Vom Wesen der menschlichen Freiheit. Einleitung ... - gesamtausgabe
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192 Kausalität und Freiheit als kosmologisches Problem gegenüber der Kausalität nach der Natur die Eigenartigkeit der sittlichen Person gegenüber dem Naturding betonen und festgehalten wissen. Gewiß, das soll gar nicht bestritten werden. Aber durch diese Absicht ist das Problem noch längst nicht gelöst oder auch nur gestellt, das eben damit aufgegeben ist, daß die Seinsart des Menschen primär sich nicht als Vorhandensein bestimmen läßt. Dann liegt es zum mindesten so, daß die Seinsart des Menschen ontologisch unbestimmt und unterbestimmt ist - ein Mangel, der, weil es sich um Grundsätzliches handelt, von prinzipieller Tragweite ist und daher nicht auf dem Wege einer nachträglichen äußerlichen Ergänzung behoben werden kann. Kant gelangt nicht dazu, weil er trotz allem das Problem der Ontologie auf das Problem des Seienden qua Vorhandenen festbannt. Und dieses wiederum geschieht, weil er das allgemeine Seinsproblem nicht kennt und aufrollt. So fehlt bei Kant der metaphysische Boden für das Freiheitsproblem, schon allein in dem Umkreis, innerhalb dessen Kant es unter der Kennzeichnung der Freiheit als Kausalität behandelt. b) Erste Prüfung der Orientierung der Kausalität auf die Seinsart des Vorhandenseins an der Folge als dem auszeichnenden Zeitmodus der Kausalität am Beispiel des Zugleichseins von Ursache und Wirkung Zunächst gilt es aber, die Fragestellung Kants so weit zu klären und darzustellen, damit wir deutlicher sehen, welches grundsätzliche metaphysische Problem der Ansetzung der Freiheit als einer Kausalität zugrunde liegt. Aus dem zuletzt Gesagten entnehmen wir vorläufig soviel: Es liegt für Kant nahe, die Naturkausalität als eine Art von Kausalität zugleich anzusetzen als die Kausalität überhaupt und die besondere Art der Freiheitskausalität aufgrund und im Hinblick auf Naturkausalität zu bestimmen - in jedem Fall: nicht ebenso ursprünglich wie aus sich selbst. - »Ich begreife bald, daß, da ich nichts ohne Kategorie denken kann, diese auch in der Idee der Ver- § 20. Zwei Arten der Kausalität 193 nunft von der Freiheit, mit der ich mich beschäftige, zuerst müsse aufgesucht werden, welche hier die Kategorie der Kausalität ist«.1° Der »Begriff der Kausalität ... [enthält] ... jederzeit die Beziehung auf ein Gesetz, welches die Existenz des Mannigfaltigen im Verhältnis zueinander bestimmt«.11 Grundsätzlicher gewendet im Hinblick darauf, daß Ursachesein orientiert ist auf Vorhandensein, was Kant eben bezeichnenderweise gleichsetzt mit Da-sein, Wirklichkeit und Existenz überhaupt: Es liegt für Kant nahe, Freiheit und Freisein im Horizont des Vorhandenseins zu sehen, d. h. die Frage nach der speziellen Seinsart des Freiseienden zu unterlassen , die Freiheit als metaphysisches Problem nicht ursprünglich und eigens anzugreifen und zu entfalten. Wenn das so ist und wenn auch und gerade für Kant die Freiheit das Letzte und Oberste in der Philosophie ausmacht: »Der Begriff der Freiheit, sofern dessen Realität durch ein apodiktisches Gesetz der praktischen Vernunft bewiesen ist, macht nun den Schlußstein von dem ganzen Gebäude eines Systems der reinen, selbst der spekulativen Vernunft aus«12, dann müssen freilich für Kant Gründe bestehen, wenn er die Frage nach dem Wesen der menschlichen Freiheit aufhören läßt mit der Ansetzung der Freiheit als Selbstgesetzgebung der praktischen Vernunft. Um nun das hier zunächst Entscheidende zu sehen, den Zusammenhang von Naturkausalität als Kausalität überhaupt mit der Seinsart im Sinne des Vorhandenseins, wollen wir kurz noch das erläutern, was Kant an Erörterungen seinem Beweis der zweiten Analogie beifügt. Es ergibt sich hier die Gelegenheit, einige Grundbegriffe noch ausdrücklicher zu bestimmen die in den weiteren Betrachtungen von Wichtigkeit sind. ' Zunächst macht Kant sich selbst einen Einwand gegen die eigene Bestimmung der Kausalität. Darunter ist verstanden das Ursachesein im Sinne des Vorangehens in der Zeit als eines be- 10 a.a.O., S. 120 (V, 185). 11 a.a.O., S. 104 (V, 160). 12 a.a.O., Vorrede, S. 4 f. (V, 4).
