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Forschungsbericht

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Die Perspektive der Opfer<br />

Kapitel 4: Die Perspektive der Opfer<br />

Ellen Giebels, Leontien De Bruin, Sigrid Noelanders und Geert Vervaeke<br />

Bei der Bewältigung von Krisenfällen bevorzugen Polizeikräfte statt der taktischen<br />

Intervention eher einen auf Kommunikation basierenden Ansatz, weil dadurch die<br />

Wahrscheinlichkeit von Opfern vermindert wird (vgl. Grennstone, 1995). In den<br />

meisten Teilen der Welt wird der Rettung des Lebens der Opfer Priorität eingeräumt<br />

(Giebels, 1999; McMains & Mullins, 1999). In diesem Kapitel gehen wir von der<br />

Vorstellung aus, dass diese Priorität nicht nur auf das rein physische Überleben der<br />

Opfer ausgerichtet sein sollte, sondern auch auf eine größtmögliche Reduzierung<br />

ihrer psychischen Verletzungen. Häufig wird die Ansicht vertreten, das Opfer könne<br />

sich glücklich schätzen, den Vorfall lebend überstanden zu haben, unabhängig<br />

davon, ob es psychische Schäden erlitten hat oder nicht (vgl. Harkis, 1986). Trotz der<br />

Bedeutung des körperlichen Überlebens sind auch die psychischen Folgen von<br />

Krisenfällen erheblich. Die Forschung zeigt zum Beispiel, dass etwa ein Drittel der<br />

ehemaligen Geiseln noch viele Jahre nach ihrer Geiselnahme an Symptomen leiden,<br />

die einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) zuzuordnen sind (Van der<br />

Ploeg & Kleijn, 1989). Ein wichtige Möglichkeit, in Verbindung mit Krisenfällen<br />

stehende psychische Verletzungen zu reduzieren, ist das Angebot psychologischer<br />

Nachbereitung und/oder Betreuung nach dem Vorfall. Aber auch während des<br />

Krisenvorfalls kann es Möglichkeiten geben, das psychische Wohlbefinden zu beeinflussen<br />

und den psychischen Schaden für die Opfer zu mindern. Konkreter<br />

ausgedrückt: Im Verlauf der meisten Verhandlungen wird es wahrscheinlich zu<br />

Kontakten zwischen Verhandlungsführern der Polizei und den Opfern kommen. Dies<br />

legt nahe, dass die Maßnahmen der Verhandlungsführer nicht nur im Lichte eines<br />

erfolgreichen Ausgangs, sondern auch im Hinblick auf die Einwirkung auf das psychische<br />

Wohlbefinden der Opfer von Bedeutung sind. Außerdem können diese<br />

beiden Prozesse in einem gegenseitigen Zusammenhang stehen. Wegen der oftmals<br />

großen Nähe zwischen Opfern und Tätern wird das psychische Wohlbefinden des<br />

Opfers und die Beziehung mit dem Täter wahrscheinlich den Ablauf und das Ergebnis<br />

der Verhandlungen beeinflussen. Ausgehend von einer klinischen und sozialpsychologischen<br />

Perspektive erörtern wir zunächst die relevante Theorie und die<br />

Forschung hinsichtlich der psychischen Folgen bei Opfern einer Belagerung, einer<br />

Entführung oder einer Erpressung. Anschließend erörtern wir die Methode und die<br />

wesentlichen Ergebnisse aus 12 Befragungen von direkten Opfern von Krisenvorfällen.<br />

Unter dem Begriff direkte Opfer verstehen wir Personen, die tatsächlich als<br />

Geisel genommen, entführt oder erpresst wurden.<br />

Der Unterschied zwischen den verschiedenen Arten von Krisensituationen erscheint<br />

bedeutsam wegen der ihrer Natur nach unterschiedlichen Umstände, in denen sich<br />

die Opfer befinden. Erpressungsopfer unterliegen zum Beispiel nicht der direkten<br />

Kontrolle des Täters, was bedeutet, dass weniger von Freiheitsberaubung und einer<br />

unmittelbar lebensbedrohenden Gefahr gesprochen wird, als dies bei Belagerungen<br />

und Entführungen der Fall ist. Es gibt auch zahlreiche wichtige Unterschiede<br />

zwischen Belagerungen und Entführungen (siehe Kapitel 1). Bei Belagerungen<br />

werden die Geiseln an einem Ort festgehalten, der der Polizei bekannt ist. Als Folge<br />

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