Volltext Prokla 22
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ereich beschaftigten Soziologen und Bildungsforschern fmden, die teilweise sehr<br />
kiihne Hoffnungen auf "systemsprengende Wirkungen" daran kntipfen, kann gerade<br />
darauf hinweisen, d~ es wenig objektive (vom Standpunkt def kapitalistischen<br />
Produktion gesehen) Zwange gibt, die auf eine umfassende Vergesellschaftung der<br />
Elementarerziehung drangen. 1m folgenden soIl nun noch versucht werden, verschiedene<br />
Ubedegungen darzustellen, die u.U. gegen die Annahme einer Tendenz<br />
zur umfassenden Ausdehnung def Offentliehen zulasten def familialen Kleinkinderziehung<br />
sprechen. 1m Rahmen dieser Arbeit mtissen diese Uberlegungen weitgehend<br />
andeutenden Charakter haben.<br />
Es ist zunachst nur soviel klar: von einer differenzierten Betreuung und Anregung<br />
im Kindergartenalter, wie sie die Erziehungspraxis def btirgerlich orientierten<br />
Erziehung bisher schon bot, wird eine verbesserte Ausgangslage ("Begabung") fur<br />
die zuktinfigen Lernvorgiinge auch in def eigentlichen Berufsausbildung und -fortbildung<br />
erwartet; und die Fahigkeit, fortgesetzt neu zu lernen, soU wegen def<br />
raschen Umschlagsgeschwindigkeit def technischen Struktur der Produktion immer<br />
wiehtiger werden. Aber: gilt dieses Erfordernis fUr aile zuktinftigen Berufstiitigen?<br />
1st denn sieher, da£ etwa die Automatisierung unter kapitalistischen Bedingungen<br />
nicht doch weiterhln einen betrachtlichen "Bodensatz" von Ungelernten und Angelernten<br />
braucht? (Unter kapitalistischen Bedingungen, wei! hier allein def Gewinn<br />
dartiber entscheidet, ob und wie die technische Struktur eines Produktionsvorgangs<br />
verandert wird, und zwar grundsatzlich ohne Rticksicht auf die Interessen der AIbeitskrlifte.)<br />
Diese Frage ist bisher recht kontrovers beantwortet worden (52). D~<br />
diese Entwicklung von entscheidendem Gewicht fUr die Frage def Einbeziehung der<br />
Frauen in die abhiingige Berufsarbeit ist, erwahnen wir hier nur nebenbei.<br />
Weiter: selbst wenn anzunehmen ist, daB in Zukunft alle Berufstlitigen vor<br />
allem "das Lernen gelernt" haben mtissen und die Basis dafUr nur in der Vorschulphase<br />
gelegt werden kann, stellt sich doch die Frage der geseUschaftlichen Kosten<br />
fUr ein Resuitat, das frtihestens in zwei bis drei Jahrzehnten erwartet werden kann.<br />
Der Kapitalismus zeiehnet sich nach allen bisherigen Erfahrungen gerade nicht<br />
durch eine solche langfristige Vorausplanung aus. Und zwar nicht nm, wie am Anfang<br />
dieses Kapitels bemerkt, weil im Kapitalismus jede Art der Prognose sehr problematisch<br />
ist (wie gerade die Unsicherheit bei der Einschatzung des Konjunkturverlaufs<br />
im vergangenen Jahr wieder deutlich gezeigt hat). Sondern vor allem, weil<br />
die Vorausplanung auf Jahrzehnte im Fall def Bildungsreform mit staatlichen<br />
Aufwendungen von enormer Gro~enordnung verbunden 1st. Wir konnen hier nicht<br />
auf die Auseinandersetzungen urn die Finanzierung def Bildungsreform eingehen,<br />
die ein wesentlicher, wenn nieht def entscheidende Grund fUr den Riicktritt des<br />
Wissenschaftsministers Leussink waren. Nur der Kern def Auseinandersetzung sei<br />
52 Fiir die Argumentation, die eine Tendenz zur alJgemeinen Hiiherqualifizietung annimmt,<br />
kann hier wieder stellvertretend fUr viele andere Schriften der Bildungsbericht '70 der<br />
Bundesregierung (a.a.O.) genannt werden. Fiir die Annahme eines "Bodensatzes" vgl.<br />
RKW, Wirtschaftliche und soziale Aspekte des technischen Wandels ... , a.a.O., Bd. 1,<br />
S. 318, Bd. 8, Tell Ie (Verfasser: H. Kern, M. Schumann).<br />
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