Forschungsbericht
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Analyse der Verhandlungen<br />
Bei der Diskussion des folgenden Themas stellt sich heraus, dass Mitglieder der<br />
eigenen Gruppe, der sogenannten In-Group, bei Verhandlungen ebenfalls eine aktive<br />
Rolle spielen können.<br />
Die Rolle Dritter<br />
Bei vielen Verhandlungen mit Tätern aus High-Context-Kulturen wurde über Dritte<br />
gesprochen, die einen wichtigen Einfluss auf den Verlauf der Verhandlungen hatten.<br />
Diese Dritten wurden im Allgemeinen von der Familie des Opfers oder vom Opfer<br />
selbst hinzugezogen. Bei den türkischen und marokkanischen Fällen waren dies im<br />
Regelfall (ältere) Familienmitglieder von Opfern und Tätern, die sich hinter den<br />
Kulissen trafen, um zu versuchen, eine Lösung zu finden, wie man aus der Lage<br />
herauskommen könnte. Diese Vermittlungsversuche können als eine Art von<br />
Parallelverhandlungen betrachtet werden.<br />
Bei Entführungen in einem chinesischen kulturellen Kontext stellten wir fest, dass<br />
überwiegend neutrale Vermittler hinzugezogen wurden, die keine direkten Familienbindungen<br />
mit dem Opfer hatten. Häufig waren sie zuvor schon als Vermittler innerhalb<br />
der chinesischen Gemeinschaft tätig gewesen, und es gelang ihnen oft innerhalb<br />
kurzer Zeit große Geldbeträge zu beschaffen. In diesem Zusammenhang ist es<br />
offensichtlich ein ungeschriebenes Gesetz, dass sie im Falle einer erfolgreichen<br />
Vermittlung einen gewissen Prozentsatz vom ausgehandelten Betrag erhalten.<br />
Die Frage des Gesichtsverlustes<br />
In zahlreichen Fällen mit Tätern aus High-Context-Kulturen stellten wir fest, dass von<br />
finanziellen Motiven abgesehen die Wiedergutmachung eines Gesichtsverlustes ein<br />
zusätzliches Motiv war. Ein Beispiel für so einen Fall, bei dem es um die Rolle des<br />
Gesichtsverlustes ging, betraf einen Erpressungsfall im chinesischen Milieu. Es<br />
stellte sich heraus, dass der Erpresser bereits vorher mit dem Opfer zu tun gehabt<br />
hatte, das heißt, er hatte einige Zeit vorher schon einmal versucht, das gleiche Opfer<br />
zu berauben. Dieser versuchte Raub war gescheitert, weil ein zufälliger Augenzeuge<br />
die Polizei gerufen hatte. Der Täter versuchte jetzt, das Geld durch Erpressung zu<br />
bekommen, das ihm das Opfer seiner Meinung nach schuldete. Das folgende<br />
Gespräch zeigt, dass Geld nun nicht mehr das alleinige Motiv war:<br />
(E = Erpresser, O = Opfer)<br />
E: „Du weißt ja wohl, was ich meine.“<br />
O: „Ich habe dich nicht beleidigt.“<br />
E: „Das nächste Mal, wenn wir uns begegnen, wird’s nicht mehr so einfach.“<br />
O: „Ich weiß nicht, was du damit meinst.“<br />
E: „Solltest du aber wissen.“<br />
O: „Ich kann hergeben, was da ist.“<br />
E: „Wenn du es nicht hast, dann hast du es nicht, wenn du es hast, dann hast du es.<br />
Ein Wort.“<br />
O: „Was verlangst Du von mir?“<br />
E: „Das liegt an dir. Wenn du mir Achtung zeigst, zeige ich dir auch Achtung...“<br />
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