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Forschungsbericht

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Kapitel 1: Krisenverhandlungen – Eine Einführung in das Projekt<br />

1. Kurzer geschichtlicher Abriss<br />

Ellen Giebels und Marc Van De Plas<br />

Im November 1998 fand in Arnhem, Niederlande, die „Erste Europäische Konferenz<br />

über Verhandlungen bei Geiselnahmen“ statt. An dieser Konferenz nahmen<br />

Polizeibeamte und Verhaltensforscher aus 21 Ländern teil, die alle auf dem Gebiet<br />

Krisenverhandlungen tätig sind. Die Konferenz brachte eine Reihe von konkreten<br />

Ergebnissen. Das heißt, es wurden eine internationale Arbeitsgruppe gebildet, ein<br />

Anfang mit der Registrierung von Vorfällen auf europäischer Ebene gemacht sowie<br />

Vereinbarungen über die operative Zusammenarbeit und gemeinsame Übungen<br />

geschlossen (vgl. Adang & Giebels, 1999). Außerdem wurde empfohlen, Forschungsprojekte<br />

zu initiieren, um weitere Einblicke in zahlreiche zu wenig beachtete<br />

Themen zu gewinnen, die bisher nur selten Gegenstand empirischer Forschung<br />

waren.<br />

Ein erstes Thema basiert auf der Beobachtung, dass es trotz einer großen Anzahl<br />

von dokumentierten Verhandlungsstrategien nur überraschend wenige empirische<br />

Studien gibt, in denen untersucht wurde, welche Strategien unter welchen Umständen<br />

effektiv sind. Dies bedeutet, dass die Wahl einer Strategie in erster Linie auf<br />

Erfahrung beruht und eher intuitiv getroffen wird. Außerdem stellen wir fest, dass –<br />

soweit situative Variablen überhaupt berücksichtigt werden – dies vor allem die<br />

klinische Einstufung eines Täters betrifft, wie zum Beispiel eines Geiselnehmers, der<br />

als inadäquat oder als asozial bezeichnet wird. Die Frage ist, welche Strategien in<br />

Situationen, in denen diese klinischen Begriffe offensichtlich wenig relevant sind,<br />

effektiv sind oder nicht. Dies ist beispielsweise bei Entführungen und Erpressungen<br />

der Fall, die ihrer Natur nach einem Geschäftsvorgang gleichen. In Europa erleben<br />

wir einen Anstieg bei diesen mehr instrumental orientierten Verhandlungssituationen<br />

(vgl. Giebels, 1999). Hinzu kommt, dass hier oft auch der kulturelle Kontext eine<br />

wichtige Rolle spielt. Bis auf eine einzige amerikanische Studie (d.h. Hammer &<br />

Rogan, 2002) wurden die kulturellen Einflüsse in Krisenverhandlungen bisher kaum<br />

wissenschaftlich untersucht. Dennoch ist aufgrund einer wachsenden Mobilität der<br />

Weltbevölkerung und der Öffnung der Binnengrenzen in Europa ein deutlicher<br />

Anstieg bei den grenzüberschreitenden Vorfällen festzustellen. Vielfach spielen hier<br />

kulturelle Unterschiede eine Rolle. Wissenschaftler weisen auch auf den steilen<br />

Anstieg der Ausländerkriminalität in Westeuropa hin (vgl. z. B. Bovenkerk & Van San,<br />

1999). Dies erfordert Forschung im europäischen Kontext mit Zielrichtung auf die<br />

Effektivität der verschiedenen Verhandlungsstrategien in mehr instrumental orientierten<br />

Krisenverhandlungen bei gleichzeitiger Einbeziehung des kulturellen<br />

Kontextes.<br />

Ein zweites Thema leitet sich aus der Feststellung ab, dass andere Perspektiven als<br />

jene der zuständigen Behörden – d.h. der Polizeieinheiten – unterrepräsentiert geblieben<br />

sind. Die relative Vernachlässigung der Perspektiven anderer, insbesondere<br />

der Täter und Opfer, kann aus einer Reihe von Gründen als drastisch bezeichnet<br />

werden. Erstens: Verhandeln setzt stets mindestens zwei Parteien voraus, die sich<br />

wechselseitig beeinflussen. Dies bedeutet, dass die Art und Weise, in der ein Täter<br />

den/die Verhandlungsführer(in) der Polizei und dessen/deren Verhalten wahrnimmt,<br />

Einfluss auf den Verlauf und das Ergebnis der Verhandlungen hat. Außerdem haben<br />

die Opfer von Krisenvorfällen häufig Kontakt sowohl mit dem Täter als auch dem

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