Forschungsbericht
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Theoretischer Rahmen<br />
Kapitel 2: Theoretischer Rahmen – Einflussstrategien, Verhandlungsphasen<br />
und der kulturelle Kontext in Krisensituationen<br />
Ellen Giebels, Wim Kamphuis und Sigrid Noelanders<br />
„Heute am frühen Morgen haben russische Kommandotruppen das Geiseldrama in<br />
einem Moskauer Theater blutig beendet. Bei der Befreiungsaktion kamen sicherlich<br />
neunzig Geiseln und fünfzig tschetschenische Rebellen ums Leben. Hunderte von<br />
Menschen wurden in Krankenhäuser eingeliefert. Dutzende von ihnen befinden sich<br />
in einem schlechten Zustand, da sie Gas eingeatmet haben, das bei der Befreiung<br />
eingesetzt wurde." (NOS-Nachrichten, 26. Oktober 2002)<br />
Die obige Meldung zeigt, wie viel in Krisensituationen auf dem Spiel stehen kann. Es<br />
stellte sich heraus, dass durch die taktische Intervention der russischen Kommandotruppen<br />
129 Geiseln und 41 Geiselnehmer zu Tode gekommen waren. In dieser<br />
Situation hatte man sich für eine taktische Intervention entschieden, weil die<br />
Verhandlungen festgefahren waren und die Rebellen mit der Erschießung von<br />
Geiseln begonnen hatten. Eine Krisensituation, die ausschließlich durch Verhandlungen<br />
gelöst wird, führt offensichtlich zu erheblich weniger Opfern. Wie verhandelt<br />
man aber mit Geiselnehmern? Wie kann man sie wirkungsvoll beeinflussen?<br />
Ist ein bestimmtes Verfahren das beste oder sind verschiedene Verfahren in verschiedenen<br />
Situationen effektiv?<br />
In diesem Kapitel werden wir zunächst kurz erläutern, was Verhandeln ist, und wir<br />
werden den Bezug zu Krisenverhandlungen aufzeigen. Anschließend geben wir einen<br />
Überblick über die Literatur zum Thema soziale Einflussnahme und erstellen einen<br />
Rahmen für interpersonales Einflussverhalten in Krisensituationen, nämlich die<br />
„Zehner-Tabelle“. Außerdem werden wir den Einfluss der verschiedenen Verhandlungsphasen<br />
und den kulturellen Kontext beschreiben. Am Schluss gehen wir<br />
auf mehrere zu erwartende Forschungsergebnisse ein.<br />
1. Verhandlung<br />
Die zahlreichen Definitionen, die zu dem Begriff Verhandlung existieren, haben<br />
etliche allgemeine Elemente gemeinsam (vgl. z. B. Fisher & Ury, 1981; Rubin, Pruitt<br />
und Kim, 1994; Thompson, 1998; Van de Vliert, 1997). Das heißt, die Verhandlung<br />
ist ein Mittel, andere dazu zu bewegen, etwas Bestimmtes zu tun, wenn widersprüchliche<br />
Interessen im Spiel sind. Außerdem sind die Parteien voneinander abhängig,<br />
was das Erreichen gewünschter Verhandlungsergebnisse anbelangt. Entscheidend<br />
für die Verhandlung ist, dass die Kommunikation sich auf ein verhältnismäßig<br />
gutes Vertrauen stützt. Genau in diesem letztgenannten Punkt weichen<br />
Verhandlungen in Krisensituationen von den Verhandlungen im normalen Alltag ab.<br />
Das heißt, das Vertrauen ist gewöhnlich wegen des lebensbedrohenden Charakters<br />
von Krisenverhandlungen gering. Hinzu kommt, dass Verhandlungen im Rahmen<br />
von Krisenfällen gewöhnlich ein geringes integratives Potenzial besitzen, weil sie<br />
Alles-oder-Nichts-Situationen betreffen, in denen sich in der Regel jede Seite auf<br />
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