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Hannah Arendt ¨uber politisches Handeln - Humboldt-Universität zu ...

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Martin Rippel<br />

<strong>Hannah</strong> <strong>Arendt</strong> über <strong>politisches</strong> <strong>Handeln</strong><br />

Mitschriften des Seminars von Eva von Radecker (Wintersemester 2010 / 2011)


Inhaltsverzeichnis<br />

0.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2<br />

0.2 Eva von Redecker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2<br />

0.3 <strong>Hannah</strong> <strong>Arendt</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2<br />

0.3.1 Kurzporträt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2<br />

0.3.2 Biographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />

1 ”<br />

Der Sinn von Politik“ in: ”Was ist Politik?” 4<br />

2 AG1 - Das Konzentrationslager 4<br />

2.1 <strong>zu</strong>m Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4<br />

2.2 Textmitschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4<br />

2.3 Sit<strong>zu</strong>ng am 04.11.2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6<br />

3 AG2 - Die menschliche Bedingtheit 7<br />

3.1 <strong>zu</strong>m Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />

3.2 Textmitschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />

3.3 Sit<strong>zu</strong>ng am 11.11.2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />

4 AG3 - Das <strong>Handeln</strong> (Abschnitt 24 und 25) 9<br />

4.1 <strong>zu</strong>m Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />

4.2 Textmitschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10<br />

4.3 Sit<strong>zu</strong>ng am 18.11.2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />

5 AG4 - Das <strong>Handeln</strong> (Abschnitt 26 und 27) 12<br />

5.1 <strong>zu</strong>m Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12<br />

5.2 Textmitschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12<br />

5.3 Sit<strong>zu</strong>ng am 25.11.2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />

Literatur 15<br />

1


0.1 Einführung<br />

Was ist politisch? Wie wird etwas politisch? Was macht Menschen als ”politische Wesen” aus? Gibt es überhaupt eine<br />

andere Politik, als den Kampf von Interessenvertretern um die Macht? Und wenn <strong>Arendt</strong> das bejaht, vertritt sie damit<br />

ein verklärtes Bild der griechischen Polis oder utopische Strukturen, die sich höchstens im basisdemokratischen<br />

Hausprojekt verwirklichen lassen? Oder wird ihr Politikbegriff angesichts von Globalisierung(skritik) und Internetforen<br />

gerade erst richtig aktuell? Kann Politik eine Lebensform sein? Und was steht ihr im Wege?<br />

Im Seminar wollen wir <strong>Arendt</strong>s Theorie des politischen <strong>Handeln</strong>s, die sie in vita activa entwickelt, studieren. Außerdem<br />

soll nachvollzogen werden, wie <strong>Arendt</strong>s Analyse des Totalitarismus auf der einen und der kurzlebigen revolutionären<br />

Räteregierungen auf der anderen Seite ihr Politikverständnis prägen. Als Ausblick gehen wir <strong>zu</strong>m Schluss kurz auf<br />

die Rolle des politischen Urteils in <strong>Arendt</strong>s Philosophie ein.<br />

Quelle: Kommentar aus dem Vorlesungsverzeichnis<br />

0.2 Eva von Redecker<br />

Eva von Redecker ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für politische Philosophie,<br />

Sozial- und Rechtsphilosophie. Nach dem sie ihr Studium der Philosophie, Literaturwissenschaft<br />

und Geschichte in Kiel, Tübingen, Cambridge und Potsdam 2009 mit einer<br />

Arbeit <strong>zu</strong> <strong>Hannah</strong> <strong>Arendt</strong>s Moralphilosophie ( ”<br />

Gravitation <strong>zu</strong>m Guten. <strong>Hannah</strong> <strong>Arendt</strong>s Begründung<br />

der Moralphilosophie im Leben des Geistes”) abgeschlossen hat, liegen ihre Forschungsinteressen<br />

nun im Bereich der Sozialphilosophie und kritischen Theorie, sowohl in<br />

der Tradition der Frankfurter Schule als auch aus der Perspektive von feministischer und<br />

Queer Theorie.<br />

In ihrer Promotion unter dem Arbeitstitel “Alles andere als Revolution? Zur Theorie radikalen<br />

sozialen Wandels” versucht sie Machtanalyse und Anerkennungstheorie so <strong>zu</strong> kombinieren,<br />

dass sich damit Möglichkeiten und Implikationen von radikalem Wandel auf der<br />

Ebene von Lebensformen fassen lassen.<br />

Kürzlich stellte sie das Manuskript für eine Einführung <strong>zu</strong>r Philosophie Judith Butlers (Zur Aktualität von Judith Butler.<br />

Eine Einleitung in ihr Werk, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaft, im Erscheinen 2011) fertig.<br />

Quelle: Institut für Philosophie der <strong>Humboldt</strong> <strong>Universität</strong> <strong>zu</strong> Berlin<br />

0.3 <strong>Hannah</strong> <strong>Arendt</strong><br />

0.3.1 Kurzporträt<br />

Ihr Leben wurde entscheidend geprägt vom Totalitarismus. Auf ihn und ein Verstehen seiner Ursachen richtete sich ihr<br />

Denken in erster Linie. Eine Biographie, wie sie nur das 20. Jahrhundert hervorbringen konnte, und eine Philosophie,<br />

die ebenso notwendig mit den Katastrophen ihrer Zeit verbunden ist, wenden sich mit <strong>Hannah</strong> <strong>Arendt</strong> an die Bürger<br />

demokratischer Gesellschaften – mit eindeutiger Botschaft.<br />

Sie wandelte sich von der zionistischen Aktivistin <strong>zu</strong>r streitbaren Philosophin, von der leidenschaftlichen Journalistin<br />

<strong>zu</strong>r ernsthaften Theoretikerin. Leben und Werk der Politikwissenschaftlerin <strong>Hannah</strong> <strong>Arendt</strong> haben in der deutschen<br />

Öffentlichkeit nach wie vor eine singuläre Wirkung. Nach ihr werden Schulen und Straßen benannt, ihr sind ein<br />

Forschungsinstitut und ein Preis für <strong>politisches</strong> Denken gewidmet. Längst ist die einst so umstrittene Publizistin<br />

<strong>zu</strong> einer Ikone freiheitlichen Denkens und einer Art Vorzeige-Intellektuellen geworden. Die, die aus Deutschland<br />

vertrieben wurde und im ”Land der Freiheit” eine neue Heimat fand, wurde gerade in Deutschland mit Preisen und<br />

