Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe

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272 Der zweite Weg zur Freiheit im kantischen System Freiheitsidee, das im Wesensbegriff Freiheit Vorgestellte, läßt sich als Wirkliches »durch praktische Gesetze der reinen Vernunft« dartun. Ich fasse zusammen. Der zweite Weg stellt das Problem der wirklichen Freiheit, d. h. jetzt, es erhebt sich die Frage nach der Wirklichkeit der Freiheit. In der Beantwortung dieser Frage bestimmt sich zugleich die Art und Weise des möglichen Wissens um wirkliche Freiheit, das Problem des spezifischen Wesens der >Erfahrung< von so etwas wie Freiheit im willentlichen Handeln. Der erste Weg fragt nach der Möglichkeit einer Einheit der Freiheit mit der Natur, der zweite fragt nach der Art der Wirklichkeit einer so möglichen Freiheit, d. h. aber zugleich für Kant, nach der Art und Weise, in der die Idee der Freiheit hinsichtlich ihrer Realität als wirkliche ausgewiesen werden kann. Sie ist ausweis bar durch die praktischen Gesetze der reinen Vernunft. Ihre Realität ist praktisch, die Freiheit gehört ihrem Wesensgehalt nach in die Wirklichkeit des Praktischen. Die Realität der Freiheit zu beweisen, besagt demnach. Gründe ausfindig zu machen, die beweisen, »daß diese Eigenschaft [Kausalität aus Freiheit] dem menschlichen Willen (und so auch dem Willen aller vernünftigen Wesen) in der Tat zukomme«.l1 Das klingt immer wieder so, als sollte und könnte das Vorhandensein der Freiheit als Tatsache empirisch nachgewiesen werden. Das Problem ist aber nach all dem Gesagten dieses: Wie muß überhaupt die Wirklichkeit (Tatsächlichkeit) der Freiheit verstanden werden? Denn offenbar bedarf diese Frage zuvor einer Beantwortung, wenn wirkliche, tatsächliche Freiheit selbst zum Problem werden soll. Gelingt es aber auszumachen, wie die Tatsächlichkeit der Freiheit zu verstehen sei, dann ist damit die Vorzeichnung dafür gegeben, wie eine >Erfahrung< sein muß, die tatsächliche Freiheit als solche soll zugänglich machen können. Praktisches Handeln ist die Seinsart der Person. Erfahrung 11 Kant, Kr. d. pr. V., S. 16 (V, 30). § 27. Die Wirklichkeit der menschlichen Freiheit 273 der praktischen Freiheit ist Erfahrung der Person als Person. Personalität ist das eigentliche Wesen des Menschen. Erfahrung der Person ist zugleich die wesentliche Erfahrung des Menschen, die Art von Wissen, in der sich der Mensch in seiner eigentlichen Wirklichkeit offenbar wird. Kant spricht freilich nicht von >Erfahrung< der Person als solcher. >Erfahrung< überhaupt ist vorbehalten dem Offenbarwerden des Wirklichen der Naturdinge. Und doch liegt diese Redeweise notwendig in der Richtung seiner Problematik. Kant ist nicht weiter gegangen, deshalb ist gerade das Problem der Tatsächlichkeit der Freiheit von Schwierigkeiten und Mißverständnissen umlagert. Diese sind heute weniger denn je behoben, d. h. es wird ihnen nicht einmal wirklich ins Auge gesehen. Das Ausweichen in die Wertphilosophie ist eine völlige Verkehrung des eigentlichen kantischen Problems. b) über das Wesen der reinen Vernunft als praktischer. Die reine praktische Vernunft als der reine Wille Kants These bezüglich der Wirklichkeit der Freiheit lautet ganz allgemein: Die objektive Realität der Freiheit läßt sich nur durch praktische Gesetze der reinen Vernunft dartun. Mit dieser These ist die eigentliche Aufgabe des zweiten Weges und zugleich die spezifische Problematik festgelegt. Die Tatsächlichkeit der Freiheit läßt sich nur ausweisen aus und in der Tatsächlichkeit der praktischen Gesetzlichkeit der reinen Vernunft. Kurz, das Faktum der Freiheit ist nur zugänglich im Verstehen der Faktizität der Freiheit. Die Faktizität der Freiheit ist nur erweislich und aufhellbar aus der Faktizität der reinen Vernunft als praktischer. So ist die nächste und erste Frage: Welches ist das Wesen einer reinen Vernunft als praktischer? Und die weitere: Welche Art von Tatsächlichkeit eignet der reinen praktischen Vernunft aufgrund ihres Wesens? Das We-

