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DER ZUG AUS ZUG - Cham Tourismus

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<strong>DER</strong> <strong>ZUG</strong> <strong>AUS</strong> <strong>ZUG</strong><br />

Zur Geschichte des <strong>Cham</strong>er Bahnhofs<br />

TEURE BAHN: Der erste Bahnhof <strong>Cham</strong>s stand, bevor<br />

die Bahn hier hielt. Die erste Bahnlinie, welche den<br />

Kanton Zug verkehrstechnisch in ein neues Zeitalter<br />

katapultierte, führte von Zürich über Affoltern nach<br />

Zug, dann von Zug über <strong>Cham</strong> nach Luzern. 1864<br />

nahm der Bahnverkehr seinen Betrieb auf. Eine Bahnfahrt<br />

von <strong>Cham</strong> nach Zug kostete damals 25 Rappen,<br />

wofür ein Arbeiter ungefähr vier Stunden arbeiten<br />

musste.<br />

Der Bahnhof von 1893: Aufnahme von Westen.<br />

NORMBAHNHOF: <strong>Cham</strong>s erster Bahnhof wurde vom<br />

Architekten der Ost-West-Bahn, Paul Adolphe Tièche,<br />

entworfen. Doch die Bahngesellschaft ging konkurs. Die Nachfolgegesellschaft Nord-Ost-Bahn<br />

übernahm das Projekt und liess es durch Jakob Friedrich Wanner ausführen. Das schlichte Gebäude<br />

entsprach den gleichzeitig erstellten Bahnhofsbauten in Ebikon, Gisikon und Rotkreuz.<br />

UM<strong>ZUG</strong> DES BAHNHOFS: 1893 wurde der <strong>Cham</strong>er Bahnhof abgebaut, eingelagert und 1900 in<br />

Bäch am Zürichsee wieder aufgebaut. Damals war das Verschieben von Gebäuden durchaus<br />

üblich. An der Stelle des ersten Bahnhofs wurde in <strong>Cham</strong> durch die Nord-Ost-Bahn der zweite<br />

Bahnhof erstellt, der heute noch bestehende, etwas grosszügigere Bau. Die Giebel waren<br />

ursprünglich mit Sägeornamenten und hölzernen Firstobelisken verziert.<br />

ZURÜCKGESTUFT: Heute fahren soviele Züge wie noch nie durch den Bahnhof <strong>Cham</strong>, mehrere<br />

Hundert pro Tag. Auch mehrere hundert Buskurse fahren beim den Bahnhof <strong>Cham</strong> durch, der<br />

damit zu einem wichtigen Ein- und Umsteigeort geworden ist. Trotzdem wurde der Bahnhof<br />

<strong>Cham</strong> in seiner Bedeutung zurückgestuft. Statt eines Bahnhofsvorstands leitet heute eine<br />

«Dienststellenleiterin» den Bahnhof <strong>Cham</strong>.<br />

Der erste Bahnhof von 1859: Steht heute in Bäch.


DAS ENTWICKLUNGSGEBIET<br />

Zur Geschichte des Bahnhofquartiers<br />

VIELE GÜTER: Der Bahnhof <strong>Cham</strong> war bis in die 1970er-<br />

Jahre ein bedeutender Umschlagplatz von Gütern der<br />

Industrie. Dementsprechend waren östlich und westlich des<br />

Bahnhofs Güterschuppen platziert. Das einstige Zuckerlager<br />

der «Milchsüdi» mit eigenem Geleiseanschluss brannte 1978<br />

ab. Die bahneigenen Güterschuppen wichen Ende der<br />

1990er-Jahre dem neuen Annexbau des Bahnhofs. Der Bahn<br />

treu geblieben ist die Papierfabrik: Täglich transportiert die<br />

Elektrolokomotive des «Papieri-Bähnlis» Güter zwischen<br />

Bahnhof und Fabrik hin und her.<br />

Das Bahnhofquartier: Blick von oben.<br />

EIN VISIONÄR: Baumeister Hans Miesch (1880–1941) hatte<br />

eine Vision für das Bahnhofsquartier. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erstellte an der Bahnhof-<br />

, an der Post- und an der Luzernerstrasse wichtige Bauten auf eigene Rechnung, unter anderem<br />

die Gastwirtschaft Laube und die neue Post an der Luzernerstrasse 17. Doch Miesch, der<br />

1910 noch ein Vermögen von 31'000 Franken versteuerte und damit zu den vermögenden<br />

<strong>Cham</strong>ern zählte und überdies noch als Vertreter des Freisinns im Kantonsrat war, überschätzte<br />

sich und musste 1914 Konkurs anmelden. Wenig später wanderte er nach Australien aus.<br />

DAS «BAHNHÖFLI»: Es war ebenfalls Baumeister Miesch, der 1910 eine Gastwirtschaft direkt<br />

am Bahnhofplatz erbaute. Entsprechend ihren malerischen Laubengängen hiess sie damals<br />

Restaurant Laube und weist bis heute farbige Heimatstilornamente auf. Die Bauweise ist<br />

Aufschlussreich: Massive Elemente zeigen städtische Züge, hölzerne Elemente stehen dagegen<br />

für das einheimsiche, ländliche Bauen. Heute lautet der Name «Hotel Restaurant Bahnhof»,<br />

von den meisten wid die Wirtschaft «Bahnhöfli» genannt.<br />

AUCH EIN BUSHOF: Seit 1999 sind die Güterschuppen weg. Stattdessen hat der Bahnhof einen<br />

modernen Annexbau erhalten, wurde renoviert und um den Bushof ergänzt. Dank den vielen<br />

Buskursen schliesst der öffentliche Verkehr auf den Schienen nahtlos an jenen auf der Strasse<br />

an.<br />

Das Restaurant Laube: heute «Hotel Restaurant<br />

Bahnhof».


<strong>DER</strong> ORT VON POST UND GEWERBE<br />

Zur Geschichte des Rabenplatzes<br />

DAS RESTAURANT RABEN: Ist wohl eines der ältesten<br />

Gasthäuser <strong>Cham</strong>s, der älteste Hinweis geht auf das<br />

Jahr 1592 zurück. Der alte «Raben» wurde zu Beginn<br />

des 19. Jahrhunderts demontiert und an der Luzernerstr.<br />

40 wieder aufgebaut. Das genaue Erstellungsjahr<br />

des neuen «Rabens» ist nicht klar. Die Baugruppe,<br />

entstanden im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts,<br />

besteht aus zwei parallel gestellten Häusern, die<br />

durch einen Zwischentrakt verbunden sind.<br />

VIERMAL POST: Der Rabenplatz hiess früher Postplatz.<br />

Denn nicht weniger als vier ehemalige Post-<br />

Personal des «Rabens» vor der Gaststätte: vor rund 100<br />

Jahren.<br />

büros befanden sich rund um den Platz herum.<br />

Während 134 Jahren ging die <strong>Cham</strong>er Post vom Rabenplatz nach <strong>Cham</strong>, Hagendorn und die<br />

weiteren Weiler. Zuerst bestand im «Raben» eine Postablage. Dann war die Post an der Ecke<br />

Hünenberger-/Rigistrasse. Dann kam die Post in den Neubau des Burrihauses (Hünenbergerstr.<br />

2), schliesslich zog sie 1912 in das neubarocke Postgebäude auf der Südseite des Platzes<br />

um. 1983 zügelte die Post aus dem Chirchbüel-Quartier weg ins «Städtli», ins damals neu<br />

eröffnete Einkaufscenter Neudorf.<br />

VIELBESCHÄFTIGTER MANN: Jost Burri erstellte 1875 das nach ihm benannte Burrihaus an der<br />

Hünenbergerstr. 2. Dieser Burri (1834–1896) war eine interessante und vielseitige Persönlichkeit.<br />

Er stammte aus Malters und wurde 1860 als Lehrer nach <strong>Cham</strong> gewählt, zog aber bald<br />

weiter nach Laufenburg. 1870 kam er zurück nach <strong>Cham</strong> und wurde Posthalter. Gleichzeitig<br />

war er während fast 30 Jahren Lehrer in Sins, leitete das Spezereigeschäft seines Schwiegervaters,<br />

vertrat die Freisinnigen im Kantonsrat (1886–1891), wirkte als <strong>Cham</strong>er Schulpräsident<br />

(1892–1896) und betrieb mit seinem Bruder ein Mühlengeschäft in Wolhusen. Im Postlokal<br />

schlief damals stets einer der vier Briefträger als Wache auf einem Feldbett.<br />

DAS HERZSTÜCK: Ebenfalls am Post-/Rabenplatz war und ist die Apotheke Anklin. 1919 wurde<br />

diese von Alphons Anklin am Kirchenplatz gegründet. Schon drei Jahre später konnte der<br />

Apotheker das Haus an der Poststrasse 3 erwerben und die Apotheke dort einrichten. Einst<br />

war das Chrichbüel-Quartier der Ort des Einkaufs und des Kleingewerbes; der Post-/Rabenplatz<br />

war darin das Herzstück.<br />

Der «Raben» mit seinen zwei Gebäuden: zur Linken mit<br />

Gartenbeiz.


