Kammertheater - Schauspiel Stuttgart
Kammertheater - Schauspiel Stuttgart
Kammertheater - Schauspiel Stuttgart
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<strong>Kammertheater</strong><br />
*82 *109<br />
*85 *103 *92<br />
*84 *104 *110 *100 *101 *105 *106 *108 *96 *112 *118 *121 *142<br />
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was<br />
geschah<br />
mit baby<br />
jane?<br />
<strong>Schauspiel</strong><strong>Stuttgart</strong>
Impressum<br />
Textnachweis:<br />
Elisabeth Bronfen (Hg.), Die Diva. Eine Geschichte der Bewunderung.<br />
München, 2002 / Katrin Hummel, Berühmt, vergessen, was dann?<br />
In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14.08.2012 / Roy Newquist,<br />
Conversations with Joan Crawford. New York, 1980 (Übertragung:<br />
Christian Holtzhauer) / Der Liedtext »I’ve Written a Letter to Daddy«<br />
sowie die Zitate der Figuren Jane und Blanche stammen aus dem<br />
Film »Whatever Happened to Baby Jane?« von Robert Aldrich.<br />
Der Text »Frau Holle, oder: Goldmarie und Pechmarie« wurde den<br />
»Hausmärchen der Gebrüder Grimm« entnommen.<br />
Die Zitate von Bette Davis wurden folgender Website entnommen:<br />
http://www.francesfarmersrevenge.com/stuff/archive/oldnews6/<br />
bette.htm<br />
Hinweis: Trotz intensiver Bemühungen konnte der Inhaber der<br />
Verwertungsrechte an dem Stoff »Whatever Happened to Baby Jane ?«<br />
nicht ausfindig gemacht werden. Wir bitten den Rechteinhaber daher,<br />
sich mit uns in Verbindung zu setzen.<br />
Herausgeber:<br />
<strong>Schauspiel</strong> <strong>Stuttgart</strong> / Staatstheater <strong>Stuttgart</strong><br />
Intendant:<br />
Hasko Weber<br />
Redaktion:<br />
Christian Holtzhauer<br />
Gestaltung:<br />
Strichpunkt, <strong>Stuttgart</strong> / Berlin / www.strichpunkt-design.de<br />
Druck:<br />
medialogik GmbH
was geschah<br />
mit baby jane?<br />
Frei nach dem gleichnamigen Roman von<br />
Henry Farrell und dem Film von Robert Aldrich<br />
Premiere:<br />
02. März 2013 im <strong>Kammertheater</strong><br />
<strong>Schauspiel</strong><strong>Stuttgart</strong><br />
www.schauspiel-stuttgart.de
Besetzung:<br />
Jane Hudson, vormals Baby Jane,<br />
ehemaliger Kinderstar:<br />
Blanche Hudson, ihre Schwester,<br />
ehemaliger Filmstar:<br />
Elvira Stitts, ihre Haushaltshilfe:<br />
Edwin Flagg,<br />
ein arbeitsloser Musiker:<br />
Delia, seine Mutter:<br />
Samantha Bates, eine Nachbarin:<br />
Harriet Palmer, ihre Freundin,<br />
kürzlich erst zugezogen:<br />
Die Polizisten und<br />
der Schnapslieferant:<br />
Musik:<br />
Kinderstimme:<br />
Catherine Stoyan<br />
Corinna Harfouch<br />
Anna Windmüller<br />
Benjamin Grüter<br />
Katharina Ortmayr<br />
Dorothea Arnold<br />
Nora Quest<br />
Jan Jaroszek / Jan<br />
Krauter / Sebastian<br />
Röhrle / Michael Stiller<br />
Jens Dohle,<br />
Falk Effenberger<br />
Lotte Marlene Böwe<br />
Regie:<br />
Bühnenbild:<br />
Kostüme:<br />
Musik:<br />
Dramaturgie:<br />
Regieassistenz:<br />
Christian Weise<br />
Volker Hintermeier<br />
Andy Besuch<br />
Jens Dohle<br />
Christian Holtzhauer<br />
Sarah Schmid, Arne Bloch,<br />
Claudia Sennecke<br />
2
Bühnenbildassistenz:<br />
Kostümassistenz:<br />
Inspizient:<br />
Souffleur:<br />
Bühnenbildhospitanz:<br />
Kostümhospitanz:<br />
Line Sexauer<br />
Almuth Wehrle<br />
Bernd Lindner<br />
Ulf Wolter<br />
Claudia Frank<br />
Dorothee Schneider<br />
Technische Direktion: Karl-Heinz Mittelstädt / Technische<br />
Direktion <strong>Schauspiel</strong>: Reiner Darr / Technische Leitung:<br />
Benno Brösicke / Technische Einrichtung: Matthias Hennig /<br />
Licht: Reinhard Schaible / Technik: Roland Seiferling, Martin<br />
Schader, Thomas Heyden, Michael Guther, Richard Meinharth,<br />
Hafid Ait Ben Sadik / Beleuchtung: Günther Konopik, Jürgen<br />
Hommel, Viktor Bellmann, Oliver Scheuble / Ton: Herbert<br />
Schnarr, Markus Götze / Requisite: Dieter Bauche, Andreas<br />
Gsell, Robert Kraus / Maschinerie: Hans-Werner Schmidt /<br />
Leitung Dekorationswerkstätten: Bernhard Leykauf / Technische<br />
Produktionsbetreuung: Claudia Cramer-Bast / Malsaal:<br />
