Volltext Prokla 22
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dab daher der "Gesamtkapitalist", der Staat, die organisatorischen und finanziellen<br />
Grundlagen fur Offentliche Erziehungseinrichtungen schaffe. Wie hat sich nun das<br />
Verhaltnis der beiden Entwicklungen in der Geschichte der BRD dargestellt? Am<br />
ehesten m~te ja nach dem oben gegebenen Zahlenmaterial (vgl. bes. Tabelle 2)<br />
in den fUnfziger Jahren eine Zunahme Offentlicher (und auch privater) Einrichtungen<br />
der Kindererziehung, besonders der Krippen- und Kindergartenplatze, festzustellen<br />
sein, da hier ja der Prozentsatz lohnabhiingiger Frauen und MUtter besonders<br />
stark zugenommen hat. Tatsiichlich entsprach aber zwischen 1950 und<br />
1962 dem Anwachsen der Zahl der lohnabhangigen MUtter urn 300% eine Zunahme<br />
der Kindergartenplatze nur urn hochstens 20% (33). Nur 4,7% der 2jiihrigen und<br />
<strong>22</strong>,9% der 2-6jiihrigen Kinder erwerbstatiger MUtter waren 1962 ganztagig in Erziehungseinrichtungen<br />
untergebracht (34). Offensichtlich ist also die Zunahme der'<br />
Berufstiitigkeit von Frau~n nicht auf entsprechende Erleichterungen durch Offentliche<br />
Erziehungsinstitutionen zuruckzuftihren; viel wahrscheinlicher ist es einerseits<br />
der nackte Zwang zum Geldverdienen und andrerseits die Moglichkeit dazu durch<br />
das Nachlassen der Arbeitslosigkeit. Die durch Kindergarten usw. nicht erfolgte<br />
Enlastung der MUtter mu1~te anderweitig aufgefangen werden. Eine wichtige Rolle<br />
spielt sicher der weitere Umkreis der Kemfamilie, Verwandtschaft (Gro~mUtter!)<br />
und Nachbarschaft. Die Hauptlast haben aber wohl die MUtter selbst und ihre<br />
Kinder (34a) tragen mUssen; die Tatsache beweist, dab es moglich war (und die<br />
Frage erhebt sich, ob es in Zukunft nicht auch und vielleicht in erweitertem Umfang<br />
moglich sein kann). Diese Tatsache deutet - ~bgesehen davon, dab sie als<br />
Indiz fur die finanzielle Notlage gelten kann - auf eine besondere Belastbarkeit<br />
von Frauen bzw. MUttem hin, die sie unter kapitalistischen Verhiiltnissen so geeignet<br />
machen, als industrielle Reservearmee zu dienen. Sie lassen sich fUr geringen<br />
Lohn als profitable LiickenbU&r anstellen, nehmen schlechte Arbeitsplatze<br />
in Kauf, miihen sich ab, urn eine private Unterbringungsmoglichkeit fUr ihre<br />
Kinder wiihrend ihrer Abwesenheit zu finden, mtissen nach Arbeitsschlu~ die<br />
ganze Hausarbeit nachholen und fUr die Kinder da sein - alles, urn der Familie<br />
durch ihren Zusatzverdienst den notigen Lebensunterhalt zusichem, Mietpreiserhohungen<br />
aufzufangen, unvorhergesehene Ausgaben abzahlen zu konnen usw.<br />
(35). Und sie lassen sich - aufgrund der gleichen, familienorientierten Einstel-<br />
33 Vg!. Gunnar Heinsohn, Die Vergesellschaftung der Kleinkinderziehung unter dem Kapitalismus.<br />
Sozio!. Dip!. Arbeit, Berlin 1970, S. 110.<br />
34 Ebd., S. Ill.<br />
34a<br />
Ein Hinweis darauf ist die Tatsache, d~ gegen Ende der fOnfziger Jahre der Hospitalismus<br />
infolge frilhkindlicher Vernachllissigung in privaten Kinderhorten usw. derartige<br />
Ausmall>e annahm, d~ er auch in den Kinderkliniken sichtbar wurde und dort iiberhaupt<br />
erst die ernsthafte Beschliftigung mit dem Hospitalismus-Begriff und der US-Literatur<br />
(Renee Spitz) einleitete, zunlichst allerdings nur bei ganz wenigen "speziell interessierten"<br />
Arzten (Universitlitskinderklinik Tiibingen).<br />
35 D~ gerade Familien bzw. MUtter mit mehreren Kindern hier besonders ins Gedrlinge<br />
kommen, bestlitigt eine Untersuchung des Bayerischen Arbeitsministeriums. "Sehr viele<br />
32<br />
Bezieher durchschnittlicher Erwerbseinkommen, die als Alleinernlihrer eine gro~re<br />
Familie v~rsorgen, verfligen, auch unter Hinzurechnung der kinderbedingten Steuerer-<br />
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