Ehrungen überhäuft.<br />

Ihr philosophisches Hauptwerk Vita activa oder Vom tätigen Leben wendet sich eher handlungstheoretischen Fragen<br />

<strong>zu</strong>. <strong>Arendt</strong> unterscheidet zwischen der ”Arbeit” als der unmittelbar lebenserhaltenden Tätigkeit, dem ”Herstellen” als<br />

der vergegenständlichenden Tätigkeit und dem ”<strong>Handeln</strong>” als der echten und höchsten Tätigkeit, in der die Menschen<br />

miteinander in Interaktion treten. Dies versteht <strong>Arendt</strong> vor allem im Sinne einer politischen Praxis. Ihr ist es um ein<br />

<strong>Handeln</strong> in Verantwortung für sich und andere <strong>zu</strong> tun, um Respekt und Pluralität der Meinungen.<br />

Quelle: Goethe Institut<br />

2


0.3.2 Biographie<br />

1906 Am 14. Oktober 1906 wird <strong>Hannah</strong> <strong>Arendt</strong> als Tochter des Ingenieurs Paul <strong>Arendt</strong> und dessen Frau Martha<br />

(geb. Cohn) in Linden (bei Hannover) geboren. Sie wächst in einem sozialdemokratischen jüdisch-assimilierten<br />

Elternhaus in Königsberg auf.<br />

1924 Studium der Philosophie, Theologie und Klassischen Philologie in Marburg, Freiburg im Breisgau und Heidelberg.<br />

Philosophie studiert sie in Marburg bei Martin Heidegger, in Freiburg im Breisgau bei Edmund Husserl<br />

(1858-1938) und in Heidelberg bei Karl Jaspers, dem sie ihr Leben lang verbunden bleibt.<br />

1928 Promotion über den ”Liebesbegriff bei Augustin” in Heidelberg bei Karl Jaspers.<br />

1929 Übersiedlung nach Berlin, wo sie den Philosophen Günther Anders (vormals Stern) heiratet. Die Ehe wird 1937<br />

geschieden. <strong>Arendt</strong> beginnt mit Forschungen <strong>zu</strong>r deutschen Romantik, die durch ein Stipendium der ”Notgemeinschaft<br />

der Deutschen Wissenschaft” gefördert werden. Ihre Studien sind 1933 in wesentlichen Teilen<br />

beendet, erscheinen aber erst 1959 unter dem Titel ”Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen<br />

Jüdin aus der Romantik”. In dieser für sie selbst wichtigen Auseinanderset<strong>zu</strong>ng mit den Bedingungen der gesellschaftlichen<br />

Assimilation von Juden versucht sie erstmals, das jüdische Dasein existenzphilosophisch <strong>zu</strong><br />

erfassen.<br />

1933 Nach einer kurzen Inhaftierung durch die Geheime Staatspolizei (Gestapo) flieht sie über Karlsbad und Genf<br />

nach Paris, wo sie als Sozialarbeiterin bei verschiedenen jüdischen Organisationen arbeitet. Mitgliedschaft in<br />

der World Zionist Organization (bis 1943). Beginn der Freundschaft mit Walter Benjamin.<br />

1935 Erste Reise nach Palästina.<br />

1940 Heirat mit dem Philosophiedozenten Heinrich Blücher.<br />

1944 Forschungsleiterin der Conference on Jewish Relations.<br />

1946 Cheflektorin im Salman Schocken Verlag.<br />

1948 Direktorin der Jewish Cultural Reconstruction Organization <strong>zu</strong>r Rettung jüdischen Kulturguts.<br />

1949 In dieser Funktion reist sie erstmals nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder nach Deutschland.<br />

1951 <strong>Arendt</strong> erhält die amerikanische Staatsbürgerschaft. In ihrem Hauptwerk ”Origins of Totalitarianism” (deutsch<br />

”Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft”, 1955) verbindet sie die Entstehungsbedingungen von nationalstaatlichem<br />

Totalitarismus im 19. Jahrhundert mit der Entstehung des Antisemitismus. Mit ihrem Totalitarismusbegriff<br />

untersucht sie außerdem die strukturelle Gleichheit von Faschismus und Stalinismus. Diese Arbeit<br />

etabliert sie als eine bedeutende gesellschafts- und politikwissenschaftliche Theoretikerin.<br />

1953 Nach mehreren Gastvorlesungen u. a. in Princeton und Harvard erhält sie eine Professur am Brooklyn College<br />

in New York.<br />

1958 <strong>Arendt</strong> wird korrespondierendes Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.<br />

1959 Lessing-Preis der Stadt Hamburg.<br />

1960 In ihrer handlungstheoretischen Untersuchung ”Vita activa oder vom tätigen Leben” unterscheidet sie drei Typen<br />

menschlicher Aktivität: die Arbeit, das Herstellen und das <strong>Handeln</strong>. <strong>Arendt</strong> analysiert, daß seit dem Beginn der<br />

Moderne die Arbeit <strong>zu</strong> Lasten der politischen Handlungsfreiheit überhöht wird.<br />

1961 Berichterstattung über den Eichmann-Prozeß in Jerusalem für die Zeitschrift ”New Yorker”. Ihre Beiträge werden<br />

wegen der Kritik am Verhalten der Judenräte sowie der Darstellung Adolf Eichmanns selbst und seiner Motive<br />

kontrovers diskutiert.<br />

1963 Ihre Artikel erscheinen als Buchform unter dem Titel ”Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht über die Banalität des<br />

Bösen”. Ihre Untersuchung über die revolutionäre Begründung der Vernichtung politischer Herrschaft erscheint<br />

unter dem Titel ”Über die Revolution”.<br />

1963 Professur an der University of Chicago.<br />

1967 Berufung an die New School for Social Research in New York.<br />

1970 Sie veröffentlicht die Studie ”Macht und Gewalt”.<br />

1975 Am 4. Dezember stirbt <strong>Hannah</strong> <strong>Arendt</strong> in New York.<br />

Quelle: Deutsches Historisches Museum<br />

3


1 ”<br />

Der Sinn von Politik“ in: ”Was ist Politik?”<br />

• These: Nur bewusstes / intendiertes Handel kann <strong>politisches</strong> <strong>Handeln</strong> sein.<br />