Lisa Fuß / Bildhauerei: Maik Glemser / Dekorationsabteilung:<br />
Heidi Lange / Schreinerei: Oliver Bundschuh / Schlosserei:<br />
Patrick Knopke / Leitung Maske: Markus Hoisl, Sabine Hellweg<br />
(Stv.) / Maske: Maja Ginger, Jutta Wennrich / Kostümdirektion:<br />
Werner Pick / Produktionsleitung Kostüme: Sabine Keller /<br />
Gewandmeisterinnen: Renate Jeschke, Corinna Walter (Damen),<br />
Anna Volk, Johanna Kaelcke (Herren) / Färberei: Martina Lutz,<br />
Claus Staudt / Rüstmeisterei: Achim Bitzer / Schuhmacherei:<br />
Alfred Budenz, Verena Bähr / Modisterei: Eike Schnatmann /<br />
Kunstgewerbe: Heidemarie Roos-Erdle, Daniel Strobel<br />
3
Es war<br />
einmal ...<br />
... vor langer, langer Zeit, da lebten hinter den Hügeln Hollywoods<br />
zwei Schwestern. Die eine, Blanche, war einst ein großer<br />
Filmstar. Seit ein tragischer Unfall sie vor dreißig Jahren an<br />
den Rollstuhl fesselte, ist ihre Karriere vorüber. Ihr makelloser<br />
Leinwandkörper ist jedoch jung und unversehrt geblieben, ihre<br />
alten Filme werden noch immer im Fernsehen gezeigt. Die andere<br />
Schwester war einst ebenfalls ein Star, ein Kinderstar in der<br />
großen Zeit des Varietés, bevor es vom Kino verdrängt wurde.<br />
Damals ernährte sie die Familie, die ihr Leben vollständig<br />
auf die Karriere der kleinen Bühnenprinzessin, die unter den<br />
Namen Baby Jane auftrat, ausgerichtet hatte. Als sie größer<br />
wurde, wollte sie ebenfalls zum Film, doch anders als ihre<br />
Schwester konnte sie in Hollywood nie so recht Fuß fassen.<br />
Der Autounfall, der ihre Schwester verkrüppelte, beendete auch<br />
ihre bescheidene Karriere, denn seither kümmert sie sich um<br />
Blanche, von deren Geld beide leben. Die Schwestern brauchen<br />
einander – und sie hassen sich zutiefst.<br />
Henry Farrells 1960 erschienener Roman whatever happened<br />
to baby jane ? erzählt eine uralte – um nicht zu sagen: archetypische<br />
– Geschichte neu. Es ist die Geschichte von Goldmarie<br />
und Pechmarie und vom Aschenputtel. Es ist die Geschichte<br />
4
von Kain und Abel, von Jakob und Esau und von Romulus und<br />
Remus, den verfeindeten Zwillingsbrüdern, die der Legende<br />
nach Rom gründeten. Es ist die Geschichte vom Streit bis hin<br />
zu tödlichem Hass zwischen Familienmitgliedern, die sich die<br />
Menschheit seit Tausenden von Jahren immer wieder erzählt.<br />
Auch das Theater greift seit der Antike mit Vorliebe auf Familienkonflikte<br />
als Triebfeder für die dramatische Handlung zurück.<br />
In der amerikanischen Kultur spielt die Familie eine besonders<br />
große Rolle, stellten doch die Beziehungen zwischen Verwandten<br />
während der Inbesitznahme Nordamerikas durch europäische<br />
Einwanderer das wichtigste soziale Bindemittel dar, um<br />
Menschen, die sich nicht auf eine gemeinsame Sprache, Kultur<br />
oder andere Sinn und Zusammenhalt stiftende Erzählungen<br />
berufen konnten, zusammenzuschweißen. Familiengeschichten<br />
sind daher ein zentrales Thema vieler amerikanischer Dramen,<br />
Romane und natürlich Filme.<br />
Es überrascht also nicht, dass Farrells Roman sofort nach<br />
seinem Erscheinen zu einem Drehbuch umgearbeitet wurde,<br />
zumal die Handlung des Roman ja dort spielte, wo Filme<br />
entstehen: In Hollywood. Wenig erstaunlich ist auch, dass<br />
der Regisseur Robert Aldrich, der sich mehrfach kritisch<br />
mit der Traumfabrik auseinandergesetzt hatte, sich dieses<br />
Stoffes annahm.<br />
Das Projekt wurde in Hollywood zunächst mit Argwohn<br />
betrachtet: Geschwisterkonflikte schön und gut, aber müssen<br />
es ausgerechnet ehemalige Filmstars sein, die sich bekriegen?<br />
Und müssen diese auch noch von ehemaligen Stars, nämlich<br />
Joan Crawford und Bette Davis, die beide schon über 50 waren<br />
5
und damit nach den Regeln Hollywoods als nicht mehr verwendbar<br />
galten, besetzt werden? Muss der Film schließlich in Mord<br />
und Totschlag enden und von psychischen Deformationen, Neid,<br />
Alkoholmissbrauch, von den gescheiterten Existenzen erzählen,<br />
