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Forschungsbericht

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Die Perspektive der Opfer<br />

ihnen auch Fotos gezeigt, von Freunden und von Windmühlen.“ Ein anderes<br />

Entführungsopfer berichtete, dass es viele Gespräche mit seinem Bewacher über ihre<br />

gemeinsame Leidenschaft für die Automobiltechnik geführt habe. Wie bereits<br />

erwähnt, hatten die Aussagen von Belagerungsopfern einen anderen Unterton. Ein<br />

Belagerungsopfer sagte Folgendes: „Die Kommunikation war ruhig und sachlich. Wir<br />

durften auch abwechselnd Fragen stellen.“ Ein anderes Opfer einer Belagerung<br />

berichtete über ein Gespräch, in dem es bewusst Fragen über die Waffe des Täters<br />

und einen Schießclub stellte, in dem er, wie sich herausstellte, Mitglied war. Diese<br />

Beispiele zeigen, dass bei Belagerungen die Annäherung an den Täter offensichtlich<br />

verstärkt auf die Informationsbeschaffung und die Abschätzung der Gefahr abzielt.<br />

Dies könnte auch erklären, warum Opfer von Belagerungen etwas öfter von einer<br />

„Orientierung auf den Täter“ sprechen, etwa indem sie darauf hinweisen, dass sie<br />

den Täter immer im Auge behalten hatten. Schließlich zeigten weitere<br />

Untersuchungen, dass das Opfer umso positiver über den Täter sprach, je normaler<br />

die soziale Interaktion zwischen Opfer und Täter war. Die Aussagen mehrerer<br />

Belagerungsopfer konnten mit dem „Stockholm-Syndrom“ erklärt werden. Ein<br />

Belagerungsopfer erwähnte, dass es sich gedanklich in die Probleme der<br />

Geiselnehmer hineinversetzte und über die Möglichkeiten der Lösegeldbeschaffung<br />

nachdachte. In diesem Zusammenhang war besonders auffallend, dass auch das<br />

Verhalten der Täter anhand des „Stockholm-Syndroms“ erklärt werden konnte: Sie<br />

gaben dem Opfer einen Teil des Lösegeldes, verbunden mit dem Rat, das Geld an<br />

einem sicheren Ort zu verstecken. Ein anderes Opfer einer Belagerung half seinem<br />

Entführer, indem es mehrere Personen anrief, die dem Täter bei der Erreichung<br />

seiner Ziele behilflich sein könnten. Die Befragten gaben allerdings an, sie hätten sich<br />

nur so verhalten, um das Vertrauen des Geiselnehmers zu gewinnen. Fraglich ist<br />

natürlich, ob das der tatsächliche Grund war oder ob dies ein nachträgliches<br />

Rationalisieren der Situation darstellte.<br />

Schließlich ergab sich bei den Befragungen auch noch ein weiterer Punkt: Die<br />

Einstellung eines Opfers gegenüber einem Täter in Belagerungssituationen wird zum<br />

Teil durch die Situation bestimmt. So stellte sich zum Beispiel heraus, dass ein Opfer,<br />

das an seinem Arbeitsplatz als Wachmann als Geisel genommen wurde, die Idee<br />

hatte, selbst aktiv zu werden und den Geiselnehmer zu überwältigen. Hinzu kam,<br />

dass der Mann irgendwie das Gefühl hatte, dies sei seine Pflicht, und die Tatsache,<br />

dass es überhaupt zu einer Belagerung gekommen war, könnte als ein Versagen<br />

seinerseits betrachtet werden. Somit bestimmen offensichtlich die Rollenerwartungen<br />

bis zu einem gewissen Maß die Einstellungen und das Verhalten von Opfern.<br />

4.3 Aussagen über die Polizei<br />

Vor allem die beiden Erpressungsopfer sprachen über die Polizei, und ihre<br />

Äußerungen waren sowohl positiv als auch negativ. Es erscheint logisch, dass vor<br />

allem Erpressungsopfer über die Polizei sprechen, weil nur in Erpressungssituationen<br />

viele direkte Kontakte zwischen dem Opfer und der Polizei bestehen. Im Allgemeinen<br />

möchten Opfer bei Kontakten mit der Polizei mit Einfühlungsvermögen behandelt<br />

werden. Sie möchten auch, dass die Polizei realistisch ist, mit Schwerpunkt auf den<br />

positiven Aspekten, damit die Opfer den Glauben an einen günstigen Ausgang<br />

behalten können. Die Opfer wollen auch von der fachlichen Kompetenz und<br />

Zuverlässigkeit eines Verhandlungsführers der Polizei überzeugt werden. Sie<br />

möchten insbesondere hören, dass die Verhandlungsführer Erfahrung besitzen, was<br />

diese Art von Vorfällen anbelangt. Verfahrenstechnische Mitteilungen sind ebenfalls<br />

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