Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe
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224· Kausalität und Freiheit als kosmologisches ProbZrm Vernunftbegriffen, den Ideen (Seele, Welt, Gott), bieten sich »Aussichten auf die letzten Zwecke [Unsterblichkeit, Freiheit, Gott], in welchen alle Vernunftbemühungen sich endlich vereinigen müssen «.22 Der Widerstreit zum Beispiel, den wir darstellten, betrifft ganz allgemein alles vorhandene Seiende. Zu diesem gehörl auch der einzelne Mensch als ein vorhandenes Stück des Weltganzen. Die Zwiespältigkeit der Antinomie, ob es innerhalb des vorhandenen Seienden solches gibt, das von selbst eine Geschehnisreihe anfangen kann oder nicht, diese allgemeine Zwiespältigkeit wird, wenn der einzelne Mensch sie auf sich als ein Vorhandenes bezieht, zur Frage, »ob ich in meinen Handlungen frei, oder wie andere Wesen, an dem Faden der Natur und des Schicksals geleitet sei «.23 Bin ich frei oder ist alles bloß Naturzwang? Sofern wir uns für die Thesis entscheiden. ihr den Vorzug geben, entscheiden wir uns für die Freiheit. und zwar nicht als bloße Ungebundenheit, sondern gerade als Bedingung der Möglichkeit der Verantwortlichkeit haben wir die Möglichkeit der Moralität überhaupt im Sinne. In der Entscheidung für die Thesis zeigt sich dann ein gewisses moralisches Interesse. 24 Zugleich aber zeigt sich ein spekulatives, d. h. rein theoretisches Interesse, sofern uns daran liegt, auf die Frage nach der Ganzheit des Vorhandenen eine befriedigende, d. h. abschließend beruhigende Antwort geben zu können, welche Möglichkeit auf der Seite der Antithesis nicht besteht. VVeil so dem natürlichen Vorziehen der Thesis das allgemeine praktische und theoretische Interesse der Menschenvernllnft sich zuneigt, hat ihr Gehalt eine gewisse Popularität, die der Gegenposition fehlt. Hier ist ein rastloses Aufsteigen zu immer weiter zurückliegenden Ursachen gefordert, hier kommt das Erkennen nie auf einen festen Punkt, wo ein Ausruhen und Ruhe möglich wäre, sondern der Mensch hängt da »jederzeit mit 22 a.a.O., A 463, B 491. 23 Ebd. 24 Vgl. a.a.O., A 466, B 494. § 23. Die zwei Arten der Kausalität und die Antithetih 225 einem Fuße in der Luft«.25 So ist auf der Basis der Antithesis, die eben keine ist, weil sie kein Erstes und keinen Anfang gewährt, nicht die Errichtung eines vollständigen Gebäudes der Erkenntnis möglich. 26 Weil nun »die menschliche Vernunft ... ihrer Natur nach architektonisch«27 ist, d. h. alle Erkenntnisse betrachtet als gehörig zu einem möglichen System, deshalb »führt das architektonische Interesse der Vernunft ... eine natürliche Empfehlung für die Behauptungen der Thesis bei sich.«28 Damit ist zugleich gesagt, daß die Hauptrichtung des eigen tlichen metaphysischen Fragens und Antwortens, entspringend der »Naturanlage« des Menschen, durch die Thesis gegeben ist. Das vermag aber, rein dem Gehalt nach betrachtet, ihr keinen Vorzug vor der Antithesis zu geben, sondern zeigt nur an, daß die Menschenvernunft zumeist nicht einmal imstande ist, ihren eigenen Widerstreit vorurteilslos zu sehen. Der Zusammenhang der Thesis mit dem allgemeinen Interesse des Menschen deutet nun überhaupt darauf hin, daß, »wenn es ... zum Tun und Handeln käme«, »dieses Spiel der bloß spekulativen Vernunft« zwischen Thesis und Antithesis »wie Schattenbilder eines Traumes« verschwände, und der Mensch »würde seine Prinzipien bloß nach dem praktischen Interesse wählen. «29 Andererseits »kann es niemanden verargt, noch weniger verwehrt werden, die Sätze und Gegensätze, so wie sie sich ... verteidigen können, auftreten zu lassen. «30 Aus alldem ergibt sich: Die reine Vernunft trägt nicht nur diesen Widerstreit in sich, sondern die möglichen Stellungnahmen sind unter sich verschieden und gegeneinander im Recht. Wir müssen hier in unserem Problemzusammenhang darauf verzichten, dem von Kant aufgerollten Antinomienproblem grundsätzlich nachzugehen und nach der ursprünglichen Ver- 25 a.a.O., A 467, B 495. 26 V gl. a.a.O., A 474, B 502. 27 Ebd. 28 a.a.O .. A 475, B 503. 29 Ebd. 30 a.a.O., A 475 f., B 503 f.
