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Forschungsbericht

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Praktische Empfehlungen<br />

mitglied sich in Geiselhaft befindet, ein Tagebuch zu führen. Eine andere Möglichkeit<br />

ist die, Briefe an das Familienmitglied oder die Geiselnehmer zu schreiben.<br />

Mit Entführungsopfern haben die Verhandlungsführer der Polizei den geringsten<br />

Kontakt. Bei der Festlegung der Verhandlungsstrategie und bei möglichen Kontakten<br />

mit diesen Opfern kommt es jedoch darauf an, eine Reihe von Gesichtspunkten zu<br />

berücksichtigen, die speziell auf Entführungsopfer zutreffen.<br />

Entführungsopfer: Gefühle der Isolation und Identitätskrise<br />

Der Umstand, dass Entführungsopfer angeben, erhebliche Isolationsgefühle wie z. B.<br />

Gefühle der Vereinsamung und Verlassenheit durchlebt zu haben, ist ein spezifisches<br />

Merkmal für diese Kategorie von Opfern. Deshalb empfanden es viele Entführungsopfer<br />

als Erleichterung, wenn noch weitere mitbetroffene Opfer anwesend<br />

waren und ein Radio- oder Fernsehgerät zur Verfügung stand. Sie machten vielfach<br />

auch Anmerkungen bezüglich einer Identitätskrise, wahrscheinlich weil die lange<br />

Gefangenschaft in einer fremden Umgebung einen vergessen lässt, „wer und was<br />

man ist“. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Personen, bei denen<br />

aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit ein erhöhtes Entführungsrisiko besteht, wie z. B.<br />

Journalisten oder Mitarbeitern von in Krisenregionen tätigen Hilfsorganisationen,<br />

vielfach geraten wird, eine Fotografie mitzuführen, auf der sie selbst mit anderen, für<br />

sie wichtigen Menschen zu sehen sind. Wenn sie darüber mit ihren Geiselnehmern<br />

sprechen können, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine positive Beziehung<br />

zwischen Opfer und Täter entwickelt (vgl. „Stockholm- Syndrom“, vgl. auch<br />

Wilson, 2003). Das Mitführen eines Fotos, auf dem man selbst mit Personen, die<br />

einem nahe stehen, abgebildet ist, erfüllt offensichtlich auch eine weitere Funktion,<br />

nämlich die Bestätigung der eigenen sozialen Identität.<br />

Abschließend ist festzustellen, dass Entführungsopfer oft über die erheblichen<br />

Gefühle der Unsicherheit sprechen, mit denen sie fertig werden müssen. Allzu oft<br />

wissen sie nicht, ob ihre Familie Kenntnis von dem hat, was ihnen widerfahren ist. In<br />

dieser Hinsicht, ist der Erhalt eines Lebenszeichens sowohl taktisch als auch psychologisch<br />

wichtig: Das Opfer weiß nun, dass seine Familie von der Entführung<br />

gehört hat und Verhandlungen über die Freilassung geführt werden.<br />

3. Das Zeitparadoxon<br />

Obwohl bei Verhandlungen das Gewinnen von Zeit fast immer für eine effektive<br />

Maßnahme gehalten wird, haben unsere Untersuchungen auch den möglichen Nachteil<br />

dieser Strategie gezeigt. Vor allem in der hektischen Anfangsphase scheint die<br />

Zeit ein wichtiger Verbündeter der Polizei zu sein. Einerseits verschafft Zeit den<br />

Raum und die Möglichkeiten, Dinge zu veranlassen und auf diese Weise die Sicherheit<br />

aller Beteiligten zu gewährleisten. Ferner werden durch den Zeitablauf Emotionen<br />

und Spannungen abgebaut und die beteiligten Parteien passen ihre Erwartungen<br />

an. Dadurch wird die Suche nach einer Lösung erleichtert. Dennoch hat dies<br />

auch noch eine andere Seite. Zunächst bedeutet Fürsorge für das Opfer natürlich,<br />

dass alle Anstrengungen unternommen werden sollten, um die traumatische Erfahrung<br />

für das Opfer möglichst schnell zu beenden. Darüber hinaus haben unsere<br />

Feststellungen ergeben, dass mit Ablauf der Zeit unerwünschte psychologische Prozesse<br />

einsetzen können. Zum Beispiel können sowohl die Opfer als auch die Täter<br />

den Eindruck bekommen, die Polizei wolle Zeit gewinnen. Bei den Opfern kann<br />

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