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Schutzlos hinter Gittern Abschiebungshaft in Deutschland - Pro Asyl

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10<br />

dar. Weiterh<strong>in</strong> unterliegen die Abschiebungshäftl<strong>in</strong>ge beim<br />

Vollzug der Haft <strong>in</strong>nerhalb normaler Justizvollzugsanstalten<br />

den gleichen sicherheitstechnischen Restriktionen wie<br />

Untersuchungs- oder Strafgefangene, da es <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er<br />

Haftanstalt ke<strong>in</strong>e unterschiedlichen Sicherheitsstandards<br />

geben kann. Dies wirkt sich negativ beispielsweise bei den<br />

Kommunikationsmöglichkeiten, den Besuchsmöglichkeiten<br />

und der Bewegungsfreiheit <strong>in</strong>nerhalb der Haftanstalt aus.<br />

Auch die <strong>in</strong> vielen Bundesländern analoge Anwendung des<br />

Strafvollzugsrechts als Vollzugsgrundlage der <strong>Abschiebungshaft</strong><br />

führt nicht zu e<strong>in</strong>er Liberalisierung des Haftvollzuges der<br />

eigentlichen Verwaltungshaft.<br />

Hierzu kritisiert der Europäische Antifolterausschuss: „In bestimmten<br />

Bundesländern (z. B. Brandenburg) ist die Abschiebehaft<br />

durch e<strong>in</strong>en speziellen Rechtsrahmen geregelt, der ihrem<br />

besonderen Status Rechnung trägt. In etlichen Bundesländern<br />

(u.a. Hamburg) gibt es jedoch ke<strong>in</strong>en solchen Rechtsrahmen.<br />

Folglich unterliegen Abschiebegefangene den für Untersuchungsgefangene<br />

bzw. Strafgefangene geltenden Vorschriften.<br />

E<strong>in</strong> solcher Zustand ist <strong>in</strong>akzeptabel. Der CPT empfiehlt, <strong>in</strong> allen<br />

Bundesländern die Inhaftierung von Abschiebegefangenen<br />

durch spezielle Vorschriften zu regeln, die ihrem besonderen Status<br />

Rechnung tragen.“ 27<br />

Nur <strong>in</strong> den Haftanstalten Ingelheim, Rendsburg, Bremen,<br />

Berl<strong>in</strong> und Eisenhüttenstadt wird das Trennungsgebot voll<strong>in</strong>haltlich<br />

umgesetzt, da es sich um orig<strong>in</strong>äre <strong>Abschiebungshaft</strong>anstalten<br />

handelt. Dass es <strong>in</strong> den beschriebenen, speziellen<br />

<strong>Abschiebungshaft</strong>e<strong>in</strong>richtungen aber auch eher wie im<br />

Strafvollzug zugeht und dass sehr viel Entwicklungspotential<br />

<strong>in</strong> Richtung Lockerung und Humanisierung des Haftvollzuges<br />

vorhanden ist, ist mehr als deutlich geworden. Interessant s<strong>in</strong>d<br />

hier die aktuellen Entwicklungen <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz (Ingelheim)<br />

und Schleswig-Holste<strong>in</strong> (Rendsburg): Das, was an Lockerungen<br />

im Haftvollzug über viele Jahre h<strong>in</strong>weg als nicht möglich,<br />

da als extrem sicherheitsgefährdend, e<strong>in</strong>gestuft wurde,<br />

ist nun möglich, ohne dass es zu den befürchteten „Unruhen<br />

und Aufständen“ gekommen ist.<br />

1.2. Verstoß gegen die EU-Rückführungsrichtl<strong>in</strong>ie<br />

Seit Inkrafttreten der EU-Rückführungsrichtl<strong>in</strong>ie ist der Vollzug<br />

<strong>in</strong> JVAs rechtlich höchst umstritten. Denn die Richtl<strong>in</strong>ie<br />

sieht e<strong>in</strong> Trennungsgebot vor, wonach e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same<br />

Unterbr<strong>in</strong>gung mit Strafgefangenen nicht zulässig ist. Die<br />

Abschiebungshäftl<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d danach nicht nur <strong>in</strong> gesonderten<br />

Zellen unterzubr<strong>in</strong>gen, sondern auch ansonsten von<br />

den Strafgegangenen räumlich zu trennen. Wenn man die<br />

Richtl<strong>in</strong>ie genau liest, so dürfen sie nicht e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> derselben<br />

Hafte<strong>in</strong>richtung – der JVA – untergebracht se<strong>in</strong>, da es <strong>in</strong><br />

<strong>Deutschland</strong> zum Vollzug von <strong>Abschiebungshaft</strong> spezielle<br />

E<strong>in</strong>richtungen gibt.<br />

Artikel 16 (1) Rückführungsrichtl<strong>in</strong>ie lautet:<br />

„Die Inhaftierung erfolgt grundsätzlich <strong>in</strong> speziellen Hafte<strong>in</strong>richtungen.<br />

S<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Mitgliedstaat solche speziellen Hafte<strong>in</strong>richtungen<br />

nicht vorhanden und muss die Unterbr<strong>in</strong>gung <strong>in</strong><br />

gewöhnlichen Haftanstalten erfolgen, so werden <strong>in</strong> Haft genommene<br />

