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Schutzlos hinter Gittern Abschiebungshaft in Deutschland - Pro Asyl

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Freizeitmöglichkeiten/Entgeltliche Arbeitsmöglichkeiten:<br />

Es soll Sportmöglichkeiten geben (Ballspiele, Tischtennisraum).<br />

Weiterh<strong>in</strong> gibt es e<strong>in</strong>en „Kraftraum“: Das s<strong>in</strong>d drei Zellen,<br />

die mite<strong>in</strong>ander verbunden s<strong>in</strong>d. Die dar<strong>in</strong> enthaltenen<br />

Sportgeräte s<strong>in</strong>d schon sehr alt und wurden gespendet. Da<br />

auch dieser Raum außerhalb des Hafttraktes liegt, besteht<br />

ke<strong>in</strong> ungeh<strong>in</strong>derter Zugang. Es gibt ke<strong>in</strong>erlei entgeltliche Arbeitsmöglichkeiten.<br />

Kontaktmöglichkeiten nach außen: Es gibt e<strong>in</strong> Telefon auf<br />

dem Flur (TelCo-System), d.h. telefonieren ist nur mit vorheriger<br />

Freischaltung und Guthaben möglich. Besuche s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />

der Regel mittwochs und für drei Stunden im Monat möglich.<br />

In der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage<br />

der L<strong>in</strong>ken heißt es: „Neben dem Briefwechsel und der Besuchsdurchführung,<br />

welche sehr flexibel gestaltet wird, besteht<br />

außerdem die Möglichkeit, über e<strong>in</strong>en frei zugänglichen Fernsprechapparat<br />

Kontakt zur Außenwelt aufzunehmen.“ 76<br />

Essen: Das Essen wird zentral <strong>in</strong> der JVA gekocht und durch<br />

Hausarbeiter mittags an der Zellentüre ausgegeben. Die<br />

Hausarbeiter, die auch die Säuberung des Hafttraktes vornehmen,<br />

s<strong>in</strong>d Strafgefangene. Das Frühstück wird mit dem<br />

Abendbrot ausgeteilt. Dazu gibt es Tee und Kaffeeersatz. Auf<br />

dem Flur gibt es auch e<strong>in</strong>e Küche mit Herd und Töpfen. Die<br />

Inhaftierten haben zweimal im Monat die Möglichkeit, sich<br />

im JVA-Kaufladen etwas zu kaufen, wenn sie Geld haben.<br />

Mediz<strong>in</strong>ische Versorgung: Es gibt <strong>in</strong> der JVA e<strong>in</strong>e Krankenabteilung<br />

mit 25 Betten. Zwei Ärzte arbeiten auf Vollzeitstellen,<br />

dazu externe Fachärzte und 14 Pfleger und Schwestern.<br />

Die mediz<strong>in</strong>ische Versorgung erfolgt durch den Anstaltsarzt.<br />

Wie e<strong>in</strong>e Kommunikation zwischen Arzt und Patient zustande<br />

kommt, bleibt unklar. Psychische Erkrankungen kommen<br />

im Haftalltag nach Auskunft unserer Gesprächspartner so<br />

gut wie nicht vor. Der Anstaltsarzt stelle ke<strong>in</strong>e Besche<strong>in</strong>igungen<br />

über die Transport- und Flugfähigkeit aus. Das müsse<br />

die zuständige Ausländerbehörde selbst organisieren.<br />

Soziale Betreuung/unabhängige Beratung: In der JVA<br />

Bützow gibt es ke<strong>in</strong>en Sozialdienst mehr. Dieser sei mit e<strong>in</strong>er<br />

grundlegenden Reform abgeschafft worden. Nunmehr<br />

gibt es sog. „Sachbearbeiter“, die aber auch noch andere<br />

Aufgaben zu erledigen hätten. Sie würden – bei Bedarf –<br />

nach den Insassen im Abschiebungsbereich schauen. Das<br />

Aufnahmege spräch führt, laut unserer Gesprächspartner,<br />

der für die <strong>Abschiebungshaft</strong> zuständige Abteilungsleiter. In<br />

der Regel jedoch ohne Dolmetscher. Man greife vielfach auf<br />

Mitgefangene zurück. Der Kontakt zu den Inhaftierten sei<br />

sehr unkompliziert, man müsse ke<strong>in</strong>e Anträge stellen.<br />

In der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage<br />

der L<strong>in</strong>ken heißt es: „Es gibt e<strong>in</strong> Sofortgespräch bei E<strong>in</strong>treffen<br />

