elementare<br />
Frage, gerade weil sie elementar ist, von <strong>der</strong> größten<br />
Schwierigkeit ist und immer wie<strong>der</strong> nicht genügend vorbereitet,<br />
d. h. ausgearbeitet wird, das zeigt die ganze Geschichte <strong>der</strong> Philosophie<br />
bis heute.<br />
a) Sein und Bewegung. ouaLa als naQouaLa des unollEVOV<br />
Wenn wir fragen: Was macht an einem vorhandenen Ding -<br />
etwa einem Stuhl- die Seiendheit aus?, dann fragen wir alsbald<br />
in <strong>der</strong> Richtung: Wie erfassen wir den Stuhl, o<strong>der</strong> gar: Können<br />
wir ihn überhaupt erfassen? Aber wenn wir von <strong>der</strong> boden- und<br />
sinnlosen Frage absehen, ob wir nur ein psychisches Bild vom<br />
Stuhl erfassen o<strong>der</strong> den wirklichen Stuhl, wenn wir uns daran<br />
halten, dieses vorhandene Ding als vorhandenes vor uns zu haben,<br />
auch dann ist nicht alles vorbereitet, um nun zu fragen, was<br />
die Vorhandenheit des Dinges ausmache. Man redet dann in <strong>der</strong><br />
Philosophie viel hin und her über die Gegenstände und ihr Gegenständlichsein,<br />
ohne zuvor hinreichend darüber Aufschluß zu<br />
geben, was man denn da meint, wenn man z. B. den vorhandenen<br />
Stuhl als vorhanden vor sich stehen hat. Nun könnten wir<br />
sagen: Das ist heute bereits an<strong>der</strong>s geworden. Wir sehen jetzt<br />
deutlicher: Der Stuhl, <strong>der</strong> so da steht, im Zimmer o<strong>der</strong> im Garten,<br />
ist kein beliebiges Ding wie ein Stein o<strong>der</strong> ein Stück Holz<br />
von einem abgebrochenen Ast, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Stuhl und entsprechende<br />
Dinge wie Tisch, Schrank, Türe, Treppe dienen zu etwas.<br />
Diese Dienlichkeit klebt ihnen nicht an, son<strong>der</strong>n bestimmt das,<br />
was sie sind und wie sie sind. Gewiß, es ist von Wichtigkeit, diese<br />
Charakteristik <strong>der</strong> uns umgebenden Gebrauchsdinge wirklich<br />
§ 8. Aufweis <strong>der</strong> verborgenen Grundbedeutung 57<br />
durchzuführen. Aber damit haben wir noch keine Antwort auf<br />
die Frage nach <strong>der</strong> Art des Vorhandenseins <strong>der</strong>selben, son<strong>der</strong>n<br />
diese Charakteristik ist nur eine Vorbereitung dafür, diese Frage<br />
wirklich zu fragen - und zwar nur eine Vorbereitung in einer<br />
bestimmten Richtung. Diese Charakteristik trägt bei zur Bestandsaufnahme<br />
dessen, was und wie das Ding >Stuhl< ist. Diese<br />
Bestandsaufnahme ist freilich auch so noch lückenhaft, ja es fehlt<br />
etwas Entscheidendes.<br />
Was sollen wir aber an dem Stuhl, genauer, an seiner Art zu<br />
sein, noch weiter finden, wenn er so dasteht? Daß er vier Beine<br />
hat? Er könnte zur Not auch mit dreien stehen. Und wenn er<br />
zwei hätte, müßte er eben liegen, er wäre auch noch ein vorhandener<br />
Stuhl, nur ein kaputter. Es gibt ja auch einbeinige Stühle.<br />
O<strong>der</strong> daß er eine Lehne hat bzw. keine, gepolstert ist o<strong>der</strong> nicht<br />
gepolstert, niedrig o<strong>der</strong> hoch, bequem o<strong>der</strong> unbequem - all das<br />
können wir erzählen. Aber wir fragen nach seiner Art zu sein,<br />
wenn er in seiner Dienlichkeit so einfach dasteht, mag er beschaffen<br />
sein wie immer. Was ist mit ihm, wenn er so dasteht, o<strong>der</strong>,<br />
wenn umgefallen, daliegt? Nun, er steht; er liegt; er läuft also<br />
nicht herum; also ist er kein Tier und ist kein Mensch. Wir wollen<br />
jedoch nicht wissen, was er nicht ist, son<strong>der</strong>n was er ist, was<br />
mit ihm ist, wenn er so da-steht. Er steht, d. h. er ruht. Nun,<br />
diese Feststellung ist keine große Weisheit. Allerdings nicht, und<br />
doch hat man überall und gerade da, wo man nicht laut genug<br />
davon schreien kann, daß solche Dinge wie Stuhl und Tisch an<br />
sich sind und keine bloßen Vorstellungen in uns, dieses Selbstverständliche<br />
an dem vielberufenen >An-sieh-sein< solcher Dinge<br />
hartnäckig übersehen. Aber was wollen wir damit? Was gewinnen<br />
wir mit dem Hinweis, daß <strong>der</strong> Stuhl als dastehen<strong>der</strong> ruht?<br />
Nun darin, daß er ruht, >stehtStand< hat, ein Gegenstand<br />
ist, darin liegt, daß er in Bewegung ist. Wir sagten aber<br />
doch eben, daß er ruhe; wir legten auf diese >Feststellung< ein beson<strong>der</strong>es<br />
Gewicht. Gewiß, aber ruhen kann nur, zu dessen Art<br />
zu sein das Bewegtsein gehört. Die Zahl >fünf< ruht nicht und<br />
ruht nie. Nicht deshalb, weil sie ständig in Bewegung ist, son-