Drittstaatsangehörige gesondert von den gewöhnlichen<br />

Strafgefangenen untergebracht.“<br />

Diese Regelung wurde <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> durch § 62a AufenthG<br />

fehlerhaft umgesetzt:<br />

„Die <strong>Abschiebungshaft</strong> wird grundsätzlich <strong>in</strong> speziellen Hafte<strong>in</strong>richtungen<br />

vollzogen. S<strong>in</strong>d spezielle Hafte<strong>in</strong>richtungen im Land<br />

nicht vorhanden, kann sie <strong>in</strong> diesem Land <strong>in</strong> sonstigen Haftanstalten<br />

vollzogen werden; die Abschiebungsgefangenen s<strong>in</strong>d<br />

<strong>in</strong> diesem Fall getrennt von Strafgefangenen unterzubr<strong>in</strong>gen.<br />

Werden mehrere Angehörige e<strong>in</strong>er Familie <strong>in</strong>haftiert, so s<strong>in</strong>d<br />

diese getrennt von den übrigen Abschiebungsgefangenen unterzubr<strong>in</strong>gen.<br />

Ihnen ist e<strong>in</strong> angemessenes Maß an Privatsphäre zu<br />

gewährleisten.“<br />

Während die Richtl<strong>in</strong>ie davon ausgeht, dass nur dann, wenn<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gesamten Mitgliedstaat ke<strong>in</strong>e spezielle Hafte<strong>in</strong>richtung<br />

vorhanden ist, <strong>in</strong> sonstigen Haftanstalten vollzogen<br />

werden darf, stellt das deutsche Recht auf das jeweilige<br />

Bundesland ab. Dies ist vom Wortlaut der Richtl<strong>in</strong>ie nicht<br />

gedeckt. Würde sie korrekt <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> umgesetzt, dann<br />

müsste der Vollzug der <strong>Abschiebungshaft</strong> <strong>in</strong> zehn Bundesländern<br />

komplett neu organisiert werden.<br />

Da die Bundesregierung und die zehn Bundesländer sich dieser<br />

Erkenntnis jedoch nach wie vor verweigern, wird der Streit<br />

darum öffentlich und vor den Gerichten ausgetragen. Der Jesuiten-Flüchtl<strong>in</strong>gsdienst<br />

hat im Jahr 2011 die EU-Kommission<br />

angeschrieben und diese um ihre rechtliche E<strong>in</strong>schätzung<br />

gebeten. Mit Schreiben vom 11. Mai 2011 antwortete die<br />

Kommission und schloss sich ganz e<strong>in</strong>deutig der Auffassung<br />

der Nichtregierungsorganisationen an, dass e<strong>in</strong> Vollzug <strong>in</strong><br />

JVAs nicht zulässig ist, wenn es <strong>in</strong> dem Mitgliedstaat spezielle<br />

E<strong>in</strong>richtungen gibt. Aus Sicht der Dienststellen der EU-Kommission<br />

könne festgestellt werden, dass der Wortlaut des Artikels<br />

16 Abs. 1 klar auf das Gesamtterritorium e<strong>in</strong>es Mitgliedstaates<br />

abstelle.<br />

„Das Nichtvorhandense<strong>in</strong> spezieller Hafte<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

regionalen Teilbereich e<strong>in</strong>es Mitgliedstaats – während <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

anderen regionalen Teilbereich solche vorhanden s<strong>in</strong>d – kann<br />

daher e<strong>in</strong>e Unterbr<strong>in</strong>gung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er gewöhnlichen Haftanstalt<br />

nicht rechtfertigen.“ 28<br />

In <strong>Deutschland</strong> weigern sich die politisch Verantwortlichen<br />

trotzdem, das EU-Recht umzusetzen. In Bayern wird nach wie<br />

vor <strong>in</strong> JVAs vollzogen – mit der Begründung, dies sei für die<br />

Abschiebungshäftl<strong>in</strong>ge wegen der Nähe zum ehemaligen<br />

Wohnort vorteilhaft. Zwar ist es richtig, dass es Angehörigen<br />

bei Wohnortnähe der Haft leichter möglich ist, die Inhaftierten<br />

zu besuchen. Dies ist aber letztlich ke<strong>in</strong> juristisches Argument,<br />

mit dem EU-Recht e<strong>in</strong>fach ausgehebelt werden kann.<br />

Zudem könnte der Kontakt noch <strong>in</strong>tensiver möglich se<strong>in</strong>,<br />

27. Bericht an die Deutsche Regierung über den Besuch des Europäischen Ausschusses zur<br />

Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe <strong>in</strong><br />

<strong>Deutschland</strong> (CPT) vom 20. November bis 2. Dezember 2005. CPT (2006) 36. 28. Juli 2006., S. 24.<br />

28. Schreiben der EU Kommission v. 11.5.2011, abrufbar unter: http://www.jesuiten-fluechtl<strong>in</strong>gsdienst.de/images/pdf/kom%20an%20jrs%20zu%20art%2016%20i%20r%FCckfrl.pdf.

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