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Schutzlos hinter Gittern Abschiebungshaft in Deutschland - Pro Asyl

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14<br />

klare Zuordnung von Trans-Personen – entweder zum Männertrakt<br />

oder Frauentrakt – nicht möglich. Alle von uns befragten<br />

Haftleitungen gaben an, dass sie <strong>in</strong> Fällen, <strong>in</strong> denen<br />

Trans-Personen <strong>in</strong> <strong>Abschiebungshaft</strong> genommen wurden,<br />

diese <strong>in</strong> separierten eigenen Bereichen untergebracht haben.<br />

Da viele <strong>Abschiebungshaft</strong>anstalten derzeit bei weitem<br />

nicht voll besetzt s<strong>in</strong>d, hat man teilweise die Trans-Personen<br />

auf eigenständigen Fluren untergebracht. Zu e<strong>in</strong>er völligen<br />

Isolierung der Inhaftierten hat dies <strong>in</strong> den uns geschilderten<br />

Fällen nicht geführt, da es jeweils e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Gruppe von<br />

Trans-Personen war, die <strong>in</strong> <strong>Abschiebungshaft</strong> genommen<br />

worden ist. Wenn nur e<strong>in</strong>e Person zur Abschiebung <strong>in</strong>haftiert<br />

wird, kann das Separieren jedoch zur sozialen Isolierung<br />

führen.<br />

E<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Regelung zum Umgang mit Trans-Personen<br />

<strong>in</strong> <strong>Abschiebungshaft</strong> gibt es <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er der Hafte<strong>in</strong>richtungen,<br />

die wir besucht haben. Wie man mit den Fällen verfahren<br />

würde, wenn aufgrund von ausgeschöpfter Kapazitäten die<br />

Haftanstalten voll besetzt s<strong>in</strong>d, ist also nicht geregelt. Hier<br />

gilt es Leitl<strong>in</strong>ien zu entwickeln, die der Gewalt- und Diskrim<strong>in</strong>ierungsprävention<br />

dienen und das Leben <strong>in</strong> der selbst gewählten<br />

Geschlechtsidentität ermöglichen.<br />

3. <strong>Asyl</strong>suchende <strong>in</strong> <strong>Abschiebungshaft</strong><br />

Bei immer mehr Abschiebungshäftl<strong>in</strong>gen handelt es sich um<br />

<strong>Asyl</strong>suchende. Bis zu e<strong>in</strong>er Gesetzesänderung 2007 galt: Wer<br />

als <strong>Asyl</strong>suchender nach <strong>Deutschland</strong> gekommen ist, hat für<br />

die Dauer se<strong>in</strong>es <strong>Asyl</strong>verfahrens e<strong>in</strong>e Aufenthaltsgestattung<br />

und darf grundsätzlich nicht <strong>in</strong> <strong>Abschiebungshaft</strong> genommen<br />

werden. Mit dem Richtl<strong>in</strong>ienumsetzungsgesetz, das am<br />

28. August 2007 <strong>in</strong> Kraft getreten ist, wurde die monatelange<br />

Inhaftierung von <strong>Asyl</strong>suchenden ermöglicht. § 14 Absatz 3<br />

<strong>Asyl</strong>VfG sieht sogar e<strong>in</strong>e Inhaftierung während der gesamten<br />

Zuständigkeitsprüfung vor. Zuvor galt e<strong>in</strong>e zeitliche Obergrenze<br />

von maximal vier Wochen.<br />

3.1. Haft als Folge des Dubl<strong>in</strong>-Systems<br />

Die Hauptursache für die Inhaftierung von <strong>Asyl</strong>suchenden<br />

ist die Dubl<strong>in</strong> II-Verordnung. 40 Diese EU-Verordnung regelt,<br />

welcher EU-Mitgliedstaat für die Durchführung des <strong>Asyl</strong>verfahrens<br />

zuständig ist. In der Regel ist es das Land, über das<br />

die Flüchtl<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> die EU e<strong>in</strong>gereist s<strong>in</strong>d. <strong>Asyl</strong>suchende, die<br />

z.B. über Polen, Tschechien, Ungarn, Malta oder Italien nach<br />

<strong>Deutschland</strong> kommen, müssen damit rechnen, dass sie entweder<br />

kurz <strong>h<strong>in</strong>ter</strong> der „grünen Grenze“ oder direkt am Flughafen<br />

von der Bundespolizei aufgegriffen und <strong>in</strong> <strong>Abschiebungshaft</strong><br />

genommen werden. So soll sichergestellt werden,<br />

dass diese <strong>Asyl</strong>suchenden wieder <strong>in</strong> die „zuständigen“ EU-<br />