226 Kausalität und Freiheit als kosmologisches Problem wurzelung desselben im Wesen des menschlichen Daseins zu fragen. Das bedeutet zugleich, darauf zu verzichten, kritisch zu fragen, inwiefern die von Kant herausgestellten Antinomien schlechthin notwendig sind, inwiefern sie sich lediglich aufgrund der spezifisch kantischen Ansetzung des Vernunftproblems und der Frage nach dem Menschen als notwendig ergeben. Für uns geht es allein darum, die Stelle des Freiheitsproblems innerhalb der Metaphysik, seinen metaphysischen Charakter zu sehen und diesen ersten Weg zur Freiheit mit dem zweiten zur Einheit zu bringen. Das Freiheitsproblem gehört zum Weltproblem. Die Problematik erwächst als Antinomie einer kosmologischen Idee, der Vernunfterkenntnis von der absoluten Totalität der Reihe der Entstehung einer Erscheinung. Die kosmologisrhe Idee der Freiheit erfährt aber dadurch noch eine besondere Bestimmung und Auszeichnung, daß die kosmologischen Ideen vor allen anderen (den psychologischen und theologischen) in bestimmter Hinsicht eine Bedeutung haben, der gemäß es nicht möglich ist, sich der Aufgabe der Auflösung ihres Widerstreits zu entziehen. Die Versuchung liegt freilich nahe. Man könnte sich darauf berufen, daß es »unverschämte Großsprecherei« und »ausschweifender Eigendünkel«31 sei, alle Fragen lösen zu wollen, und daß es angebracht sei, in diesen letzten Fragen der Vernunft sich einfach zu bescheiden. Allein, dieses Vorschützen einer undurchdringlichen Dunkelheit der letzten Fragen mag bei den psychologischen und theologischen Ideen möglich und ein Zeichen wirklicher Bescheidung und Bescheidenheit sein, mit Bezug auf die kosmologischen Ideen ist soJches Verfahren nicht angängig, d. h. die Auflösung ihres Widerstreits ist notwendig. Inwiefern? Der Gegenstand der kosmologischen Ideen ist die Totalität der Erscheinungen. Diese Vollständigkeit des Vorhandenen in seinem Vorhandensein ist zwar empirisch nicht und nie gegeben, was aber thematisch in den kosmologischen 31 a.a 0., A 476, B 504. § 23. Die zwei Arten der Kausalität und die Antithetik 227 Ideen genannt und gemeint ist, Kosmos, Natur, ist andererseits gerade der mögliche Gegenstand der Erfahrung. Bei diesen Ideen muß der Gegenstand als gegeben vorausgesetzt werden, und die Fragen, die diese Ideen auslösen, betreffen eben nichts anderes als die Vollständigkeit der Synthesis der Erfahrung. Der Gegenstand ist an ihm selbst bekannt. Was hier als bekannt gegeben ist, muß auch das Richtmaß abgeben für die Beurteilung der Ideen und die Art, wie uns der Gegenstand dieser Ideen gegeben wird. Die kosmologischen Ideen sind zwar nicht ausführbar, d. h. die Totalität ist als solche nicht anschaulich darstellbar und zu geben, aber das Vorstellen derselben ist doch jederzeit von einem Gegebenen her und für dieses zu befolgen. Es könnte sein, daß diese Ideen in der Art, wie sie selbst entspringen und einander widerstreitende Behauptungen aus sich heraussetzen, sich nicht an das halten, worauf sie als kosmologische Ideen bezogen sind, die Erscheinungen, und vor allem nicht an das, wie uns der Gegenstand dieser Ideen gegeben wird. Wenn wir uns aber darauf