Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe

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§ 26. Das Wesen des Menschen 261 ZWEITES KAPITEL Der zweite Weg zur Freiheit im kantischen System Praktische Freiheit als spezifische Auszeichnung des -Menschen als eines Vernunftwesens "Venn wir in dieser Weise zum zweiten Weg Kants übergehen. so ist das äußerlich. Es erweckt den Anschein, als liefen beide Wege ganz unabhängig neben- und auseinander, als stießen wir jetzt unvermittelt auf etwas ganz anderes. Das trifft in gewisser ,V eise zu und doch wieder nicht. Denn gerade die Richtung des ersten Weges macht deutlich, daß die Idee der Freiheit nicht nur im Verfolg des innelen Widerstreites der Vernunft im Denken der Welt auftaucht, sondern daß eben dieser Weg gleichsam eine Aussicht bietet auf die Freiheit an einem ganz anderen Ort, an den freilich dieser erste Weg nicht und nie hinzuführen vermag, er verschafft immer noch eine und zwar ganz beschränkte Aussicht auf die Freiheit, nämlich als Freiheit des Menschen. Zwar schärften wir immer ein: Diese Freiheit des Menschen - vom ersten Weg aus gesehen - ist immer nur ein möglicher Fall der kosmologischen Freiheit. Die Frage hleibt. ob diese Art. die Freiheit des Menschen 7U sehen, die einzig mögliche ist, oder ob gar eine andere ebenso möglich, ja sogar notwendig ist. Trifft dies zu, dann ist damit zugleich die Unentbehrlichkeit des zweiten Weges erwiesen. Doch nicht nur das. Wenn ein zweiter Weg zur Freiheit führt, und zwar zur Freiheit des Menschen als selcher, und dieser dabei immer noch ein Fall von Weltwesen bleibt, dann gilt auch fur den zweiten Weg das, was der erste Vveg über die Freiheit sagt. Noch mehr. Nach Kants eigener und ausdrücklicher Bemerkung ist sogar der Gehalt des kosmologischen Freiheitsbegriffes dasjenige, was das eigentlich Problematische ausmacht im Problem der Freiheit, sofern es auf dem zweiten Weg erwächst. Aus alldem wird zusehends deutlicher, daß das, was der erste Weg ergab, nicht belanglos ist für den zweiten, obzwar dieser ganz für sich angelegt werden muß. Der zweite Weg ist seiner Natur nach wesentlich kürzer, was freilich nicht meint, die Probleme, die er stellt, seien leichter zu bewältigen. Wir stehen auf dem zweiten Wege unmittelbar vor der Freiheit, was allerdings eine unangemessene Redeweise ist. § 26. Das Wesen des Menschen als Sinnen- und Vernunftwesen und der Unterschied von transzendentaler und praktischer Freiheit a) Das Wesen des Menschen (Menschheit) als Person (Persönlichkeit). Persönlichkeit und Selbstverantwortlichkeit In welcher Richtung geht nun der zweite Weg? Er zielt nicht auf die Freiheit als eine in der Welt mögliche Art von Kausalität, sondern auf die Freiheit als spezifische Auszeichnung des Menschen als eines Vernunftwesens. Sofern aber der Mensch als Weltwesen überhaupt unter die auf dem ersten Weg gefundene Idee der Freiheit fällt, ist auch dort schon die Freiheit des Menschen mitbeachtet, aber nicht eigens als spezifische Auszeichnung zum Problem gemacht. Wenn das geschehen soll, dann muß offenbar auch der Mensch überhaupt anders als in der kosmologischen Erörterung in den Blick gefaßt werden, eben hinsichtlich dessen. was ihn auszeichnet. Und was ist dies? Seine Persönlichkeit. Kant gebraucht diesen Ausdruck in einer ganz bestimmten terminologischen Bedeutung. Wir sprechen zum Beispiel davon, daß bei einer Gesellschaft verschiedene >Persönlichkeiten< anwesend waren, Leute, die >etwas sindman< jedenfalls sagt, sie >seien jemand