Länder an den Außengrenzen der EU zurückgebracht werden.<br />

Damit soll das Dubl<strong>in</strong>-System effizienter angewandt<br />

werden. Dass das Inhaftieren von <strong>Asyl</strong>suchenden sich immer<br />

mehr zum Standard entwickelt, ist aus flüchtl<strong>in</strong>gspolitischer<br />

Sicht höchst problematisch. Viele Flüchtl<strong>in</strong>ge haben <strong>in</strong> ihrem<br />

Herkunftsland Haft und Folter erleben müssen. E<strong>in</strong> erneuter<br />

Gefängnisaufenthalt kann für sie retraumatisierend wirken<br />

und zu psychischer Instabilität führen.<br />

Die EU-Kommission bestätigt <strong>in</strong> ihrem Evaluierungsbericht<br />

über das Dubl<strong>in</strong>-System 41 vom Juni 2007, es gebe e<strong>in</strong>e zunehmende<br />

Tendenz der Inhaftierung von <strong>Asyl</strong>bewerbern. Sie<br />

fordert die Mitgliedstaaten auf, Freiheitsentziehungen nur als<br />

„letztes Mittel“ anzuwenden. Mit diesen mahnenden Worten<br />

aus Brüssel ist allerd<strong>in</strong>gs noch nicht viel gewonnen. Notwendig<br />

wäre es vielmehr, die Inhaftierung von <strong>Asyl</strong>suchenden auf<br />

EU-Ebene zu verbieten.<br />

3.2. Die Rolle der Bundespolizei<br />

<strong>Asyl</strong>suchende geraten <strong>in</strong> der Regel dadurch <strong>in</strong> <strong>Abschiebungshaft</strong>,<br />

dass sie im grenznahen Raum – dieser wird regelmäßig<br />

mit e<strong>in</strong>em Radius von 30 km def<strong>in</strong>iert – von der Bundespolizei<br />

kontrolliert und sodann festgenommen werden. In grenznahen<br />

<strong>Abschiebungshaft</strong>anstalten – wie z.B. Rendsburg oder<br />

Eisenhüttenstadt – s<strong>in</strong>d bis zu 90 % der Inhaftierten <strong>Asyl</strong>suchende,<br />

die von der Bundespolizei aufgegriffen wurden.<br />

Auch <strong>in</strong>ternationale Flughäfen oder Bahnhöfe gehören zum<br />

E<strong>in</strong>satzort der Bundespolizei.<br />

Mangels eigener EU-Außengrenzen wird die Bundespolizei<br />

<strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> zunehmend im Bereich der verdachtsunabhängigen<br />

Kontrolle – und damit im großen Stile zur Migrationskontrolle<br />

– tätig. Von 2005 bis 2010 hat sich die Zahl der<br />

verdachtsunabhängigen Kontrollen der Bundespolizei <strong>in</strong><br />

Bahn- und Flugverkehrse<strong>in</strong>richtungen mit 581.000 mehr als<br />

verdoppelt. Die Zahl der grenznahmen Kontrollen vervierfachte<br />

sich auf 2,44 Millionen.<br />

Derartige Schleierfahndungen erfolgen häufig nach dem äußeren<br />

Ersche<strong>in</strong>ungsbild von Personen. Dieses racial profil<strong>in</strong>g<br />

ist seit dem Urteil des VG Koblenz, das diese Form der Selektion<br />

für rechtmäßig erachtete, verstärkt <strong>in</strong> die öffentliche Kritik<br />

geraten. In der oberen Instanz konnte vor dem OVG Koblenz<br />

schließlich Klarstellung erreicht werden, dass das Vorgehen<br />

der Bundespolizei rechtswidrig war. E<strong>in</strong>e Kontrolle, bei der<br />

die Hautfarbe ausschlaggebendes Kriterium für die Ausweiskontrolle<br />

ist, ist mit dem Diskrim<strong>in</strong>ierungsverbot von Art. 3<br />

GG nicht vere<strong>in</strong>bar. So erfreulich dieses Urteil war, so wenig<br />

ist erkennbar, dass die Bundespolizei ihre diskrim<strong>in</strong>ierende<br />

Kontrollpraxis verändert hat.<br />

Aus asylrechtlicher Sicht kommt e<strong>in</strong>e weitere höchstbedenkliche<br />

Praxis h<strong>in</strong>zu: Auf Weisung des Bundesm<strong>in</strong>isteriums des<br />

Innern (BMI) ist die Bundespolizei gehalten, im Falle e<strong>in</strong>er<br />

<strong>Asyl</strong>antragstellung das Dubl<strong>in</strong>-Verfahren selbst durchzuführen.<br />

Eigentlich wäre es die Aufgabe des Bundesamtes für<br />

40. Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vom 18. Februar 2003.<br />

41. Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat zur Bewertung des<br />

Dubl<strong>in</strong>-Systems, KOM (2007) 299 endgültig.

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