von denen in Hollywood jeder wusste, in den dort produzierten<br />
Filmen selbst aber nichts zu sehen war?<br />
Obwohl die Vorzeichen alles andere als günstig standen, wurde<br />
der Film ein großer Erfolg. Er verlieh der Karriere von Bette<br />
Davis noch einmal einen kräftigen Schub und begründete ein<br />
eigenes Genre von Psychothrillern über Geschwisterkonflikte<br />
sowie Filmen mit »ausgedienten« Stars. Beflügelt wurde der<br />
Erfolg des Films durch Gerüchte über Streitigkeiten zwischen<br />
den Protagonistinnen. Was an diesen Gerüchten wahr war und<br />
was erfunden, lässt sich nicht mit Sicherheit ausmachen.<br />
Sowohl Crawford als auch Davis hielten aber noch Jahre später<br />
die Mär von der Feindschaft zwischen ihnen am Leben.<br />
Dass die Gerüchte über einen – echten oder inszenierten –<br />
Streit zwischen den beiden Diven die Zuschauer mindestens<br />
ebenso beschäftigten wie der Inhalt des Films selbst, dass hier<br />
wie in kaum einem anderen Film die Unterschiede zwischen<br />
den Darstellerinnen und den von ihnen dargestellten Figuren<br />
verschwammen, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Funktionsprinzipien<br />
des Marketingvehikels »Star«: Erst wir, die<br />
Zuschauer, machen den Star zu etwas Besonderem, heben<br />
ihn oder sie aus der Masse heraus. Zugleich sorgen aber die<br />
privaten Klatschgeschichten über gescheiterte Beziehungen,<br />
Drogenexzesse oder eben auch Konkurrenz und Neid dafür,<br />
dass der Star nicht nur wieder auf ein menschliches Maß<br />
6
zurechtgestutzt wird, sondern noch viel tiefer fällt, als wir uns<br />
das für uns jemals vorstellen können oder wollen.<br />
Das vielschichtige Verhältnis von Darsteller und Dargestelltem<br />
spielt in unserer Inszenierung was geschah mit baby jane?<br />
eine ebenso große Rolle wie das Thema der Romanvorlage –<br />
der Konflikt der miteinander erst um die Zuneigung der<br />
Eltern, dann um den Erfolg im Filmgeschäft konkurrierenden<br />
Schwestern. Denn bei uns spielen mit Corinna Harfouch und<br />
Catherine Stoyan zwei <strong>Schauspiel</strong>erinnen, die zugleich Schwestern<br />
sind, die Rollen der beiden Schwestern, die ebenfalls <strong>Schauspiel</strong>erinnen<br />
sind. Und da der Stoff nicht von der Verfilmung<br />
durch Robert Aldrich (der viele weitere Verfilmungen folgten)<br />
zu trennen ist, kommt noch eine weitere Folie hinzu: Das Spiel<br />
der <strong>Schauspiel</strong>erinnen unserer Inszenierung, die Schwestern<br />
sind und Schwestern spielen, kann immer auch ins Verhältnis<br />
gesetzt werden zum Spiel der <strong>Schauspiel</strong>erinnen Crawford<br />
und Davis, die den Konflikt zwischen den von ihnen verkörperten<br />
Figuren des Film angeblich auch hinter der Kamera fortsetzten.<br />
So entsteht ein höchst komplexes Vexierspiel, in dem <strong>Schauspiel</strong>er<br />
und Figur, Realität und Fiktion für den Zuschauer nicht ohne<br />
weiteres unterscheidbar sind. Für dieses Spiel mit Identitäten ist<br />
das Theater seit jeher der am besten geeignete Ort. Es erklärt<br />
sich daher von selbst, dass dieser als Film berühmt gewordene<br />
Stoff unbedingt auf die Bühne gehört.<br />
Christian Holtzhauer<br />
7
Frau Holle,<br />
oder: Goldmarie<br />
und Pechmarie<br />
Eine Witwe hatte zwei Töchter, davon war die eine schön<br />
und fleißig, die andere hässlich und faul. Sie hatte aber<br />
die hässliche und faule, weil sie ihre rechte Tochter war,<br />
viel lieber, und die andere musste alle Arbeit tun und der<br />
Aschenputtel im Hause sein. Das arme Mädchen musste sich<br />
täglich auf die große Straße bei einem Brunnen setzen und<br />
so viel spinnen, dass ihm das Blut aus den Fingern sprang.<br />
Nun trug es sich zu, dass die Spule einmal ganz blutig war,<br />
da bückte es sich damit in den Brunnen und wollte sie abwaschen:<br />
sie sprang ihm aber aus der Hand und fiel hinab.<br />
Es weinte, lief zur Stiefmutter und erzählte ihr das Unglück.<br />
Sie schalt es heftig und war so unbarmherzig, dass sie sprach:<br />
»Hast du die Spule hinunterfallen lassen, so hol sie auch<br />
wieder heraus!«<br />