<strong>in</strong> der JVA. Es gibt das Zugangsgespräch <strong>in</strong> der Justizvollzugsanstalt,<br />

es erfolgt <strong>in</strong>nerhalb der ersten zwei Stunden nach der<br />

Zuführung des Häftl<strong>in</strong>gs. Das mediz<strong>in</strong>ische Aufnahmegespräch<br />

erfolgt so schnell wie möglich.“ 77<br />

Dazu e<strong>in</strong>e Aussage e<strong>in</strong>es jungen Afghanen, den wir während<br />

unseres Besuches <strong>in</strong> Bützow getroffen haben, und der<br />

am 10.10.2012 am Flughafen Hamburg vor der Rückschiebung<br />

folgendes gesagt hat: „Er berichtete mir, dass sie nie<br />

e<strong>in</strong>en Dolmetscher (auch der Syrer nicht) gesehen haben. E<strong>in</strong><br />

Bundespolizist hätte sich bemüht, auf dem Weg <strong>in</strong> die JVA bei<br />

E<strong>in</strong>lieferung ihnen was zu erklären, der sprach aber wohl sehr<br />

schlecht Englisch. Der Abteilungsleiter gar ke<strong>in</strong> Englisch – er<br />

sei sehr unfreundlich ... In der JVA hätte ihnen niemand erklärt,<br />

warum sie dort seien und wie es mit ihnen weiter gehen würde.<br />

Von Sportmöglichkeiten, Freizeitmöglichkeiten E<strong>in</strong>kaufsmöglichkeiten<br />

wusste er nichts. Aber immerh<strong>in</strong> hat sich wohl e<strong>in</strong>en<br />

Tag nach unserem Besuch der Speiseplan der Anstalt geändert,<br />

ab da haben sie immer Reis zum Mittag bekommen und ke<strong>in</strong>e<br />

Kartoffeln.“ 78<br />

Entgegen der bis zu unserem Besuch vorherrschenden Praxis<br />

wird <strong>in</strong> der Antwort der Bundesregierung auf die Große<br />

Anfrage der L<strong>in</strong>ken ausgeführt: „Die Essenszubereitung und<br />

-ausgabe ist an die verschiedenen Kulturen und religiösen H<strong>in</strong>tergründe<br />

angepasst.“ 79<br />

Diese Aussagen decken sich auch mit Berichten von Inhaftierten<br />

anlässlich e<strong>in</strong>es Besuches e<strong>in</strong>er Delegation der Evangelischen<br />

Kirche am 11.12.2012. Diesen Aussagen zufolge<br />

würde man sich nicht um sie kümmern. E<strong>in</strong> Mann hätte e<strong>in</strong><br />

Schriftstück auf Deutsch aus se<strong>in</strong>er Zelle geholt und gefragt,<br />

was dar<strong>in</strong> stehen würde. Man würde nicht mit ihnen reden<br />

und sie wüssten nicht, was mit ihnen passiere und wo und<br />

wann sie wieder weggeschickt werden würden. Diese Aussagen<br />

passen zu dem E<strong>in</strong>druck, den wir während unseres<br />

Besuches auch bekommen haben. Insbesondere durch den<br />

Nichte<strong>in</strong>satz von Dolmetscher, der uns explizit auch bestätigt<br />

wurde, ist e<strong>in</strong>e Kommunikation mit den Inhaftierten<br />

nicht möglich. Mit Händen und Füßen kann man aber ke<strong>in</strong>e<br />

deutschen Amtsbescheide erläutern.<br />

Früher habe sich e<strong>in</strong> Mitarbeiter der Diakonie stundenweise<br />

um die Abschiebungsgefangene gekümmert. Der sei aber<br />

schon lange nicht mehr da. Ab und an würde der Pfarrer<br />

noch nach ihnen schauen, so unsere Gesprächspartner. Aber<br />

auch hier stellt sich die Frage, was er machen kann, wenn er<br />

sich nicht verständlich machen kann.<br />

Im Kontrast zu der mehr oder weniger völligen Isolierung<br />

von der Außenwelt liest sich die Situation <strong>in</strong> der Antwort<br />

der Bundesregierung auf die Große Anfrage der L<strong>in</strong>ken wie<br />

folgt: „Im Übrigen stehen den Abschiebungshäftl<strong>in</strong>gen die Stationsbediensteten,<br />

der zuständige Vollzugsabteilungsleiter sowie<br />

76. Große Anfrage DIE LINKE, a.a.O., S. 122. 77. Große Anfrage DIE LINKE, a.a.O., S. 23.<br />

78. Aus e<strong>in</strong>em den Verfassern vorgelegten Bericht.<br />

79. Große Anfrage DIE LINKE, a.a.O., S. 123.

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