• aber auch unbewusste Handlungen können politische Auswirkungen haben<br />

• Input ”Phaenomenologie”<br />

– Enstehung im 19. Jahrhundert auf die KANT-HEGEL-Theorie Armut<br />

– neuer Ansatz durch HUSSERL - Ziel: <strong>zu</strong> den Dingen selbst<br />

– Wahrnehmungszentrierte Sicht auf Dinge als Start<br />

– Existenz an sich irrelevant<br />

– HEIDEGGER setzt diesen Weg fort (Analyse PLATONS unter der Frage ”Was ist xyz?”)<br />

– ”Das Wesen des Hammers offenbart sich im Hämmern!”<br />

– SATRE führt den Ansatz fort =⇒ Existentialismus<br />

– ARENDT wendet sich gegen HEIDEGGER unter Nut<strong>zu</strong>g seiner Mittel (siehe Benhabib 1998)<br />

– kritisiert das Übergewicht des Ego bei HEIDEGGER (Ichbezogenheit)<br />

– setzt den Begriff der (gemeinsamen) Welt dagegen<br />

• Textdiskussion: ”Einführung in die Politik II” (ARENDT)<br />

– Kernthese: ”Sinn von Politik ist Freiheit”<br />

2 AG1 - Das Konzentrationslager<br />

2.1 <strong>zu</strong>m Text<br />

Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft<br />

Überset<strong>zu</strong>ng aus dem Englischen von <strong>Hannah</strong> <strong>Arendt</strong><br />

ISBN: 3-492-21032-5<br />

c○1986, Piper Verlag GmbH<br />

8. Auflage (2001) München<br />

Titel der Orginalausgabe:<br />

The Origins of Totalitarism<br />

c○1951, Hartcourt Brace Jovanovich<br />

2.2 Textmitschrift<br />

III Totale Herrschaft<br />

Das Konzentrationslager<br />

• KZ als Laboratorium <strong>zu</strong>r Prüfung ob totale Beherrschbarkeit möglich<br />

• Versuch Pluralität und Verschiedenheit <strong>zu</strong> kaschieren<br />

• Ziel: Reduktion auf ”immer gleichbleibende Identität von Reaktionen”<br />

• Kreislauf: Indoktrination der ”Elitenformationen” durch Terror in KZ führt <strong>zu</strong> Terror im KZ<br />

Seite 907<br />

4


• Vernichtung der Spontanität (Freiheit) als höchstes Ideal<br />

Seite 908<br />

• ”So wie die Stabilität der totalitären Regimes von der Isolierung der fiktiven Welt der Bewegung vin der Außenwelt<br />

abhängt, do hängt das Experiment der totalen Herrschaft in den Konzentrationslagern daran, dass sie<br />

auch innerhalb eines totalitär regiertene Landes sicher gegen die Welt aller anderen [...] abgedichtet sind.”<br />

• Lager als zentrale Institution des totalen Macht. und Organisationsapparats<br />

Seite 910<br />

• ”Weg <strong>zu</strong>r totalen Herrschaft führt über viele Zwischenstadien, für die man zahlreiche Analogien und Präzedenzfälle<br />

finden kann.”<br />

1. außerordentlich blutiger Terror am Anfang (Ziel: Opposition vernichten)<br />

2. totaler Terror (Auflösung der Zweck-Mittel-Kategorie)<br />

• ”alles ist möglich” als zentrale Formel dem ”gesunden” Menschenverstand un<strong>zu</strong>gänglich<br />

Seite 912<br />

Seite 914<br />

• Einsicht in Natur totaler Herrschaft als Grundlage <strong>zu</strong>r Veränderung politsicher Kategorien (nicht mehr Links vs.<br />

Rechts sondern Totalität dienlich oder nicht)<br />

• ”Radikalität Menschen so <strong>zu</strong> behandeln als wenn es sie nie gegeben hätte”<br />

Seite 915<br />

Seite 916<br />

• ”Das Grauen vor dem radikal Bösen weiß, dass hier das Ende des Umschlagens von Qualitäten und Entwicklungen<br />

gekommen ist. Hier gibt es weder politische noch geschichtliche, noch einfache moralische Maßstäbe,<br />

sondern höchstens die Erkenntnis, dass es in der modernen Politik um etwas <strong>zu</strong> gehen scheint, worum es eigentlich<br />

in der Politik [...] nie gehen dürfte, nämlich um alles oder nichts - um alles, und das ist eine unbestimmte<br />

Unendlichkeit von Formen des menschlichen Zusammenlebens, oder nichts, und das ist im Falle der Konzentrationslager<br />

ebenso exakt der Untergang des Menschen wie im Falle der Wasserstoffbombe der Untergang<br />

des Menschengschlechts.”<br />

• Zerstörung der juristischen Person als Grundlage der Lager<br />

• kann bei Verbrechern und Politischen nicht gelingen, weil sie wissen warum sie dort sind<br />

• Verbrecher als Insassen ”eine Art Kozession an die Vorurteile der Gesellschaft”<br />

• Majorität derjenigen die nichts getan haben folgt<br />

Seite 921<br />

Seite 924<br />

Seite 925<br />

Seite 928<br />

• Kategorien wie Jude, Kommunist, . . . als einziges Überbleibsel der Identität führ <strong>zu</strong>r Überidentifikation mit der<br />

Kategorie<br />

• Verhinderung von Märtyrern durch Anonymität des Tötens<br />

Seite 930<br />

• ”Wie ein Mensch entscheiden soll, der vor die Wahl gestellt wird, entweder seine Freunde <strong>zu</strong> verraten und damit<br />

<strong>zu</strong> ermorden oder seine Frau und Kinder [...] dem Tode preis <strong>zu</strong> geben, ist schlechthin nicht mehr aus<strong>zu</strong>machen,<br />

vor allem dann nicht, wenn Selbstmord automatisch Mord der eigenen Familie bedeutet. Die Alternative ist hier<br />

nicht mehr zwischen Gut und Böse, sondern zwischen Mord und Mord.”<br />

Seite 934<br />

• ”Die Tötung der Individualität, der Einmailgkeit der menschlichen Person, die <strong>zu</strong> gleichen Teilen von Natur,<br />

Willen und Schicksal gebildet, und in ihrer unendlichen Verschiedenheit so selbstverständliche Vorausset<strong>zu</strong>ng<br />

aller menschlichen Beziehungen geworden ist, dass uns identische Zwillinge bereits ein gewisses Unbehagen<br />

verursachen, erzeugt ein Grauen, das über die Empörung der rechtlich-politischen und die Verzweiflung der<br />

moralischen Person weit hinaus geht. [...] In Wahrheit demonstrieren die Erfahrungen der Konzentrationslager,<br />