DIE STÄDTISCHE MEILE<br />

Zur Geschichte der Häuser Luzernerstrasse 10–14<br />

MITEINAN<strong>DER</strong> GEBAUT: 1883 war <strong>Cham</strong> am<br />

Wachsen; die «Milchsüdi» boomte, der<br />

Bevölkerung ging es gut. Hier an der Luzernerstrasse<br />

wurden gleich drei Häuser miteinander<br />

errichtet: Die Luzernerstrasse 10, 12<br />

und 14, in letzterem ist heute noch die Gastwirtschaft<br />

Kreuz. Kunsthistoriker Josef<br />

Grünenfelder nennt die drei Gebäude «eine<br />

einheitliche, städtisch wirkende Häuserzeile».<br />

Zwei von drei Häusern sind verschwunden: Nur das «Kreuz» links SCHNEI<strong>DER</strong> UND TUCHHÄNDLER: Cyrill<br />

steht noch.<br />

Widmer-Oehen (1841–1927) führte zusammen<br />

mit seiner Frau Anna (1854–1925) in Hagendorn ein bescheidenes Tuchlädeli. 1870 zogen<br />

sie nach <strong>Cham</strong> um, doch die Störarbeit als Schneider führte Cyrill Widmer mit Massband,<br />

Bügeleisen und mächtiger Schere in die weitere Umgebung von <strong>Cham</strong> und Hünenberg. Seinen<br />

bescheidenen Tuchladen mit Schneiderei hatte er an der Zugerstrasse. 1893 zog er an die Luzernerstrasse<br />

10.<br />

<strong>DER</strong> FAMILIENBETRIEB: Zeitweilig führten Marie Widmer, Gottfried Widmer-Baumgartner und<br />

Roman Widmer-Frey als «Geschwister Widmer» den Laden, der sich mehr und mehr zum Modegeschäft<br />

entwickelte. 1956 übernahm mit Cyrill Widmer-Ritter die dritte Generation das<br />

Geschäft an der Luzernerstrasse, unterstützt von seiner Frau Agnes und seinen Schwestern<br />

Dora und Marie-Theres, später auch von der vierten Generation mit Gabriela und Franziska.<br />

Bis 1995 blieb der Laden erhalten.<br />

DIE NACHFOLGE: Weil niemand den Laden übernehmen und die Gemeinde <strong>Cham</strong> das Grundstück<br />

kaufen wollte, wurde das Haus, zusammen mit dem Haus Luzernerstr. 12, für den Bau<br />

des neuen Gemeindezentrums Mandelhof abgerissen. 125 Jahre Kleider Widmer fanden damit<br />

ein Ende. Der «Mandelhof» wurde nach Plänen der Architekten Zumbühl+Heggli von März<br />

1996 bis Juni 1998 gebaut. Das Gebäudevolumen beträgt 20'280 Kubikmeter, und in der Tiefgarage<br />

finden 86 Autos Platz.<br />

Lange Zeit die erste Adresse für Kleider in <strong>Cham</strong>: «Modes<br />

C. Widmer».


DAS BLECH UND DIE TELEFONE<br />

Zur Geschichte des Gasthauses Ritter<br />

<strong>DER</strong> NAME «BLECH»: Die Gastwirtschaft an dieser Stelle hiess<br />

Ritter, benannt nach Karl Josef Ritter (1849–1924), dem Besitzer<br />

von Haus und Beiz von 1873 bis 1924. Dieser war gleichzeitig<br />

Spenglermeister und hatte deshalb häufig Blech vor<br />

dem Haus gelagert. So dürfte sich der Spitznamen für die<br />

Gaststätte gebildet haben – und dieser blieb weit über Ritters<br />

Besitzerschaft erhalten.<br />

TREFFPUNKT DES GEWERBES: Karl Josef Ritter war während<br />

34 Jahren Kirchenrat (1890–1924) und liberal gesinnt. Der<br />

Hier entstand das neue Dorfzentrum: Dafür Gastwirtschaft, im nobel klingenden «blauen Saal» und im<br />

wich das «Blech» (links).<br />

Sommer in der Gartenwirtschaft unter der grossen Linde trafen<br />

sich die Gewerbetreibenden. Im «Blech» fand auch die «Lädermäss» statt, ein Treffen unter<br />

Gewerblern, bei denen die anstehenden Offerten diskutiert wurden. Der Name «Lädermäss»<br />

stammte von den ebenfalls am Treffen teilnehmenden Schuhmachern.<br />

EISENWARENHANDLUNG: Das «Blech» war 1861 erstellt worden. Im Vorgarten stand ein Sodbrunnen,<br />

dahinter befand sich der Laden von Ritters Schwester, dem «Fräulein», das Haushaltsund<br />

Eisenwaren feilbot. Ebenfalls hinter dem Haus war die Spenglerei von Karl Josef Ritter.<br />

Das Haus stand nicht allein. Nebenan stand an der Luzernerstrasse 9 ein dreigeschossige Wohnhaus,<br />

das bis zum Abbruch weitgehend im Ursprungszustand erhalten war.<br />

DIE ARZTVILLA: Noch etwas näher zur Kirche lag die sogenannte «Villa Ritter». Sogenannt<br />

deshalb, weil das stattliche Gebäude nicht von einem Angehörigen der Familie Ritter erbaut<br />

wurde, sondern 1902 von den Geschwistern Villiger, und zwar als vorstädtische Villa mit Garten<br />

und mit hölzerner Veranda, verziert mit Sägearbeiten und Kunstverglasungen im Jugendstil.<br />

Nach dem Ersten Weltkrieg kaufte der <strong>Cham</strong>er Arzt Heinrich Ritter das Haus. Von da an hiess<br />

das Haus «Villa Ritter».<br />

DAS TELEGRAPHENBÜRO: Heinrich Ritter (1878–1949) war einer der Ärzte im Dorf. Er galt als<br />

sehr korrekter, seriöser Mensch, der sich im Militär (Oberstleutnant), in der Gemeinde (Schulkommission)<br />

und im Kanton (Kantons- und Sanitätsrat, Kantonsarzt) engagierte. In seiner Villa<br />

war bereits vor ihm das <strong>Cham</strong>er Telegraphenbüro untergebracht (ab 1907). Ab 1925 war bei<br />

Doktor Ritter auch die gemeindliche Telefonzentrale domiziliert. Die ersten Telefonanschlüsse<br />

in <strong>Cham</strong> hatten die Firmen «Milchsüdi», Papierfabrik und die Untermühle, die Beizer Josef Stuber-Stutz<br />

vom «Raben» und Xaver Schlumpf vom «Bären» sowie die Industriellen Carl Vogelvon<br />

Meiss («Papieri»), Alois Bossard-Schwerzmann und David Page (beide «Milchsüdi», Stand<br />

1894).<br />

DAS NEUE DORFZENTRUM: Die drei Liegenschaften verschwanden in Etappen. 1989 wichen das<br />

«Blech» und die Luzernerstr. 9 dem neuen Dorfzentrum mit Lorzensaal, Dorfplatz, Wohnungen<br />

und Gewerbe. Die Villa Ritter wurde im Jahr 2001 abgerissen.