262 Der zweite Weg zur Freiheit lm kantischen System sonsein, ausmacht. Das Wesen aber ist nur einzig eines und kann daher nur im Singular bezeichnet werden. So meint entsprechend Tierheit das Spezifische des Tieres, Menschheit das Spezifische des Menschen, nicht etwa die Summe aller Menschen. Was macht nun die Persönlichkeit einer Person aus? Wir verstehen das, wenn wir die Persönlichkeit im Unterschied zur Menschheit und Tierheit des Menschen betrachten. 1 Alles darin nämlich macht das Ganze der Elemente der Bestimmung des vollen Wesens des Menschen aus. Zwar kennt die überlieferte Definition des Menschen nur zwei Elemente der Bestimmung: homo animal rationale, der Mensch ist ein vernunftbegabtes Tier. Demnach ist es die Tierheit, die den Menschen als lebendes Wesen kennzeichnet. Die Vernunft ist das zweite Moment, was nun freilich nicht den Gehalt dessen ausmacht, was Kant die Menschheit nennt, sondern Menschheit ist das, was den Menschen als ein lebendiges und zugleich vernünftiges Wesen kennzeichnet. Im Begriff der Menschheit liegt der Bezug zur Tierheit mit. Was Kant unter Menschheit begreift, ist in gewisser Weise der Gehalt der überlieferten Definition. Aber das Wesen des Menschen ist nicht erschöpft in seiner Menschheit, sondern es vollendet sich erst und bpstimmt sich eigentlich in der Persönlichkeit. Sie macht den Menschen zu einem vernünftigen und zugleich der Zurechnung fähigen Wesen. Ein Wesen, dem etwas zugerechnet werden kann, muß in sich für sich selbst verantwortlich sein können. Das Wesen der Person. die Persönlichkeit, besteht in der Selbstverantwortlichkeit. Kant betont ausdrücklich, daß die Bestimmung des Menschen als eines vernünftigen Lebewesens nicht zureiche, weil vernünftig auch ein Wesen sein kann, dem die Möglichkeit abgeht, für sich selbst praktisch zu sein, um seiner selbst willen zu handeIn. Die Vernunft könnte eine bloß theoretische sein, so daß der Mensch zwar mit Hilfe der Vernunft in seinem Tun über- 1 Vgl. Kant, Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. "VW (Cassirer), VI, 164. I. Stuck, H. Abschn. § 26. Das Wesen des Menschen 263 legte, die Antriebe seines Handelns aber doch alle aus seiner Sinnlichkeit, seiner Tierheit, hernähme. Das Wesen des Menschen, wenn es nicht in der Menschheit aufgeht, besteht dann gerade darin, über sich selbst hinauszugehen, als Person, in der Persönlichkeit. So bestimmt denn auch Kant die >Persönlichkeit< als das, »was den Menschen über sich selbst (als einen Teil der Sinnenwelt) erhebt «.2 Das Wesen des Menschen, die Menschheit, besteht demnach nicht in seiner Menschheit, sofern darunter die Einheit von Vernunft und Sinnlichkeit verstanden wird, sondern es liegt über diese hinaus in der Persönlichkeit. Das eigentliche Menschsein, das Wesen der Menschheit selbst, liegt in der Person. So gebraucht Kant auch den Ausdruck Menschheit formal als Terminus für das ganze, eigentliche Wesen des Menschen und spricht von der »Menschheit in seiner Person«.3 Nehmen wir den Menschen nicht als Sinnen- und Weltwesen, nicht kosmologisch, sondern verstehen wir ihn aus dem, was ihn auszeichnet, aus seiner Persönlichkeit, dann haben wir ihn im Blick als selbstverantwortliches Wesen. Selbstverantwortlichkeit ist dabei die Grundart des Seins, die alles Tun und Lassen des Menschen bestimmt, das spezifisch ausgezeichnete menschliche Handeln, die sittliche Praxis. Inwiefern und in welcher Weise stoßen wir auf die Freiheit, wenn wir den Menschen nach seiner Persönlichkeit, seinem Personsein nehmen? b) Die zwei Wege zur Freiheit und der Unterschied von transzendentaler und praktischer Freiheit. Möglichkeit und Wirklichkeit der Freiheit Es gilt nun auch für die Erörterung des zweiten Weges mit unverminderter Schärfe das, was für den ersten und sein Verständnis gefordert wurde: zu achten auf die Art der Problema- 2 Kant, Kr. d. pr. V., S. 101 (V, 154). 3 a.a.O., S. 102 (V, 155 u. 157).

262 Der zweite Weg zur <strong>Freiheit</strong> lm kantischen System<br />

sonsein, ausmacht. Das <strong>Wesen</strong> aber ist nur einzig eines und<br />

kann daher nur im Singular bezeichnet werden. So meint entsprechend<br />

Tierheit das Spezifische des Tieres, Menschheit das<br />

Spezifische des Menschen, nicht etwa die Summe aller Menschen.<br />

Was macht nun die Persönlichkeit einer Person aus? Wir verstehen<br />

das, wenn wir die Persönlichkeit im Unterschied zur<br />

Menschheit und Tierheit des Menschen betrachten. 1 Alles<br />

darin nämlich macht das Ganze <strong>der</strong> Elemente <strong>der</strong> Bestimmung<br />

des vollen <strong>Wesen</strong>s des Menschen aus. Zwar kennt die überlieferte<br />

Definition des Menschen nur zwei Elemente <strong>der</strong> Bestimmung:<br />

homo animal rationale, <strong>der</strong> Mensch ist ein vernunftbegabtes<br />