5


dass es in der Tat möglich ist, Menschen in Exemplare der menschlichen Tierart <strong>zu</strong> verwandeln, und dass die<br />

≫ Natur ≪ nur insofern ≫ menschlich ≪ ist, als das sie es dem Menschen freistellt, etwas höchst unnatürliches,<br />

nämlich ein Mensch, <strong>zu</strong> werden.”<br />

2.3 Sit<strong>zu</strong>ng am 04.11.2010<br />

• Tötung der Person<br />

1. Raub der juristischen Person<br />

– die Majorität geht unverschuldet ins KZ (ohne Verfahren)<br />

– Vermischung mit den ”Verbrechern” außerhalb des normalen Strafvoll<strong>zu</strong>gs<br />

– Was bleibt ist die aufoktroierte Kategorie (Jude, Kommunist, Asozialer, Homosexueller, . . . )<br />

– Kathegorisierung völlig wahllos und wankend (Ungewissheit)<br />

– These: ”Die, die am wenigsten getan haben, werden am stärksten Bestraft.” (RADECKER)<br />

2. Tötung der moralischen Person<br />

– Unmöglichkeit der Opferrolle, da Täterschaft aufgezwungen wird<br />

∗ es wird nur die Entscheidung zwischen Mord und Mord gelassen<br />

∗ Camus-Beispiel, Mütze-Beispiel<br />

∗ alle Handlungen nur scheinbar, da Möglichkeiten stark eingeschränkt<br />

∗ Folge: Sinnlosigkeit des Handels<br />

– starker Unterschied <strong>zu</strong>r antiken Sklaverei wo ”nur” jur. Person genommen wurde<br />

3. Tötung der Identität<br />

– es wird einem der ”Tod geraubt” (ARENDT)<br />

∗ würdevolles Sterben und Trauer wird durch KZ verhindert<br />

∗ Tot wird anonymisiert und unsichbar gemacht<br />

∗ dem Sterben wird der Sinn genommen<br />

∗ im Lager nur lebende Tote<br />

– Nacktheit / Kopfrasur<br />

– Uniformierung?<br />

• Großes Ziel: Stabilisierung des ”Volkskörpers” durch Erzeugung von Schuldigen<br />

• Diskussionsfragen:<br />

– Verharmlosung der Singularität des Holocaust<br />

∗ Aufrechnen mit puren Zahlen verschleiert den Blick<br />

∗ ”Wer hat mehr Tote?” als Grundfrage?<br />

∗ Vorwurf passt nicht in ARENDTs Biografie<br />

∗ Vorwurf: Taktik <strong>zu</strong>r Sicherunge der Einzigartigkeit auch bedenklich<br />

– Laboratorium<br />

∗ wichtig ist: nicht als Versuchsanordnung verstehen<br />

6


3 AG2 - Die menschliche Bedingtheit<br />

3.1 <strong>zu</strong>m Text<br />

Vita activa<br />

Überset<strong>zu</strong>ng aus dem Englischen<br />

ISBN: 3-492-23623-5<br />

c○1967, Piper Verlag GmbH<br />

Textbuchsonderausgabe (2002) München<br />

Titel der Orginalausgabe:<br />

The Human Condition<br />

c○1958, University of Chicago Press<br />

3.2 Textmitschrift<br />

• drei menschliche Grundtätigkeiten<br />

1. Arbeiten<br />

Erstes Kapitel: Die menschliche Bedingtheit<br />

– entspricht biologischem Prozess<br />

– Grundbedingung: ”Leben selbst”<br />

1. Vita activa und Condition humaine<br />

– Motalitätsbe<strong>zu</strong>g: sicher das Am-Leben-Bleiben des Individuums<br />

2. Herstellen<br />

– ”das Widernatürliche eines von der Natur abhängigen Wesens”<br />

– ”Produziert eine künstliche Welt von Dingen”<br />

Seite 16-18<br />

– Grundbedingung: Weltlichkeit (”Angewiesenheit menschlicher Existenz auf Gegenständlichkeit und<br />

Objektivität”)<br />

– Mortalitätsbe<strong>zu</strong>g: errichtet künstliche ”unsterblich-bestehende” Welt<br />

3. <strong>Handeln</strong><br />

– ”einzige Tätigkeit der Vita activa, die sich ohne die Vermittlung von Materie, Material und Dingen direkt<br />

zwischen Menschen abspielt”<br />

– ”Das <strong>Handeln</strong> bedarf einer Pluralität, in der zwar alle das selbe sind, nämlich Menschen, aber dies auf<br />

die merkwürdige Art und Weise, dass keiner dieser Menschen je einem anderen gleicht [. . . ].”<br />

– Grundbedingung: Faktum der Pluralität (”Tatsache, dass nicht ein Mensch, sondern viele Menschen<br />

auf der Erde leben und die Welt bevölkern”)<br />

– Mortalitätsbe<strong>zu</strong>g: ”Das <strong>Handeln</strong> [. . . ] schafft Bedingungen für eine Kontinuität der Generationen, für<br />

Erinnerung und damit für Geschichte.”<br />

• Grundtätigkeit := ”Grundbedingung, unter denen dem Geschlecht der Menschen das Leben auf der Erde gegeben<br />

ist.”<br />

Seite 20<br />

• Bedingtheit des Menschen ≠ Wesen des Menschen, denn dieses <strong>zu</strong> Erkennen ist dem Menschen selbst nicht<br />

möglich<br />

7


• Bedingtheit kann nie ”den Menschen” selbst erklären<br />

2. Der Begriff der Vita activa<br />

• Begriff entstammt dem Prozeß des Sokrates (Konflikt zwischen Philosophen selbst und der Polis)<br />

• vita activa := ein ”Leben, dass öffentlichen und politischen Dingen gewidmet ist. (nach AUGUSTINUS)<br />

Seite 21<br />

Seite 22<br />

Seite 23<br />

• nach ARISTOTELES weder Arbeiten noch Herstellen frei, da ”von den Nöten und Wünschen der Menschen”<br />

aufgezwungen.<br />

• ”Aneignung des Begriffes Vita activa [bei <strong>Hannah</strong> <strong>Arendt</strong>] in offenkundigem Widerspruch <strong>zu</strong>r [griechisch-christlichen]<br />

Tradition”<br />

Seite 26<br />

Seite 27<br />

• ”Mein Einwandt gegen die überlieferte Tradition besteht wesentlich darin, dass durch das in der überlieferten<br />