Da ging das Mädchen zu dem Brunnen zurück und wusste nicht,<br />
was es anfangen sollte. In seiner Herzensangst sprang es<br />
in den Brunnen hinein, um die Spule zu holen. Es verlor die<br />
Besinnung, und als es erwachte und wieder zu sich selber<br />
kam, war es auf einer schönen Wiese wo die Sonne schien und<br />
viele tausend Blumen standen. Auf dieser Wiese ging es<br />
8
fort und kam zu einem Backofen, der war voller Brot;<br />
das Brot aber rief:<br />
»Ach, zieh mich raus, zieh mich raus, sonst verbrenne ich.<br />
Ich bin schon längst ausgebacken.«<br />
Da trat es herzu und holte mit dem Brotschieber alles<br />
nach einander heraus. Danach ging es weiter und kam zu<br />
einem Baum, der hing voll Äpfel. Er rief ihm zu:<br />
»Ach schüttle mich, schüttle mich, die Äpfel sind alle mit<br />
einander reif.«<br />
Da schüttelte es den Baum, dass die Äpfel fielen als<br />
regneten sie, und schüttelte bis keiner mehr oben war;<br />
und als es alle in einen Haufen zusammengelegt hatte,<br />
ging es wieder weiter. Endlich kam es zu einem kleinen Haus,<br />
daraus guckte eine alte Frau, weil sie aber so große<br />
Zähne hatte, ward ihm Angst und es wollte fortlaufen.<br />
Die alte Frau aber rief ihm nach:<br />
»Was fürchtest du dich, liebes Kind? Bleib bei mir, wenn<br />
du alle Arbeit im Hause ordentlich tun willst, so soll es dir<br />
gut gehen. Du musst nur Acht geben, dass du mein Bett<br />
gut machst und es fleißig aufschüttelst, dass die Federn<br />
fliegen, dann schneit es in der Welt. Ich bin die Frau Holle.«<br />
Weil die Alte ihm so gut zusprach, fasste sich das Mädchen ein<br />
Herz, willigte ein und begab sich in ihren Dienst. Es besorgte<br />
auch alles nach ihrer Zufriedenheit und schüttelte ihr das<br />
Bett immer gewaltig auf, dass die Federn wie Schneeflocken<br />
9
umher flogen; dafür hatte es auch ein gutes Leben bei ihr,<br />
kein böses Wort und alle Tage Gesottenes und Gebratenes.<br />
Nun war es eine Zeitlang bei der Frau Holle, da ward es traurig<br />
und wusste anfangs selbst nicht, was ihm fehlte. Endlich<br />
merkte es, dass es Heimweh war; obgleich es ihm hier viel<br />
tausendmal besser ging als zu Hause, so hatte es doch<br />
ein Verlangen dahin. Endlich sagte es zur Frau Holle:<br />
»Ich habe den Jammer nach Haus gekriegt, und wenn es<br />
mir auch noch so gut hier unten geht, so kann ich doch nicht<br />
länger bleiben, ich muss wieder hinauf zu den Meinigen.«<br />
Die Frau Holle sagte:<br />
»Es gefällt mir, dass du wieder nach Haus verlangst, und<br />
weil du mir so treu gedient hast, so will ich dich selbst wieder<br />
hinauf bringen.«<br />
Sie nahm es darauf bei der Hand und führte es vor ein<br />
großes Tor. Das Tor ward aufgetan, und wie das Mädchen<br />
gerade darunter stand, fiel ein gewaltiger Goldregen, und<br />
alles Gold blieb an ihm hängen, so dass es über und über<br />
davon bedeckt war.<br />
»Das sollst du haben, weil du so fleißig gewesen bist«<br />
sprach die Frau Holle und gab ihm auch die Spule wieder,<br />
die ihm in den Brunnen gefallen war. Darauf ward das Tor<br />
verschlossen, und das Mädchen befand sich oben auf der<br />
Welt, nicht weit von seiner Mutter Haus. Als es in den Hof<br />
kam, saß der Hahn auf dem Brunnen und rief:<br />
10
»Kikeriki, kikeriki, unsere goldene Jungfrau ist wieder hie«.<br />
Da ging es hinein zu seiner Mutter, und weil es so mit<br />
Gold bedeckt ankam, ward es von ihr und der Schwester gut<br />
aufgenommen. Das Mädchen erzählte alles, was ihm begegnet<br />
war, und als die Mutter hörte, wie es zu dem großen Reichtum<br />
gekommen war, wollte sie der hässlichen und faulen Tochter<br />
gerne dasselbe Glück verschaffen. Sie musste sich an den<br />
Brunnen setzen und spinnen; und damit ihre Spule blutig<br />
ward, stach sie sich in die Finger und stieß die Hand in die<br />
Dornenhecke. Dann warf sie die Spule in den Brunnen und<br />
sprang selber hinein. Sie kam, wie die andere, auf die schöne<br />
Wiese und ging auf demselben Pfade weiter. Als sie zu dem<br />
Backofen gelangte, schrie das Brot wieder:<br />
