Volltext Prokla 22
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2. Zweites wichtiges Merlanal der Abbildtheorie ist, daB sie den ErkenntnisprozeB<br />
primar als mechanisch-physiologischen Vorgang begreift, def sich zwischen natiirlichen<br />
Gegenstanden und natiirlichen Sinnesorganen vollzieht, und ein von Natur<br />
aus zu objektiver Erkenntnis filiiges Erkenntnisvermogen voraussetzt. "Ihre primare<br />
Frage", so bestimmen Neusiiss/Unger fUr die Abbildtheorie richtig,<br />
" ... gilt ... den Voraussetzungen der Moglichkeit von Erkenntnis. Diese findet sie einmal -<br />
auf der Objektseite - in der objektiven Existenz der Erkenntnisgegenstande, zum anderen - auf<br />
der Subjektseite - in der spezifischen Organisation der menschlichen Wahrnehmungsapparatur,<br />
der Sinne, vor aHem im Zentralnervensystem ... " (S. 273).<br />
Aus dem physiologisch-naturalistischen Ansatz war in <strong>Prokla</strong> 16 def kritische<br />
SchluB gezogen worden, daB es sich bei der Abbildtheorie urn eine mehr oder minder<br />
"reine" Erkenntnistheorie handle, in deren Erklarungen die Verschiedenartigkeit<br />
def Vergesellschaftungsformen, Geschichte und Okonomie nicht oder nur als<br />
untergeordnete Zusatzfaktoren auftreten:<br />
" ... die Gesellschaft als Bestimmungsgroj~e taucht in der AbbildtheoIie immer nUI programmatisch<br />
auf und dabei eigentiimlich verkiiIZt. Sie taucht auf als ein Zusatzfaktor, der neben andefen,<br />
scheinbar natiirlichen Faktoren der Eewuf.>tseinsbildung auch beriicksichtigt werden muLl.<br />
Umgekehrt ausgedriickt: die Gesellschaft ist in der Abbildtheorie nicht das konstitutive und<br />
damit primar erkIarende Moment von Bewuf.>tsein, sondern wie in de! biirgerlichen Erkenntnistheorie,<br />
eine sekundare GroBe, die ein angeblich urspriingliches Verhaltnis von Mensch und<br />
Natur modifizierend beeinfluBt." (6).<br />
Dieser SchluB wird von Neusiiss/Unger zuriickgewiesen. Merkwiirdigerweise, denn<br />
sie haben ihm inhaltlich nichts entgegenzusetzen. Sie weisen nur deklamatorisch<br />
darauf hin, daB Gesellschaft und Geschichte in def abbildtheoretischen Erkenntniskonzeption<br />
"als zentrale Instanz" anerkannt und gewiirdigt seien (S. 266), und<br />
sie machen auf entsprechende AuBerungen im kritisierten Philosophischen Warterbuch<br />
aufmerksam (7). Sie nehmen jedoch das bloBe Programm fUr eine ausgeftihrte<br />
Theorie und bestatigen sogleich, sobald sie ihre eigene Interpretation def Abbildtheorie<br />
vortragen, daB auch bei ihnen die historischen und gesellschaftlichen Momente<br />
der Erkenntnisbildung auf einen sekundaren Faktor zusammenschrumpfen,<br />
so daB von ,,zentraler Instanz" nicht die Rede sein kann.<br />
in seinem neuesten Euch: "Nach meiner Auffassung ist de! groBte Skandal der Philosophie,<br />
dail., wahrend urn uns herum die Natll! - und nicht nUl sie - zugrundegeht, die<br />
Philosophen we iter dariiber reden ... , ob diese Welt existiert. Sie treiben Scholastik ...<br />
Unter diesen Umstanden mul?> man sich entschuldigen, wenn man Philosoph ist, besonders<br />
wenn man ... etwas ausspricht, was eine Trivialitat sein sollte, namlich den Realismus,<br />
die These, dail. die Welt wirklich ist." Popper, Karl R.: Objective Knowledge, 1972;<br />
deutsch: Objektive Erkenntnis, Hamburg 1973, S. 44f<br />
DeI Idealismus, wie die Abbildtheorie ihn interpretiert, ist ein Pappgegner. Er wird als so<br />
absurd und wirklichkeitsfremd dargestellt, als lohne es kaum mehr der Miihe, sich mit ihm<br />
auseinanderzusetzen. Del wirkliche Idealismus und seine reale Erklarungskraft wird nicht<br />
zur Kenntnis genommen.<br />
6 <strong>Prokla</strong> 16, S. 156<br />
7 Hinweis: Das "Philosophische Worterbuch" (1. Aufl. Leipzig 1964,8. Aufl. 1972), philosophisches<br />
Standardwerk de! DDR, war in <strong>Prokla</strong> 16 die Literaturbasis, aus der die<br />
Kritik an der Abbildtheorie entwickelt wurde.<br />
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