274 Der zweite Weg zur Freiheit im kantischen System sen einer Sache schreibt die Art ihrer Tatsächlichkeit, Wirklichkeit, vor. Wir sagten im übergang vom ersten zum zweiten Weg, dieser ziele auf die Freiheit als Auszeichnung des Menschen im Sinne eines Vernunftwesens. Die Auszeichnung des Menschen aber liegt in der Persönlichkeit, das Wesen dieser in der Selbstverantwortlichkeit. Aus dieser muß sich daher das eigentliche Wesen der Menschheit des Menschen verstehen lassen und damit das Wesen einer reinen Vernunft als praktischer. Wir führten in diesem Zusammenhang bereits die These Kants und die darin enthaltene Aufgabe an: Die objektive Realität der Freiheit läßt sich nur durch praktische Gesetze der reinen Vernunft dartun. Wir fragen: Welches ist das Wesen der reinen Vernunft als praktischer? Darin liegt die allgemeine Frage: Was ist überhaupt praktische Vernunft? Was ist >praktisch

272 Der zweite Weg zur <strong>Freiheit</strong> im kantischen System<br />

<strong>Freiheit</strong>sidee, das im <strong>Wesen</strong>sbegriff <strong>Freiheit</strong> Vorgestellte, läßt<br />

sich als Wirkliches »durch praktische Gesetze <strong>der</strong> reinen Vernunft«<br />

dartun.<br />

Ich fasse zusammen. Der zweite Weg stellt das Problem <strong>der</strong><br />

wirklichen <strong>Freiheit</strong>, d. h. jetzt, es erhebt sich die Frage nach<br />

<strong>der</strong> Wirklichkeit <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong>. In <strong>der</strong> Beantwortung dieser<br />

Frage bestimmt sich zugleich die Art und Weise des möglichen<br />

Wissens um wirkliche <strong>Freiheit</strong>, das Problem des spezifischen<br />

<strong>Wesen</strong>s <strong>der</strong> >Erfahrung< von so etwas wie <strong>Freiheit</strong> im willentlichen<br />

Handeln. Der erste Weg fragt nach <strong>der</strong> Möglichkeit<br />

einer Einheit <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> mit <strong>der</strong> Natur, <strong>der</strong> zweite fragt nach<br />

<strong>der</strong> Art <strong>der</strong> Wirklichkeit einer so möglichen <strong>Freiheit</strong>, d. h. aber<br />

zugleich für Kant, nach <strong>der</strong> Art und Weise, in <strong>der</strong> die Idee <strong>der</strong><br />

<strong>Freiheit</strong> hinsichtlich ihrer Realität als wirkliche ausgewiesen<br />

werden kann. Sie ist ausweis bar durch die praktischen Gesetze<br />

<strong>der</strong> reinen Vernunft. Ihre Realität ist praktisch, die <strong>Freiheit</strong><br />

gehört ihrem <strong>Wesen</strong>sgehalt nach in die Wirklichkeit des Praktischen.<br />

Die Realität <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> zu beweisen, besagt demnach.<br />

Gründe ausfindig zu machen, die beweisen, »daß diese Eigenschaft<br />

[Kausalität aus <strong>Freiheit</strong>] dem <strong>menschlichen</strong> Willen (und<br />

so auch dem Willen aller vernünftigen <strong>Wesen</strong>) in <strong>der</strong> Tat zukomme«.l1<br />

