1,8 MB, pdf - wiener wohnbau forschung
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Flexibilität im Wohnbereich – Endbericht das fernlicht, 2008<br />
die Hälfte aller Kinder ohne Geschwister auf (Statistik Austria). Die Daten zeigen, dass an die<br />
Stelle der „Kernfamilie“ immer häufiger andere Lebensformen treten.<br />
Innerhalb der letzten 30 Jahre verzögerte sich zudem die Familienbildung um rund 10 Jahre.<br />
Die Phase nach der eigenen Haushaltsgründung, in der nur Mitglieder derselben Generation<br />
zusammen leben (Singles, kinderlose Paare, Wohngemeinschaften), dauert heute deutlich<br />
länger. Auch während der eigentlichen „Familienphase“ geht der Anteil jener Paare, die<br />
überhaupt mit Kindern leben, zurück. Zudem sinkt der Anteil der Mehrgenerationenhaushalte<br />
(Fux, 2005).<br />
Auch die Scheidungsraten steigen – in Wien sind es 2006 fast zwei Drittel – und damit<br />
entwickeln sich immer neue Familienkonstellationen. Die Folge ist ein Zunehmen der so<br />
genannten Patchworkfamilien, in Österreich sind das laut Statistik Austria immerhin fast 10%.<br />
Diese werden aus Kindern aus früheren Beziehungen und neu entstehenden Partnerschaften<br />
neu „zusammengewürfelt“ und vor allem Kinder sind immer öfter nicht nur Teil einer Familie<br />
und bewohnen daher auch verschiedene Haushalte.<br />
Dieser Umstand hat mit Flexibilität im Wohnbereich in mehrfacher Hinsicht zu tun. So werden<br />
durch den Zusammenzug von Partnern und Kindern aus vorher getrennten Haushalten<br />
Ansprüche an die Wohnung selbst laut.<br />
Z.B. ist es laut Leiterin der Ehe- und Familienberatung der MAG 11 11 für Mitglieder von<br />
Patchworkfamilien (auch für beide Elternteile) besonders wichtig, einen eigenen Raum zur<br />
Verfügung zu haben, v.a. auch für Kinder, die nicht ständig im Haushalt leben. Das kann im<br />
Idealfall ein eigenes Zimmer sein. Wenn das nicht möglich ist, sind kreative Lösungen gefragt.<br />
Auch ein eigener, versperrbarer Kasten, ein Bett mit Vorhang, eine Nische für den eigenen<br />
Schreibtisch oder ein persönlicher Sessel, könnten zumindest symbolisch als Privatbereiche,<br />
die helfen Grenzen zu wahren, dienen. Als Symbol dafür dient laut Psychologin Katharina<br />
Grünewald 12 der Uhrenkasten im Märchen vom Wolf und den sieben Geißlein. Denn bei all<br />
dem Chaos, als sich die Geißlein verstecken, bietet dieser alleine Sicherheit für das jüngste<br />
Geißlein.<br />
Verschiebbare Wände, Raumteiler oder Vorhänge werden hier als mögliche Lösungen<br />
gesehen. Eine Idee, wie Wohnraum für Patchworkfamilien aussehen könnte, wurde auch im<br />
Rahmen der ExpertInneninterviews von der Psychologin Katharina Grünewald entwickelt<br />
(siehe Kapitel 4.3). Flexibilität in Patchworkfamilien habe vor allem mit der Freiwilligkeit zu<br />
entscheiden, wann man alleine sein möchte und wann nicht, zu tun. Insofern ist in<br />
Patchworkfamilien das Motiv der Spannung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, das sich im<br />
Rahmen der Interviews gezeigt hat (siehe Kapitel 5.1.1), von besonderer Relevanz.<br />
Zudem ist es im Zuge des Aushandlungsprozesses neuer Rollen und Strukturen in<br />
Patchworkfamilien wichtig, dass sich das auch räumlich, durch Einrichtung und Gestaltung,<br />
flexibel ausdrücken kann. Verschiebbare und umbaubare Möbel, Möglichkeiten für eine<br />
Umgestaltung der Wohnungsausstattung und genügend technische Anschlüsse dienen dazu,<br />
dass das „Territorium“ permanent neu ausgehandelt werden kann. So ist z.B. zu Beginn für die<br />
„neuen“ Geschwister eine gewisse Distanz und Privatheit voreinander wichtig, die aber<br />
möglicherweise im Laufe der Zeit z.B. durch das Zusammenlegen der Spielbereiche<br />
schrittweise abgebaut wird.<br />
Andererseits muss auch mitbedacht werden, dass zu Patchworkfamilien auch die nicht im<br />
gemeinsamen Haushalt lebenden Familienmitglieder (PartnerInnen aus der Trennung, ev.<br />
Geschwister die bei dem anderen Partner leben, etc.) gehören. V.a. bei gemeinsamer<br />
Obsorge getrennter Eltern sind hier räumlich und organisatorisch Lösungen gefragt, um<br />
Kontakt zu erleichtern und zu ermöglichen. Im Rahmen der ExpertInneninterviews zu diesem<br />
Thema und des Workshops wurde hier geäußert, dass einerseits eine gewisse räumliche Nähe<br />
11<br />
Telefonisches Interview mit Dr. Belinda Mikosz, Leiterin Ehe- und Familienberatung MAG 11, am 5. Juni 2008<br />
12<br />
Telefonisches Interview mit Dipl. Psych. Katharina Günewald, Köln, am 9. Juni 2008<br />
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