DIE ZWEI TÜRMCHEN<br />

Zur Geschichte der vorderen Sinserstrasse<br />

INNERHALB VON ZWEI JAHREN: War es ein Konkurrenzkampf<br />

unter Nachbarn? 1887 erbaute Uhrmacher Albrik<br />

Hotz das Haus an der Sinserstrasse 2 mit dem turmartig<br />

ausgestalteten Erker. Zwei Jahre später übertrumpfte<br />

Magaziner Suter mit seinem Neubau an der Sinserstrasse<br />

1 seinen Nachbarn mit einem noch höheren Erkertürmchen.<br />

Fortan bildeten zwei Türmchen den fulminanten<br />

Auftakt der Sinserstrasse und umrahmten den Bärenplatz<br />

in Richtung Norden.<br />

DRUCK UND PAPIERWAREN: Carl Heller kaufte das Uhrmacherhaus<br />

und gründete 1897 darin eine Papeterie mit<br />

Buchbinderei. Die Werkstatt befand sich im oberen<br />

Stockwerk des Hauses. Carl Heller entwickelte ein neues<br />

Verfahren für das Leimen des Buchrückens. Dieses Verfahren<br />

mit einer Gaze wurde so bekannt, das es den<br />

Kopfsteinpflaster auf der Sinserstrasse: imposantes<br />

Türmchen bei Locher.<br />

Namen «Helleren» bekam. 1926 erweiterte Carls Sohn<br />

Richard das Geschäft durch die Eröffnung der ersten Buchdruckerei in <strong>Cham</strong>. Richard Hellers<br />

gleichnamiger Sohn übernahm 1965 die Druckerei und führte Heller Druck AG bis 1991. Seither<br />

ist mit Christoff Heller die vierte Generation am Wirken.<br />

H<strong>AUS</strong>HALT- UND EISENWAREN: Auch gegenüber tat sich einiges. 1909 kaufte Edmund Locher-<br />

Hürlimann die Liegenschaft an der Sinserstr. 1 und eröffnete eine Eisenwarenhandlung.<br />

Im Sortiment waren landwirtschaftliche Geräte, Kleineisenwaren, Werkzeuge, Beschläge,<br />

Petrollampen, Gasstrümpfe für Gasbeleuchtung, Bürsten, Putz- und Haushaltartikel, besonders<br />

aktuell waren damals Blech- und Emailwaren. Holzkohle für Bügeleisen verkaufte Locher en<br />

gros in der ganzen Deutschschweiz. Die Öffnungszeiten waren zu Beginn erstaunlich lang: von<br />

6.30 bis 21 Uhr und sonntags von 10 bis 16 Uhr. Der Ursprungsbau wurde 1978 abgerissen und<br />

durch einen Neubau ersetzt. Mittlerweile leitet mit Werner und Maja Locher–Bär die dritte<br />

Generation den Laden.<br />

RÖSSLI UND KIRCHE: Wer zwischen den Türmchenbauten hindurch schaut, erblickt auf der<br />

rechten Strassenseite zuerst das Restaurant Rössli (Sinserstr. 4). Dieses Gebäude stammt vom<br />

Ende des 18. Jahrhundert und ist damit das älteste Haus der Strasse. Weiter nördlich scheint<br />

ein Bau mitten auf der Strasse zu stehen: Dies ist die reformierte Kirche <strong>Cham</strong>, 1915 erbaut.<br />

Sie ist in ihrer Entstehungsgeschichte eng verbunden mit der nahen Papierfabrik <strong>Cham</strong>.<br />

Scheint direkt auf der Strasse zu stehen: die reformierte<br />

Kirche hinten.


<strong>DER</strong> BÄREN IST VERSTUMMT<br />

Zur Geschichte des Gasthaus Bären<br />

DEM WAPPENTIER ZUR EHRE:<br />

Die Geschichte des «Bären» geht bis ins Jahre 1647<br />

zurück. Der Rat von Zug bewilligt Adam Schwyzer im<br />

Städtli, das Tavernenrecht ins Kirchbüel jenseits der<br />

Lorze zu verlegen, um dort die Wirtschaft zum Bären<br />

zu führen.<br />

<strong>Cham</strong>s Wappentier, der rote Bär, taucht erstmals 1608<br />

auf der gotischen Turmmonstranz der Kirche St. Jakob<br />

auf. Dass die Wirtschaft das Wappentier <strong>Cham</strong>s zu seinem<br />

Namen macht, zeigt die zentrale Funktion des «Bären».<br />

Er ist mitten im Dorf und für Durchreisende wie Einheimische<br />

gleichermassen gut gelegen. Damals ist das<br />

Rechts die Gaststube des «Bären»: links die Metzgerei.<br />

Reisen zu Fuss aufgrund der schlechten Strassen sehr beschwerlich,<br />

sodass man zwischendurch gerne eine Pause in einer Wirtsstube einlegt. Oder wer mit<br />

dem Schiff über den See kommt, kann hier einkehren. Für die Einheimischen liegt der «Bären» zwischen<br />

dem traditionellen Ortsteil «Städtli» und dem neuen Ortsteil «Kirchbüel».<br />

DIE METZGER KOMMEN: Ab 1880 sind mehrere Metzgerdynastien die Eigentümer des «Bären».<br />

Zuerst ist es Xaver Schlumpf. Dann drei Generationen der Familie Baumgartner. Schliesslich ab 1974<br />

der Metzger Franz Zürcher aus Zug. Im Bau näher zur Lorze befindet sich der Schlachtraum.<br />

Im öffentlichen Leben präsenter ist jedoch der Saal im gleichen Gebäudeteil. Er liegt im ersten<br />

Stock, hat hohe Rundbogenfenster und wirkt mit den Emporen sehr festlich. Viele Vereine führen<br />

hier ihre Anlässe durch. Im Erdgeschoss des Lorzenbaus befindet sich der Metzgerladen.<br />

<strong>DER</strong> GENERAL STEIGT AB: Während des Zweiten Weltkriegs heisst der berühmteste Schweizer Henri<br />

Guisan. Das Bild des Generals hängt in vielen Stuben, er wird zum Zeichen des Widerstands gegen<br />

die Macht der Nationalsozialisten. Als die Lichtgestalt Guisan durch <strong>Cham</strong> fährt, steigt er bei Paul<br />

und Rosa Baumgartner-Brandenberg im «Bären» ab. Dies hängt mit der zentralen Funktion der<br />

Gaststätte zusammen, dürfte aber auch vom Begleiter Guisans abhängig sein, von dessen persönlichem<br />

Adjudanten André Baumgartner, der Bürger von <strong>Cham</strong> ist.<br />

DIE GEMEINDE WILL NICHT: 1974 scheitert an der Gemeindeversammlung der Antrag, dass die<br />

Gemeinde den «Bären» kaufen soll. So erwirbt der damalige Pächter Franz Zürcher-Stocker die<br />

Gebäude. In den letzten Jahren seines Bestehens (1981–1989) ist im «Bären» die «Freie evangelische<br />

Gemeinde» eingemietet. Astrid Steiger führt ein alkoholfreies, gutbürgerliches Restaurant.<br />

UND HEUTE: Der «Bären» steht nicht mehr. An seiner Stelle wird die Überbauung Dorfplatz mit<br />

Wohnungen, Geschäftsräumen und einem Restaurant realisiert: Es heisst nicht mehr «Bären»,<br />

sondern «Lorze». Der Name «Bären» lebt trotzdem weiter: Die benachbarte Brücke heisst «Bärenbrücke»,<br />

der Platz trägt den Namen «Bärenplatz», und den Verkehrskreisel darauf nennt man<br />

«Bärenkreisel».


DIE CHAMER BEIZENMEILE<br />

Zur Geschichte der Gasthäuser an der Zugerstrasse<br />

<strong>DER</strong> «HIRSCHEN»: Der Verkehr auf der Zugerstrasse<br />

ist nicht zu übersehen. Schon 1961 benötigte<br />

die Ausfahrt Knonauer-/Zugerstrasse mehr<br />

Platz. Deshalb wurde der seit 1880 bestehende<br />

«Hirschen» abgerissen. Damit verschwand die erste<br />

der vielen Arbeiterkneipen entlang der Zugerstrasse.<br />

Der «Hirschen» war dreigeschossig gewesen<br />

und fiel durch sein Wirtshauszeichen mit dem<br />

plastisch gestaltetem Hirsch auf.<br />

Eigene Postkarte: Der «Sternen» vermarktete sich. <strong>DER</strong> «STERNEN»: Auf der anderen Strassenseite,<br />

ebenfalls an der Ecke Knonauer-/Zugerstrasse<br />

befindet sich der «Sternen» (Zugerstr. 11), der bereits<br />

1861 erbaut wurde. Die Besitzer wechselten von 1863 bis 1907 mehr als ein Dutzend Mal,<br />

bis der ehemalige Schweizergardist Robert Krumenacher 1907 die Wirtschaft übernahm.<br />

Neben dem Gaststättenbetrieb war im «Sternen» auch das älteste Barbiergeschäft <strong>Cham</strong>s untergebracht.<br />

Beim Barbier wurden zu Beginn auf Wunsch Zähne gezogen. Ein Inserat von 1958<br />

zeigt die Palette des damaligen Friseurs: «Dem gepflegten Herrn: Gute Rasur, Höhensonne,<br />

Coup Hardy, Formschöne Dauerwelle, Wasserwelle, Föhnwelle, Kopf- und Gesichtsmassage mit<br />

Spezialapparat, grosse Auswahl in Parfumerie- und Cosmétique-Artikel.» Nach einigen Jahren<br />

mit thailändischen Spezialitäten werden nun chinesische Gerichte im «Sternen» angeboten.<br />

DIE «KRONE»: Im gleichen Jahr wie der «Hirschen» entstand auch die «Krone» (Zugerstr. 7),<br />

die zu Beginn äusserlich dem «Bären» (Zugerstr. 2) glich. Gegenüber des «Bärens» war noch<br />

der «Löwen» von 1877. Die hohe Dichte an Gaststätten erklärt sich mit dem Wachstum der<br />

<strong>Cham</strong>er Industrie in jener Zeit: Die Papierfabrik und vor allem die «Milchsüdi» boomten und<br />

zogen Arbeitskräfte von weither an. Das Wirtshauszeichen der «Krone» mit der vergoldeten<br />

Bügelkrone ist seit 1880 unverändert.<br />

Stand an der Ecke Zuger-/Knonauerstrasse: der «Hirschen».