besinnen, dann finden wir am Ende den Schlüssel zur Auflösung und den Ursprung ihres Widerstreits. Sollte er auf einem Schein beruhen, dann müßte er sich auflösen und es wäre ein Weg gegeben, den Streit beizulegen und das in den Ideen Vorgestellte positiv einzubeziehen in die Möglichkeit der Erfahrung. Sollte aber der Streit trotzdem fortdauern, dann müßte doch irgendein Weg gesucht werden, denselben beizulegen. Mit Bezug auf das Freiheitsproblem heißt das: Freiheit als kosmologische Idee bleibt nicht einfach stehen als Gegenbegriff zur Naturkausalität, sondern der Widerstreit bei der erfährt eine Auflösung, so daß die Möglichkeit der Einheit beider - Kausalität aus Freiheit und Kausalität nach der Natur - zum mindesten nicht undenkbar ist. Aber selbst von der Aussicht auf eine mögliche Auflösung des Widerstreits noch ganz abgesehen, liegt schon darin etwas Wesentliches, daß man in der Antithetik die Argumente der Vernunft für ihre Sätze gegeneinander auftreten läßt. Kant
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224· Kausalität und <strong>Freiheit</strong> als kosmologisches ProbZrm<br />
Vernunftbegriffen, den Ideen (Seele, Welt, Gott), bieten sich<br />
»Aussichten auf die letzten Zwecke [Unsterblichkeit, <strong>Freiheit</strong>,<br />
Gott], in welchen alle Vernunftbemühungen sich endlich vereinigen<br />
müssen «.22<br />
Der Wi<strong>der</strong>streit zum Beispiel, den wir darstellten, betrifft<br />
ganz allgemein alles vorhandene Seiende. Zu diesem gehörl<br />
auch <strong>der</strong> einzelne Mensch als ein vorhandenes Stück des Weltganzen.<br />
Die Zwiespältigkeit <strong>der</strong> Antinomie, ob es innerhalb<br />
des vorhandenen Seienden solches gibt, das von selbst eine Geschehnisreihe<br />
anfangen kann o<strong>der</strong> nicht, diese allgemeine Zwiespältigkeit<br />
wird, wenn <strong>der</strong> einzelne Mensch sie auf sich als ein<br />
Vorhandenes bezieht, zur Frage, »ob ich in meinen Handlungen<br />
frei, o<strong>der</strong> wie an<strong>der</strong>e <strong>Wesen</strong>, an dem Faden <strong>der</strong> Natur und<br />
des Schicksals geleitet sei «.23 Bin ich frei o<strong>der</strong> ist alles bloß Naturzwang?<br />
Sofern wir uns für die Thesis entscheiden. ihr den<br />
Vorzug geben, entscheiden wir uns für die <strong>Freiheit</strong>. und zwar<br />
nicht als bloße Ungebundenheit, son<strong>der</strong>n gerade als Bedingung<br />
<strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> Verantwortlichkeit haben wir die Möglichkeit<br />
<strong>der</strong> Moralität überhaupt im Sinne. In <strong>der</strong> Entscheidung<br />
für die Thesis zeigt sich dann ein gewisses moralisches Interesse.<br />
24 Zugleich aber zeigt sich ein spekulatives, d. h. rein theoretisches<br />
Interesse, sofern uns daran liegt, auf die Frage nach<br />
<strong>der</strong> Ganzheit des Vorhandenen eine befriedigende, d. h. abschließend<br />
beruhigende Antwort geben zu können, welche<br />
Möglichkeit auf <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Antithesis nicht besteht. VVeil so<br />
dem natürlichen Vorziehen <strong>der</strong> Thesis das allgemeine praktische<br />