»Ach, zieh mich raus, zieh mich raus, sonst verbrenne ich,<br />
ich bin schon längst ausgebacken.«<br />
Die Faule aber antwortete:<br />
»Da hätte ich Lust mich schmutzig zu machen«<br />
und ging fort. Bald kam sie zu dem Apfelbaum, der rief:<br />
»Ach, schüttle mich, schüttle mich, wir Äpfel sind alle mit<br />
einander reif.«<br />
Sie antwortete aber:<br />
»Du kommst mir recht, es könnte mir einer auf den Kopf fallen«<br />
und ging damit weiter. Als sie vor der Frau Holle Haus kam,<br />
fürchtete sie sich nicht, weil sie von ihren großen Zähnen<br />
schon gehört hatte, und verdingte sich gleich bei ihr.<br />
11
Am ersten Tag tat sie sich Gewalt an, war fleißig und folgte<br />
der Frau Holle, wenn sie ihr etwas sagte, denn sie dachte<br />
an das viele Gold, das sie ihr schenken würde; am zweiten Tag<br />
aber fing sie schon an zu faulenzen, am dritten noch mehr,<br />
da wollte sie morgens gar nicht aufstehen. Sie machte auch<br />
der Frau Holle das Bett nicht, wie es sich gebührte, und<br />
schüttelte es nicht, dass die Federn aufflogen. Das ward<br />
die Frau Holle bald müde und sagte ihr den Dienst auf.<br />
Die Faule war das wohl zufrieden und meinte, nun würde der<br />
Goldregen kommen; die Frau Holle führte sie auch zu dem<br />
Tor, als sie aber da runter stand, ward statt des Goldes ein<br />
großer Kessel voll Pech ausgeschüttet.<br />
»Das ist zur Belohnung deiner Dienste«<br />
sagte die Frau Holle und schloss das Tor zu. Da kam die Faule<br />
heim, aber sie war ganz mit Pech bedeckt, und der Hahn auf<br />
dem Brunnen, als er sie sah, rief:<br />
»Kikeriki, kikeriki, unsere schmutzige Jungfrau ist wieder hie«.<br />
Das Pech aber blieb fest an ihr hängen und wollte, so lange<br />
sie lebte, nicht abgehen.<br />
12
Dinge, die Sie beachten sollten, bevor Sie<br />
eine Eintrittskarte für<br />
diesen Film kaufen:<br />
1) Sollten Sie ein langjähriger<br />
Fan von Miss Davis und Miss<br />
Crawford sein, beachten Sie bitte,<br />
dass dieser Film anders als<br />
alle anderen Filme ist, die die<br />
beiden jemals gedreht haben.<br />
2) Sie sollten den Film<br />
unbedingt von Beginn an sehen.<br />
14
3) Seien Sie auf makabre<br />
und furchteinflößende Szenen<br />
gefasst.<br />
4) Erzählen Sie bitte den<br />
schockierenden Höhepunkt des<br />
Films nicht weiter.<br />
5) Wenn die Spannung unerträglich<br />
wird, versuchen Sie bitte<br />
daran zu denken, dass es sich<br />
nur um einen Spielfilm handelt.<br />
(Warnhinweise auf dem Original-Kinoplakat von<br />
»Whatever Happened to Baby Jane?«)<br />
15
letter to Daddy<br />
I've written a letter to Daddy<br />
His address is heaven above.<br />
I've written, dear Daddy,<br />
We miss you<br />
And wish you were with us to love.<br />
Instead of a stamp I put kisses.<br />
The postman says that's best to do.<br />
I've written this letter to Daddy<br />
Saying, I love you.<br />
I've written a letter to Daddy<br />
Saying, I love you.<br />
Now when I'm very good<br />
And do as I am told<br />
I'm Mama's little angel<br />
And Papa says I'm good as gold.<br />
But when I'm very bad<br />
And answer back and sass<br />
Then I'm Mama's little devil<br />
And Papa says I've got the brass.<br />
Now I wish that you would tell me<br />
Cause I'm much too young to know ...<br />
16
BLANCHE:<br />
Ja, ich habe Dich gehasst.<br />
Als Kind musste ich immer<br />
wieder hÖren, wieviel Du<br />
konntest, wie berÜhmt Du<br />
warst, und dass ich Dir<br />
alles verdankte:<br />
die Kleider, die ich trug,<br />
das Essen, das auf dem<br />
Tisch stand. Ich hasste<br />
Daddy, weil er immer nur<br />
bei Dir sein wollte und<br />
mich fortschickte ...<br />
19
Mag sein,<br />
dass es<br />
einen Himmel<br />
gibt. Aber<br />
wenn Joan<br />
Crawford<br />
dort ist, will<br />
ich da nicht<br />
hin.<br />
Bette Davis über Joan Crawford<br />
20
Zwischen Joan und mir gab es viele Unterschiede. Ich mag mich<br />
selbst, habe mich schon immer gemocht. Auch wenn ich Lehrerin<br />
oder so etwas wäre, würde ich mich und mein Leben mögen.<br />
Selbst als ich mir mal wünschte, hübscher zu sein, mochte ich<br />