<strong>DER</strong> GEBÄUDEKOMPLEX BRANNTE AB<br />

Zur Geschichte des «Neudorfs»<br />

DIE IDEE DES ZIMMERMEISTERS: 1872 war das «Neudorf»<br />

erbaut worden. Als damals die Theaterkultur in<br />

<strong>Cham</strong> aufblühte, entschloss sich «Neudorf»-Wirt und<br />

Zimmermeister Jakob Sennrich dazu, seine Wirtschaft<br />

um einen Theatersaal mit Bühne zu erweitern. Viele<br />

Theateraufführungen, Gemeindeversammlungen,<br />

Konzerte und Aktionärsversammlungen gingen im<br />

«Neudorf»-Saal über die Bühne. Zum Beispiel wurde<br />

hier 1905 die Fusion zwischen der <strong>Cham</strong>er «Milchsüdi»<br />

und der Viviser Nestlé beschlossen.<br />

Ensemble Neudorf: links Gaststätte, rechts Theater.<br />

DAS CHAMER KINO: Nach Theaterbränden im In- und<br />

Ausland um 1900 wurden in allen Theatern die Notausgänge überprüft. Auch im «Neudorf»<br />

gaben sie zu Beschwerden Anlass und führten zu einer Einschränkung des Betriebs. Verschiedene<br />

Um- und Anbauten erhöhten die Sicherheit, der hohe Bühnenturm war weiterhum<br />

sichtbar. Ab 1923 sorgte ein Kinobetrieb im «Neudorf»-Saal für neue Unterhaltung im Dorf.<br />

<strong>DER</strong> BESON<strong>DER</strong>E BRUNNEN: Auf dem Vorplatz des «Neudorfes» stand der originelle «Tierlibrunnen».<br />

Der Trog zeigte in Hochreliefs Ziege, Rind, Pferd und Schwein. Auf der Säule im<br />

Mittelteil stand: «Unsern lieben Haustieren für ihre treue Mitarbeit». Der Brunnen war ein<br />

Geschenk 1937 von <strong>Cham</strong>er Künstler Wilhelm Schwerzmann (1877–1966), der in Minusio lebte.<br />

(Heute steht der Brunnen auf dem Spielplatz des Chirchbüel-Schulhauses.)<br />

<strong>DER</strong> GROSSBRAND: 1944 übernahm die Theatergesellschaft das Gebäude, später dann der<br />

Drogist Fritz Wolf. In der Nacht vom 1. auf den 2. August 1978 fiel der Gebäudekomplex<br />

«Neudorf» mit Pizzeria da Baffo, Coiffeurgeschäft Weber und dem Brockenhaus dem Raub<br />

der Flammen zum Opfer. Schon vor dem Brand war das Gebiet um das «Neudorf» herum<br />

unternutzt: Früher hatten in diesen Fabrikgebäuden die «Milchsüdi» Käse und Kindermehl,<br />

die Papierfabrik und die Maschinenfabrik <strong>Cham</strong> produziert. Zusammen mit der Brandbrache<br />

wurde das ganze Gebiet inmitten des «Städtlis» einer Planung unterzogen. So entstand von<br />

1981–1983 die erste und 1988–1990 die zweite Etappe des Einkaufszentrums Neudorf mit<br />

Bank, Post, Kiosk, Restaurants, vielen Einkaufsläden und Wohnungen. Für die Fassade wählten<br />

die Architekt Hans-Peter Ammann und Peter Baumann Sichtbackstein – quasi als Referenz an<br />

die industrielle Vergangenheit des Ortes.<br />

Baustelle Neudorf: Hier entstand das neue Zentrum.


MILCH UND FUTTER<br />

Zur Geschichte der «Milchsüdi» und der «Landi»<br />

Einfach und funktionell: einstige Stallungen der<br />

«Milchsüdi».<br />

KONDENSMILCH: 1866 begann hier ein Wirtschaftsmärchen.<br />

Es war einmal ein Amerikaner, der sah, dass man<br />

in Europa noch nicht Milch zu Kondensmilch eindickte.<br />

Deshalb errichtete er mit Landsleuten und Schweizer<br />

Gleichgesinnten die erste Konsensmilchfabrik von<br />

Europa in <strong>Cham</strong>, weil hier genügend Platz und vor<br />

allem ausreichend Milch war. Die «Milchsüdi», wie sie<br />

genannt wurde, gab Arbeitern und Bauern guten Verdienst,<br />

wuchs und wuchs und war eine Erfolgsgeschichte.<br />

«MILCHSÜDI»-BAUTEN: An der Zugerstrasse steht noch<br />

heute das prachtvolle Verwaltungsgebäude der einstigen «Milchsüdi» (Zugerstr. 8). Darin ist<br />

heute das Aktienbüro der Nestlé untergebracht, und im Park steht ein Denkmal für den amerikanischen<br />

«Milchsüdi»-Generaldirektor George Ham Page. Ostwärts waren früher die Nebenbauten<br />

wie die Pferdestallungen und das Kutscherhaus (Zugerstrasse 14 und 16), 1875 errichtet.<br />

Dahinter lagen die fabrikeigenen Schweinestallungen, das Gashaus, das Gasometer und der<br />

Koksschuppen. 1932 schloss die «Milchsüdi» die Fabrikation in <strong>Cham</strong> – das Märchen ging zu<br />

Ende.<br />

DIE BAUERN KAUFEN: An einer ausserordentlichen Generalversammlung kaufte die landwirtschaftliche<br />

Genossenschaft <strong>Cham</strong>, kurz «Landi» genannt, 1949 eine 4678 Quadratmeter grosse<br />

Parzelle mit den einstigen «Milchsüdi»-Nebenbauten für 152'000 Franken. Die «Landi»-Bauern<br />

bauten in Fronarbeit den Schweinstall um und begannen dann zu planen. Sie wollten 1957<br />

einen Neubau erstellen, für insgesamt 525'000 Franken. Der Vizepräsident der Genossenschaft<br />

äusserte Bedenken, dass die Investition nicht zu verkraften sei, doch er wurde überstimmt.<br />

Deshalb demissionierte der Vize und trat mit sofortiger Wirkung aus der Genossenschaft aus.<br />

SILO ALS WAHRZEICHEN: 1958 konnten der neue Silo und das Landi-Depot eröffnet werden.<br />

Statt Kondensmilch zu produzieren, wurden jetzt Futtermittel gelagert. Die Bauabrechnung<br />

belief sich auf 625'000 Franken, damit war der Kredit um 100'000 Franken überzogen worden.<br />

Die Landi-Bauten wurden ergänzt um Tankstelle und Laden; doch 2001 wurden die Bauten der<br />

«Milchsüdi» und der «Landi» abgerissen, um eine neue Gesamtüberbauung zu erstellen.<br />

Symbol der Bauern: der Siloturm der<br />

Landi


DIE KONKURRENZ ZUM KIRCHTURM<br />

Zur Geschichte der Goldmatt<br />

Konkurrenz im Dorf: Kirche und Fabrik.<br />

KONKURRENZ IM DORF: Der Kirchturm von St. Jakob misst exakt<br />

74,74 Meter. Damit überragt er <strong>Cham</strong> und prägt das Ortsbild. Doch<br />

halt: Auf gewissen Abbildungen ist der Fabrikkamin neben der Kirche<br />

gleich hoch oder sogar etwas höher. Die Konkurrenz um den<br />

höchsten Spitz ist symptomatisch für eine Aera der <strong>Cham</strong>er Geschichte:<br />

Ende des 19. Jahrhunderts erstarkte die lokale Industrie,<br />

vertreten durch die «Milchsüdi» und die Papierfabrik. Das Gegengewicht<br />

dazu bildete die industriekritische Kirche. Je nach Auftraggeber<br />

wählte der Zeichner oder Fotograf die Perspektive so, dass<br />

der Kirchturm oder der Fabrikkamin höher erschien. Doch in Wahrheit<br />

war die Kirche höher – und steht im Gegensatz zum Fabrikkamin<br />

auf der Goldmatt immer noch.<br />

<strong>AUS</strong>DEHNUNG <strong>DER</strong> «MILCHSÜDI»: 1866 wurde die Anglo-Swiss Condensed Milk Company<br />

gegründet, in <strong>Cham</strong> hiess sie einfachheitshalber «Milchsüdi». Die Fabrik dehnte sich vom<br />