Hierarchie der Kontemplation [siehe Vita contemplativa bei ARISTOTELES] <strong>zu</strong>erkannte Primat die Gliederung<br />

und Unterschiede innerhalb der Vita activa verwischt oder nicht beachtet worden sind [. . . ]”<br />

3. Ewigkeit und Unsterblichkeit<br />

• Unsterblichkeit := ”ein Währen und Dauern in der Zeit, ein todloses Leben”<br />

Seite 28<br />

Seite 30<br />

• ”Denn es ist offenbar, dass in dass, wie sehe auch das ewige im Zentrum eines Denkens stehen mag, der<br />

Denker selbst dies Anliegen in dem Augenblick im Stich lässt, wo er sich hin setzt und seine Gedanken aufschreibt;<br />

solange das Schreiben währt, ist sein primäres Anliegen nicht mehr das Ewige, sondern die Sorge,<br />

Spuren des gedachten für die Nachwelt <strong>zu</strong> hinterlassen. Er ist auf diese Weise in die Vita activa eingetreten, er<br />

ist ≫ tätig ≪ geworden und hat sich damit auf die in der Vita activa geltenden Regeln und Wege, die <strong>zu</strong>r Dauer<br />

und möglicherweise <strong>zu</strong>r Unsterblichkeit, aber nicht <strong>zu</strong>r Ewigkeit führen können, eingelassen”<br />

3.3 Sit<strong>zu</strong>ng am 11.11.2010<br />

• Hintergrundwissen über die Niederschrift der Vita activa<br />

– siehe Thesenpapier / Vorwort<br />

– grundsätzlich gesellschaftskritische Einstellung<br />

– Sheila Ben-Habib - melancholische Denkerin der Moderne (in Literatur!)<br />

– Kritik: Herstellen ist <strong>zu</strong>m Modell des politischen <strong>Handeln</strong>s geworden (seit Industrialisierung)<br />

– Arbeit vs. Herstellen:<br />

∗ Arbeit erzeugt nichts bleibendes (z.B. Nahrung sammeln/<strong>zu</strong>bereiten)<br />

∗ Herstellen erzeugt materielle Dinge (Umset<strong>zu</strong>ng konkreter Vorstellungen in materiellle Dinge)<br />

∗ hergestelltes lässt sich vernichten<br />

• Grundtätigkeiten:<br />

1. Arbeiten<br />

– Wesen der Grundtätigkeit: biologische Lebenserhaltung<br />

– entsprechende Grundbedingung: das Leben selbst<br />

– Zweck der Grundtätigkeit: sichert das ”Am-Leben-Bleiben” und das Weiterleben der Gattung<br />

2. Herstellen<br />

8


– Wesen der Grundtätigkeit: Produktion einer künstlichen Welt von Dingen<br />

– entsprechende Grundbedingung: Weltlichkeit (die Menschen sind auf Gegenständlichkeit und Objektivität<br />

angewiesen)<br />

– Zweck der Grundtätigkeit: errichtet eine künstliche Welt, die von der Vergänglichkeit der Menschen<br />

unabhängig ist<br />

3. <strong>Handeln</strong><br />

• Pluralität:<br />

– Wesen der Grundtätigkeit: zwischenmenschliche Tätigkeiten unabhängig von Dingen<br />

– entsprechende Grundbedingung: Pluralität (notwendige und hinreichende Bedingung dass es Politik<br />

gibt)<br />

– Zweck der Grundtätigkeit: schafft Bedingung für Kontinuität der Generationen, für Erinnerung und<br />

damit für Geschichte<br />

– Begrifft drückt die Vielfältigkeit, nicht die Vielheit aus<br />

– Grundlage / Bedingung dafür ist die Natalität, der immerwehrende Neuanfang<br />

• Natalität:<br />

– Bedingung für alles <strong>Handeln</strong><br />

• vita activa vs. vita contemplativa<br />

– vita activa := diesseitiges Leben mit dem Ziel der Veränderung / Verbesserung der eigenen Existenz<br />

(Vergl. ARISTOTELES Leben der schönen Taten in der Polis)<br />

– vita contemplativa := jenseitiges Leben in der Welt der Gedanken mit großem Ziel der Erkenntnis<br />

(Vergl. ARISTOTELES Leben des Philosophen)<br />

• Ewgikeit vs. Unsterblichkeit<br />

– Ewigkeit := Existenz jenseits von Raum und Zeit<br />

– Unsterblichkeit := ein Währen und Dauern der Zeit , ein todloses Leben<br />

4 AG3 - Das <strong>Handeln</strong> (Abschnitt 24 und 25)<br />

4.1 <strong>zu</strong>m Text<br />

Vita activa<br />

Überset<strong>zu</strong>ng aus dem Englischen<br />

ISBN: 3-492-23623-5<br />

c○1967, Piper Verlag GmbH<br />

Textbuchsonderausgabe (2002) München<br />

Titel der Orginalausgabe:<br />

The Human Condition<br />

c○1958, University of Chicago Press<br />

9


4.2 Textmitschrift<br />

Fünftes Kapitel: Das <strong>Handeln</strong><br />

24. Die Enthüllung der Person im <strong>Handeln</strong> und Sprechen<br />

• menschliche Pluralität manifestiert in Gleichheit und Verschiedenheit<br />

– ohne Gleichheit Sprache unmöglich<br />

– ohne Verschiedenheit Sprache unnötig<br />

• Verschiedenheit vs Besonderheit<br />

– Besondersheit ≡ Andersheit ≡ alteritas := allem Seienden als solchem eignet (Universalie)<br />

– Besonderheit als Kennzeichen für Pluralität<br />

– ”[. . . ] dass jede Bestimmung eine Negation, ein Anders-als mitaussagt [. . . ]”<br />

– Fähigkeit des Menschen die ”Verschiedenheit aktiv <strong>zu</strong>m Ausdruck <strong>zu</strong> bringen”.<br />

Seite 213<br />

Seite 214<br />

• ”Sprechend und handelnd unterscheiden Menschen sich aktiv voneinander, anstatt lediglich verschieden <strong>zu</strong><br />

sein.”<br />

• Sprechen und <strong>Handeln</strong> nicht vollständig vermeidbar (im Gegensatz <strong>zu</strong> Arbeiten und Herstellen)<br />

• ”Ein Leben ohne Sprechen und <strong>Handeln</strong> [. . . ] wäre [. . . ] kein Leben mehr [. . . ].”<br />