und theoretische Interesse <strong>der</strong> Menschenvernllnft sich<br />
zuneigt, hat ihr Gehalt eine gewisse Popularität, die <strong>der</strong> Gegenposition<br />
fehlt. Hier ist ein rastloses Aufsteigen zu immer<br />
weiter zurückliegenden Ursachen gefor<strong>der</strong>t, hier kommt das<br />
Erkennen nie auf einen festen Punkt, wo ein Ausruhen und Ruhe<br />
möglich wäre, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Mensch hängt da »je<strong>der</strong>zeit mit<br />
22 a.a.O., A 463, B 491.<br />
23 Ebd.<br />
24 Vgl. a.a.O., A 466, B 494.<br />
§ 23. Die zwei Arten <strong>der</strong> Kausalität und die Antithetih 225<br />
einem Fuße in <strong>der</strong> Luft«.25 So ist auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> Antithesis,<br />
die eben keine ist, weil sie kein Erstes und keinen Anfang gewährt,<br />
nicht die Errichtung eines vollständigen Gebäudes <strong>der</strong><br />
Erkenntnis möglich. 26 Weil nun »die menschliche Vernunft ...<br />
ihrer Natur nach architektonisch«27 ist, d. h. alle Erkenntnisse<br />
betrachtet als gehörig zu einem möglichen System, deshalb<br />
»führt das architektonische Interesse <strong>der</strong> Vernunft ... eine<br />
natürliche Empfehlung für die Behauptungen <strong>der</strong> Thesis bei<br />
sich.«28 Damit ist zugleich gesagt, daß die Hauptrichtung des<br />
eigen tlichen metaphysischen Fragens und Antwortens, entspringend<br />
<strong>der</strong> »Naturanlage« des Menschen, durch die Thesis gegeben<br />
ist. Das vermag aber, rein dem Gehalt nach betrachtet,<br />
ihr keinen Vorzug vor <strong>der</strong> Antithesis zu geben, son<strong>der</strong>n zeigt<br />
nur an, daß die Menschenvernunft zumeist nicht einmal imstande<br />
ist, ihren eigenen Wi<strong>der</strong>streit vorurteilslos zu sehen. Der<br />
Zusammenhang <strong>der</strong> Thesis mit dem allgemeinen Interesse des<br />
Menschen deutet nun überhaupt darauf hin, daß, »wenn<br />
es ... zum Tun und Handeln käme«, »dieses Spiel <strong>der</strong> bloß spekulativen<br />
Vernunft« zwischen Thesis und Antithesis »wie<br />
Schattenbil<strong>der</strong> eines Traumes« verschwände, und <strong>der</strong> Mensch<br />
»würde seine Prinzipien bloß nach dem praktischen Interesse<br />
wählen. «29 An<strong>der</strong>erseits »kann es niemanden verargt, noch<br />
weniger verwehrt werden, die Sätze und Gegensätze, so wie sie<br />
sich ... verteidigen können, auftreten zu lassen. «30 Aus alldem<br />
ergibt sich: Die reine Vernunft trägt nicht nur diesen Wi<strong>der</strong>streit<br />
in sich, son<strong>der</strong>n die möglichen Stellungnahmen sind unter<br />
sich verschieden und gegeneinan<strong>der</strong> im Recht.<br />
Wir müssen hier in unserem Problemzusammenhang darauf<br />
verzichten, dem von Kant aufgerollten Antinomienproblem<br />
grundsätzlich nachzugehen und nach <strong>der</strong> ursprünglichen Ver-<br />
25 a.a.O., A 467, B 495.<br />
26 V gl. a.a.O., A 474, B 502.<br />
27 Ebd.<br />
28 a.a.O .. A 475, B 503.<br />
29 Ebd.<br />
30 a.a.O., A 475 f., B 503 f.