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Psychologisch-seelsorgerliche Nothilfe - Notfallseelsorge in ...

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<strong>Psychologisch</strong>-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong><br />

Krisenmanagement zwischen Menschlichkeit und wirtschaftlicher Notwendigkeit<br />

INHALTSVERZEICHNIS<br />

Seite<br />

Abstract 3<br />

0 Vorwort 4<br />

1 E<strong>in</strong>leitung 6<br />

1.1 Allgeme<strong>in</strong> 6<br />

1.2 <strong>Psychologisch</strong>-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> als Krisenmanagement 9<br />

1.3 Ziele des Konzepts „Psychiatrie <strong>in</strong> ausserordentlichen Lagen und<br />

Psychotraumatologie“ 11<br />

1.4 Engagement der Kirchen 12<br />

2 Krisenmanagement 15<br />

2.1 Ziele der Krisen<strong>in</strong>tervention 17<br />

2.2 Individuelles Ereignis 19<br />

2.3 Kle<strong>in</strong>ereignis 20<br />

2.4 Grossereignis, ausserordentliche Lage 21<br />

3 Opfer gibt es viele 23<br />

3.1 Primäropfer 24<br />

3.2 Sekundäropfer 25<br />

3.3 Tertiäropfer 27<br />

3.4 Angepasste Hilfe 28<br />

4 Reaktionen auf traumatische Erlebnisse 29<br />

4.1 Akute Belastungsreaktion 31<br />

4.2 Posttraumatische Belastungsstörung 33<br />

4.3 Frage nach dem S<strong>in</strong>n 36<br />

5 psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> 38<br />

5.1 Erste Hilfe für die Seele 45<br />

5.3 Was unbed<strong>in</strong>gt zu vermeiden ist! 49<br />

5.4 Betreuung von K<strong>in</strong>dern 51<br />

5.5 Öffentliche Trauergottesdienste 52<br />

6 Hilfe für die Helfer 53<br />

6.1 Stressbewältigung 55<br />

6.2 Peer-Group 58<br />

6.3 Defus<strong>in</strong>g 60<br />

6.4 Debrief<strong>in</strong>g 64<br />

6.5 Therapeutische Hilfe 70<br />

7 Gutes Krisenmanagement zahlt sich aus 71<br />

8 Organisation psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> im Kanton Aargau 77<br />

8.1 E<strong>in</strong>satzkräfte (Polizei, Feuerwehr, Sanität) 78<br />

8.2 Dargebotene Hand / Telefon 143 80<br />

8.3 <strong>Psychologisch</strong>-<strong>seelsorgerliche</strong> Nothelfer/<strong>in</strong>nen 82<br />

8.4 Ausbildung psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> Nothelfer/<strong>in</strong>nen 86<br />

8.5 Koord<strong>in</strong>ation / Adm<strong>in</strong>istration 90<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 1


9 F<strong>in</strong>anzierung psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> im Kanton Aargau 95<br />

9.1 F<strong>in</strong>anzierung E<strong>in</strong>satzkräfte 96<br />

9.2 F<strong>in</strong>anzierung Dargebotene Hand 99<br />

9.3 F<strong>in</strong>anzierung psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> 100<br />

9.4 F<strong>in</strong>anzierung therapeutische Hilfe 103<br />

10 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 104<br />

Anhang I Psychiatrie <strong>in</strong> ausserordentlichen Lagen und Psychotraumatologie 106<br />

Anhang II Schulungskonzept Dargebotene Hand 114<br />

Anhang III Aufgebotsformular Dargebotene Hand 116<br />

Anhang IV Meldeformular E<strong>in</strong>satz „Betreuung“ 117<br />

Anhang V Ausbildung Betreuer/<strong>in</strong>nen 118<br />

Literaturh<strong>in</strong>weise 120<br />

Abbildungsverzeichnis 121<br />

Tabellenverzeichnis 121<br />

Glossar 122<br />

Projektauftrag 126<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 2


ABSTRACT<br />

<strong>Psychologisch</strong>-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> – e<strong>in</strong> Begriff, der erst im Zusammenhang mit<br />

katastrophalen Grossereignissen wie dem Attentat <strong>in</strong> Luxor, dem Flugzeugabsturz der<br />

Swissair <strong>in</strong> Halifax und dem Seilbahnunglück von Kaprun vermehrt <strong>in</strong>s Blickfeld der<br />

Öffentlichkeit gerückt ist. Zunehmend wird wahrgenommen, dass Opfer, Angehörige, Zeugen<br />

und die E<strong>in</strong>satzkräfte wie Feuerwehr, Sanität und Polizei durch solche traumatisierenden<br />

Ereignisse Schaden erleiden können und e<strong>in</strong>e frühzeitige Intervention dazu beiträgt, seelisches<br />

Leid zu mildern. Es ist nicht nur e<strong>in</strong> Akt der Menschlichkeit, psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong><br />

<strong>Nothilfe</strong> zu leisten, sondern zugleich e<strong>in</strong>e wirtschaftliche Notwendigkeit. Denn die<br />

fachgerechte Hilfe kann das Auftreten der Posttraumatischen Belastungsstörung reduzieren,<br />

die Anzahl der mit dem Unglück im Zusammenhang stehenden Krankheitstage verm<strong>in</strong>dern,<br />

Frühberentungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gewissen Rahmen halten und so e<strong>in</strong>en wesentlichen Beitrag zur<br />

Kostenreduktion bis zu 60 % leisten.<br />

Im Rahmen des Konzeptes „Psychiatrie <strong>in</strong> a.o. Lagen und Psychotraumatologie“ wird im<br />

Kanton Aargau z. Zt. e<strong>in</strong> System aufgebaut, welches die Betreuung von Opfern, Angehörigen,<br />

Zeugen und E<strong>in</strong>satzkräften zum Ziele hat.<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 3


0 VORWORT<br />

Im Anschluss an den üblichen gedruckten Danksagungstext schreibt die Frau e<strong>in</strong>es<br />

Rettungssanitäters nach dessen Tod durch Suizid an die Arbeitskollegen ihres Gatten:<br />

... herzlichen Dank für Eure grosse Anteilnahme am Tod von N.N. Schade, dass Ihr Euch alle<br />

so schnell zurückgezogen habt nach der Abdankungsfeier.<br />

Mit e<strong>in</strong>er Bitte an Euch, möchte ich mich von Euch verabschieden.<br />

N.N. hätte dr<strong>in</strong>gend professionelle Hilfe gebraucht um se<strong>in</strong> Leben wieder <strong>in</strong> den Griff zu<br />

bekommen. Aber er wagte nicht, diese Hilfe zu holen. Er hatte grosse Angst, se<strong>in</strong> Gesicht zu<br />

verlieren oder als Schwächl<strong>in</strong>g zu gelten.<br />

Me<strong>in</strong>e Bitte wäre: Nehmt die Hilfe, wenn nötig <strong>in</strong> Anspruch und die andern sollten ke<strong>in</strong>e<br />

dummen (!) Sprüche über diesen Kollegen machen!<br />

Hilfe <strong>in</strong> Anspruch zu nehmen, heisst für mich stark se<strong>in</strong> und nicht schwach.<br />

Vielleicht ist das auch e<strong>in</strong>e Art von „Leben retten“! Und dies ist doch Eure Aufgabe!!!<br />

