Volltext Prokla 22
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solchen allgemeinen Prognosen oder Postulaten, wie sie haufig von Sozialisten aufgestellt worden sind, etwas von der Leichtfertigkeit an, mit def Theorie sich des Ofteren tiber reale Hindernisse und Widerstande hinwegsetzt. Die betroffenen Mutter waren und sind auch heute im allgemeinen nicht so einfach in def Lage, den Konflikt zwischen Lohnarbeit und Kinderversorgung, den sie taglich neu erfahren und irgendwie bewaltigen mussen, mit der vagen (weil ihnen unzulanglich vermittelten) Hoffnung auf eine andere, menschlichere Gesellschaft einfach zu uberspringen. Uberdies ist es ja ein entscheidender Fortschritt von def friihsozialistischen, utopischen zu def marxistischen Auffassung von den geschichtlichen Umwalzungen, daB diese aus dem realen Druck der Verhaltnisse und den daraus sich ergebenden BewuBtseinsveranderungen erwartet werden. Der Fortschritt zu einer menschlichen Gesellschaft muB sich als einzig moglicher Ausweg aus den wirklichen, konkreten Alltagslasten und Anstrengungen def Abhangigen und Unterdrtickten ergeben, nicht aus allgemeinen Ideen von einer menschlicheren Gesellschaft. Und wenn die Lohnabhiingigen die Unterdrtickten in der kapitalistischen Gesellschaft sind, so sind die verdoppelten Lasten und Anstrengungen def lohnabhangigen Frauen und ihre Verarbeitung im BewuBtsein von entscheidender Bedeutung flir die Aussichten einer grundlegenden Umwalzung. Mit def Beschreibung def Lebensumstande der proletarischen Frauen und ihrer Farnilien im 19. Jahrhundert setzt man sich allerdings leicht dem Vorwurf aus, einem sozialsentimentalen Klischee zu huldigen, wahrend doch heute z.B. in der Bundesrepublik die Verhiiltnisse def Arbeiterinnen sich grundlegend gewandelt hatten. Abgesehen davon, daB die Frauen vollige Gleichberechtigung nach dem Gesetz erreicht hatten, seien die Lohne stiindig gestiegen, die Arbeitsplatze seien hell, sauber und hygienisch, die Arbeitszeit gegenuber friiher stark herabgesetzt, die Sozialleistungen (darunter besonders der Mutterschutz und das Kindergeld) beachtlich. Kein Kind konne heute mehr verhungern oder auf der StraBe verkommen. Jeder Familie sei zumindest durch die Sozialhilfe ein staatlich garantiertes Existenz· minimum gesichert. Vielen Arbeiterfamilien gehe es heutzutage so gut, daB die Frauen nur arbeiten gingen, urn sich bzw. ihrer Familie ein groBeres Auto kaufen oder sogar ein Haus bauen zu konnen. Sind also, so mussen wir fragen, die gesellschaftHchen Bedingungen allgemein und die Arbeitsbedingungen im Besonderen heutzutage so, daB sie den Frauen und Muttern, besonders denen aus def Arbeiterschaft, den "ProzeB def Erlangung ihrer politischen, wirtschaftlichen und sozialen Unabhangigkeit" (71) durch Tennahme an def Produktion erleichtern? Diese Frage muB aus guten Grtinden verneint werden. Die Arbeiterinnen in der BRD stellen in der Gesamtheit der Lohnabhangigen den groBten Anten def am schlechtesten Bezahlten, def am schlechtesten oder gar nicht AusgebHdeten, der an den zermurbendsten Arbeitsplatzen Beschaftigten; von den Ausschlagen def Konjunktur sind sie am hiirtesten betroffen. 90% der Arbeiterinnen erhalten keine 71 Jutta Menschik, a.a.O., S. 102. 50
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solchen allgemeinen Prognosen oder Postulaten, wie sie haufig von Sozialisten aufgestellt<br />
