Forschungsbericht

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22.11.2013 Aufrufe

Einleitung kommt, dass vielfach durch den Zeitablauf auch der empfundene Zeitdruck zunimmt. Dies kann bei den Geiselnehmern ein impulsives Verhalten auslösen, während die Polizei dem Risiko ausgesetzt ist, unerwünschte psychologische Gruppenprozesse in Gang zu setzen. Das heißt, eine Gruppe kann unter dem Druck zur Konformität zu unangemessenen Entscheidungen gelangen, umso mehr, da in einer Gruppe die Tendenz besteht, an der ersten gefundenen Lösung festzuhalten. Janis (1982) bezeichnete ernste Formen dieses Phänomens als group think („Gruppendenken“). Ein damit im Zusammenhang stehendes Phänomen betrifft die Gruppenpolarisierung, also die Tendenz, dass die durchschnittliche Reaktion der Gruppe extremer ist als die durchschnittliche individuelle Reaktion (Myers & Lamm, 1976). Dies zeigt sich z. B. in der Tendenz jener Gruppenmitglieder, die individuell zum Eingehen von Risiken neigen, in der Gruppe sogar noch größere Risiken einzugehen. Dieses Phänomen wird als risky shift (Risikoschub-Phänomen) bezeichnet. Andererseits werden einzelne Mitglieder, die zur Vorsicht tendieren, in einer Gruppe sogar noch vorsichtiger. Eine weitere negative Folge des Zeitablaufs ist die, dass Opfer und Täter gemeinsam negative Gefühle gegenüber den zuständigen Behörden entwickeln können. In Extremfällen können diese Gefühle dazu führen, dass die Opfer zu dem Entführer halten und der Polizei falsche Informationen geben (vgl. das „Stockholm-Syndrom“). Zusammenfassend kann man festhalten, dass vor allem in der Anfangsphase ein Zeitgewinn offensichtlich wichtig ist, wohingegen mit dem Zeitablauf das Risiko unerwünschter Prozesse ebenfalls zunimmt. 4.2 Informationsbeschaffung und Einflussstrategien Eine weitere wichtige Funktion der Verhandlung ist die Informationsbeschaffung. Durch das Stellen vieler offener (was/warum/wie) Fragen kann man wichtige Informationen gewinnen, sowohl für strategische Zielsetzungen als auch zum gründlichen Verständnis der Lage. Das heißt, die Verhandlungsführer der Polizei sind normalerweise die einzigen Personen, die sich ein verhältnismäßig gutes Abbild vom Gemütszustand der Täter und Opfer machen können. Außerdem werden durch die Fähigkeit, gut zuhören zu können, Aggressionen verhindert und somit das Risiko verringert, dass Menschen verletzt werden. In relativ expressiven Krisensituationen ist das „aktive Zuhören“ ebenfalls von entscheidender Bedeutung, um erwünschte Verhaltensänderungen beim Täter erzielen zu können. Eine wesentliche Voraussetzung für das aktive Zuhören ist, von den Rahmenbedingungen und der Erfahrung einer anderen Person auszugehen, um eine wirkliche Verbindung aufzubauen (Rogers, 1951, 1961; vgl. auch Lang & Van der Molen, 1993). Außerdem kann man durch Befragung der anderen Person nach den Konsequenzen und durch Konfrontieren mit widersprüchlichen oder irrationalen Gedankengängen schließlich auch die gewünschte Verhaltensänderung bewirken. Obwohl die Eigenschaft, gut zuhören zu können, für die Informationsbeschaffung natürlich auch in relativ instrumentalen Situationen unerlässlich ist, ist dieses Verfahren offensichtlich weniger geeignet, um eine Verhaltensänderung zu bewirken. In diesen Situationen wird es vielmehr darauf hinauslaufen, alltägliche Einflussstrategien anzuwenden, die z. B. in der Werbung und im Geschäftsleben sowie bei der Pflege privater Kontakte eingesetzt werden. Soweit uns bekannt ist, wurde der Einsatz dieser Einflussstrategien in Krisenverhandlungen in nur sehr begrenztem Umfang erforscht. Die Folge ist, dass ihnen auch in der Ausbildung von Verhandlungsführern verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit zuteil wird. Eine Ausnahme ist 12