In diesem S<strong>in</strong>ne wünsche ich Euch alles Gute<br />

X.X. und K<strong>in</strong>der 1<br />

Diese Worte haben mich tief berührt. Auf wenigen Zeilen f<strong>in</strong>det sich hier gedrängt, was auf<br />

den folgenden Seiten ausführlicher dargestellt wird. Der Tod dieses Mannes, das Leid der<br />

Familie, wie wohl auch die unguten Gefühle der Rettungssanitäter hätten nicht se<strong>in</strong> müssen,<br />

wenn ...<br />

... nicht die Angst da gewesen wäre, ausgelacht zu werden.<br />

... e<strong>in</strong> gesellschaftliches Umdenken, dass Hilfesuchende nicht Schwächl<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d, bereits<br />

stattgefunden hätte.<br />

... Unternehmungen, welche Personen beschäftigen, die starken seelischen Belastungen<br />

ausgesetzt s<strong>in</strong>d, ihren Arbeitnehmenden professionelle Hilfe anbieten würden.<br />

... die Erkenntnisse der Psychotraumatologie <strong>in</strong> die Praxis umgesetzt worden wären.<br />

... wenn nicht aus Spargründen dr<strong>in</strong>gende zwischenmenschliche Hilfe unterbleiben würde.<br />

... wenn Staat und Öffentlichkeit mehr Verantwortungsbewusstse<strong>in</strong> zeigen würden.<br />

... wenn .... wenn ...<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 4


Die Zeichen der Zeit deuten darauf h<strong>in</strong> – vor allem bed<strong>in</strong>gt durch die tragischen Ereignisse<br />

wie der Flugzeugabsturz von Halifax, dass <strong>in</strong> der Öffentlichkeit die Sensibilität gegenüber<br />

traumatisierten Opfern wächst. An verschiedenen Orten s<strong>in</strong>d Hilfsmassnahmen bereits<br />

e<strong>in</strong>geleitet oder realisiert worden.<br />

Was auf der somatischen Ebene die Sanität leistet, versucht auf der seelischen Ebene die<br />

psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong>, nämlich Erste Hilfe für die Seele zu leisten, um das<br />

Leben von Opfern, Helfern und Angehörigen zu „retten“.<br />

Es bleibt zu wünschen, dass auch Helfer wie Sanität, Feuerwehr und Polizei nicht vergessen,<br />

ihr eigenes Leben zu retten und Hilfe <strong>in</strong> Anspruch nehmen bevor sie „am Anschlag“ s<strong>in</strong>d.<br />

Durch die Mitarbeit <strong>in</strong> der Arbeitsgruppe, welche das Konzept „Psychiatrie <strong>in</strong><br />

ausserordentlichen Lagen und Psychotraumatologie“ zu realisieren hat, komme ich mit<br />

verschiednen Personen der E<strong>in</strong>satzkräfte, aber auch mit den entsprechenden staatlichen<br />

Stellen <strong>in</strong> Kontakt. Durch den regen Gedankenaustausch b<strong>in</strong> ich sehr bereichert worden und<br />

hoffe, dass die <strong>in</strong> dieser Arbeit gesammelten Erkenntnisse dazu beitragen, damit Leid<br />

gemildert und Leben gerettet werden kann.<br />

Auenste<strong>in</strong>, 1. Dezember 2000<br />

1 Orig<strong>in</strong>altext, anonymisiert, Sommer 2000<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 5


1 EINLEITUNG<br />

Vorbemerkung<br />

Die Leser<strong>in</strong> / der Leser wird auf e<strong>in</strong>e Vielfalt von Begriffen stossen, die relativ une<strong>in</strong>heitlich<br />

s<strong>in</strong>d und wenig systematisch wirken. Dies lässt sich auf die Tatsache zurückzuführen, dass die<br />

Beschäftigung mit Psychotraumatologie erst <strong>in</strong> jüngster Zeit zu e<strong>in</strong>em Thema der breiten<br />

Öffentlichkeit geworden ist und e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong> gültige Term<strong>in</strong>ologie noch aussteht. Es s<strong>in</strong>d<br />

jedoch Tendenzen h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>heitlicheren Sprachgebrauch sichtbar. Weitgehend<br />

stammen die Ausdrücke aus dem englischen Sprachraum und werden unübersetzt<br />

übernommen. Im jeweiligen Kapitel erfolgt e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>gehende Darstellung, bzw. e<strong>in</strong>e kurze<br />

Erläuterung <strong>in</strong> den Worterklärungen.<br />

1.1 Allgeme<strong>in</strong><br />

Es dürfte unbestritten se<strong>in</strong>, dass Unternehmungen Krisen fürchten wie der Teufel das<br />

Weihwasser. Und dennoch ist es nicht auszuschliessen, dass e<strong>in</strong>e Unternehmung von e<strong>in</strong>er<br />

oder mehreren Krisen gleichzeitig oder kurz h<strong>in</strong>tere<strong>in</strong>ander heimgesucht wird. Krisen br<strong>in</strong>gen<br />

bekanntlich e<strong>in</strong>e grosse Menge Unannehmlichkeiten mit sich, verursachen u.U. enorme<br />

personelle und f<strong>in</strong>anzielle Schäden und können im schlimmsten Falle gar die Existenz e<strong>in</strong>es<br />

Unternehmens <strong>in</strong> Frage stellen.<br />

E<strong>in</strong>e nicht abschliessende Aufzählung zeigt, von welchen Krisen Unternehmungen betroffen<br />

se<strong>in</strong> können:<br />

• politische Instabilität im eigenen Land oder <strong>in</strong> wichtigen Absatzmarktgebieten<br />

• Naturkatastrophen wie z.B. Erdbeben, Überschwemmungen, Sturmschäden<br />

• wirtschaftliche E<strong>in</strong>wirkungen wie z.B. Rezession, Inflation oder Börsencrashs<br />

• betriebliche Störungen wie Explosionen, Arbeitsunfälle, Flugzeugabsturz<br />

• veränderte ethische E<strong>in</strong>stellung der Bevölkerung wie z.B. grösseres ökologisches<br />

Bewusstse<strong>in</strong>, Verachtung von K<strong>in</strong>derarbeit usw.<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 6


Weitsichtige Unternehmungen reagieren nicht e<strong>in</strong>fach auf schon e<strong>in</strong>getretene Krisen, sondern<br />

versuchen, soweit dies überhaupt möglich ist, eventuelle Krisen bereits gedanklich zu<br />

antizipieren und treffen entsprechende vorsorgliche Massnahmen.<br />

„Beim Crisis Management geht es darum, e<strong>in</strong>e – meist aufgrund e<strong>in</strong>es unethischen Verhaltens<br />

zustande gekommene – Krise so gut wie möglich zu bewältigen und zu überstehen. Im<br />

Vordergrund des Konzeptes steht die Erfassung und Charakterisierung der wichtigsten Phasen<br />

e<strong>in</strong>er Krise, die Beschreibung der organisatorischen und führungsmässigen Aufgaben zur<br />

Bewältigung e<strong>in</strong>er Krise (z.B. Bildung von Krisen-Teams, Aufstellen e<strong>in</strong>es Krisenplanes)<br />

sowie die Vorbereitung der Führungskräfte auf die potentiellen Krisen (z.B. durch Simulation<br />

möglicher Krisen).“ 2<br />

Das unethische Verhalten, das Thommen als häufige Ursache annimmt, mag wohl für e<strong>in</strong>en<br />

