Volltext Prokla 22
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mit dieser Forderung im einzelnen befaBt und vor aHem, wenn man fragt, wie die<br />
Schritte zu ihrer Verwirklichung aussehen, die von den realen Alltagsinteressen<br />
bzw. Problemen und dem darauf beruhenden BewuBtsein der betroffenen Frauen<br />
ausgehen. Daher mtissen wir uns zuniichst mit der genauen Formulierung und Begrtindung<br />
dieser Forderung auseinandersetzen, wie sie in einem groBen Teil der<br />
sozialististischen Literatur verbreitet war und ist. Es wird sich zeigen, daB sich hier<br />
unter der Hand eine Interpretation der "Teilnalune der Frauen an der Produktion"<br />
einschleicht, die im Grunde etwas anderes meint und die konkreten Interessen und<br />
Mbglichkeiten der grof~en Mehrheit der Frauen von Lohnabhiingigen und erst recht<br />
von Arbeitem verfehlt.<br />
Als exemplarische Formulierung der Forderung nach der Einbeziehung der<br />
Frau in die Produktion greifen wir die von Clara Zetkin heraus. In ihrer Auseinandersetzung<br />
mit den Sozialisten, die eine Abschaffung der Frauenarbeit forderten,<br />
begrtindete sie 1889 auf dem Pariser Intemationalen Arbeiter-KongreB die Notwendigkeit<br />
der "okonomischen Unabhiingigkeit" der proletarischen Frau mit dem Vergleich<br />
der Abhiingigkeit der Arbeiter- von der Kapitalistenklasse: "Die Sozialisten<br />
miissen vor allem wissen, daB auf der bkonomischen Abhiingigkeit oder Unabhiingigkeit<br />
die sozialen Sklaverei oder Freiheit beruht ... Wie der Arbeiter vom Kapitalisten<br />
unterjocht wird, so die Frau vom Manne; und sie wird unterjocht bleiben,<br />
solange sie nicht wirtschaftlich unabhiingig dasteht. Die unerliiBliche Bedingung fUr<br />
diese ihre wirtschaftliche Unabhiingigkeit ist die Arbeit." (57) "Wenn aber die Frau<br />
wirtschaftlich nicht mehr vom Manne abhangt, so gibt es keinen verntinftigen Grund<br />
flir ihre soziale Abhiingigkeit von ihm." (58) Dann muB sie jedoch freilich erst<br />
nachtriiglich einschriinken: "Gleichwohl kommt diese wirtschaftliche Unabhiingigkeit<br />
allerdings im Augenblick nicht der Frau selbst zugute, sondern dem Kapitalisten.<br />
Kraft seines Monopols der Produktionsmittel bemiichtigte sich der Kapitalist<br />
des neuen bkonomischen Faktors und lieB ihn zu seinem ausschlieBlichen Vorteil<br />
in Tiitigkeit treten. Die von ihrer bkonomischen Abhiingigkeit dem Manne gegentiber<br />
befreite Frau ward der okonomischen Herrschaft des Kapitalisten unterworfen,<br />
aus einer Sklavin des Mannes ward sie die des Arbeitgebers: Sie hatte nur den<br />
Herm gewechselt." (59)<br />
Versuchen wir zuniichst einmal eine vorliiufige Einschii1zung und Kritik der<br />
Auffassung von Clara Zetkin. Als problematischen Angriff gegen die sozialistischen<br />
Vertreter des Verbots der Frauenarbeit kann man den Vergleich der "Unterjochung"<br />
bzw. "Versklavung" der Frau durch den Mann bzw. den Kapitalisten akzeptieren.<br />
DaB hier aber zwei ganz verschiedenartige Abhiingigkeitsverhiiltnisse vorliegen,<br />
das kommt schon in ihrer widersprtichlichen Darstellung selbst zum Ausdruck.<br />
Einerseits solI ja die Frau durch die Arbeit "bkonomische Unabhiingigkeit" erlangen,<br />
andererseits kommt aber diese eben erlangte Unabhiingigkeit "im Augenblick"<br />
nur dem Kapitalisten "zugute". Wenn die Frau wirklich "nm den Herrn gewech-<br />
57 Clara Zetkin, Ausgewahlte Reden und Schriften. Bd. 1, Berlin 1967, S. 4.<br />
58 Ebd., S. 6<br />
59 Ebd., S. 6-7<br />
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