Einleitung hier die Arbeit von McMains & Mullins (2001), die auf die verschiedenen Einflussstrategien eingehen, welche ein Verhandlungsführer der Polizei einsetzen kann. Auf Seite 218 schreiben sie dazu Folgendes: „Der Verhandlungsführer kann alle diese Techniken fortwährend einsetzen. Bringt eine Technik keinen Erfolg, bricht man sie ab, geht zu einer anderen über und greift sie später noch einmal auf ...." Die falsche Anwendung von Techniken kann jedoch ernsthaft der Glaubwürdigkeit des Verhandlungsführers schaden und somit eine Gefahr für das Leben und die Sicherheit der betroffenen Personen darstellen. Bei unseren Forschungen wollen wir vor allem versuchen herauszufinden, welche Strategien unter welchen Bedingungen effektiv sind. 5. Schlussbemerkung In diesem Kapitel haben wir den Kontext von Krisenverhandlungen, insbesondere bei eher instrumentalen, verhandlungsähnlichen Situationen vorgestellt. Rein verhandlungstechnisch ausgedrückt kamen wir zu dem Schluss, dass sich die Verhandlungsführer der Polizei besonders auf ihre persönliche Erfahrung und Intuition stützen, ergänzt durch Verhandlungsgrundsätze aus anderen Disziplinen wie z. B. der klinischen Psychologie. Wenn es um die Rettung von Menschenleben geht, reicht jedoch nicht die Annahme aus, dass sich die Grundsätze einer Disziplin auf eine andere Disziplin transponieren lassen. Empirische Forschung auf diesen Feldern erscheint notwendig, um diese Lücken zu schließen. In unserer Studie konzentrieren wir uns daher auf die Effektivität der Einflussstrategien bei instrumentalen Verhandlungen und auf andere Perspektiven als jene der zuständigen Behörden. In Kapitel 2 werden wir zunächst einen Rahmen für das interpersonale Beeinflussungsverhalten bei Verhandlungen, die Zehner-Tabelle, vorstellen. Außerdem werden wir ausführlich auf die Bedeutung der Unterscheidung der Verhandlungsphasen sowie der Einbeziehung des kulturellen Kontextes eingehen. In den Kapiteln 3 und 4 stellen wir die Ergebnisse unserer quantitativen und qualitativen Analysen vor. Kapitel 3 enthält die Analyse von 35 echten Krisenverhandlungen. Diese Ergebnisse werden durch Erkenntnisse aus zwei Täterbefragungen ergänzt. Kapitel 4 basiert auf den Befragungen von 17 direkten und indirekten Opfern von Krisenvorfällen. In Kapitel 5 fassen wir unsere wesentlichen Erkenntnisse zusammen und erläutern die Auswirkungen auf die Praxis der Krisenverhandlung. 13

Einleitung<br />

hier die Arbeit von McMains & Mullins (2001), die auf die verschiedenen Einflussstrategien<br />

eingehen, welche ein Verhandlungsführer der Polizei einsetzen kann.<br />

Auf Seite 218 schreiben sie dazu Folgendes:<br />

„Der Verhandlungsführer kann alle diese Techniken fortwährend einsetzen. Bringt<br />

eine Technik keinen Erfolg, bricht man sie ab, geht zu einer anderen über und greift<br />

sie später noch einmal auf ...."<br />

Die falsche Anwendung von Techniken kann jedoch ernsthaft der Glaubwürdigkeit<br />

des Verhandlungsführers schaden und somit eine Gefahr für das Leben und die<br />

Sicherheit der betroffenen Personen darstellen. Bei unseren Forschungen wollen wir<br />

vor allem versuchen herauszufinden, welche Strategien unter welchen Bedingungen<br />

effektiv sind.<br />

5. Schlussbemerkung<br />

In diesem Kapitel haben wir den Kontext von Krisenverhandlungen, insbesondere bei<br />

eher instrumentalen, verhandlungsähnlichen Situationen vorgestellt. Rein verhandlungstechnisch<br />

ausgedrückt kamen wir zu dem Schluss, dass sich die Verhandlungsführer<br />

der Polizei besonders auf ihre persönliche Erfahrung und Intuition stützen,<br />

ergänzt durch Verhandlungsgrundsätze aus anderen Disziplinen wie z. B. der klinischen<br />

Psychologie. Wenn es um die Rettung von Menschenleben geht, reicht jedoch<br />

nicht die Annahme aus, dass sich die Grundsätze einer Disziplin auf eine andere<br />

Disziplin transponieren lassen. Empirische Forschung auf diesen Feldern erscheint<br />

notwendig, um diese Lücken zu schließen. In unserer Studie konzentrieren wir uns<br />

daher auf die Effektivität der Einflussstrategien bei instrumentalen Verhandlungen<br />

und auf andere Perspektiven als jene der zuständigen Behörden. In Kapitel 2 werden<br />

wir zunächst einen Rahmen für das interpersonale Beeinflussungsverhalten bei<br />

Verhandlungen, die Zehner-Tabelle, vorstellen. Außerdem werden wir ausführlich auf<br />

die Bedeutung der Unterscheidung der Verhandlungsphasen sowie der Einbeziehung<br />

des kulturellen Kontextes eingehen. In den Kapiteln 3 und 4 stellen wir die<br />

Ergebnisse unserer quantitativen und qualitativen Analysen vor. Kapitel 3 enthält die<br />

Analyse von 35 echten Krisenverhandlungen. Diese Ergebnisse werden durch Erkenntnisse<br />

aus zwei Täterbefragungen ergänzt. Kapitel 4 basiert auf den Befragungen<br />

von 17 direkten und indirekten Opfern von Krisenvorfällen. In Kapitel 5 fassen<br />

wir unsere wesentlichen Erkenntnisse zusammen und erläutern die Auswirkungen auf<br />

die Praxis der Krisenverhandlung.<br />

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