Volltext Prokla 22
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Die Frage nach der Organisation der gesellschaftlichen Lebensproduktion in verschiedenen<br />
GeseHschaftsformen auf unterschiedlichen Stufen der historischen Entwicklung<br />
ergab sich aus der Oberlegung, da~ zum Verstandnis der objektiven Situation<br />
und vor aHem der Verhaltensweisen und Einstellungen von Frauen und Miittem<br />
in unserer Gesellschaft eine Betrachtung der Verhiiltnisse im entwickelten Kapitalismus<br />
allein ungentigend ist, well wahrscheinlich frtihere, d.h. vorkapitalistische Verhaltensweisen<br />
eine wesentliche Rolle spielen. Wie tiberhaupt der materialistische<br />
Versuch, den Oberbauaus der Gestalt der gesamten Lebensproduktion zu begreifen,<br />
die Moglichkeit systematisch miteinbeziehen mu~, daB Uberbauten vergangener Gesellschaften<br />
in der heutigen Gesellschaft weiterleben, obwohl ihre reale Grundlage<br />
nur noch in veranderten Restformen fortbesteht. Es wird im Verlauf dieser Arbeit<br />
noch zu zeigen sein, wie diese Ungleichzeitigkeit unter anderem an der widersprtichlichen<br />
Situation der Frauen im Kapitalismus beteiligt ist.<br />
In dem oben angeflihrten Zitat von Engels werden "Arbeit" und "Familie" als<br />
die beiden Arten der gesellschaftlichen Lebensproduktion genannt, wobei der Bereich<br />
der Erzeugung und Aufzucht von Kindem, die Familie, oder die Geschlechtsbande<br />
in Gesellschaften auf einfacher Entwicklungsstufe, vorrangige Bedeutung hat,<br />
wahrend im weiteren Verlauf der historischen Entwicklung der Bereich der Arbeit<br />
immer wichtiger wird bis hin zur Herrschaft der vergegenstandlichten Arbeit tiber<br />
die lebendige Arbeit als Lohnarbeit im Kaptialismus. Der Begriff "Arbeit" ist in diesem<br />
Text zum einen deutlich abgegrenzt von der "anderen" Art von Produktion,<br />
niimlich der "Produktion von Menschen", zum anderen scheint er mit gleichbleibender.<br />
Bedeutung durch alle gesellschaftlichen Entwicklungsstufen hindurch verwendet<br />
zu sein. 1st aber, so muB man fragen, die Produktion der nachsten Generation,<br />
die Aufzucht von Kindem, nicht auch "Arbeit"? Vnd kann man andererseits<br />
schon von "Arbeit", der Erftillung konkreter Lebensbedtirfnisse im begrenzten,<br />
tiberschaubaren gesellschaftlichen Zusammenhang auf einer einfachen Stufe der<br />
Produktion als einer Arbeit an toten Produkten sprechen, die sich deutlich von def<br />
Arbeit am lebendigen Produkt, am Menschen, unterscheidet?<br />
Ober den besonderen Begriff von "Arbeit" im Kapitalismus wird im nachsten<br />
Kapitel eingehender zu sprechen sein; sicher ist, daB diese analytische Trennung bei<br />
Engels selbst schon AusfluB bestimmter Verhiiltnisse ist, namlich der Produktionsverhaltnisse<br />
im entwickelten Kapitalismus des 19. lahrhunderts und der ihnen entsprechenden<br />
biirgerlichen Theorie. Delin: Arbeit als allgemeine Abstraktion von<br />
vieIniltigen Formen konkreter menschlicher Tatigkeit ist eine modeme, genauer:<br />
eine btirgerliche Kategorie, .wie wir sie in frtiheren Gesellschaften nicht finden (2).<br />
So beschreibt z.B. George Thomson (3) die Ideologie frtiherer Gesellsthaften, die<br />
1 F. Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats. In: Marx/Engels,<br />
Werke (ktinftig: MEW), Bd. 21, Berlin 1969, S. 27-28.<br />
2 Vgl. Karl Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Okonomie, Berlin 1953, S. 24 "AIbeit<br />
scheint eine ganz einfache Kategorie. Auch die Vorstellung derselben in dieser Allgemeinheit<br />
- als Arbeit ilberhaupt - ist uralt. Dennoch, okonomisch in d.ieser Einfachheit<br />
gef~t, ist "AIbeit" eine ebenso moderne Kategorie wie die Verhllltnisse, die diese einfache<br />
Abstraktion erzeugen."<br />
3 George Thomson, Die ersten Philosophen. Berlin 1961, S. 31-32<br />
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