immer noch meine Persönlichkeit und mein Talent. Ich bin nicht<br />
<strong>Schauspiel</strong>erin geworden, um vor mir selbst zu fliehen, wie so viele<br />
andere <strong>Schauspiel</strong>er. Vielleicht war die Bedeutung, die Joan<br />
ihrem Image beimaß, Ausdruck ihres Wunsches, sich selbst oder<br />
ihrer Vergangenheit zu entkommen, sich zu verwandeln. Ich<br />
möchte mich nicht verwandeln, außer im Studio. Ich möchte mit<br />
meiner Kunst etwas Besonderes hinterlassen für zukünftige<br />
Generationen, und nicht nur ein glamouröses Leben führen und<br />
teure Kleidung tragen.<br />
Joan und ich waren nie gute Freunde. Ich bewundere sie, aber<br />
ich fühle mich gleichzeitig nicht wohl in ihrer Nähe. Für mich<br />
ist sie der Inbegriff eines Filmstars. Ich hatte immer das Gefühl,<br />
ihre größte Rolle ist joan crawford als joan crawford.<br />
π Bette Davis<br />
21
Die Diva rechnet<br />
immer mit dem<br />
Blick des<br />
Anderen. Selbst<br />
in der intimsten,<br />
innigsten<br />
Situation fÄllt<br />
sie nie aus<br />
der Pose.<br />
π Elisabeth Bronfen<br />
23
Immer noch ein Star<br />
Joan Crawford über »Was geschah mit Baby Jane?«<br />
Ich habe noch immer Albträume wegen dieses Films. Ich weiß,<br />
dass er nie hätte gedreht werden dürfen, aber ich weiß auch,<br />
warum er gedreht werden musste. Ich war einsam, langweilte<br />
mich entsetzlich – und ich brauchte das Geld. Es war ein gutes<br />
Drehbuch, und Robert Aldrich hat fest daran geglaubt.<br />
Aber niemand wollte den Film finanzieren, niemand glaubte, dass<br />
Bette Davis oder ich genügend Anziehungskraft haben würden,<br />
um die Leute ins Kino zu locken. Irgendwie kam dann doch etwas<br />
Geld zusammen, aber so wenig, dass wir den Film unglaublich<br />
schnell abdrehen und viele Innen- und sogar Außendrehs improvisieren<br />
mussten. Es war, als ob wir eine Nachrichtensendung<br />
filmen würden, keinen Spielfilm.<br />
Ich war die ganzen Dreharbeiten über angespannt, nervös und<br />
wahnsinnig unglücklich, aber wahrscheinlich hat das niemand<br />
bemerkt. Es passte ja zu mir. Also zu der Figur, die ich spielte.<br />
Aldrichs Presseleute waren sich sicher, dass der Film am<br />
meisten Aufmerksamkeit erhalten würde, wenn es eine große<br />
Geschichte über einen Streit zwischen Bette und mir gäbe.<br />
Sie hatten damit nicht ganz unrecht. Bevor die Dreharbeiten<br />
losgingen, bezeichnete Bette mich in einem Interview als<br />
»Filmstar«, während sie von sich selbst als »<strong>Schauspiel</strong>erin«<br />
sprach. Ich weiß immer noch nicht genau, was sie damit meinte.<br />
Gut, ich war nie eine Theater schauspielerin, aber was war denn<br />
aus ihr geworden wenn nicht ein Filmstar?<br />
24
Ich war zudem ja für die Bühne ausgebildet, und nun wetteiferten<br />
wir mit einander im selben Medium – waren wir also nicht<br />
beide <strong>Schauspiel</strong>erinnen? Filmstars? Gewesene Filmstars? Was<br />
auch immer? Außerdem hat sie keinerlei Grund für diese Art von<br />
Hochnäsigkeit. Sie kommt auf fast ebenso viele gescheiterte<br />
Ehen, unglückliche Kinder und finanzielle Probleme wie ich. Und<br />
ich finde sie wirklich nicht so herausragend, aber da ich sie<br />
sehr bewundere, kann ich sie irgendwie nicht nicht mögen.<br />
Ich bin nicht blind in die Dreharbeiten gegangen. Ich wusste,<br />
dass Bette die besten Szenen hatte, dass sie mich immer überflügeln<br />
könnte. Ich spielte einen Krüppel und sie eine Wahnsinnige.<br />
Die Wahnsinnigen schneiden auf der Leinwand immer besser<br />
ab. Aber wir haben uns nie in dem Maße gestritten, wie es das<br />
Publikum gerne geglaubt hätte. Wir waren keine Freudinnen,<br />
aber wir sind miteinander ausgekommen. Und als der Film<br />
abgedreht war, bin ich zurück nach New York gereist und Bette<br />
nach Connecticut oder wohin auch immer, und seither haben<br />
sich unsere Wege nicht mehr gekreuzt.<br />
Am Ende der Dreharbeiten war ich völlig erschöpft – körperlich<br />
und emotional. Irgendwann wurde mir klar, dass es ein guter<br />
Film werden würde, und dass die große »<strong>Schauspiel</strong>erin« den armseligen<br />