Ursprungsgelände auf der Badmatt bis zur Zugerstrasse hin aus, dann darüber hinaus. 1877<br />

griff sie erstmals auf das Gelände westlich der Lorze und baute dort einen Lagerschuppen.<br />

1897 kaufte die «Milchsüdi» Land des Lorzenhofes auf der Kirchmatte und realisierte dort<br />

1901 das Kesselhaus mit Hochkamin. 1910 bekam der westlichste Teil des Fabrikationsgeländes<br />

einen eigenen Geleiseanschluss; dazu wurden ein Drehkreuz installiert, eine<br />

Lokremise und eine Brücke gebaut.<br />

ZENTRUMSÜBERBAUUNG: Anstelle der Fabrik und weiterer Bauten mitten im Ort einen Saal,<br />

die Bibliothek und einen Dorfplatz zu schaffen, schien verheissungsvoll. Doch vom Planungsbeginn<br />

1968 bis zur Eröffnung 1992 vergingen 24 Jahre! Drei Kommissionen, fünf Gemeindeversammlungen<br />

und eine Volksabstimmug hatten Saalbau, Bibliothek und Dorfplatz möglich<br />

gemacht. Am Samstag, 23. Mai 1992, überflutete die <strong>Cham</strong>er Bevölkerung den Lorzensaal,<br />

die Gemeindebibliothek und den Dorfplatz. Auf dem Gelände des «Milchsüdi»-Kesselhauses,<br />

auf den Liegenschaften des Hotels Bären und Restaurants Ritter sowie auf dem Land der<br />

Gebrüder Rüttimann war für 80 Millionen Franken ein neues Herz für <strong>Cham</strong> gebaut worden.<br />

Der Gemeindesaal, inskünftig «Lorzensaal» genannt, und die Bibliothek hatten die Gemeinde<br />

20,7 Millionen Franken gekostet.<br />

Hoher Kamin in der Dorfmitte: die Fabrik auf der Goldmatt.


DIE GEMEIDE ALS PARKBESITZERIN<br />

Zur Geschichte des Villette-Parks<br />

Die Villa Villette aus der Anfangszeit.<br />

PARKGESTALTUNG: Der Villette-Park entstand im Zusammenhang<br />

mit dem Bau der Villette. Mit Abbaumaterial<br />

des Bahnbaus wurde der Bauplatz der Villa erhöht und das<br />

Inseli im See erstellt. Die grosszügig bemessene Parkanlage<br />

mit einer Fläche von 46'410 Quadratmetern wurde nach<br />

Plänen des bekannten Gartenarchitekten Theodor Froebel<br />

im englischen Stil bepflanzt und gestaltet. Bauherr Heinrich<br />

Schulthess-von Meiss liess auch exotische Bäume wie eine<br />

Wellingtonia (südöstlich der Villa) oder eine wuchtige Zeder<br />

(zwischen Villa und Pförtnerhaus) setzen, die sich bis heute<br />

erhalten haben.<br />

KAUF: Anna Vogel-von Meiss hatte 1898 die Villette von ihrem Taufpaten Heinrich Schulthessvon<br />

Meiss geerbt. Bis zu ihrem Tod 1942 lebte Anna Vogel zeitweilig in der Villa am See.<br />

1948 kam es zur Aufteilung des Erbes: Die Papierfabrik <strong>Cham</strong> übernahm die Villa und den<br />

westlichen Teil des Parks; die Einwohnergemeinde <strong>Cham</strong> erwarb den östlichen Teil des Parks.<br />

Dies war nur möglich geworden, weil die Gemeinde <strong>Cham</strong> den gemeindeeigenen Bauernhof<br />

Schluecht dem Kanton Zug verkauft hatte. Dank dieser Mittel konnte die Gemeinde <strong>Cham</strong>,<br />

vertreten durch Gemeindepräsident Heinrich Habermacher, der gleichzeitig Vizedirektor der<br />

Papierfabrik war, den ersten Teil des Parks erwerben. «Damit,» heisst es im sonst sehr nüchtern<br />

gehaltenen Gemeindeversammlungsprotokoll, «ist ein schon längst ersehnter Wunsche der<br />

Wohnbevölkerung in angenehme Erfüllung gegangen.»<br />

ERWEITERUNG: Damit die Bevölkerung «ihren» Parkteil begehen konnte, erstellte die<br />

Gemeinde im Jahr 1949 die Bogenbrücke über die Lorze, welche den Hirsgarten mit dem<br />

Villette-Park verbindet. In einem Gestaltungswettbewerb schwangen die Zuger Architekten<br />

Alois Stadler und Anton Brütsch obenaus, die Bauleitung übernahm Dr. E. Staudacher aus<br />

Zürich, die Baumeisterarbeiten Gebr. Käppeli und die Schlosserarbeiten Mächler aus <strong>Cham</strong>.<br />

Am 1. August 1950 wurden Park und Brücke offiziell eingeweiht.<br />

DIE VILLA: Weil die Papierfabrik Ende der 1970er-Jahre finanzielle Probleme hatte, drängten<br />

die Gläubigerbanken auf einen Verkauf der Villa Villette. So kam es 1981 dazu, dass die<br />

Gemeinde <strong>Cham</strong> Villa, Nebengebäude und den westlichen Teil des Parks für 3,6 Millionen<br />

Franken übernehmen konnte. Zwei Jahre später schenkte die Papierfabrik der Gemeinde die<br />

Halbinsel in der westlichen Ecke des Parks, sodass fortan mehr Spazierwege zur Verfügung<br />

standen. In der Folge konnte die Villa als Herzstück des Stücks in die «Stiftung Villette»<br />

eingebracht und renoviert werden. Seither gehören die Villette und der Villette-Park zum<br />

beliebten Erholungsraum der Gemeinde <strong>Cham</strong>.


DIE POST WUCHS MIT<br />

Zur Geschichte der <strong>Cham</strong>er Post<br />

Die alte Post: Von 1900 bis 1983 war sie hier im EG untergebracht.<br />

AUCH NOCH WIRT UND DIREKTOR: Die erste Post<br />

<strong>Cham</strong> war ab 1849 im Wirthaus Raben untergebracht.<br />

Als erster Posthalter amtete Johann Jakob<br />

Stutz. Daneben wirkte Stutz noch als Wirt und als<br />

Direktor der Anglo-Swiss. Auch sein Nachfolger,<br />

Jost Burri, begnügte sich nicht mit den Aufgaben<br />

eines Posthalters: Burri war gleichzeitig Lehrer<br />

und Inhaber eines Spezereigeschäfts.<br />

Dieser platzierte die Post zuerst an der Rigistrasse,<br />

dann im neu erstellten Burrihaus an der Hünenbergerstrasse.<br />

Trotz mehr-maligem Umzug innerhalb<br />

des Gebäudes reichte der Platz nicht aus,<br />

sodass wieder eine Vergrösserung und eine<br />

Züglete anstanden.<br />

<strong>DER</strong> CHAMER POSTPLATZ: Als neuer Standort kam die Rabenscheune in Betracht, wo früher<br />

die Postktusche die Pferde gewechselt hatte. Es war bereits der vierte Standort der Post am<br />

Rabenplatz! Kein Wunder, kursierte auch der Name «Postplatz <strong>Cham</strong>», beispielsweise auf<br />

Ansichtskarten. Das neue Postgebäude an der Luzernerstrasse 17 stellte einen wuchtigen<br />

Abschluss des neu erstellten Bahnhofquartiers dar. Wie viele Häuser dieser Gegend, war<br />

auch die neue Post von Baumeister Hans Miesch erstellt worden. Miesch fungierte als<br />

Bauherr, Baumeister und Architekt – 1914 ging er konkurs. Im Gegensatz dazu florierte die<br />

Post, welche im eingeschossigen, flach gedeckten Vorbau mit Korbbogenarkaden untergebracht<br />

war.<br />

DIE NEUE POST: Die neuen Räumlichkeiten der Post lagen noch näher beim Bahnhof, was den<br />

Postverkehr erleichterte. Zunächst waren die Räume nur mit einem Holzofen beheizt und mit<br />

Gaslicht beleuchtet; Zentralheizung und elektrisches Licht kamen erst drei, respektive fünf<br />

Jahre später. Im zweiten Büroraum wirkte die «Bank in Zug» bis zu deren Liquidation 1936.<br />

Die Post stellte Briefe, Zeitungen und Pakete bis zu dreimal pro Tag zu – entsprechend dem<br />

Wachstum <strong>Cham</strong>s vergrösserte sich auch die Post von Jahr zu Jahr. 1983 schliesslich zog die<br />

Post vom Rabenplatz ins Einkaufscenter Neudorf um.<br />

Alles noch im Bau: das <strong>Cham</strong>er Bahnhofsquartier am<br />

Entstehen.