Teil von Unternehmungen zutreffen. Manche Krisen haben jedoch nicht <strong>in</strong> bewusstem<br />

unethischem Handeln ihren Ursprung, sondern s<strong>in</strong>d auf menschliches Versagen, e<strong>in</strong>e<br />

Anreihung unglücklicher Umstände oder technische Mängel zurückzuführen.<br />

Wie unterschiedlich Unternehmungen auf Krisen reagieren, zeigen zwei Beispiele aus<br />

jüngster Zeit:<br />

- Die Schweizer Banken haben im Umgang mit Geldern von Holocaust-Opfern bzw. der<br />

Entgegennahme von Potentatengeldern e<strong>in</strong> schlechtes Krisenmanagement vor Augen<br />

geführt.<br />

- Im Gegensatz dazu hat die SAir-Group Zusammenhang mit dem Flugzeugabsturz von<br />

Halifax e<strong>in</strong>e vielbeachtete und gelungene Krisenbewältigungsstrategie an den Tag gelegt.<br />

Dem Krisenmanagement, <strong>in</strong>sbesondere wenn Personenschäden zu beklagen s<strong>in</strong>d, kommt<br />

nicht nur e<strong>in</strong>e humanitäre, sondern auch e<strong>in</strong>e wirtschaftliche Bedeutung zu, welche nicht zu<br />

unterschätzen ist.<br />

„Die Art, wie e<strong>in</strong> Unternehmen mit Krisen umgeht, hat durchaus auch e<strong>in</strong>e imagebildende<br />

Wirkung und ist somit wirtschaftlich relevant. E<strong>in</strong> misslungenes Krisenmanagement kann die<br />

2 Thommen, J.-P., Glaubwürdigkeit - Die Grundlage unternehmerischen Denkens und Handelns, Versus Verlag,<br />

Zürich 1996, S. 30-31<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 7


Me<strong>in</strong>ung der Öffentlichkeit und im engeren S<strong>in</strong>ne der Kunden auf Jahre h<strong>in</strong>aus negativ<br />

bee<strong>in</strong>flussen und massive direkte f<strong>in</strong>anzielle Folgen haben.“ 3<br />

Daher lässt sich das Krisenmanagement auch aus der Sicht der Public Relations Strategie<br />

e<strong>in</strong>es Unternehmens betrachten, <strong>in</strong>dem die Ansprüche unterschiedlicher Stakeholders zu<br />

berücksichtigen s<strong>in</strong>d.<br />

„Wirtschaftliches Handeln geschieht nicht im luftleeren Raum. Das Handeln von<br />

Unternehmungen betrifft die Qualität des Lebens anderer Institutionen und Menschen. ...<br />

Diese Umweltorientierung führte zu e<strong>in</strong>er neuen Denkhaltung, die mit dem Begriff soziale<br />

oder gesellschaftliche Verantwortung („Social Responsability“) umschrieben wird.“ 4<br />

Oft wird der Wirtschaft von humanistisch, ethisch und/oder religiös motivierten Menschen<br />

der Vorwurf gemacht, es mangle ihr an ethischer und sozialer Verantwortung, an<br />

Menschlichkeit. Andererseits kontert die Wirtschaft, dass ihre Kontrahenten die notwendigen<br />

ökonomischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen zu wenig beachten würden. E<strong>in</strong> gelungenes<br />

Krisenmanagement vere<strong>in</strong>igt <strong>in</strong> sich die Aspekte der Menschlichkeit und Wirtschaftlichkeit.<br />

„E<strong>in</strong>e gute Ethik darf nicht so beschaffen se<strong>in</strong>, dass sie zu e<strong>in</strong>em re<strong>in</strong>en Selbstzweck erhoben<br />

wird, ohne die (wirtschaftliche) Realität zu berücksichtigen. Auf der andern Seite darf sie aber<br />

nicht Mittel zum Zweck werden; es wäre gefährlich e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>strumentelle Ethik zu entwickeln.<br />

Ziel muss es se<strong>in</strong>, nach e<strong>in</strong>er Ethik zu suchen, die unter ethischen Gesichtpunkten S<strong>in</strong>n macht,<br />

d.h. die e<strong>in</strong> gutes, gerechtes und vernünftiges Handeln ermöglicht, mit der aber gleichzeitig<br />

wirtschaftliches Handeln möglich ist.“ 5<br />

Es geht also nicht um e<strong>in</strong> entweder Menschlichkeit oder Wirtschaftlichkeit, sondern um e<strong>in</strong><br />

Sowohl-als-auch. Wo es gel<strong>in</strong>gt, diesen Ansatz des Sowohl-als-auch zu verwirklichen,<br />

entsteht Ganzheitlichkeit. Menschlichkeit und Wirtschaftlichkeit schliessen sich nicht<br />

gegenseitig aus, vielmehr besteht gar e<strong>in</strong>e wechselseitige Abhängigkeit.<br />

3 Cunderl<strong>in</strong>k, D., Katastrophen und ihre Opfer, Sem<strong>in</strong>ar für angewandte Psychologie, Zürich 1999, S. 10<br />

4 Thommen, J.-P., 1996, S. 11; 12<br />

5 Thommen, J.-P., 1996, S. 16<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 8


1.2 <strong>Psychologisch</strong>-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> als Krisenmanagement<br />

Die folgenden Ausführungen gehen nicht von e<strong>in</strong>em Krisenmanagement <strong>in</strong>folge unethischen<br />

Handelns von Unternehmungen und den entsprechenden Folgen aus, sondern davon wie bei<br />

Ereignissen, welche Personenschäden verursachen, mitmenschlich s<strong>in</strong>nvoll zu handeln ist und<br />

gleichzeitig wirtschaftliche Folgekosten m<strong>in</strong>imiert werden können.<br />

Die Schweizer Öffentlichkeit ist <strong>in</strong> den letzten Jahren mit tragischen Ereignissen im eigenen<br />

Land, bzw. mit eigenen Landsleuten als Opfern, konfrontiert worden: November 1997<br />

Attentat <strong>in</strong> Luxor, September 1998 Flugzeugabsturz <strong>in</strong> Halifax, Juli 1999 Canyon<strong>in</strong>g-Unfall<br />

im Saxetbach, Oktober 2000 Unwetter <strong>in</strong> Gondo / Wallis.<br />

Im gleichen Zeitraum haben sich <strong>in</strong> den Nachbarländern ähnliche Tragödien abgespielt: Juni<br />

1998 ICE-Entgleisung <strong>in</strong> Eschede / Deutschland, März 1999 Brand im Mont Blanc-<br />

Autotunnel / Frankreich, Juli 2000 Concorde-Absturz bei Paris, November 2000<br />

Standseilbahnbrand <strong>in</strong> Kaprun / Österreich.<br />

Durch all diese Ereignisse – mit der entsprechenden Darstellung <strong>in</strong> den Medien - ist die<br />

Sensibilität dieser Thematik gegenüber wie auch das Bedürfnis nach psychologisch<strong>seelsorgerliche</strong>r<br />

<strong>Nothilfe</strong> gewachsen. Dieses Bedürfnis beruht auf der Notwendigkeit, Opfern<br />

und ihren Angehörigen, aber auch Helfern im E<strong>in</strong>satz, die nötige mitmenschliche Hilfe<br />

zukommen zu lassen.<br />

„Jede Berichterstattung provoziert auch e<strong>in</strong>e gewisse Erwartungshaltung, sowohl betreffend<br />

der Wirksamkeit, als auch gegenüber der Erhältlichkeit e<strong>in</strong>er solchen Betreuung. In andern<br />