worden sind, etwas von der Leichtfertigkeit an, mit def Theorie sich des<br />
Ofteren tiber reale Hindernisse und Widerstande hinwegsetzt.<br />
Die betroffenen Mutter waren und sind auch heute im allgemeinen nicht so<br />
einfach in def Lage, den Konflikt zwischen Lohnarbeit und Kinderversorgung, den<br />
sie taglich neu erfahren und irgendwie bewaltigen mussen, mit der vagen (weil ihnen<br />
unzulanglich vermittelten) Hoffnung auf eine andere, menschlichere Gesellschaft<br />
einfach zu uberspringen. Uberdies ist es ja ein entscheidender Fortschritt von<br />
def friihsozialistischen, utopischen zu def marxistischen Auffassung von den geschichtlichen<br />
Umwalzungen, daB diese aus dem realen Druck der Verhaltnisse und<br />
den daraus sich ergebenden BewuBtseinsveranderungen erwartet werden. Der Fortschritt<br />
zu einer menschlichen Gesellschaft muB sich als einzig moglicher Ausweg<br />
aus den wirklichen, konkreten Alltagslasten und Anstrengungen def Abhangigen<br />
und Unterdrtickten ergeben, nicht aus allgemeinen Ideen von einer menschlicheren<br />
Gesellschaft. Und wenn die Lohnabhiingigen die Unterdrtickten in der kapitalistischen<br />
Gesellschaft sind, so sind die verdoppelten Lasten und Anstrengungen def<br />
lohnabhangigen Frauen und ihre Verarbeitung im BewuBtsein von entscheidender<br />
Bedeutung flir die Aussichten einer grundlegenden Umwalzung.<br />
Mit def Beschreibung def Lebensumstande der proletarischen Frauen und<br />
ihrer Farnilien im 19. Jahrhundert setzt man sich allerdings leicht dem Vorwurf<br />
aus, einem sozialsentimentalen Klischee zu huldigen, wahrend doch heute z.B. in<br />
der Bundesrepublik die Verhiiltnisse def Arbeiterinnen sich grundlegend gewandelt<br />
hatten. Abgesehen davon, daB die Frauen vollige Gleichberechtigung nach dem<br />
Gesetz erreicht hatten, seien die Lohne stiindig gestiegen, die Arbeitsplatze seien<br />
hell, sauber und hygienisch, die Arbeitszeit gegenuber friiher stark herabgesetzt,<br />
die Sozialleistungen (darunter besonders der Mutterschutz und das Kindergeld)<br />
beachtlich.<br />
Kein Kind konne heute mehr verhungern oder auf der StraBe verkommen.<br />
Jeder Familie sei zumindest durch die Sozialhilfe ein staatlich garantiertes Existenz·<br />
minimum gesichert. Vielen Arbeiterfamilien gehe es heutzutage so gut, daB die<br />
Frauen nur arbeiten gingen, urn sich bzw. ihrer Familie ein groBeres Auto kaufen<br />
oder sogar ein Haus bauen zu konnen.<br />
Sind also, so mussen wir fragen, die gesellschaftHchen Bedingungen allgemein<br />
und die Arbeitsbedingungen im Besonderen heutzutage so, daB sie den Frauen<br />
und Muttern, besonders denen aus def Arbeiterschaft, den "ProzeB def Erlangung<br />
ihrer politischen, wirtschaftlichen und sozialen Unabhangigkeit" (71) durch Tennahme<br />
an def Produktion erleichtern?<br />
Diese Frage muB aus guten Grtinden verneint werden. Die Arbeiterinnen in<br />
der BRD stellen in der Gesamtheit der Lohnabhangigen den groBten Anten def am<br />
schlechtesten Bezahlten, def am schlechtesten oder gar nicht AusgebHdeten, der<br />
an den zermurbendsten Arbeitsplatzen Beschaftigten; von den Ausschlagen def<br />
Konjunktur sind sie am hiirtesten betroffen. 90% der Arbeiterinnen erhalten keine<br />
71 Jutta Menschik, a.a.O., S. 102.<br />
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