DAS AMERIKANISCHE IM DORF<br />

Zur Geschichte des «Cottage»<br />

AMERIKANISIERUNG: George Ham Page, der<br />

Besitzer und Generaldirektor der Anglo-Swiss<br />

Condensed Milk Company, war Amerikaner<br />

und blieb es, aus Überzeugung. Als ihm die<br />

<strong>Cham</strong>er für seine vielfältigen Dienste das<br />

Ehrenbürgerrecht antrugen, lehnte er ab,<br />

weil er keinesfalls auf seine amerikanische<br />

Staatsbürgerschaft verzichten wollte. Seiner<br />

Verbundenheit zu Amerika entsprechend,<br />

bekamen seine privaten Bauten ein deutliches<br />

amerikanisches Flair. Zuerst bewohnte<br />

Das «Cottage», was soviel wie «kleines Landhaus» bedeutete. er mit seiner Frau Adelheid und seinem Sohn<br />

Fred eines der beiden Kolonialstilhäuser<br />

beim Bahnhof <strong>Cham</strong>. (Im benachbarten Haus wohnte sein Bruder und Stellvertreter David Page<br />

mit dessen Frau Martha und deren Kindern.)<br />

GROSSER PARK: Page war als Kind von Siedlern in der Prärie aufgewachsen und hatte zunächst<br />

Bauer gelernt. Zeit seines Lebens blieb er sehr stark der Natur verbunden. So lässt es sich erklären,<br />

dass er nicht nur die Bauernhöfe Langrüti, Rothus und Eichhof zwischen <strong>Cham</strong> und Holzhäusern<br />

sowie den Horbach auf dem Zugerberg kaufte, sondern auch das ganze Land zwischen<br />

Hünenberger-, Luzerner- und Bahnhofstrasse erwarb. In dieser grosszügigen und doch<br />

zentrumsnahen Parkanlage erstellte Page sein «Cottage», was soviel wie «kleines Landhaus»<br />

bedeutete. Das war eine Untertreibung sondergleichen: Die Villa mit Türmchen, Veranda<br />

und runden Erkern nach amerikanischem Vorbild (sogenannte «Bay-Windows») wies über<br />

20 Zimmer auf und wirkte herrschaftlich und repräsentabel durch und durch.<br />

WENIG GENOSSEN: Page hat nur wenig Zeit in seinem «Cottage» verbracht. Vier Jahre wohnte<br />

er dort, während derer er viel im Ausland weilte, bis er 1890 nach Amerika übersiedelte.<br />

Als er 1899 in der Schweiz Ferien machen und sich erholen wollte, bekam er eine Lungenentzündung,<br />

an welcher er starb – in diesem «Cottage», das er erbaut hatte und nun von seinem<br />

Schwager Alois und seiner Schwägerin Elise Bossard-Schwerzmann bewohnt wurde.<br />

Später kaufte der Arzt Dr. Emil Jung die Landvilla, wohnte mit seiner Familie darin, baute<br />

einige Zimmer zur Arztpraxis um, hatte einen hauseigenen Tennisplatz und hielt sich im Park<br />

Kaninchen, Schafe und Ziegen.<br />

1967 wich das «Cottage» dem Quartier Neumatt und drei Wohnblocks. Einzelne Bäume aus<br />

Page’scher Zeit haben die Bauzeit überlebt und sind Zeugnisse des einstigen Parks.<br />

Umbau «Cottage» Westseite aus dem Jahre 1933.


<strong>DER</strong> FREIRAUM VOR <strong>DER</strong> KIRCHE<br />

Zur Geschichte des Kirchenplatzes<br />

DAS VERSCHOBENE H<strong>AUS</strong>: Der Baumeister der<br />

Kirche, Jakob Singer, hatte sein Augenmerk nicht<br />

allein auf das Kirchengebäude gerichtet, sondern<br />

auch auf die Umgebung. Deshalb lässt er neben<br />

der alten Kirche auch das Beinhaus abreissen und<br />

den Friedhof verlegen. Das Sigristenhaus, das<br />

nordöstlich des «Bänihauses» (heute Nr. 8) stand,<br />

versetzte Baumeister Singer «sambt offen, kamini<br />

und Ziegel auff dem Dach» an die Luzernerstr. 16<br />

und stellte es neu auf ein Sockelgeschoss. Mit dem<br />

neuplatzierten Sigristen- und Kaplanenhaus am<br />

Nordende des Platzes bekam der Raum vor der<br />

Kirche einen baulichen Abschluss.<br />

BRUNNEN: Vor dem Sigristen- und Kaplanenhaus<br />

waren zuerst Gärten angelegt. 1899 wurden diese<br />

verkleinert, und ein Brunnen mit einer markanten<br />

korinthischen Säule im Stil der Neurenaissance<br />

krönte neu den Kirchenplatz. Beidseitig der Säule<br />

waren Brunnenbecken angebracht. (Heute steht<br />

der Brunnen – in zwei Teilen – vor dem Schulhaus<br />

Röhrliberg.) Bereits in den 1940er-Jahren wurde<br />

die Umgestaltung des Kirchenplatzes geplant.<br />

Gekiest und leicht ansteigend: der Kirchenplatz mit dem Doch erst 1969 kam es dazu: Bildhauer Franco<br />

alten Brunnen.<br />

Annoni (1924–1992) gestaltete mit dem <strong>Cham</strong>er<br />

Werkmeister Josef Stähli den Platz neu und setzte seinen runden Brunnen an die heutige<br />

Stelle. Das Becken wiegt 22 Tonnen, besteht aus rötlichem Granit und stammt aus Collonges<br />

beim Martigny im Wallis. Ursprünglich hätte der Brunnen abgesenkt und mit hoch aufschiessenden<br />

Fontänen verzücken sollen – doch dazu kam es nicht. Gestiftet wurde der Brunnen<br />

vom damaligen Besitzerpaar des Schloss St. Andreas, von Monica und Fritz von Schulthess-<br />

Page.<br />

KIRCHLICHES LEBEN: Auf dem Kirchenplatz fanden im Verlauf der Jahrhunderte viele religiöse<br />

Anlässe statt. Gottesdienste unter freiem Himmel wurden hier abgehalten, Prozessionen durch<br />

das Dorf nahmen hier ihren Anfang. Jeweils das halbe Dorf nahm jeweils an diesen Manifestationen<br />

teil.<br />

Mit Bäumen und Wieslein: der Kirchenplatz gehörte nicht<br />

immer den Autos.


DIE FABRIKEN <strong>DER</strong> FABRIK<br />

Zu den Nebengebäuden der Anglo-Swiss<br />

DIE «MILCHSÜDI»: Anglo-Swiss Condensed Milk<br />

Company war der vollständige Name der ersten<br />

Milchkondensfabrik Europas, die 1866 von Amerikanern<br />

in <strong>Cham</strong> gegründet wurde. Der Konzern<br />

wuchs sehr schnell und belieferte die halbe Welt<br />

mit Kondensmilchbüchsen aus <strong>Cham</strong>. Auch räumlich<br />

lässt sich der Erfolg der «Milchsüdi», wie die<br />

Anglo-Swiss einfachheitshalber genannt wurde,<br />

ablesen. Bald genügten die Fabrikationshallen<br />

an der Lorze und südlich der Zugerstrasse nicht<br />

mehr – die Anglo-Swiss weitete sich auch westlich<br />

der Lorze und nördlich der Zugerstrasse aus.<br />

Zentrifugen der Maschinenfabrik.<br />

NEBENGEBÄUDE: Die Anglo-Swiss schloss mit den Bauern<br />

der Umgebung Verträge mit fix garantierten Milchabnahmemengen. Wenn zu wenig Nachfrage<br />

nach Kondensmilch herrschte, verarbeitete die Anglo-Swiss die Milchüberschüsse zu<br />

Käse – deshalb baute sie 1878 eine Käsefabrik nördlich der Zugerstrasse. Um den wichtigsten<br />

Konkurrenten, die Nestle SA in Vevey, in Schach halten zu können, stellte die Anglo-Swiss<br />

ebenfalls Kindermehl her, ab 1879 in der dazu errichteten Fabrik. Ebenfalls nördlich der Zugerstrasse<br />

erstellte die Anglo-Swiss eine eigene Kistenfabrik, welche die Verpackungen herstellte,<br />

sowie das Lagerhaus.<br />

MASCHINENFABRIK CHAM: Als in den Krisen der 1920er- und 1930er-Jahren die Fabrikation<br />

der Anglo-Swiss reduziert und schliesslich geschlossen wurde, waren viele Fabrikationshallen<br />

verfügbar. Unter anderem siedelte sich die «Maschinenfabrik <strong>Cham</strong>» an, welche auf Initiative<br />

des Schweizerischen Bauernverbandes 1927 gegründet wurde. Sie stellte Maschinen für die<br />

Milchverarbeitung her und übernahm ehemalige Anglo-Swiss-Bauten hier an der Knonauerstrasse,<br />

die sie 1941 durch ein Bürogebäude ergänzte.<br />

STÄDTEBAULICHE CHANCE: Durch die allmähliche Desindustrialisierung wurden Ende der<br />

1970er-Jahre viele Fabrikationshallen mitten im Ortskern von <strong>Cham</strong> frei. In zwei Etappen<br />

konnte an dieser zentralen Stelle das Einkaufs- und Dienstleistungszentrum Neudorf mit<br />

Bank, Post, Kiosk, Restaurants und vielen grösseren und kleineren Ladengeschäften realisiert<br />

werden.<br />

Die «Milchsüdi»-Bauten: Erstreckten sich übers halbe<br />

Dorf.