194 Kausalität und Freiheit als kosmologisches Problem stimmenden Folgenlassens. Daher ist im Kausalgesetz, als einem Grundsatz der Zeitfolge, die Ursache das Vorherige, die Wirkung das Nachherige. Nun zeigt sich aber doch, daß der »Satz der Kausalverknüpfung unter den Erscheinungen« nicht eingeschränkt ist auf die Folge der Erscheinungen, sondern auch auf »ihre Begleitung« passe, d. h. aber, daß Ursache und Wirkung zugleich sein können. 13 Demzufolge kann dann auch die Zeitfolge nicht das einzige und somit kein sicheres empirisches Kriterium sein für etwas als Wirkung, d. h. seine Beziehung auf seine Ursache. Kausalität darf dann überhaupt nicht auf einen Grundsatz der Zeitfolge orientiert werden. Wie löst Kant die obige Schwierigkeit auf, sofern er eben doch Kausalität auf Zeitfolge allein orientiert? Zunächst ein Beispiel für das Zugleichsein von Ursache und Wirkung. »Es ist z. B. Wärme im Zimmer, die nicht in freier Luft angetroffen wird. Ich sehe mich nach der Ursache um und finde einen geheizten Ofen. Nun ist dieser als Ursache, mit seiner Wirkung, der Stubenwärme, zugleich; also ist hier keine Reihenfolge, der Zeit nach, zwischen Ursache und Wirkung, sondern sie sind zugleich, und das Gesetz gilt doch«.14 Kant bemerkt dazu, daß sogar »der größte Teil« der Naturursachen mit ihren Wirkungen zugleich sei und daß das Späterund Nachhersein der Wirkung nur dadurch veraniaßt sei, daß die Ursache »ihre ganze Wirkung nicht in einem Augenblick«15 verrichten könne. Wo eine Wirkung entsteht, ist sie immer mit dem Ursache sein der Ursache zugleich, muß es sogar sein. Denn würde die Ursache in ihrem Ursachesein unmittelbar vor Entstehung der Wirkung aufhören zu sein, dann könnte die Wirkung gar nicht entstehen. Gerade solange noch Ursache in ihrem Ursachesein ist, kann allein Wirkung entstehen und selbst sein. So ist also eine Gleichzeitigkeit beider notwendig. Trotzdem spricht dieses notwendige Zugleichsein nicht gegen 13 Kant, Kr. d. r. V., A. 202, B 247. 14 a.a.O., A 202, B 247 f. 15 a.a.O., A 203, B 248. § 20. Zwei Arten der Kausalität 195 die wesensmäßige Zugehörigkeit der Zeitfolge zum Kausalitätsverhältnis, so wenig, daß wir gerade erst in Abhebung gegen dieses Zugleichsein die echte Bedeutung dessen erfassen, was mit Zeitfolge hier gemeint ist. Sie schließt nicht aus, sondern ein das Sichüberschneiden der Dauer der Anwesenheit der Ursache und der Wirkung. Aber wie groß auch oder wie klein die Spanne des Zeitverlaufs zwischen dem Aufbrechen von Ursache und Wirkung als anderem sein mag - sie mag verschwindend, d. h. beide mögen zugleich sein -, das Verhältnis zwischen dem einen als Ursache und dem anderen als Wirkung bleibt doch. Denn dieses bleibende Verhältnis, das jederzeit bestimmbar ist, meint eben die Beziehung des einen als des Vorigen zum anderen als dem Nachherigen, genauer die Einseitigkeit der Richtung dieses Nacheinander bzw. Zugleich, d. h. daß die Richtung der Folge, ihre Ordnung, nicht umkehrbar ist. Folge meint hier demnach nicht das pure Nacheinander im Wechsel des Anhebens und Verschwindens, sondern Folge meint die Ordnung des Folgenden als des nicht