• <strong>Handeln</strong> als Initiative (als Neu-Anfang bzw. ”zweite Geburt”<br />

• ”Erschaffung des Menschen als eines Jemandes [fällt] mit der Erschaffung der Freiheit [<strong>zu</strong>sammen.]”<br />

Seite 215<br />

Seite 216<br />

Seite 217<br />

• ”Einzigartigkeit, [die] vielmehr auf dem alles menschliche Zusammensein begründenden Faktum der Natalität<br />

beruht.”<br />

• ”<strong>Handeln</strong> als Neuanfang entspricht der Geburt des Jemand [...]; Sprechen wiederum entspricht der in dieser<br />

Geburt vorgegebenen absoluten Verschiedenheit”<br />

Seite 218<br />

• ”Taten die nicht von Reden begleitet sind verlieren einen großteil ihres Offenbarungscharakters, sie werden<br />

≫ unverständlich ≪ und ihr Zweck ist gemeinhin, [...] durch die Schaffung vollendeter Tatsachen alle Möglichkeiten<br />

einer Verständigung <strong>zu</strong> sabotieren.”<br />

• ”was wir verstehen ist gerade sie <strong>zu</strong>r Schau getragene Stummheit”<br />

• ”Wortloses <strong>Handeln</strong> gibt es streng genommen überhaupt nicht, weil es ein <strong>Handeln</strong> ohne <strong>Handeln</strong> wäre.”<br />

• ”Erst durch das gesprochene Wort fügt sich die Tat in einen Bedeutungs<strong>zu</strong>sammenhang”<br />

• ”Der Umstand, der [die natürliche Sprache] so umständlich macht, ist die Person, die in ihr mitspricht.”<br />

Seite 219<br />

• ”Vom Standpunkt des bloßen Nutzens ist <strong>Handeln</strong> nur Ersatz für Anwendung von Gewalt, die sich immer als<br />

wirksamer erweist, so wie das Sprechen vom Standpunkt der bloßen Information eine Art von Notbehelf ist, mit<br />

dem man sich nur so lange abfindet, als eine Zeichensprache nicht erfunden ist.”<br />

• ”<strong>Handeln</strong>d und sprechend offenbaren die Menschen jeweils, wer sie sind, zeigen aktiv die personale Einzigartigkeit<br />

ihres Wesens”<br />

• Das ”eigentlich personale Wer-jemand-jeweilig-ist [ist] unserer Kontrolle darum entzogen, weil es sich unwillkürlich<br />

in allem mit offenbart, was wir sagen oder tun. Nur vollkommenes Schweigen und vollständige Passivität<br />

können dieses Wer vielleicht <strong>zu</strong>decken, [...] aber keine Absicht der Welt kann über es frei verfügen, ist<br />

es erst einmal in Erscheinung getreten.”<br />

10


• Kriegsfall als Beispiel für <strong>Handeln</strong> ohne Sprechen (Zweckentfremdung, da <strong>Handeln</strong> nur noch Mittel)<br />

Seite 221<br />

Seite 222<br />

• ”<strong>Handeln</strong>, das in der Anonymität verbleibt, eine Tat, für die keine Täter namhaft gemacht werden kann, ist<br />

sinnlos und verfällt der Vergessenheit”<br />

25. Das Be<strong>zu</strong>gsgewebe menschlicher Angelegenheiten und die in ihm dargestellten<br />

Geschichten<br />

• ”Das [...] Wer-einer-ist [...] entzieht sich jedem Versuch, es eindeutig in Worte <strong>zu</strong> fassen. Sobald wir versuchen<br />

<strong>zu</strong> sagen, wer jemand ist, beginnen wir Eigenschaften <strong>zu</strong> beschreiben, die dieser Jemand mit anderen teilt und<br />

die ihm gerade nicht in seiner Einmaligkeit <strong>zu</strong>gehören”<br />

• ”Es stellt sich heraus, das die Sprache, wenn wir sie als Mittel der Beschreibung des Wer benutzen wollen, sich<br />

versagt und an dem Was hängen bleibt”<br />

Seite 223<br />

• Dies ”Versagen der Sprache vor dem lebendigen Wesen der Person [...] schließt [...] die Möglichkeit aus, diese<br />

Angelegenheiten je so <strong>zu</strong> handhaben wie Sachen, [...] über die wir dadurch verfügen, dass wir sie benennen.”<br />

• <strong>Handeln</strong> und Sprechen fast immer über etwas<br />

• Ziel ”weltlich-nachweisbares” mit<strong>zu</strong>teilen<br />

• zwei Arten des Inter-esse (Zwischen-Seins)<br />

1. Zwischenraum über den gesprochen wird (Ding-Welt)<br />

2. Zwischenraum in dem gesprochen wird (Zwischenraum der Welten / Gewebe menschlicher Bezüge)<br />

Seite 224<br />

Seite 225<br />

• ”[...] das Verhältnis zwischen dem Be<strong>zu</strong>gsgewebe menschlicher Angelegenheiten und der objektiv-gegenständlichen<br />

Welt, [...], gleicht nicht etwa dem Be<strong>zu</strong>g der zwischen einer Fassade und einem Gebäude obwaltet”<br />

Seite 226<br />

• ”Da Menschen nicht von ungefähr in die Welt geworfen werden, [...] geht das Be<strong>zu</strong>gsgewebe [...] allem einzelnen<br />

<strong>Handeln</strong> und Sprechen vorraus, so dass sowohl die Enthüllung des Neuankömmlings durch das Sprechen<br />

wie der Neuanfang den das <strong>Handeln</strong> setzt, wie Fäden sind, die in ein bereits vorgewebtes Muster geschlagen<br />

werden und das Gewebe so verändern, wie sie ihrerseits alle Lebensfäden, mit denen sie in Berührung<br />

kommen, auf einmalige Weise affizieren. Sind die Fäden <strong>zu</strong> Ende gesponnen, so ergeben sie wieder klar erkennbare<br />

Muster bzw. sind als Lebensgeschichten erzählbar.”<br />

• ”[...] weil <strong>Handeln</strong> darin besteht, den eigenen Faden in ein Gewebe <strong>zu</strong> schlagen, dass man nicht selbst gemacht<br />

hat, kann es mit der gleichen Selbstvertändlichkeit Geschichten hervor bringen, mit der das Herstellen Dinge<br />

und Gegenstände produziert.”<br />

• ”Das, was [vom] <strong>Handeln</strong> schließlich in der Welt verbleibt, sind nicht die Impulse, die [es] selbst in Bewegung<br />

setzten, sondern die Geschichten, die [es] verursachte.”<br />

• ”Kein Mensch kann sein Leben ≫ gestalten ≪oder seine Lebensgeschichte hervor bringen”<br />