NEUE EXISTENZ MIT GENÜGEND PLATZ<br />

Vom Kirchbühl- zum Weidhof<br />

BAUERN UND BESTATTER: Zuerst führten die<br />

Gebrüder Rast den Kirchbühlhof, danach die Familie<br />

Zimmermann. Der Hof lag in der Nähe des damaligen<br />

Ortskerns. Neben der Landwirtschaft war die<br />

Familie Zimmermann während mehr als 30 Jahren<br />

bis 1970 zuständig für den Transport der Verstorbenen<br />

im Dorf. Im pferdebespannten Leichenwagen<br />

führten die Zimmermanns über 1000 Verstorbene<br />

auf den Friedhof.<br />

UM<strong>ZUG</strong> AN DIE AUTOBAHN: Um die Jahrtausendwende<br />

nahm der Siedlungsdruck in diesem zentrumsnahen<br />

Gebiet zu, die Landwirtschaft hatte<br />

wenig Platz, um sich auszu-breiten. Deshalb entschied<br />

Foto um 1965: Eben hatte dieser neue Hof den Altbau<br />

ersetzt.<br />

sich die Familie Zimmermann, den Landwirtschaftsbetrieb<br />

im Kirchbühlhof aufzugeben. Die Scheune<br />

wurde abgerissen, um Platz für eine Wohnüberbauung zu schaffen. Die Zimmermanns zügelten<br />

weiter nach Norden, in den neuen Weidhof, zwischen Röhrliberg und Autobahn; das Bauernhaus<br />

am Allmendweg 4 blieb erhalten und konnte vermietet werden. Im Weidhof realisierte<br />

die Familie Zimmermann einen modernen Milchviehbetrieb für 70 Brown-Swiss-Kühe und 80<br />

Aufzuchtrinder.<br />

CHAMER POLITIK: Die Scheune des Kirchbühlhofes war mehr als ein landwirtschaftliches<br />

Nebengebäude. Vor der Scheune fanden mehrere Schwingfeste statt, sodass der Bauernhof<br />

eine Art öffentlicher Begegnungsort war. In diese Richtung zielte auch der grosse, runde<br />

Tisch, ebenfalls vor der Scheune. Dort trafen sich jeweils alteingesessene <strong>Cham</strong>er, um miteinander<br />

etwas zu trinken – und um sich über die <strong>Cham</strong>er Neuigkeiten auszutauschen. Nicht<br />

wenig wurde dort, draussen vor der Scheune, <strong>Cham</strong>er Politik gemacht.<br />

Mehrmals Standort von Schwingfesten: Die Scheune des<br />

Kirchbühlhofes war ein öffentlicher Ort.


BESSERES LEBEN FÜR DIE ARBEITER<br />

Die Idee der Gartenstädte<br />

ÜBERFÜLLTE MIETWOHNUNGEN: In der Zeit der<br />

Industrialisierung und der zunehmenden Verstädterung<br />

drängten immer mehr Menschen in die<br />

Städte. Arbeiterfamilien lebten oftmals in kleinen,<br />

völlig überfüllten und unhygienischen Mietwohnungen.<br />

Durch die hohen Bodenpreise in den<br />

Städten stiegen die Mieten, und so verschlimmerte<br />

sich die bestehende Wohnungsnot.<br />

DAS IDEAL: Als Lösung entwarf der Engländer<br />

Ebenezer Howard 1898 ein neues Stadtmodell –<br />

die Gartenstadt. Das Modell sah die Neugründung<br />

von gesunden, begrünten Städten auf dem Lande<br />

Ursprünglich ohne Vordächer: Die Reihenhäuser der Papierfabrikstadt<br />

(wie gute Arbeitsmöglichkeiten, Kultur- und<br />

vor. Die Gartenstadt sollte die Vorteile der Gross-<br />

Bildungseinrichtungen) und die des Landes (wie<br />

frische Luft, Platz und die Nähe zur Natur) vereinigen. Die Reihenhaussiedlungen sollten glückliche<br />

Menschen hervorbringen, die solidarisch und gesund lebten.<br />

DIE CHAMER ADAPTION: Anders als der Genossenschaftssozialist Howard gab sich die <strong>Cham</strong>er<br />

Papierfabrik pragmatisch. Sie wollte ihrer Belegschaft günstigen und guten Wohnraum bieten,<br />

damit diese sich niederlassen und Familien gründen konnte – auf diese Weise wollte sie die<br />

Fluktuation in der Arbeiterschaft senken. Die zehn Reihenhäuser an der Mööslimattstrasse<br />

erfüllten diese Bedingungen und waren während 80 Jahren beliebte Wohnstätten.<br />

Beliebte Reihenhäuser: klein, aber funktionell.


DIE VIELEN LEBEN DES ROTEN BÄREN<br />

Eine Geschichte voller Wandlungen<br />

«Roter Bären»: Der Saal befand sich rechts auf der Seite der Lorze.<br />

MIT EINEM SAAL: Der «Rote Bären» lag<br />

unterhalb der Lorzenbrücke, direkt an der<br />

Landstrasse in Richtung Obermühle und Sins.<br />

Aufgrund seiner Nähe zum Lorzenufer kann<br />

das Gebäude erst nach Seeabsenkung von<br />

1591/92 entstanden sein. Das Erdgeschoss des<br />

Gebäudes war gemauert und enthielt gegen<br />

Süden einen hohen Saal in der ganzen Breite<br />

des ursprünglichen Hauses, mit einer Eichensäule<br />

in der Mitte – dieser Raum wurde als<br />

Wirtsstube genutzt.<br />

VERSUCH <strong>DER</strong> KURANSTALT: Der Zuger Arzt Dr. Franz Carl Stadlin verfasste 1820 die Schrift<br />

«Das Lortzenbad zu <strong>Cham</strong> im Canton Zug in der Schweitz», um Gäste von nah und fern als<br />

Kurgäste nach <strong>Cham</strong> zu locken. Dem Ansinnen war kein Glück beschieden, und schon 1824<br />

wurde aus dem Gebäude, nach baulichen Anpassungen, das gemeindliche Waisen- und<br />

Armenhaus.<br />

SCHWIERIG ZU FÜHREN: Unter einem Dach lebten im Waisen- und Armenhaus Kinder und<br />

Alte, Arme und «arbeitsscheue, liederliche und unsittliche Bürger». Die Ordensschwestern<br />

vom Heiligkreuz hatten Mühe mit den unterschiedlichen Bedürfnissen der Bewohnerschaft,<br />

sodass die zuständige Bürgergemeinde 1875 beschloss, die Kinder bei Familien zu verdingen<br />

und andere, hilfsbedürftige Personen in der Armenanstalt Menzingen unterzubringen. Damit<br />

ging eine weitere Ära im «Roten Bären» zu Ende.<br />

Einfache Einrichtung: Am Ende diente das Haus als<br />

Arbeiterunterkunft.