umkehrbaren, gerichteten, nicht wechselseitigen Nacheinander bzw. Zugleich. Das Entscheidende im Begriff des Zeitmodus >Folge< ist nicht die Dauer und Geschwindigkeit des Ablaufs und Verlaufs, sondern die einsinnig gerichtete Ordnung in der Anwesenheit des einen und des anderen. Dieser gemäß ist die Ursache, auch wenn sie noch ist und folglich mit der Wirkung zugleich ist, unwiderruflich vorausgegangen, und sie kann nicht in bezug auf die Wirkung deren Nachfolgendes werden. 16 Folge meint Ablaufsrichtung, nicht Ablaufsvorgang. Ablaufsrichtung schließt aber nicht aus das Zugleich-anwesend-sein von Ursache und Wirkung. Folge meint nicht, daß, wenn Wirkung erfolgt, das andere (Ursache) verschwunden sein müßte. Die Folge als Zeitmodus, der die Kausalität auszeichnet, ist demnach mit Zugleichsein von Ursache und Wirkung vereinbar. Durch diese nähere Bestimmung des Charakters der Folge 18 Vgl. Kants Beispiel von Kugel und Grübchen, a.a.O., A 203, B 248 f.
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194 Kausalität und <strong>Freiheit</strong> als kosmologisches Problem<br />
stimmenden Folgenlassens. Daher ist im Kausalgesetz, als<br />
einem Grundsatz <strong>der</strong> Zeitfolge, die Ursache das Vorherige, die<br />
Wirkung das Nachherige. Nun zeigt sich aber doch, daß <strong>der</strong><br />
»Satz <strong>der</strong> Kausalverknüpfung unter den Erscheinungen« nicht<br />
eingeschränkt ist auf die Folge <strong>der</strong> Erscheinungen, son<strong>der</strong>n auch<br />
auf »ihre Begleitung« passe, d. h. aber, daß Ursache und Wirkung<br />
zugleich sein können. 13 Demzufolge kann dann auch die<br />
Zeitfolge nicht das einzige und somit kein sicheres empirisches<br />
Kriterium sein für etwas als Wirkung, d. h. seine Beziehung<br />
auf seine Ursache. Kausalität darf dann überhaupt nicht auf<br />
einen Grundsatz <strong>der</strong> Zeitfolge orientiert werden. Wie löst<br />
Kant die obige Schwierigkeit auf, sofern er eben doch Kausalität<br />
auf Zeitfolge allein orientiert?<br />
Zunächst ein Beispiel für das Zugleichsein von Ursache und<br />
Wirkung. »Es ist z. B. Wärme im Zimmer, die nicht in freier<br />
Luft angetroffen wird. Ich sehe mich nach <strong>der</strong> Ursache um<br />
und finde einen geheizten Ofen. Nun ist dieser als Ursache,<br />
mit seiner Wirkung, <strong>der</strong> Stubenwärme, zugleich; also ist hier<br />
keine Reihenfolge, <strong>der</strong> Zeit nach, zwischen Ursache und Wirkung,<br />
son<strong>der</strong>n sie sind zugleich, und das Gesetz gilt doch«.14<br />
Kant bemerkt dazu, daß sogar »<strong>der</strong> größte Teil« <strong>der</strong> Naturursachen<br />
mit ihren Wirkungen zugleich sei und daß das Späterund<br />
Nachhersein <strong>der</strong> Wirkung nur dadurch veraniaßt sei, daß<br />
die Ursache »ihre ganze Wirkung nicht in einem Augenblick«15<br />
verrichten könne. Wo eine Wirkung entsteht, ist sie immer mit<br />
dem Ursache sein <strong>der</strong> Ursache zugleich, muß es sogar sein. Denn<br />
würde die Ursache in ihrem Ursachesein unmittelbar vor Entstehung<br />
<strong>der</strong> Wirkung aufhören zu sein, dann könnte die Wirkung<br />
