Volltext Prokla 22
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Christel Hopf / Wulf Hopf<br />
Gleichgiiltigkeit und Identifikation als Kategorien<br />
der Analyse von Klassenbewu~tsein<br />
Die historische Erfahrung des Faschismus als Resultat der bisher tiefsten Krise des<br />
Kapitalismus und die Tatsache, daB einige def hOchstentwickelten Lander Westeuropas<br />
und die USA nach dem 2. Weltkrieg einen niedrigen Stand def Klassenauseinandersetzungen<br />
zeigten, haben immer wieder das Verhaltnis von objektiver<br />
Klassenlage, GesellschaftsbewuBtsein und Aktionsbereitschaft def Lohnabhangigen<br />
problematisch erscheinen lassen. Das gilt politisch - alle sozialistischen und kommunistischen<br />
Organisationen setzen sich praktisch mit diesem Problem auseinander<br />
- wie auch wissenschaftlich, das heiBt flir die Ansatze zur Analyse von Klassenstruktur<br />
und -bewuBtsein. Unter ihnen kommt dem Ansatz des Berliner Projekts<br />
Klassenanalyse aus mehreren Grunden eine besondere Bedeutung zu:<br />
1. Indem das Projekt und seine Anhiinger von der SteHung der Lohnarbeiter<br />
als produktiv oder unproduktiv im ReproduktionsprozeB des Kapitals ausgehen,<br />
gelangen sie nicht nur zu einer anderen Gliederung der Klassenstruktur als die<br />
bisherigen Ansatze, sondern sie entwiekeln damit auch neue Vorstellungen zum<br />
Verhhltnis von Klassenlage und BewuBtsein. DaB das BewuBtsein der Arbeiter<br />
widerspruchlich bestimmt ist, haben auch andere Marxisten immer wieder betont;<br />
das Projekt Klassenanalyse und seine Anhanger unterscheiden sieh jedoch darin, wie<br />
sie dieses widerspruchliche BewuBtsein kennzeichnen und auf welche Weise sie die<br />
Aufl6sung bzw. Weiterentwieklung der Widerspruche bestimmen. 1m Mittelpunkt<br />
der Ubedegungen des Projekts stehen die Kategorien der mystiflzierenden Formen<br />
des BewuBtseins und der Widerspruch von Gleichgilltigkeit des produktiven Arbeiters<br />
gegenuber den besonderen Inhalten seiner Arbeit und Identiflkation, der<br />
bestimmen solI, in welchem AusmaB die objektiven Voraussetzungen daftir gegeben<br />
sind, daB die produktiven Arbeiter den Mystiflkationszusammenhang der erscheinenden<br />
gesellschaftliehen Beziehungen durchbrechen k6nnen.<br />
2. Da das Projekt Klassenanalyse den Zusammenhang von Klassenstruktur<br />
und -bewuBtsein nicht nur allgemein formuliert, sondern fUr einzelne Fraktionen<br />
def produktiven und unproduktiven Lohnarbeiter differenziert, und der Sinn der<br />
theoretischen Unterscheidungen gerade im Vergleich der verschiedenen Gruppierungen<br />
liegt, gehen von diesem Ansatz erhebliche Impulse fUr die historische und<br />
empirisch-soziologische Spezialuntersuchung einzelner Lohnarbeitergruppen aus;<br />
das zeigen die Arbeiten von N. Beckenbach u.a. tiber technisch-wissenschaftliche<br />
Lohnarbeiter und von U. Kadritzke tiber die "geduldigen Arbeiter", die Angestellten,<br />
recht deutlich. Man kann sieher sein, daB dies nieht die letzten Spezialuntersuchungen<br />
einzelner Gruppierungen sein werden, sondern daB versucht werden wird,<br />
die bisherigen btirgerlich-soziologischen Untersuchungen von Lage und BewuBtsein<br />
der Arbeiter, Angestellten und Beamten durch Untersuchungen zu ersetzen, die auf<br />
dem Ansatz des Projekts Klassenanalyse beruhen (1).<br />
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