DIE «VILLEN» <strong>DER</strong> GASTARBEITER<br />

Zur Geschichte zweier lang andauerenden Provisorien<br />

Baracken für Gastarbeiter: Ein 40-jähriges Provisorium.<br />

HOCHKONJUNKTUR: In den 1960er-Jahren<br />

herrschte in der <strong>Cham</strong>er Industrie Hochkonjunktur.<br />

Die einheimischen Arbeitskräfte<br />

vermochten den Personalbedarf, beispielsweise<br />

einer Papierfabrik <strong>Cham</strong>, bei weitem<br />

nicht zu decken. Deshalb rekrutierte die<br />

«Papieri» ausländische Arbeiter.<br />

1964 stammte ein Fünftel der Papieri-Belegschaft<br />

aus dem Ausland. Diese Menschen<br />

mussten untergebracht werden, was der<br />

Papierfabrik zunehmend Mühe bereitete.<br />

Arbeiterwohnungen hatte sie zwar, doch<br />

wollte sie diese für Familien freihalten.<br />

ZWEI WOHNBARACKEN: Deshalb beschloss der Verwaltungsrat der Papierfabrik, möglichst<br />

schnell zwei Wohnpavillons aus vorfabrifizierten Bauelementen in <strong>Cham</strong> zu platzieren.<br />

An der Rigistrasse 27 hatte die Fabrik noch eine freie Parzelle. Jede Baracke war mit 38 Betten<br />

und einer Zwei-Zimmer-Wohnung für den Hauswart ausgestattet. Kosten: 360'000 Franken für<br />

die Pavillons, 27'000 Franken für die Möbel und Einrichtungen.<br />

«VILLA TÜRK» UND «VILLA ITALIANA»: Die Baracken waren sehr einfach gehalten. Pro Haus,<br />

wo maximal 38 Gastarbeiter wohnten, standen eine Küche mit zwei Kühlschränken, ein<br />

Vorratsfach für jeden Bewohner, ein Waschraum mit Duschen und ein Aufenthaltsraum zur<br />

Verfügung. Für beide Häuser musste eine Waschküche genügen. Der Herkunft der Bewohner<br />

entsprechend erhielten die Baracken ihre Spitznamen: die eine hiess «Villa Türk», die andere<br />

«Villa Italiana».<br />

Viele Fremde in der Industrie: Sie hielten die <strong>Cham</strong>er<br />

Fabriken am Laufen.


DAS WERDEN EINER FENSTERFABRIK<br />

Zur Geschichte der Schreinerei Baumgartner<br />

STÖRSCHREINER: Josef Burkard Baumgartner aus<br />

Hagendorn war ab 1825 als Störschreiner aktiv,<br />

bis er eine kleine Schreinei in Rumentikon hatte.<br />

Sein Sohn Josef Baumgartner-Wiss vollzog 1878<br />

einen Quantensprung: Hagendorn boomte dank<br />

der Spinnerei und Weberei, Baumgartner baute<br />

hier an der Lorzenweidstrasse sein Wohnhhaus<br />

mit angegliedeter Schreinerei. Ab 1893 erzeugte<br />

die Schreinerei Baumgartner aus der Wasserkraft<br />

eigene Energie – allerdings nicht mit der benachbarten<br />

Lorze, sondern mit dem jenseits der Lorze<br />

gelegenen Tobelbach.<br />

POSTSTELLE HAGENDORN: Neben der Schreinerei<br />

betrieben verschiedene Generationen der Familie<br />

Baumgartner auch das Postamt Hagendorn,<br />

Vorne das Wohnhaus: hinten an der Lorze die Schreinerei.<br />

gemütlich in der eigenen Stube. Bis Anfang der<br />

1970er-Jahre blieb diese Dreiheit von Wohnen,<br />

Post und Schreinerei bestehen. Dann zog die Poststelle um, weil Elsa Baumgartner in Pension<br />

ging. Derweil platzte der expandierende Schreinerbetrieb aus allen Nähten, weshalb dieser<br />

1984 an die Flurstrasse dislozierte.<br />

DIE «UNSICHTBARE FABRIK»: Die Schreinerei spezialisierte sich auf die Fabrikation hochwertiger<br />

Fenster – mit Erfolg. Bereits 1991 erfolgte die erste Erweiterung der Fabrikation an der<br />

Flurstrasse, in den Jahren 2004 bis 2006 entstand eine hoch modernisierte, neue Fabrik; aufgrund<br />

ihrer einzigartigen Einbettung in die Landschaft, die unter Naturschutz steht, gewann<br />

der Neubau verschiedene Preise. Wegen ihres landschaftsarchitektonischen Konzepts wurde<br />

die neue Fensterfabrik in der Fachpresse «unsichtbare Fabrik» genannt.<br />

Das Wohnhaus und die ehemalige Schreinerei an der Lorzenweidstrasse wichen im Jahre 2011<br />

einer Wohnüberbauung.<br />

Eine Postkarte Hagendorns: Die Schreinerei (unten links)<br />

zählte zu den Sehenswürdigkeiten.


VIELE LÄDEN IM WEILER<br />

Wie Hagendorn sich wandelte<br />

BÄCKER BRINGT DAS BROT: Bäcker Oscar Schwager<br />

konnte im kleinen Weiler Hagendorn nicht auf<br />

die Kunden warten – er brachte den Kunden ihre<br />

Backwaren. Nicht selten gaben ihm die Bauern<br />

ihr Mahlgut mit und bekamen im Gegenzug<br />

gebackenes Brot. Schwager belieferte seine Kunden<br />

mit einem Wagen, der zuerst von Hunden, dann<br />

von einem Pferd gezogen wurde. Als er aufs Auto<br />

umstellte, war er einer der ersten Hagendorner,<br />

die automobil waren.<br />

HAGENDORNS BOOM: Obwohl nur wenige Leute<br />

in Hagendorn wohnten, war die dörfliche Infrastruktur<br />

im Weiler gut. Neben der Bäckerei<br />

Das Haus mit Geschäftslokal wich dem Volg-Laden. Schwager sorgten eine Metzgerei beim Rebstock<br />

und an der Dorfstrasse ein Lebensmittel- sowie ein<br />

Kolonialwarenladen für ausreichende Versorgung.<br />

Verschiedene Gaststätten, die Schule und die Poststelle komplettierten das Angebot, das heute<br />

ausgedünnt ist.<br />

HAGENDORNS NEUER BOOM: Hagendorn erlebte seinen ersten Boom nach der Inbetriebnahme<br />

der Spinnerei in den 1860er-Jahren. Der zweite Boom setzte in den 1980er-Jahren ein, als<br />

Hagendorn als attraktiver Wohnort entdeckt und seither entsprechend viel gebaut wurde.<br />

Auch hier in der Dorfmitte setzte der Wandel ein: Anstelle von einfachem Ladenlokal, Wohnhaus<br />

und Scheune entstand in den Jahren 2010 und 2011 die Arealüberbauung Lorzeninsel<br />

mit 72 Eigentumswohnungen. Und mit dem Volg-Laden an der Dorfstrasse, der damit an die<br />

alte Hagendorner Tradition anknüpft.<br />

Erst die Bauprofile sichtbar: Hinter der Dorfstrasse<br />

entstand die Überbauung auf der Lorzeninsel.


WOHNEN IN <strong>DER</strong> EINSTIGEN FABRIK<br />

Wohnlofts in Hagendorn<br />

HOFFNUNGSVOLLER ANFANG: Investoren aus<br />

Zürich kamen 1860 nach Hagendorn, weil sie hier<br />

ausreichend Platz, Wasserkraft und Arbeitskräfte<br />

für die Fabrik vermuteten. Sie errichteten von<br />

1861 bis 1863 die Spinnerei und Weberei, Werkstätten,<br />

Scheune und ein erstes Wohnhaus; weitere<br />

Wohnhäuser für Arbeiter, aber auch für Direktoren<br />

folgten in den ersten Betriebsjahren ab 1863.<br />

Plötzlich gab im einst verschlafenen Bauernweiler<br />

Hagendorn die Industrie den Takt an.<br />

BRUTALE ZÄSUR: Das Unternehmen entwickelte<br />

sich sehr gut. Da geschah das Unglück: Am 19.<br />

August 1888 brannte die ganze Fabrik nieder.<br />

Wohnlofts mit Türmchen: Heute dient die Fabrik zum Über 350 Arbeiter wurden auf einen Schlag<br />

Wohnen.<br />

stellenlos. Die Hoffnung auf einen Wiederaufbau<br />

war umsonst. Die Spinnerei gab ihren Betrieb auf.<br />

Die Brandruine und die unversehrten Liegenschaften gingen in den Besitz der Papierfabrik<br />

<strong>Cham</strong> über. Das einstige Fabrikgebäude baute sie redimensioniert wieder auf und nutzte es<br />

für die Holzschleiferei und als Lager.<br />

VORBILDLICHE UMNUTZUNG: In den Jahren 1999/2000 nutzten enthusiastische Idealisten<br />

die einstige Fabrik um. In die Gebäudehülle bauten sie vier grosszügige Lofts ein, welche<br />

den Charakter der früheren Nutzungen innen und aussen erhalten.<br />

Interessanter Kurzname der Hagendorner Fabrik:<br />

«Spinn- u. Weberei <strong>Cham</strong>» auf der Aktie von 1886.

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