Worten der Marktwirtschaft ausgedrückt: Es hat sich herumgesprochen, dass es e<strong>in</strong> Gut<br />

„psychologische Betreuung“ gibt, und nach diesem wird nun gefragt, das heisst es wird<br />

erwartet, dass dieses Gut bei Bedarf <strong>in</strong> genügendem Ausmass erhältlich ist.“ 6<br />

Der Bedarf nach dem Gut „psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong>“ wächst <strong>in</strong>sofern, als<br />

e<strong>in</strong>zelne Individuen, wie auch die Gesellschaft als Ganzes - vor allem im Bereich der Freizeit<br />

und des Sports - Rest-Risiken mehr und mehr im Kauf nimmt. Gleichzeitig wird im Falle<br />

6 Cunderl<strong>in</strong>k, D., 1999, S. 8<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 9


e<strong>in</strong>es Falles ganz selbstverständlich Hilfe erwartet. Im Bereich der mediz<strong>in</strong>ischen<br />

Hilfeleistung decken vor allem die bodengebundenen Sanitätsdienste und die REGA<br />

(Schweiz. Rettungsflugwacht) dieses Bedürfnis ab, während bei der psychologisch<strong>seelsorgerliche</strong>n<br />

<strong>Nothilfe</strong> das Angebot noch recht bescheiden ist.<br />

Zunehmend erachten es gewisse Unternehmungen jedoch als hilfreich, e<strong>in</strong> solches „Angebot“<br />

anzubieten, um damit allfälligen Ansprüchen aus der Produktehaftpflicht genügen zu können.<br />

„E<strong>in</strong>ige Organisationen verstehen diese Dienstleistung im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Produktehaftung. Bei<br />

Fluggesellschaften zum Beispiel hat man angefangen, sogenannte „Care Teams“ zu bilden,<br />

die im Falle e<strong>in</strong>er Flugzeugkatastrophe die Betreuung der Betroffenen übernehmen können.“ 7<br />

Bei Flugzeuggesellschaften dürfte es im Rahmen der Produktehaftung naheliegend se<strong>in</strong>,<br />

solche Care Teams aufzubauen. Wer aber trägt die Verantwortung bei Naturkatastrophen,<br />

Verbrechen, Verkehrsunfällen usw.? Vielfach s<strong>in</strong>d Ereignisse multifaktoriell bed<strong>in</strong>gt, also<br />

nicht e<strong>in</strong>deutig e<strong>in</strong>em Verursacher zuzuweisen, welcher die Verantwortung zu übernehmen<br />

hätte. So wird von der öffentlichen Hand erwartet, diesbezüglich aktiv zu werden. Im Moment<br />

bemühen sich mehrere Kantone <strong>in</strong> der Schweiz, Konzepte zu verwirklichen, welche e<strong>in</strong>e<br />

psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> und den Aufbau von Care Teams vorsehen.<br />

Ausgehend von e<strong>in</strong>er Interpellation im Grossen Rat des Kantons Aargau hat der<br />

Regierungsrat des Kantons Aargau im November 1999 das Konzept „Psychiatrie <strong>in</strong><br />

ausserordentlichen Lagen und Psychotraumatologie“ (Anhang I) gutgeheissen. Das am<br />

1.1.2000 <strong>in</strong> Kraft gesetzte Konzept wird nun schrittweise realisiert. Die Aufbau- und<br />

Realisierungsphase der psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n <strong>Nothilfe</strong> ist Anlass und Teil dieser<br />

Arbeit.<br />

7 Cunderl<strong>in</strong>k, D., 1999, S. 9<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 10


1.3 Ziele des Konzepts „Psychiatrie <strong>in</strong> ausserordentlichen Lagen und<br />

Psychotraumatologie“<br />

Spontane Hilfsbereitschaft von E<strong>in</strong>zelnen ist selbst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er anonymen Gesellschaft noch<br />

weitgehend verbreitet – zum Glück! Je nach Grösse e<strong>in</strong>es Ereignisses reicht spontane<br />

Hilfsbereitschaft und guter Wille nicht aus. Benötigt werden bereits bei e<strong>in</strong>em „kle<strong>in</strong>en“<br />

Ereignis ausreichende technische Hilfsmittel wie Bergungsgeräte (z.B. Spreizer), spezielle<br />

Fachkenntnisse (z.B. Chemiewehr) und bei e<strong>in</strong>em Grossereignis genügend<br />

Personalressourcen für e<strong>in</strong>en länger dauernden E<strong>in</strong>satz. Spontane Hilfsbereitschaft wird nicht<br />

h<strong>in</strong>fällig, sondern ist oft unverzichtbar bis zum E<strong>in</strong>treffen der E<strong>in</strong>satzkräfte.<br />

Durch den Aufbau und den Betrieb e<strong>in</strong>er geeigneten Organisation mit entsprechender<br />

Führungsstruktur soll erreicht werden, dass traumatisierten Opfern die notwendige Betreuung<br />

möglichst rasch zukommt. Dies entspricht e<strong>in</strong>em Akt der Menschlichkeit und der humanitären<br />

Tradition der Schweiz. So lautet dementsprechend die Zielsetzung des Konzepts PSYCHIATRIE<br />

IN AUSSERORDENTLICHEN LAGEN UND PSYCHOTRAUMATOLOGIE des Kantons Aargau:<br />

„Bestmögliche sanitätsdienstliche Versorgung von Menschen mit psychischen Reaktionen,<br />

Bee<strong>in</strong>trächtigungen oder Krankheiten während oder als Folge ausserordentlicher Situationen<br />

oder Ereignisse zu jeder Zeit. Dies gilt unabhängig vom Ausmass des Ereignisses.“ 8<br />

Daneben verfolgt das Konzept e<strong>in</strong>deutig - wenn auch nicht explizit - wirtschaftliche Ziele,<br />

nämlich die Kosten, welche traumatische Erlebnisse verursachen, zu m<strong>in</strong>imieren:<br />

„Die Behandlung der Betroffenen und ihrer Angehörigen verursacht kurzfristig Kosten im<br />

Gesundheitswesen. ... Längerfristig sollten auch E<strong>in</strong>sparungen zu erwarten se<strong>in</strong>, weil<br />

chronische Fälle seltener werden.“ 9<br />

Das Konzept des Kantons Aargau versucht also, den Aspekt der Humanität und der<br />

Wirtschaftlichkeit <strong>in</strong> sich zu vere<strong>in</strong>en.<br />

8 Konzept „Psychiatrie <strong>in</strong> ausserordentlichen Lagen und Psychotraumatologie“, S. 2 (Seitenzahlen nach Orig<strong>in</strong>al,<br />

nicht Anhang)<br />

9 Konzept „Psychiatrie <strong>in</strong> ausserordentlichen Lagen und Psychotraumatologie“, S. 8<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 11


1.4 Engagement der Kirchen<br />

Neben den technischen Fortschritten im Bereich der Notfallmediz<strong>in</strong> vollzieht sich auch im<br />

Bereich der Notfallpsychologie e<strong>in</strong> grosser Umbruch. Der Mensch mit se<strong>in</strong>em je eigenen<br />