»Filmstar« nicht besiegt hatte. Gewiss, sie hat mir die<br />
meisten meiner Szenen kaputt gemacht, aber wenn ich den Film<br />
wieder anschaue, dann fällt mir auf, dass sie die Szenen kaputt<br />
gemacht hat, weil sie wie eine Parodie ihrer selbst aussieht,<br />
während ich immer noch wie ein Star wirke.<br />
25
Jane:<br />
Es ist alles wieder<br />
wie frÜher.<br />
Nur weil ich auf der<br />
BÜhne stand, hattest<br />
Du was zu essen.<br />
Jetzt bist Du wieder<br />
von mir abhÄngig,<br />
so wie frÜher.<br />
26
Blanche:<br />
Jane ist meine<br />
Schwester.<br />
Sie hat mich all<br />
die Jahre gepflegt,<br />
umsorgt und<br />
beschÜtzt.<br />
Sie ist der einzige<br />
Mensch, den ich<br />
auf der Welt habe.<br />
27
helden und stars<br />
Der französische Philosoph Roland Barthes hat die Massenkultur<br />
einmal treffend mit einer Maschine verglichen, die unser<br />
kollektives Begehren sichtbar macht. Sie diktiert, was uns<br />
interessieren soll, als wären wir ohne diese äußere Hilfe unfähig<br />
herauszufinden, was wir begehren. Wie sehr die Objekte, die<br />
wir mit unseren Phantasien besetzen, von der Kulturindustrie<br />
bereitgestellt werden, wird jedoch nirgends so deutlich, wie<br />
beim Phänomen des Stars. Am Star werden Erzählungen festgemacht,<br />
die für uns Modellcharakter haben, weil sie der<br />
Verlaufskurve jener alten Geschichten folgen, die kulturell<br />
immer schon in Umlauf gesetzt wurden, um Antworten auf<br />
Sinnfragen zu liefern.<br />
In diesem Sinne stellt der Star sich meist als Verschränkung<br />
von Erlösungs- und Identifikationsfigur zur Schau. Wir haben<br />
immer schon Figuren gebraucht, die wir aufgrund ihrer Persönlichkeit,<br />
ihrer Leistungen und ihrer öffentlichen Wirkung<br />
bewundern können, um die Wunden zu heilen und die Mängel<br />
zu glätten, die sich in jeder kulturellen Gemeinschaft ergeben.<br />
Brisant an dem Umstand, dass wir seit Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
dazu tendieren, den klassischen Helden durch den Star<br />
zu ersetzen, ist vor allem die Verschmelzung von öffentlicher<br />
und privater Person, die den Starkörper kennzeichnet. Denn<br />
wenn der klassische Held dadurch der kollektiven Sinnstiftung<br />
diente, dass er denkwürdige und meisterhafte Taten vollbrachte,<br />
so hält der Star sein Publikum vor allem durch Einblicke in<br />
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seine Intimsphäre in Bann. Nicht die glorreichen kriegerischen,<br />
politischen oder philosophischen Leistungen faszinieren,<br />
sondern die Geschichte, wie ein Star geboren wird und welches<br />
Schicksal er erfährt, also sein physischer und psychischer Privatkampf.<br />
Die Berühmtheit des Stars ist weniger als Krönung<br />
irdischer Leistungen zu verstehen, sie beinhaltet vielmehr eine<br />
psychische Medizin gegen ein universelles Gefühl des Verlusts<br />
und des persönlichen Scheiterns, das unsere moderne Kultur<br />
kennzeichnet: eine Kompensation für die Brüche und Spaltungen,<br />
die sich in unserem individuellen und kollektiven Selbstverständnis<br />
ergeben haben. Denn die prototypische Stargeschichte<br />
hat meist ein versehrtes Individuum zur Hauptfigur,<br />
dessen Wunden durch den Blick des Publikums und die<br />
mediale Aufmerksamkeit, die es dank der gewonnenen Berühmtheit<br />
narzisstisch auf sich zieht, geheilt werden können. Die<br />
endlos reproduzierte Lebensgeschichte des Stars enthält zwei<br />
Teile. Im ersten erfolgt der Triumph, nachdem persönliche<br />
Schwierigkeiten und Hemmnisse überwunden wurden. Danach,<br />
mit der ersehnten Berühmtheit, beginnt eine Geschichte der<br />
Rache und Vergeltung, in der der Star vom Schicksal zerstört wird:<br />
durch selbstverschuldetes Scheitern, durch unglückliche Zufälle<br />
oder durch eine Fehleinschätzung der Macht des Publikums.<br />
π Elisabeth Bronfen<br />
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BerÜhmt, vergessen,<br />
was dann?<br />
Unbekannte <strong>Schauspiel</strong>er haben es schwer. Und noch viel<br />
