Volltext Prokla 22

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22.11.2013 Aufrufe

Wie in anderen, einfacheren Produktionsverhaltnissen, z.E. in noch heute bestehenden Agrargesellschaften, wo das Uberleben durch die Mitarbeit def Nachkommen noch eine unmittelbar als wichtig einleuchtende Rolle spielt, die Aufzucht def nachsten Generation viel starker in den GesamtprozeB def Lebenserhaltung integriert ist, beschreibt z.B. auch Erich Wulff am Beispiel def vietnamesischen Familie (6). Sowohl die Kinderpflege und Aufzucht als auch die Landarbeit auf primitiver Stufe werden kollektiv und weitgehend im Wechsel von den Mitgliedern erweiterter Familien und Dorfgemeinschaften geleistet. Die von Engels so genannten "Geschlechtsbande" mussen das Fehlen gesamtgesellschaftlicher Sicherung gegen Hunger, Krankheit, Altershinfalligkeit und Naturkatastrophen ersetzen und sind ein dringendes okonomisches Erfordernis dieser Produktionsweise. Noch ein weiterer Aspekt der Trennung von "Arbeit" und Familie" solI hier kurz angedeutet werden, namlich die Erziehung def Kinder zu sozial verantwortlicher Tatigkeit und die gesellschaftliche Bewertung von Spiel und Arbeit. E.H. Erikson hat in seinem Buch "Kindheit und Gesellschaft" (7) an einem sehr eindrucksvollen Beispiel aus def Erziehungspraxis def Papagos in Arizona erlautert, wie dort die Kinder von frtih auf an verantwortliche soziale Teilnahme gewohnt werden. Mit groBem Ernst und angemessener Geduld werden vom Kind Leistungen verlangt, die niitzlich fUr die Gemeinschaft sind, und die bei befriedigendem Vollbringen von den Alteren feierlich honoriert werden (8). Kinder in der heutigen industriellen Gesellschaft, oder vielmehr def kapitalistischen Industriegesellschaft dagegen leisten keinerlei Beitrag zur gesellschaftlich anerkannten Arbeit; Spiel ist in der burgerlichen Kultur gerade das Andere, das Beliebige, def Freiraum, im Gegensatz zu der eingeschrankten Bedeutung von Arbeit im Kapitalismus, die fUr das BewuBtsein sehr stark den Beigeschmack von "Ernst des Lebens" an sich tragt, wie er sich in def Geschichte der Entstehung des burgerlichen BewuBtseins aus der puritanischen Trennung von Spiel oder Lust und Arbeit entwickelt hat "Primitive Stamme", sagt Erikson, "haben eine direkte Beziehung zu den Quellen und Mitteln der Produktion. Ihre Technik stellt eine unmittelbare Erweiterung des menschlichen Korpers dar. .. Die Kinder dieser Gruppen nehmen an den technischen und magischen Unternehmungen teil" (9). Dagegen in unserer Gesellschaft: "Die Maschinen sind keineswegs mehr Werkzeuge und Erweiterungen def physiologischen Funktionen des Menschen, sondern zwingen ganze Gesellschaftsgruppen zu erweiterten Organen def Maschinefie zu werden. In manchen Klassen wird die Kindheit zu einem abgetrennten Lebensabschnitt mit eigenen Gebrauchen und Traditionen." (10) Bekanntlich ist es eine wesentliche Intention der "polytechnischen Erziehung", diese fUr das Kapital kennzeichnende Unterordnung des Produzenten unter sein Produkt auch in def Erziehung aufzuheben, die Erziehung also als allmahliche Einftihrung in die gesell- 6 Erich Wulff, Grundfragen transkultureller Psychiatrie. In: Das Argument, Nr. 50, Juli 1969, S. 227-260. Hier besonders S. 252-253 7 Erik H. Erikson, Kindheit und Gesellschaft. Stuttgart 1965. 8 Ebd. S. 230 9 Ebd., S. 231 10 Ebd., S. 232 18

Wie in anderen, einfacheren Produktionsverhaltnissen, z.E. in noch heute bestehenden<br />