Erleben e<strong>in</strong>er Notfallsituation rückt nun verstärkt <strong>in</strong> das Blickfeld. Mit der Entwicklung der<br />

psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n <strong>Nothilfe</strong> haben die Kirchen <strong>in</strong> den letzten Jahren e<strong>in</strong> neues -<br />

und zugleich altes - wichtiges Tätigkeitsfeld wiederentdeckt. Es gehört zum Proprium der<br />

Kirchen, Menschen, die sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er akuten Notfallsituation bef<strong>in</strong>den, beistehen und ihnen<br />

durch <strong>seelsorgerliche</strong>s Handeln helfen, die oft existentiell bedrohliche Situation zu<br />

bewältigen. Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk. 10, 25 ff) führte über den Weg<br />

der christlichen Hospize zur modernen Gesundheitsversorgung. Dieses Gleichnis vermag<br />

ebenso den Grund zu legen für die Erste Hilfe für die Seele. Die Situation des unter die<br />

Räuber Gefallenen entspricht, <strong>in</strong> die heutige Zeit übertragen, sehr häufig der Situation derer,<br />

die Opfer, Angehörige oder auch E<strong>in</strong>satzkräfte e<strong>in</strong>es heutigen Notfallgeschehens s<strong>in</strong>d: Am<br />

Strassenrand liegt er, kann sich nicht bewegen, sich nicht mehr helfen; Menschen gehen an<br />

ihm vorüber, ohne zu helfen; hilflos, den äusseren Umständen völlig ausgeliefert, hofft er auf<br />

jemanden, der hilft, dem er sich anvertrauen kann. Die Beschreibung ist übertragbar auf die<br />

e<strong>in</strong>es Verkehrsunfallopfers; e<strong>in</strong>es Ehepaares, dessen Sohn nicht mehr reanimiert werden<br />

konnte und jetzt tot auf dem Boden liegt; e<strong>in</strong>es Feuerwehrmannes auf den Gleisen, die<br />

sterblichen Reste e<strong>in</strong>es unter den Zug gekommenen Menschen e<strong>in</strong>sammelnd oder bei e<strong>in</strong>em<br />

Wohnungsbrand, bei dem e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d verstarb.<br />

<strong>Psychologisch</strong>-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> will den <strong>in</strong> Not geratenen Menschen, den Trauernden<br />

und Sterbenden, den Mutlosen und am Leben Verzweifelnden etwas von Heil vermitteln, das<br />

mit Christus <strong>in</strong> die Welt kam. Sie vollzieht damit zugleich e<strong>in</strong>en Dienst an den Menschen und<br />

an Gott (vgl. Mt. 25, 40: „Was ihr für e<strong>in</strong>en me<strong>in</strong>er ger<strong>in</strong>gsten Brüder getan habt, das habt ihr<br />

mir getan.“) <strong>Psychologisch</strong>-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> ist e<strong>in</strong>e Form diakonischen<br />

Gottesdienstes.<br />

Das heisst aber nicht, dass psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> die Menschen<br />

vere<strong>in</strong>nahmen will. Es geht nicht darum, <strong>in</strong> Not geratene Menschen zu missionieren und sie<br />

zum Christentum zu bekehren, weil sie nur so mit ihren Sorgen, Nöten und Ängsten leben<br />

können. Im Gegenteil: Wenn (Notfall-) Seelsorge sich als Gastfreundschaft versteht, ist sie<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 12


e<strong>in</strong> offenes Angebot an die Menschen. Sie eröffnet Zukunftsperspektiven und stiftet Hoffnung<br />

aufgrund ihres Glaubens an Gott und se<strong>in</strong>es Wirkens <strong>in</strong> der Welt. Gleichzeitig respektiert sie<br />

aber auch die Freiheit des Menschen, sich anders zu entscheiden und se<strong>in</strong>e Hoffnung auf<br />

etwas anderes zu setzen. Sie verkündet die befreiende Botschaft des Evangeliums, versucht<br />

aber nicht, sie jemandem „überzustülpen“.<br />

Auch wenn viele Menschen der Kirche heute recht kritisch gegenüberstehen und die Zahl der<br />

<strong>in</strong> der Kirche Engagierten abnimmt, s<strong>in</strong>d Seelsorger/<strong>in</strong>nen doch noch immer recht angesehene<br />

Persönlichkeiten, die das Vertrauen vieler Menschen geniessen. So kann es <strong>in</strong><br />

Krisensituationen auch für Nicht-Christen hilfreich se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e/n Seelsorger/<strong>in</strong> zu sprechen, da<br />

diese/r um die Sorgen und Nöte der Menschen weiss, besonders dann, wenn es um Krankheit,<br />

Tod und Trauer geht. Nicht selten ist der Tod e<strong>in</strong>es Angehörigen Anlass für die<br />

H<strong>in</strong>terbliebenen, sich mit den Fragen nach dem eigenen Leben und Sterben ause<strong>in</strong>ander<br />

zusetzen und hier nach Antworten zu suchen.<br />

Die Kirchen verfügen durch ihre Geme<strong>in</strong>den über e<strong>in</strong> dichtes, fast das ganze Kantonsgebiet<br />

abdeckendes Netz von gut ausgebildeten Mitarbeiter<strong>in</strong>nen und Mitarbeitern, die zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong><br />

den Grundlagen der Gesprächsführung ausgebildet s<strong>in</strong>d und die Erfahrung im Umgang mit<br />

trauernden Menschen haben. Die meist flexible Arbeitse<strong>in</strong>teilung der kirchlichen<br />

Mitarbeitenden macht sie zudem kurzfristig e<strong>in</strong>satzfähig.<br />

Es besteht die Möglichkeit, dass E<strong>in</strong>satzkräfte dem Engagement der Kirchen eher<br />

zurückhaltend gegenüberstehen. „Was hat e<strong>in</strong>/e Pfarrer/<strong>in</strong> auf dem Schadenplatz zu suchen?“<br />

Das mag se<strong>in</strong>en Grund dar<strong>in</strong> haben, dass die E<strong>in</strong>satzkräfte befürchten, die psychologisch<strong>seelsorgerliche</strong>n<br />

Nothelfer/<strong>in</strong>nen würden ihnen im Wege stehen, den E<strong>in</strong>satz beh<strong>in</strong>dern,<br />

Abläufe verkomplizieren oder durch unbedachtes Handeln mehr Schaden anrichten als<br />

nützlich se<strong>in</strong>. Wenn die psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n Nothelfer/<strong>in</strong>nen ausreichende<br />

Kenntnisse über die Schadenplatzorganisation und die Arbeitsweise der E<strong>in</strong>satzkräfte<br />

verfügen, kann dieses Argument entkräftet werden. D.h. die Ausbildung ist darauf<br />

auszurichten, dass e<strong>in</strong>erseits das Vertrauen der E<strong>in</strong>satzkräfte <strong>in</strong> die psychologisch<strong>seelsorgerliche</strong>n<br />

Nothelfer/<strong>in</strong>nen wächst und andererseits diese ihren Dienst fachlich und<br />

zwischenmenschlich optimal leisten.<br />

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<strong>Psychologisch</strong>-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> sollte zu e<strong>in</strong>em verbreiteten und anerkannten Bereich<br />

der Spezialseelsorge werden, für den auch e<strong>in</strong>zelne Seelsorger/<strong>in</strong>nen, ähnlich wie <strong>in</strong> der<br />

Spital-, Gefängnis- oder Militärseelsorge, von anderen Aufgaben entbunden, bzw. für<br />