Tier. Demnach ist es die Tierheit, die den Menschen als<br />

lebendes <strong>Wesen</strong> kennzeichnet. Die Vernunft ist das zweite Moment,<br />

was nun freilich nicht den Gehalt dessen ausmacht, was<br />

Kant die Menschheit nennt, son<strong>der</strong>n Menschheit ist das, was<br />

den Menschen als ein lebendiges und zugleich vernünftiges <strong>Wesen</strong><br />

kennzeichnet. Im Begriff <strong>der</strong> Menschheit liegt <strong>der</strong> Bezug<br />

zur Tierheit mit. Was Kant unter Menschheit begreift, ist in<br />

gewisser Weise <strong>der</strong> Gehalt <strong>der</strong> überlieferten Definition. Aber<br />

das <strong>Wesen</strong> des Menschen ist nicht erschöpft in seiner Menschheit,<br />

son<strong>der</strong>n es vollendet sich erst und bpstimmt sich eigentlich<br />

in <strong>der</strong> Persönlichkeit. Sie macht den Menschen zu einem vernünftigen<br />

und zugleich <strong>der</strong> Zurechnung fähigen <strong>Wesen</strong>. Ein<br />

<strong>Wesen</strong>, dem etwas zugerechnet werden kann, muß in sich für<br />

sich selbst verantwortlich sein können. Das <strong>Wesen</strong> <strong>der</strong> Person.<br />

die Persönlichkeit, besteht in <strong>der</strong> Selbstverantwortlichkeit.<br />

Kant betont ausdrücklich, daß die Bestimmung des Menschen<br />

als eines vernünftigen Lebewesens nicht zureiche, weil vernünftig<br />

auch ein <strong>Wesen</strong> sein kann, dem die Möglichkeit abgeht,<br />

für sich selbst praktisch zu sein, um seiner selbst willen zu handeIn.<br />

Die Vernunft könnte eine bloß theoretische sein, so daß<br />

<strong>der</strong> Mensch zwar mit Hilfe <strong>der</strong> Vernunft in seinem Tun über-<br />

1 Vgl. Kant, Religion innerhalb <strong>der</strong> Grenzen <strong>der</strong> bloßen Vernunft.<br />

"VW (Cassirer), VI, 164. I. Stuck, H. Abschn.<br />

§ 26. Das <strong>Wesen</strong> des Menschen 263<br />

legte, die Antriebe seines Handelns aber doch alle aus seiner<br />

Sinnlichkeit, seiner Tierheit, hernähme. Das <strong>Wesen</strong> des Menschen,<br />

wenn es nicht in <strong>der</strong> Menschheit aufgeht, besteht dann<br />

gerade darin, über sich selbst hinauszugehen, als Person, in <strong>der</strong><br />

Persönlichkeit. So bestimmt denn auch Kant die >Persönlichkeit<<br />

als das, »was den Menschen über sich selbst (als einen Teil<br />

<strong>der</strong> Sinnenwelt) erhebt «.2 Das <strong>Wesen</strong> des Menschen, die<br />

Menschheit, besteht demnach nicht in seiner Menschheit, sofern<br />

darunter die Einheit von Vernunft und Sinnlichkeit verstanden<br />

wird, son<strong>der</strong>n es liegt über diese hinaus in <strong>der</strong> Persönlichkeit.<br />

Das eigentliche Menschsein, das <strong>Wesen</strong> <strong>der</strong> Menschheit<br />

selbst, liegt in <strong>der</strong> Person. So gebraucht Kant auch den Ausdruck<br />

Menschheit formal als Terminus für das ganze, eigentliche<br />

<strong>Wesen</strong> des Menschen und spricht von <strong>der</strong> »Menschheit in<br />

seiner Person«.3<br />

Nehmen wir den Menschen nicht als Sinnen- und Weltwesen,<br />

nicht kosmologisch, son<strong>der</strong>n verstehen wir ihn aus dem, was ihn<br />

auszeichnet, aus seiner Persönlichkeit, dann haben wir ihn im<br />

Blick als selbstverantwortliches <strong>Wesen</strong>. Selbstverantwortlichkeit<br />

ist dabei die Grundart des Seins, die alles Tun und Lassen<br />

des Menschen bestimmt, das spezifisch ausgezeichnete menschliche<br />

Handeln, die sittliche Praxis. Inwiefern und in welcher<br />

Weise stoßen wir auf die <strong>Freiheit</strong>, wenn wir den Menschen<br />

nach seiner Persönlichkeit, seinem Personsein nehmen?<br />

b) Die zwei Wege zur <strong>Freiheit</strong> und <strong>der</strong> Unterschied<br />

von transzendentaler und praktischer <strong>Freiheit</strong>.<br />

Möglichkeit und Wirklichkeit <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong><br />

Es gilt nun auch für die Erörterung des zweiten Weges mit unvermin<strong>der</strong>ter<br />

Schärfe das, was für den ersten und sein Verständnis<br />

gefor<strong>der</strong>t wurde: zu achten auf die Art <strong>der</strong> Problema-<br />

2 Kant, Kr. d. pr. V., S. 101 (V, 154).<br />

3 a.a.O., S. 102 (V, 155 u. 157).

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