• ”Wer jemand ist oder war, können wir nur erfahren, wenn wir die Geschichte hören, deren Held er selber ist.”<br />

Seite 227<br />

Seite 231<br />

4.3 Sit<strong>zu</strong>ng am 18.11.2010<br />

nichts relevantes<br />

11


5 AG4 - Das <strong>Handeln</strong> (Abschnitt 26 und 27)<br />

5.1 <strong>zu</strong>m Text<br />

Vita activa<br />

Überset<strong>zu</strong>ng aus dem Englischen<br />

ISBN: 3-492-23623-5<br />

c○1967, Piper Verlag GmbH<br />

Textbuchsonderausgabe (2002) München<br />

Titel der Orginalausgabe:<br />

The Human Condition<br />

c○1958, University of Chicago Press<br />

5.2 Textmitschrift<br />

Bedarf<br />

Voll<strong>zu</strong>g<br />

Fünftes Kapitel: Das <strong>Handeln</strong><br />

26. Die Zerbrechlickeit menschlicher Angelegenheiten<br />

Herstellen<br />

”Umgebung der Natur [...], die es mit Material<br />

versorgt”<br />

”in der Welt und für die Welt, mit derem<br />

dinglichem Bestand es in ständigem Kontakt<br />

bleibt”<br />

<strong>Handeln</strong><br />

”der Mitwelt an die es sich richtet”<br />

”in dem Be<strong>zu</strong>gsgewebe zwischen den Menschen,<br />

das seinerseits aus Gehandeltem und<br />

Gesprochenem entstanden ist.”<br />

Seite 234<br />

• zwei Bedeutungen des Handels im Latein und im Altgriechischen<br />

1. agere := in Bewegung setzen, etwas anfangen<br />

– ”Es wird etwas begonnen oder in Bewegung gesetzt von einem Einzelnen, der anführt, . . . ”<br />

2. gerere := ausführen, betreiben, vollziehen<br />

Seite 235<br />

– ”... worauf ihm viele gleichsam <strong>zu</strong> Hilfe eilen, um das Begonnene weiter <strong>zu</strong> betreiben und <strong>zu</strong> vollenden.”<br />

• in beiden Sprachen im Lauf der Zeit Verschiebung von <strong>Handeln</strong> nur noch auf gerere.<br />

Seite 236<br />

• später dann folgende Unterscheidung zwischen anführen (herrschen, befehlen) und vollenden (ausführen des<br />

Befehls)<br />

• ”In dieser Aufteilung in Funktionen verwischt sich die Ursprünglich dem <strong>Handeln</strong> selbst eigene Artikulation, der<br />

zwischen den Stadien des Beginnens und Vollbringens unterscheidet, und an die Stelle der dieser Artikulation<br />

adäquaten Bezüge zwischen dem Einen, der alleine anfängt, und den Vielen, die gemeinsam vollbringen, tritt<br />

das Verhältnis zwischen Befehl und Vollstreckung, in dem der Befehlende und die vollstreckend gehorchenden<br />

sich in keinem Moment des Handels mehr miteinader verbünden.”<br />

• ”<strong>Handeln</strong> und Dulden gehören <strong>zu</strong>sammen. Das Dulden ist die Kehrseite des <strong>Handeln</strong>s”<br />

• ”Die Zahl derer, die [durch <strong>Handeln</strong>] affiziert werden, ist im Prinzip unbegrenzt.”<br />

Seite 237<br />

• ”Jedenfalls bleiben auch in den beschränktesten Umständen die Folgen einer jeden Handlung schon darum<br />

unabsehbar, weil das gerade eben noch Absehbare oft durch ein einziges Wort oder eine einzige Geste radikal<br />

geändert werden kann.”<br />

12


Seite 238<br />

• ”Schrankenlosigkeit erwächst aus der dem <strong>Handeln</strong> eigentümlichen Fähigkeit, Beziehungen <strong>zu</strong> stiften und damit<br />

aus der ihm innewohnenden Tendenz Schranken <strong>zu</strong> sprengen und Grenzen <strong>zu</strong> überschreiten.”<br />

• ”Alles, was diesen Bereich [der menschlichen Angelegenheiten] stabilisiert, von dem schützenden Zaun um<br />

Haus und Hof bis <strong>zu</strong> den Landesgrenzen, die die physische Identität und den Gesetzen, die die politische<br />

Existenz der Völker bestimmen und einhegen ist gleichsam von außen an diesen Bereich herangebracht, in<br />

dessen Inneren die Tätigkeiten des <strong>Handeln</strong>s und Sprechens wirken, <strong>zu</strong> dessen Wesen es gehört Anfänge <strong>zu</strong><br />

setzen und Bezüge <strong>zu</strong> stiften, aber nicht <strong>zu</strong> stabilisieren und <strong>zu</strong> begrenzen.”<br />

• ”Schrankenlosigkeit kann [...] durch die Grenzen und Gesetze [...] niemals mit unbedingter Zuverlässigkeit aus<br />

dem Bereich menschlicher Angelegenheiten ausgeschaltet werden, aber sie wird durch sie doch weitestgehend<br />

eingeschränkt”<br />

Seite 239<br />

• ”Die Unabsehbarkeit der Folgen gehört [...] <strong>zu</strong>m Gang der von einem <strong>Handeln</strong> unweigerlich erzeugten Geschichte.”<br />

Seite 240<br />

• ”Im Gegensatz <strong>zu</strong> allen Herstellungsprozessen, deren Gang vorgezeichnet ist durch die Vorstellung oder das<br />

Modell, in deren Besitz der Herstellende sein muss, [...] erhellen sich Handlungsprozesse [...] erst dann, wenn<br />

das <strong>Handeln</strong> selbst an seinen Abschluss gekommen ist ...”<br />

27. Der griechische Ausweg aus den Aporien des <strong>Handeln</strong>s<br />

Seite 241<br />

• ”Die Unabsehbarkeit der Folgen des Handels hängt aufs engste damit <strong>zu</strong>sammen, dass alles <strong>Handeln</strong> und<br />

Sprechen unwillkürlich den <strong>Handeln</strong>den und Sprechenden mit ins Spiel bringt, ohne dass sich derjenige, der<br />

sich so exponiert, je wissen oder berechnen kann, wen er eigentlich als sich selbst <strong>zu</strong>r Schau stellt.”<br />