E<strong>in</strong>sätze freigestellt werden. Dies ist zwar mit Kosten verbunden, was aber ke<strong>in</strong><br />

H<strong>in</strong>derungsgrund se<strong>in</strong> sollte. <strong>Psychologisch</strong>-<strong>seelsorgerliche</strong> Nothelfer/<strong>in</strong>nen leisten e<strong>in</strong>e<br />

wichtige Arbeit. Sie helfen den Menschen, die sich aufgrund e<strong>in</strong>es Notfallereignisses <strong>in</strong><br />

existentiellen Nöten bef<strong>in</strong>den. Diesen Menschen zu helfen ist ke<strong>in</strong> unnötiger Luxus, sondern<br />

e<strong>in</strong>e wesentliche Aufgabe e<strong>in</strong>er Kirche, die von sich behauptet, besonders für Arme und<br />

Bedrängte aller Art da zu se<strong>in</strong>.<br />

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2 KRISENMANAGEMENT<br />

Krise, Katastrophe, Stress, Trauma - e<strong>in</strong>e Vielzahl von Begriffen, welche oftmals synonym<br />

verwendet werden, haben sich z.T. <strong>in</strong> der Bedeutung gewandelt und s<strong>in</strong>d zu klären. Die bisher<br />

gebräuchlichen Def<strong>in</strong>itionen lauten:<br />

Die Krise<br />

„Das seit dem 16. Jh. bezeugte, aus gr. krisis > lat. crisis „Entscheidung, entscheidende<br />

Wendung“ entlehnte Fremdwort ersche<strong>in</strong>t zuerst <strong>in</strong> der Form Crisis als Term<strong>in</strong>us der<br />

mediz<strong>in</strong>ischen Fachsprache zur Bezeichnung des Höhe- und Wendepunktes e<strong>in</strong>er Krankheit.<br />

Im 18. Jh. beg<strong>in</strong>nt unter dem E<strong>in</strong>fluss von franz. crise der übertragene allgeme<strong>in</strong>e Gebrauch<br />

des Wortes im S<strong>in</strong>ne von „entscheidende, schwierige Situation; Klemme“, und die ’Krise’<br />

setzt sich allmählich durch.“ 10<br />

„Krise ist e<strong>in</strong> Ereignis, das e<strong>in</strong> zeitweiliges psychisches Ungleichgewicht hervorruft und e<strong>in</strong>en<br />

Zustand emotionaler Unruhe verursacht. E<strong>in</strong>e Krise stellt e<strong>in</strong>e Störung der psychischen<br />

Ausgeglichenheit oder Balance dar.“ 11<br />

Die Katastrophe<br />

„entscheidende Wendung zum Schlimmen; Unheil, Verhängnis, Zusammenbruch<br />

Um 1600 aus gr.-lat. katastrophé „Umkehr, Wendung (<strong>in</strong>sbesondere Wendepunkt der<br />

Handlung im Drama); Vernichtung, Verderben“ entlehnt.“ 12<br />

Der Stress<br />

„engl. Druck, Belastung, Spannung<br />

Zustand des Organismus, der durch e<strong>in</strong> spezifisches Syndrom (erhöhte Sympatikus-Aktivität,<br />

vermehrte Ausschüttung von Katecholam<strong>in</strong>en, Blutdrucksteigerung u.a.) gekennzeichnet,<br />

dabei aber durch verschiedenartige unspezifische Reize (Infektionen, Verletzungen,<br />

Verbrennungen, Strahlene<strong>in</strong>wirkung, aber auch Ärger, Freude, Leistungsdruck u. a.<br />

Stressfaktoren wie Aufregung, seelische u. körperliche Überbelastungen, Lärm u.a.m.)<br />

10 Duden Band 7, Das Herkunftswörterbuch, Bibliographisches Institut, Mannheim 1963, S. 371<br />

11 Mitchell, J., Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen, 2. Auflage, Verlagsgesellschaft Stumpf &<br />

Kossendey, Edewecht 1998, S.22<br />

12 Duden Band 7, 1963, S. 317<br />

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ausgelöst werden kann. Stress kann man auch äussere E<strong>in</strong>wirkungen verstehen, auf die der<br />

Körper nicht <strong>in</strong> genügender Weise adaptiert ist, z.B. Operationen, Vergiftungen,<br />

Schwangerschaft. Als Folge entsteht das allgeme<strong>in</strong>e Anpassungssyndrom.“ 13<br />

Das Trauma<br />

„gr. Verletzung, Wunde, Gewalte<strong>in</strong>wirkung <strong>in</strong> körperlicher oder psychischer H<strong>in</strong>sicht.“ 14<br />

Diese sehr allgeme<strong>in</strong>e Def<strong>in</strong>ition benötigt e<strong>in</strong>e Klärung und gleichzeitig e<strong>in</strong>e Ausweitung des<br />

Bedeutungsfeldes:<br />

„Der Begriff „Trauma“ muss heute <strong>in</strong> Anlehnung an die neue Def<strong>in</strong>ition aus den USA (und<br />

anders als <strong>in</strong> direkter Übersetzung aus dem Griechischen) folgendermassen def<strong>in</strong>iert werden:<br />

Es ist e<strong>in</strong>e Erfahrung ausserhalb der Norm, bei der die psychische und physische Integrität<br />

des e<strong>in</strong>zelnen oder e<strong>in</strong>er Gruppe von Menschen bedroht ist.“ 15<br />

„Es wird unterschieden zwischen Traumatyp I, e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>maligen Ereignis, mit klarem<br />

Anfang und Ende, und Trauma Typ II. Im Traumatyp II wird die Person immer wieder dem<br />

gleichen oder ähnlichen gewalttätigen Ereignis ausgesetzt. ... Bei e<strong>in</strong>em Traumatyp I (z.B.<br />

Naturkatastrophe oder Unfall) ermöglicht e<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>schaft, die gut funktioniert und sofort<br />

Hilfe für die Betroffenen leistet, das zentrale Erlebnis von Solidarität. Mangelnde soziale<br />

Strukturen und Hilfsmöglichkeiten können aber dazu führen, dass e<strong>in</strong>e Natur- oder e<strong>in</strong>e vom<br />

Menschen verursachte Katastrophe zu e<strong>in</strong>er chronischen Traumatisierung vom Typ II führt.“ 16<br />

Durch all diese Def<strong>in</strong>itionen zieht sich e<strong>in</strong> roter Faden. Die betroffene Person ist durch e<strong>in</strong>e<br />

e<strong>in</strong>malige oder wiederholte Situation gefordert. Dieser Herausforderung gilt es mit e<strong>in</strong>em<br />

adäquaten Krisenmanagement zu begegnen. D.h. es gilt nicht nur auf e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>getretenes<br />

Ereignis zu reagieren, sondern bereits vorgängig zu agieren und entsprechende<br />

„Abwehrmechanismen“ zu entwickeln.<br />

13 Pschyrembel, W., Kl<strong>in</strong>isches Wörterbuch, 255. Auflage, Verlag de Gruyter, Berl<strong>in</strong> 1986, S. 1610<br />

14 Pschyrembel, W., 1986, S. 1698<br />

15 Perren, G., Gewalterfahrung und präventive Intervention, <strong>in</strong>: Perren, G., Debrief<strong>in</strong>g – erste Hilfe durch das<br />

Wort, Verlag Paul Haupt, Bern 2000, S. 6<br />

16 Perren, G., Gewalterfahrung und präventive Intervention, <strong>in</strong>: Perren, G., 2000, S. 7<br />

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2.1 Ziele der Krisen<strong>in</strong>tervention<br />