schwerer, wenn sie früher mal berühmt waren und wissen, wie<br />
sich Erfolg anfühlt. »Man findet keine Rollen mehr«, erklärt<br />
Patrick Bach. »Das war in den Achtzigern und Neunzigern noch<br />
anders. Heute werden von den Sendern 60 bis 80 Filme im Jahr<br />
gestrichen, die in den Produktionsetats noch vorgesehen waren.<br />
Ein kontinuierlicher Rückgang seit Jahren.« Der damit zusammenhängt,<br />
dass es immer mehr Realityshows gibt und immer<br />
weniger Filme, die mit <strong>Schauspiel</strong>ern produziert werden.<br />
Bach, der 1981 in der Fernsehserie silas über Nacht zum Star<br />
wurde, arbeitet inzwischen hauptsächlich als Synchronsprecher.<br />
Ein großer Fernsehstar wurde er nie wieder.<br />
Jenseits der Landesgrenzen sieht es nicht besser aus: Inger<br />
Nilsson, die schwedische Pippi Langstrumpf von 1969, arbeitete<br />
nach ihrer Schulzeit als Sekretärin, hatte danach nur noch<br />
kleinere Rollen und ging vor drei Jahren ins schwedische<br />
dschungelcamp. Bei Heintje kam der Karriereknick mit<br />
dem Stimmbruch, und auch Macaulay Culkin, der ehemalige<br />
Kinderstar aus kevin allein zu haus, konnte seinen Erfolg<br />
nicht ins Erwachsenenalter retten. Selbst Daniel Radcliffe<br />
sorgte sich gegen Ende der Dreharbeiten von Harry Potter:<br />
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»Vielleicht werden sie mich bald nicht mehr haben wollen,<br />
weil ich zu groß bin oder Pickel bekomme.« Das Verfallsdatum<br />
für den Ruhm von Kinderstars ist nur wenig länger als das<br />
von ungeöffneter H-Milch. Aber warum eigentlich?<br />
Bernhard Hoestermann, Geschäftsführer der gleichnamigen<br />
<strong>Schauspiel</strong>agentur, sieht vor allem die <strong>Schauspiel</strong>er selbst in<br />
der Verantwortung: »Wenn ein Kinderstar es nicht schafft,<br />
die unschuldige Natürlichkeit, mit der er seine frühen Rollen<br />
gespielt hat, durch einen größeren Reichtum von Ausdrucksmöglichkeiten<br />
im Erwachsenenalter zu ersetzen, wird er Probleme<br />
bekommen. Es gibt diese Kinderrollen für Erwachsene nicht,<br />
und wenn sich ein ehemaliger Kinderschauspieler nicht weiterentwickelt,<br />
wird er von Film zu Film eintöniger wirken.«<br />
Allerdings weiß auch Hoestermann, der seit 22 Jahren im<br />
Geschäft ist, dass Talent nicht allein über Erfolg bestimmt:<br />
»Die <strong>Schauspiel</strong>erei kann ein Pakt mit dem Teufel sein. Selbst<br />
gute <strong>Schauspiel</strong>er können nicht unbedingt von ihrem Beruf<br />
leben, geschweige denn werden sie auf der Straße erkannt.<br />
Objemand zum Star wird, ist zu weiten Teilen unabhängig<br />
davon, was er kann.«<br />
π Katrin Hummel<br />
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In unserer Medienlandschaft, die von einem wahllosen, aber<br />
unstillbaren Verlangen nach celebrities geprägt ist, deren<br />
öffentliches Erscheinungsbild immer mehr zum Ersatz wird<br />
für den unbefriedigenden Alltag der Fans, halten sich der<br />
kommerzielle Druck auf die Medien, immer neue Stars zu<br />
pro duzieren, und der Drang, selbst ein Star zu sein, die Waage.<br />
Da unsere allseits medialisierte Alltagswelt das von jeder<br />
Verankerung in der Realität losgelöste Simulacrum bevorzugt<br />
und die Botschaft predigt, dass nur der wirklich existiert,<br />
der, gleich einem Star, als Medienbild in Umlauf gesetzt worden<br />
ist, bieten uns Reality TV, Talk- und Gameshows sowie selbstgebastelte<br />
Websites zum ersten Mal die Gelegenheit, die Sehnsucht<br />
nach Berühmtheit ausleben zu können. Jeder kann heute<br />
zum Star werden, wenn auch nur für wenige Minuten.<br />
Was früher den Begabten, Ehrgeizigen und Beharrlichen<br />
vor behalten war, die sich durch besondere Leistungen oder<br />
besonderes Talent auszeichneten, ist heute Allgemeingut<br />
geworden. Jeder kann eine Pose einnehmen, jeder kann zum<br />
Bild werden. Man muss sich nicht mehr damit begnügen, den<br />
Star zu vergöttern oder nachzuahmen. Man kann sich heute<br />
selbst zum Star erklären.<br />
π Elisabeth Bronfen<br />
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