Das klingt immer wie<strong>der</strong> so, als sollte und könnte<br />

das Vorhandensein <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> als Tatsache empirisch nachgewiesen<br />

werden. Das Problem ist aber nach all dem Gesagten<br />

dieses: Wie muß überhaupt die Wirklichkeit (Tatsächlichkeit)<br />

<strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> verstanden werden? Denn offenbar bedarf diese<br />

Frage zuvor einer Beantwortung, wenn wirkliche, tatsächliche<br />

<strong>Freiheit</strong> selbst zum Problem werden soll. Gelingt es aber auszumachen,<br />

wie die Tatsächlichkeit <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> zu verstehen<br />

sei, dann ist damit die Vorzeichnung dafür gegeben, wie eine<br />

>Erfahrung< sein muß, die tatsächliche <strong>Freiheit</strong> als solche soll<br />

zugänglich machen können.<br />

Praktisches Handeln ist die Seinsart <strong>der</strong> Person. Erfahrung<br />

11 Kant, Kr. d. pr. V., S. 16 (V, 30).<br />

§ 27. Die Wirklichkeit <strong>der</strong> <strong>menschlichen</strong> <strong>Freiheit</strong> 273<br />

<strong>der</strong> praktischen <strong>Freiheit</strong> ist Erfahrung <strong>der</strong> Person als Person.<br />

Personalität ist das eigentliche <strong>Wesen</strong> des Menschen. Erfahrung<br />

<strong>der</strong> Person ist zugleich die wesentliche Erfahrung des<br />

Menschen, die Art von Wissen, in <strong>der</strong> sich <strong>der</strong> Mensch in seiner<br />

eigentlichen Wirklichkeit offenbar wird. Kant spricht freilich<br />

nicht von >Erfahrung< <strong>der</strong> Person als solcher. >Erfahrung< überhaupt<br />

ist vorbehalten dem Offenbarwerden des Wirklichen<br />

<strong>der</strong> Naturdinge. Und doch liegt diese Redeweise notwendig<br />

in <strong>der</strong> Richtung seiner Problematik. Kant ist nicht weiter gegangen,<br />

deshalb ist gerade das Problem <strong>der</strong> Tatsächlichkeit <strong>der</strong><br />

<strong>Freiheit</strong> von Schwierigkeiten und Mißverständnissen umlagert.<br />

Diese sind heute weniger denn je behoben, d. h. es wird ihnen<br />

nicht einmal wirklich ins Auge gesehen. Das Ausweichen in die<br />

Wertphilosophie ist eine völlige Verkehrung des eigentlichen<br />

kantischen Problems.<br />

b) über das <strong>Wesen</strong> <strong>der</strong> reinen Vernunft als praktischer.<br />

Die reine praktische Vernunft als <strong>der</strong> reine Wille<br />

Kants These bezüglich <strong>der</strong> Wirklichkeit <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> lautet ganz<br />

allgemein: Die objektive Realität <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> läßt sich nur<br />

durch praktische Gesetze <strong>der</strong> reinen Vernunft dartun. Mit dieser<br />

These ist die eigentliche Aufgabe des zweiten Weges und<br />

zugleich die spezifische Problematik festgelegt. Die Tatsächlichkeit<br />

<strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> läßt sich nur ausweisen aus und in <strong>der</strong> Tatsächlichkeit<br />

<strong>der</strong> praktischen Gesetzlichkeit <strong>der</strong> reinen Vernunft.<br />

Kurz, das Faktum <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> ist nur zugänglich im Verstehen<br />

<strong>der</strong> Faktizität <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong>. Die Faktizität <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong> ist<br />

nur erweislich und aufhellbar aus <strong>der</strong> Faktizität <strong>der</strong> reinen<br />

Vernunft als praktischer. So ist die nächste und erste Frage:<br />

Welches ist das <strong>Wesen</strong> einer reinen Vernunft als praktischer?<br />

Und die weitere: Welche Art von Tatsächlichkeit eignet <strong>der</strong><br />

reinen praktischen Vernunft aufgrund ihres <strong>Wesen</strong>s? Das We-

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