„Krisen<strong>in</strong>tervention bedeutet die Anwendung e<strong>in</strong>er ‚Ersten Hilfe für die Seele’. In diesem<br />

S<strong>in</strong>ne ist Krisen<strong>in</strong>tervention e<strong>in</strong>e Herausforderung an ‚psychologischer Schadenskontrolle<br />

und Schadensbegrenzung’. Gleichgültig, ob es sich um e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Krise handelt oder um e<strong>in</strong>e<br />

akute traumatische Situation.“ 17 Krisen<strong>in</strong>tervention ist ke<strong>in</strong>e Psychotherapie, sondern Erste<br />

Hilfe für die Seele mit folgenden Zielsetzungen:<br />

1. „Abbau der psychischen Leistungsfähigkeit stoppen, der unter dem E<strong>in</strong>druck e<strong>in</strong>er<br />

Krise typisch ist und als akuter Angriff auf die Seele wahrgenommen wird<br />

2. Stabilisierung der kognitiven und affektiven Prozesse<br />

3. Bearbeitung akuter Symptome psychischer Belastung / Störung<br />

4. Wiederherstellung e<strong>in</strong>es unabhängigen, anpassungsfähigen Verhaltens oder<br />

Vermittlung weitergehender professioneller Hilfe“ 18<br />

Die Krisen<strong>in</strong>tervention umfasst mehr als die Reaktion auf e<strong>in</strong> bereits e<strong>in</strong>getretenes Ereignis.<br />

„Jede Krise besteht aus e<strong>in</strong>em Vorher, e<strong>in</strong>em Während und e<strong>in</strong>em Nachher. ... Wichtig ist,<br />

sich während dieser drei Phasen richtig zu verhalten: Das Vorher enthält optimale technische,<br />

psychische und physische Vorbereitung, also die Prävention. Die Ausrüstung muss stimmen,<br />

man muss sich geistig auf das, was auf e<strong>in</strong>em zukommt e<strong>in</strong>stellen, und man muss körperlich<br />

<strong>in</strong> genügend guter Verfassung se<strong>in</strong>. ... Während des E<strong>in</strong>satzes muss das Kommando dafür<br />

sorgen, dass die Retter<strong>in</strong>nen und Retter genügend tr<strong>in</strong>ken und essen und Schlaf kriegen, und<br />

es ist wichtig, aufe<strong>in</strong>ander e<strong>in</strong>zugehen und sich ume<strong>in</strong>ander zu kümmern, zu fragen wie es<br />

geht und ob es noch geht. ... Nach e<strong>in</strong>em belastenden E<strong>in</strong>satz haben nicht nur die Opfer,<br />

sondern auch die Retter<strong>in</strong>nen und Retter Unterstützung nötig.“ 19<br />

„E<strong>in</strong>e Krisensituation ist beendet, wenn sich das emotionale Gleichgewicht wieder e<strong>in</strong>gestellt<br />

hat, wenn die Betroffenen ihre Erfahrungen adäquat verarbeiten konnten und die<br />

entsprechende – ressourcenorientierte – Bewältigungsstrategien entwickelt haben.“ 20<br />

17 Mitchell, J., 1998, S. 83<br />

18 Mitchell, J., 1998, S. 84<br />

19 <strong>in</strong>: Aargauer Zeitung, Mittwoch, 13. Sept. 2000, Zitat von Gisela Perren im Artikel „Vom Umgang mit sich<br />

selber“ von uhu über e<strong>in</strong>en Informationsabend des Bezirksfeuerwehrverbandes Olten zum Thema „Debrief<strong>in</strong>g“<br />

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Die adäquate Vorbereitung, Reaktion und die Nachbearbeitung auf e<strong>in</strong>e Krise hängt u.a.<br />

weitgehend von der Art und dem Ausmass des Ereignisses ab. Obwohl jedes traumatisierende<br />

Ereignis se<strong>in</strong> eigenes Gesicht hat, lassen sich drei wesentliche Kategorien bilden:<br />

<strong>in</strong>dividuelles Ereignis, Kle<strong>in</strong>ereignis und Grossereignis. Jede dieser Kategorien benötigt e<strong>in</strong>e<br />

andere Art des Krisenmanagements.<br />

„Jede Führungskraft sollte folgenden Satz beherzigen: „Gutes Management ist gutes<br />

Stressmanagement, und gutes Stressmanagement ist gutes Management.“ 21<br />

20 Mitchell, J., 1998, S. 166<br />

21 Mitchell, J., 1998, S. 73<br />

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2.2 Individuelles Ereignis<br />

Das Leben der meisten Menschen ist von persönlichen Krisen mehr oder weniger grossen<br />

Ausmasses geprägt. E<strong>in</strong> Teil dieser persönlichen Krisen ist entwicklungsgeschichtlich und<br />

sozial und/oder kulturell bed<strong>in</strong>gt. Von entwicklungsgeschichtlichen Ereignissen werden alle<br />

Personen betroffen (z.B. Pubertät, Alterungsprozess, Sterben) und können als Reifekrisen<br />

bezeichnet werden. Die sozial-kulturellen Ereignisse (z.B. Partnerschaft, Berufsrolle,<br />

Pensionierung) wirken auf sehr viele, aber nicht auf jedermann e<strong>in</strong>. Je nach persönlicher<br />

Veranlagung und Ressourcen können solche normativen (normativ, weil zu e<strong>in</strong>em<br />

„normalen“ Leben gehörend) Krisen mehr oder weniger gut bewältigt werden. Auf e<strong>in</strong>en<br />

Grossteil dieser <strong>in</strong>dividuellen Ereignisse kann man sich z. T. vorbereiten, da sie - mit der<br />

notwendigen Weitsicht - <strong>in</strong>s Leben „e<strong>in</strong>planbar“ s<strong>in</strong>d.<br />

Im Alltag wird e<strong>in</strong> ganzes Repertoire an Verhaltensweisen und Mechanismen e<strong>in</strong>gesetzt, um<br />

beängstigende und bedrohliche Ereignisse zu meistern. Sofern nicht extreme Formen<br />

auftreten, dürfen diese Verhaltensmuster als normal und nicht pathologisch angesehen<br />

werden.<br />

„Situative Krisen s<strong>in</strong>d Ereignisse, welche sche<strong>in</strong>bar zufällig und schicksalhaft, also nichtnormativ,<br />

<strong>in</strong>s Leben e<strong>in</strong>brechen wie schwere Krankheiten, Verletzungen, bedrohliche<br />

Umstände wie Brände, Überschwemmungen, Zerstörung, Erdbeben, grausame Szenarien usw.<br />

die ausserhalb der üblichen menschlichen Erfahrung liegen. Meistens fehlte jegliche<br />

vorgängige Ause<strong>in</strong>andersetzung mit dem Geschehen und die bisher angewandten<br />

Reaktionsmuster greifen nicht mehr. An ihre Stelle treten heftigere Reaktionsweisen, die nicht<br />

etwa pathologisch, sondern als normale Reaktionen auf aussergewöhnliche Ereignisse zu<br />

betrachten s<strong>in</strong>d. Die Traumatisierung fällt vor allem im Bereich der situativen Krisen an.“ 22<br />

