Volltext Prokla 22
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Bei der Beurteilung ihrer Stichhaltigkeit stellt sich vorab ein allgemeines<br />
methodisches Problem. Wir hatten in der Einleitung darauf hingewiesen, d!£ das<br />
Projekt seine Thesen tiber Klassenstruktur und Bewu~tseinsformen im Rahmen der<br />
allgemeinen Untersuchung des entwickelten KapitalverhaItnisses fomiuliert, unabhangig<br />
von historischen Bedingungen und Yorkapitalistischen Gesellschaftsformen.<br />
Mit der Gegentiberstellung von Gleichgtiltigkeit und IdentifIkation im Sinne der<br />
Ausbildung "professioneller Vorurteile" gehen in die Analyse des Projekts jedoch<br />
Kategorien ein, die sich nicht nur auf das entwickelte KapitalverhaItnis beziehen,<br />
sondern auch die Differenz zwischen kapitalistischen und vorkapitalistischen Produktionsformen<br />
bezeichnen. Wenn Marx als eine der Bedingungen fur den reibungslosen<br />
Ausgleichder Profitraten den Wegfall aller "professionellen Vorurteile" der<br />
Lohnarbeiter nennt (63), dann bezieht er sich damit zunachst eindeutig auf den<br />
Widerspruch zwischen der Gleichgtiltigkeit des Kapitals gegentiber den Inhalten<br />
der Arbeit und tradierten, aus der zunftm~igen Produktion stammenden Bewu~tseinsformen<br />
(64). Das ,,mittelaltrige ZunftverhaItnis" (64a) ist eine beschrankte,<br />
noch nicht adaquate Form des Kapital- und Lohnverhiiltnisses: Das Kapital ist an<br />
ein bestimmtes Handwerk auf mannigfaltige Art gebunden und damit in seiner<br />
stofflichen Gestalt und seinem Wertumfang begrenzt. Es hat noch nicht die "freie<br />
Gestalt des Kapitals" erhalten; als Endzweck der Produktion erscheint nicht der<br />
Tauschwert, sondem der Gebrauchswert. Die technologische Basis dieses VerhaItnisses<br />
ist der handwerkliche Betrieb; in ihm ist die mehr oder weniger kunstm~ige<br />
Handhabung des Arbeitsjnstruments der entscheidende Faktor der Produktion:<br />
Die selbstiindige und personliche Arbeit, die eine "professionelle Entwicklung"<br />
durch Lehrzeit erfordert, bestimmt das Resultat der Arbeit. Die "professionellen<br />
Vorurteile" als bewu~tseinsrn~iger Ausdruck dieser VerhaItnisse beziehen<br />
sich damit zum einem auf die Beschranktheit der handwerklichen Produktion,<br />
zum anderen auf die Subsumtion des Arbeitsinstruments unter ein in bestimmter<br />
Weise professionell entwickeltes Geschick (nichtwissenschaftlich), das das spezifische<br />
Produzentenbewu~tsein des Handwerkers ausrnacht. In der Identifikation<br />
mit den Inhalten der Arbeit, seinem Individualisrnus und Beharrungsstreben erweist<br />
es sich als Hemmnis der entwickelten kapitalistischen Produktion; es wird<br />
tradiert, kann sogar im Kapitalisrnus zeitwellig wieder gestiirkt werden, weicht aber<br />
langfristig in einem widerspruchlichen Proze~ der Gleichgtiltigkeit des modernen<br />
Lohnarbeiters gegentiber den Inhalten seiner Arbeit.<br />
Dieser historische, auf'den Vergleich yon Gesellschaftsformen gerichtete Sinn<br />
der Gegentiberstellung von Idenftkation mit den Inhalten der Arbeit im Sinne professioneller<br />
Vorurteile und Gleichgtiltigkeit· wird yom Projekt verkannt, wenn es<br />
63 Marx: Das Kapital, Bd. 3, S. 206 f.<br />
64 Auf diese gesellschaftsgebundene' Bedeutung del Kategorie der GleichgtUtigkeit weist<br />
auch E. Hahn hin, wenn er schreibt, daJ.) Marx die GleichgtUtigkeit offensichtlich als "allgemeines<br />
Attribut der kapitalistischen Produktionsweise im Unterschied zu vorangegangenen<br />
Produktionsweisen" angesehen habe (1972, S. 84).<br />
64a Vgl. die in diesem Zusammenhang wichtige Darstellung in den "Resultaten". S. 54 ff.<br />
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