Seite 243<br />

• ”Es ist keine Frage, dass das Urbild des <strong>Handeln</strong>s [...] von dem Phänomen der Selbstenthüllung bestimmt war.”<br />

Seite 244<br />

• ”Für sie [, die antiken Griechen,] glich der Gesetzgeber dem Erbauer der Stadtmauer, dessen Werk ein für<br />

alle mal getan und beendigt sein musste, bevor das eigentlich politische Leben mit dem ihm eigen Tätigkeiten<br />

beginnen konnte.”<br />

• ”Die Gesetze waren für sie nicht Erzeugnisse eines <strong>Handeln</strong>s, sondern Produkte des Herstellens ...”<br />

Seite 246<br />

• ”Ursprünglich und vor dem Erscheinen der Philosophie in der Politik, war es die Polis selbst, die Abhilfe schaffen<br />

sollte für die den menschlichen Angelegenheiten innewohnende Zerbrechlichkeit.”<br />

• ”[Die Polis] beruhte [...] auf der Grundüberzeugung, dass menschliches Zusammenleben nur darum und in dem<br />

Maße sinnvoll ist, als es in einem ≫ Teilnehmen und Mitteilen von Worten und Taten ≪ besteht.”<br />

Seite 249<br />

• ”Die Polis sollte verhindern, dass die ≫ Auftritte ≪ der Sterblichen jemals aus dieser weltlichen Wirklichkeit<br />

wieder verschwinden.”<br />

• ”So ist die Polis genau genommen nicht die Stadt in ihrer geografischen Lokalisierbarkeit, sie ist vielmehr die<br />

Organisationsstruktur ihrer Bevölkerung, wie sie sich aus dem Miteinanderhandeln und -sprechen ergibt ...”<br />

Seite 250<br />

• ”Es ist ein Vorurteil <strong>zu</strong> meinen, dass dieser eigentlich politische Raum der Erscheinungen immer und überall<br />

vorhanden sei, wo Menschen <strong>zu</strong>sammen leben, nur weil Menschen <strong>zu</strong>m <strong>Handeln</strong> begabte und der Sprache<br />

mächtige Wesen sind.”<br />

• ”... Wirklichkeitsgefühl, dass dem Menschen nur dort entsteht, wo die Wirklichkeit der Welt durch die Gegenwart<br />

einer Mitwelt garantiert ist, in der eine und die selbe Welt [objektive Realität] in verschiedensten Perspektiven<br />

erscheint.”<br />

13


5.3 Sit<strong>zu</strong>ng am 25.11.2010<br />

1. Schrankenlosigkeit, Maßlosigkeit und Unabsehbarkeit als Dimensionen <strong>Handeln</strong>s<br />

• Bestandteile jeder Handlung:<br />

(a) Schrankenlos<br />

– sprengt Schranken und Begren<strong>zu</strong>ngen<br />

(b) Maßlos<br />

– Versuchung des menschlichen <strong>Handeln</strong>s<br />

(c) Unabsehbar<br />

– Niemand kann die Folgen des eigenen Handels vollkommen übersehen<br />

– Grenzen der Handlung unabsehbar<br />

2. Selbstenthüllung und die Erkennbarkeit des eudaimons<br />

• eudaimon := bleibende Befindlichkeit menschlichen Seins, Wohlbefindlichkeit des daimon (nicht wie üblich<br />

Seeligkeit, da <strong>zu</strong> religiöse Interpretation)<br />

3. Die Aporien des <strong>Handeln</strong>s und der griechische Ausweg<br />

• Aporie := Ratlosigkeit oder Ausweglosigkeit (Kennzeichen sokratischer Dialog-Enden)<br />

• Aporien des <strong>Handeln</strong>s<br />

I Die dem sprechen eigentümliche Selbstenthüllung kann im Sprechen und <strong>Handeln</strong> nicht realisiert<br />

werden. [224]<br />

II menschliche Angelegenheiten als autorenlose Geschichtserzählung (aposteriori) [229]<br />

III Schrankenlosigkeit des <strong>Handeln</strong>s und die Notwendigkeit der Beschränkung [237f]<br />

IV Unabsehbarkeit der Folgen [237]<br />

V Selbstoffenbarung bei gleichzeitiger Unfähigkeit das Offenbarte <strong>zu</strong> erkennen [241ff]<br />

• griechische Auswege<br />

(a) <strong>Handeln</strong> als bloße Selbstenthüllung<br />

vs Aporie III Gesetzgebung begrenzt [244]<br />

vs Aporie IV Wenn <strong>Handeln</strong> nur auf die Selbstenthüllung zielt, erreicht jedes <strong>Handeln</strong> sein Ziel und<br />

die Unabsehbarkeit wird irrelevant [243]<br />

(b) Platos und Aristoteles’ Philosophie: Herstellen statt <strong>Handeln</strong><br />

vs Aporie III Abwendung von schrankenlosem <strong>Handeln</strong> <strong>zu</strong> beschränktem Herstellen<br />

<strong>Arendt</strong> kritisiert: Auswege (a) und (b) laufen letztlich darauf hinaus ”die Substanz menschlicher Verhältnisse<br />

<strong>zu</strong> ruinieren” [245]<br />

(c) Polis als Ausweg<br />

i. Raum schaffen, so dass ”ein jeder sich auszeichnen und in Wort und Tat <strong>zu</strong>r Schau stellen konnte,<br />

wer er in seiner einmaligen Verschiedenheit war.”[247]<br />

vs Aporie I Ermöglichung der Selbstoffenbarung<br />

vs Aporie V Achill wird seines daimons ansichtig durch kontrollierte Selbstoffenbarung (mit Todesfolge)<br />

[243]<br />

ii. ”eine Stätte bereit <strong>zu</strong> stellen, an der sich der unvergängliche Ruhm großer Taten und Worte ansiedeln<br />

und unter den Menschen verweilen konnte”[247f]<br />

vs Aporie I organisiertes Andenken erhält das Wesen jedes Einzelnen über den Tod hinaus.[248]<br />

vs Aporie II vollständige Vergegenwärtigung (kollektive Autorenschaft im Moment der Erinnerung)<br />

14


Literatur<br />

Benhabib, Seyla (1998). <strong>Hannah</strong> <strong>Arendt</strong>, Die melancholische Denkerin der Moderne. Hamburg: Rotbuch-Verlag.<br />

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