Volltext Prokla 22
Volltext Prokla 22
Volltext Prokla 22
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Bei Anerkennung dieser notwendigen Differenzierung bleibt jedoch die<br />
Grundthese der Arbeit erhalten, daB vorkapitalistische Verhaltensweisen bzw. gebrauchswertorientiertes<br />
Verhalten in den Familienbeziehungen als zunachst abgetrennt<br />
vom Bereich der Produktion sich starker gehalten haben, besonders aber in<br />
der Beziehung von Mtittern zu ihren Kindem, sofern die Aufzucht der nachsten<br />
Generation noch tiberwiegend Sache der Frauen ist. In dieser Tatsache liegen, wie<br />
in der Arbeit auch ausgeftihrt, die Moglichkeiten und die Beschranktheiten von<br />
Frauen in unserer Gesellschaft.<br />
Die Betonung des Gebrauchswertcharakters in den Verhaltensweisen von<br />
Frauen, speziell in der Mutter-Kind-Beziehung als wichtige Voraussetzung fUr eine<br />
gelungene Sozialisation, ergab sich in der - vielleichtmanchmal zu pointierten -<br />
Form aus der Auseinandersetzung mit Forderungen, die in der Einbeziehung der<br />
Frauen in die Produktion ohne weiteres den Weg zu ihrer gesellschaftlichen Emanzipation<br />
sahen.<br />
Zur Frage "Wie kommen Frauen zu gesellschaftlicher Erfahrnng?"<br />
Die Diskussion ergab zu dem in der Arbeit festgestellten Desinteresse der Frauen<br />
an gesellschaftlich-Offentlichen Problemen, das sich z.B. in der mangelnden Bereitschaft<br />
zu gewerkschaftlicher Organisation ausdrlickt, einige interessante Gesichtspunkte<br />
und Fragestellungen. Zu der Bereitschaft von Arbeiterinnen, an Klassenkampfen<br />
teilzunehmen, wurde erwiihnt, daB Frauen in akuten Auseinandersetzungen<br />
unter Umstanden groBere Militanz zeigen als Arbeiter (ein Beispiel ist Pierburg,<br />
wo die Polizei bei den Streiks erfolglos blieb) , daB sie sich spontaner zu<br />
Aktionen bereitfinden. Ihre Art des Aufbegehrens und der Klassenauseinandersetzung<br />
haben eher die Form von Revolten, wahrend konsequente, langer dauernde<br />
gewerkschaftliche Kleinarbeit gemieden wird. Ein Grund dafUr ist sicher die in der<br />
Arbeit erwahnte Verstandnislosigkeit der Gewerkschaftspolitik gegentiber der Doppelbelastung<br />
der Frauen und der tatsachliche Zeitmangel, der sich aus dieser Doppelbelastung<br />
ergibt. Als Bestatigung flir diesen Zusammenhang kann unter anderem<br />
auch die Tatsache angesehen werden, daB die gewerkschaftliche Organisierung von<br />
Frauen ab 35 Jahren wieder zunimmt, wenn die Kinder "aus dem Grobsten hefaus"<br />
sind und Berufstatigkeit als Hinger dauernde Perspektive begriffen wird.<br />
Eine Moglichkeit fUr Frauen in der Produktion, tiber den privaten Bereich<br />
hinausgehende Interessen zu erkennen, kann sich auch aus der Akkordarbeit ergeben,<br />
deren zerstorerische, krankmachende Belastung im vorliegenden Aufsatz<br />
hauptsachlich unter dem Gesichtspunkt der Motivation zur Fabrikarbeit beschrieben<br />
wurde, deren andere Seite jedoch der Durchbruch zu koHektiven Widerstandsaktionen<br />
sein kann, wenn die Harte der Belastung dUTch Steigerung des Arbeitstempos<br />
und eine allgemeine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen bis an<br />
die Grenze des Ertraglichen getrieben wird.<br />
Gegen den Unmittelbarkeitsfetisch: "Frauen in die Produktion!" wurde andererseits<br />
in der Diskussion erwiihnt, daB auch im Bereich der Familie von Frauen<br />
Erfahrungen gemacht werden konnen, die tiber die Begrenztheit des Privaten hinausweisen.<br />
Hierher gehort z.B. die nicht naher diskutierte Frage, welche gesellschaft-<br />
63