Agrargesellschaften, wo das Uberleben durch die Mitarbeit def Nachkommen<br />

noch eine unmittelbar als wichtig einleuchtende Rolle spielt, die Aufzucht def<br />

nachsten Generation viel starker in den GesamtprozeB def Lebenserhaltung integriert<br />

ist, beschreibt z.B. auch Erich Wulff am Beispiel def vietnamesischen Familie<br />

(6). Sowohl die Kinderpflege und Aufzucht als auch die Landarbeit auf primitiver<br />

Stufe werden kollektiv und weitgehend im Wechsel von den Mitgliedern erweiterter<br />

Familien und Dorfgemeinschaften geleistet. Die von Engels so genannten "Geschlechtsbande"<br />

mussen das Fehlen gesamtgesellschaftlicher Sicherung gegen Hunger,<br />

Krankheit, Altershinfalligkeit und Naturkatastrophen ersetzen und sind ein<br />

dringendes okonomisches Erfordernis dieser Produktionsweise.<br />

Noch ein weiterer Aspekt der Trennung von "Arbeit" und Familie" solI hier<br />

kurz angedeutet werden, namlich die Erziehung def Kinder zu sozial verantwortlicher<br />

Tatigkeit und die gesellschaftliche Bewertung von Spiel und Arbeit. E.H.<br />

Erikson hat in seinem Buch "Kindheit und Gesellschaft" (7) an einem sehr eindrucksvollen<br />

Beispiel aus def Erziehungspraxis def Papagos in Arizona erlautert, wie<br />

dort die Kinder von frtih auf an verantwortliche soziale Teilnahme gewohnt werden.<br />

Mit groBem Ernst und angemessener Geduld werden vom Kind Leistungen verlangt,<br />

die niitzlich fUr die Gemeinschaft sind, und die bei befriedigendem Vollbringen von<br />

den Alteren feierlich honoriert werden (8). Kinder in der heutigen industriellen Gesellschaft,<br />

oder vielmehr def kapitalistischen Industriegesellschaft dagegen leisten<br />

keinerlei Beitrag zur gesellschaftlich anerkannten Arbeit; Spiel ist in der burgerlichen<br />

Kultur gerade das Andere, das Beliebige, def Freiraum, im Gegensatz zu der eingeschrankten<br />

Bedeutung von Arbeit im Kapitalismus, die fUr das BewuBtsein sehr stark<br />

den Beigeschmack von "Ernst des Lebens" an sich tragt, wie er sich in def Geschichte<br />

der Entstehung des burgerlichen BewuBtseins aus der puritanischen Trennung von<br />

Spiel oder Lust und Arbeit entwickelt hat "Primitive Stamme", sagt Erikson, "haben<br />

eine direkte Beziehung zu den Quellen und Mitteln der Produktion. Ihre Technik<br />

stellt eine unmittelbare Erweiterung des menschlichen Korpers dar. .. Die Kinder<br />

dieser Gruppen nehmen an den technischen und magischen Unternehmungen<br />

teil" (9). Dagegen in unserer Gesellschaft: "Die Maschinen sind keineswegs mehr<br />

Werkzeuge und Erweiterungen def physiologischen Funktionen des Menschen,<br />

sondern zwingen ganze Gesellschaftsgruppen zu erweiterten Organen def Maschinefie<br />

zu werden. In manchen Klassen wird die Kindheit zu einem abgetrennten Lebensabschnitt<br />

mit eigenen Gebrauchen und Traditionen." (10) Bekanntlich ist es<br />

eine wesentliche Intention der "polytechnischen Erziehung", diese fUr das Kapital<br />

kennzeichnende Unterordnung des Produzenten unter sein Produkt auch in def<br />

Erziehung aufzuheben, die Erziehung also als allmahliche Einftihrung in die gesell-<br />

6 Erich Wulff, Grundfragen transkultureller Psychiatrie. In: Das Argument, Nr. 50, Juli<br />

1969, S. <strong>22</strong>7-260. Hier besonders S. 252-253<br />

7 Erik H. Erikson, Kindheit und Gesellschaft. Stuttgart 1965.<br />

8 Ebd. S. 230<br />

9 Ebd., S. 231<br />

10 Ebd., S. 232<br />

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