gar nicht entstehen. Gerade solange noch Ursache in<br />
ihrem Ursachesein ist, kann allein Wirkung entstehen und selbst<br />
sein. So ist also eine Gleichzeitigkeit bei<strong>der</strong> notwendig.<br />
Trotzdem spricht dieses notwendige Zugleichsein nicht gegen<br />
13 Kant, Kr. d. r. V., A. 202, B 247.<br />
14 a.a.O., A 202, B 247 f.<br />
15 a.a.O., A 203, B 248.<br />
§ 20. Zwei Arten <strong>der</strong> Kausalität 195<br />
die wesensmäßige Zugehörigkeit <strong>der</strong> Zeitfolge zum Kausalitätsverhältnis,<br />
so wenig, daß wir gerade erst in Abhebung gegen<br />
dieses Zugleichsein die echte Bedeutung dessen erfassen,<br />
was mit Zeitfolge hier gemeint ist. Sie schließt nicht aus, son<strong>der</strong>n<br />
ein das Sichüberschneiden <strong>der</strong> Dauer <strong>der</strong> Anwesenheit <strong>der</strong><br />
Ursache und <strong>der</strong> Wirkung. Aber wie groß auch o<strong>der</strong> wie klein<br />
die Spanne des Zeitverlaufs zwischen dem Aufbrechen von Ursache<br />
und Wirkung als an<strong>der</strong>em sein mag - sie mag verschwindend,<br />
d. h. beide mögen zugleich sein -, das Verhältnis zwischen<br />
dem einen als Ursache und dem an<strong>der</strong>en als Wirkung<br />
bleibt doch. Denn dieses bleibende Verhältnis, das je<strong>der</strong>zeit bestimmbar<br />
ist, meint eben die Beziehung des einen als des Vorigen<br />
zum an<strong>der</strong>en als dem Nachherigen, genauer die Einseitigkeit<br />
<strong>der</strong> Richtung dieses Nacheinan<strong>der</strong> bzw. Zugleich, d. h.<br />
daß die Richtung <strong>der</strong> Folge, ihre Ordnung, nicht umkehrbar<br />
ist. Folge meint hier demnach nicht das pure Nacheinan<strong>der</strong> im<br />
Wechsel des Anhebens und Verschwindens, son<strong>der</strong>n Folge meint<br />
die Ordnung des Folgenden als des nicht umkehrbaren, gerichteten,<br />
nicht wechselseitigen Nacheinan<strong>der</strong> bzw. Zugleich. Das<br />
Entscheidende im Begriff des Zeitmodus >Folge< ist nicht die<br />
Dauer und Geschwindigkeit des Ablaufs und Verlaufs, son<strong>der</strong>n<br />
die einsinnig gerichtete Ordnung in <strong>der</strong> Anwesenheit des einen<br />
und des an<strong>der</strong>en. Dieser gemäß ist die Ursache, auch wenn sie<br />
noch ist und folglich mit <strong>der</strong> Wirkung zugleich ist, unwi<strong>der</strong>ruflich<br />
vorausgegangen, und sie kann nicht in bezug auf die<br />
Wirkung <strong>der</strong>en Nachfolgendes werden. 16 Folge meint Ablaufsrichtung,<br />
nicht Ablaufsvorgang. Ablaufsrichtung schließt aber<br />
nicht aus das Zugleich-anwesend-sein von Ursache und Wirkung.<br />
Folge meint nicht, daß, wenn Wirkung erfolgt, das an<strong>der</strong>e<br />
(Ursache) verschwunden sein müßte. Die Folge als Zeitmodus,<br />
<strong>der</strong> die Kausalität auszeichnet, ist demnach mit Zugleichsein<br />
von Ursache und Wirkung vereinbar.<br />
Durch diese nähere Bestimmung des Charakters <strong>der</strong> Folge<br />
18 Vgl. Kants Beispiel von Kugel und Grübchen, a.a.O., A 203, B 248 f.