In der Regel kommen die E<strong>in</strong>satzkräfte bei persönlichen Ereignissen nur dann zum E<strong>in</strong>satz,<br />

wenn es sich um situative Krisen handelt, die bisherige Cop<strong>in</strong>g-Strategie versagt und es <strong>in</strong> der<br />

Folge zu Gewalttätigkeit, Suizid, Brandstiftung usw. kommt.<br />

22 Mitchell, J., 1998, S.164<br />

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2.3 Kle<strong>in</strong>ereignis<br />

Unter Kle<strong>in</strong>ereignissen versteht man all jene Ereignisse, welche tagtäglich die meistgelesenen<br />

Seiten der Zeitungen füllen, nämlich „Unglücksfälle und Verbrechen“. In der Regel s<strong>in</strong>d bei<br />

den Kle<strong>in</strong>ereignissen stets die E<strong>in</strong>satzkräfte <strong>in</strong>volviert, jedoch kaum e<strong>in</strong> Krisenstab.<br />

Der Titel „Kle<strong>in</strong>ereignis“ weckt vielleicht die Assoziation, dass es sich um e<strong>in</strong> Bagatell-<br />

Ereignis handeln würde. Dem ist gar nicht so, denn für e<strong>in</strong>e betroffene Person kann selbst e<strong>in</strong><br />

Kle<strong>in</strong>ereignis e<strong>in</strong>e grosse persönliche Katastrophe bedeuten. Kle<strong>in</strong>ereignisse gehören <strong>in</strong> den<br />

Bereich der nicht-normativen Krisen und lösen <strong>in</strong> der Regel andere und vor allem stärkere<br />

Reaktionsmuster aus. Sie rufen nach e<strong>in</strong>er entsprechenden Betreuung durch die<br />

psychologisch-seelsorgerlich <strong>Nothilfe</strong>. Die Mitglieder der psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n<br />

<strong>Nothilfe</strong> müssen daher <strong>in</strong> der Lage se<strong>in</strong>, Menschen mit aussergewöhnlichen Stresserfahrungen<br />

fachgerecht zu begleiten.<br />

Die Übergänge von e<strong>in</strong>em Kle<strong>in</strong>ereignis zu e<strong>in</strong>em Grossereignis s<strong>in</strong>d fliessend. Der<br />

nachfolgende Raster 23 gibt mögliche Abgrenzungskriterien an.<br />

Ereignisse<br />

Auswirkungen<br />

Alltag Grossereignis Katastrophen und Notlagen<br />

Todesopfer,<br />

Verletzte, Kranke<br />

1 – 10 -100 100 – 1000 – 10'000 –100'000 – 1'000’000<br />

Evakuierte,<br />

1'000 – 10'000 –100'000 –1'000'000 –<br />

Flüchtende,<br />

1 – 10 –100 - 1000<br />

10'000’000<br />

Schutzsuchende<br />

Unterstützungsbedürf<br />

tige (Obdachlose, 1 – 10 – 100 – 1000 –<br />

Flüchtl<strong>in</strong>ge,<br />

10’000<br />

10'000 – 100'000 –1'000'000 – 10'000’000<br />

Pflegebedürftige)<br />

Geschädigte<br />

Lebensgrundlagen<br />

0.1 – 1 – 5 qkm 5 – 50 –500 – 5'000 qkm<br />

Sachschaden<br />

1'000'000 – 250'000'000 250 Mio – 2,5 Mrd – 20 Mrd – 100 Mrd –<br />

CHF<br />

1'000 Mrd CHF<br />

Tab. 1: Ereignisse und ihre Auswirkungen (nach KATANOS)<br />

23 Bundesamt für Zivilschutz, Skript „E<strong>in</strong>führungskurs <strong>in</strong> die psychologische <strong>Nothilfe</strong>“, Bern 2000<br />

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2.4 Grossereignis, ausserordentliche Lage<br />

„E<strong>in</strong> Grossereignis oder e<strong>in</strong>e ausserordentliche Lage tritt e<strong>in</strong>, wenn die Mittel des öffentlichen<br />

Gesundheitswesens nicht ausreichen, um alle Patienten sanitätsdienstlich zu versorgen. Im<br />

H<strong>in</strong>blick auf derartige Lagen s<strong>in</strong>d die sanitätsdienstlichen Mittel und die organisatorischen<br />

Vorbereitungen zwischen Bund, Kantonen, Geme<strong>in</strong>den und privaten Institutionen<br />

abzustimmen.“ 24<br />

Das Krisenmanagement von Grossereignissen liegt <strong>in</strong> den Händen der Führungsstäbe von<br />

Bund, Kanton, Region oder Geme<strong>in</strong>den. Der Vollständigkeit halber sei hier e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong><br />

Zusammensetzung und Aufgabenbereiche der Führungsstäbe des Kantons Aargau angefügt:<br />

Kantonaler Führungsstab (KFS)<br />

„Der KFS <strong>in</strong>formiert und berät den Regierungsrat bei der Bewältigung von ausserordentlichen<br />

Lagen, schlägt Sofortmassnahmen vor und vollzieht die Entscheide der Regierung. Der<br />

kantonale Führungsstab arbeitet eng mit dem Territorialdienst der Armee zusammen, sofern<br />

die Armee zur Bewältigung der ausserordentlichen Lage aufgeboten wurde.“ 25<br />

Kantonale Katastrophenorganisation (Kata Org)<br />

„Die Kata Org ist das schnell e<strong>in</strong>setzbare Instrument <strong>in</strong> der Hand des Regierungsrates zur<br />

Bewältigung von Katastrophen und Notlagen. Sie kommt dann zum E<strong>in</strong>satz, wenn die<br />

ordentlichen Mittel und Führungsstrukturen nicht mehr ausreichen.<br />

Die Mitglieder der Kata Org rekrutieren sich aus der Kantonspolizei, dem Kantonalen<br />

Führungsstab und weiteren für die Bewältigung von ausserordentlichen Lagen wichtigen<br />

Kantonalen Stellen und privaten Spezialisten.“ 26<br />

Regionale Führungsstäbe (RFS)<br />

„Die vier RFS s<strong>in</strong>d Koord<strong>in</strong>ations- und Antragsorgan für ihre Region und vollziehen die vom<br />

Regierungsrat angeordneten Massnahmen. Sie koord<strong>in</strong>ieren nachbarliche Hilfe und<br />

unterstützen die Bezirks- und Geme<strong>in</strong>debehörden.“ 27<br />

24 Abteilung zivile Verteidigung, Faltblatt „Der Koord<strong>in</strong>ierte Sanitätsdienst (KSD)“ 5.98<br />

25 Abteilung zivile Verteidigung, Zivilschutz und zivile Führungsstäbe im Kanton Aargau,<br />

Gesundheitsdepartement des Kantons Aargau, Aarau 1999, S. 40<br />

26 Abteilung zivile Verteidigung, S. 41<br />

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Geme<strong>in</strong>deführungsstäbe (GFS)<br />

„Der GFS ist dem Geme<strong>in</strong>derat als beratendes Organ unterstellt und beschafft für ihn die<br />

nötigen Entscheidungsgrundlagen. Dem GFS gehören <strong>in</strong> der Regel e<strong>in</strong> Vertreter des<br />

Geme<strong>in</strong>derates, e<strong>in</strong> Chef des Stabes, e<strong>in</strong> Vertreter der Geme<strong>in</strong>deverwaltung, der Polizei, der<br />

Feuerwehr, des Zivilschutzes, des Gesundheitswesens und der Geme<strong>in</strong>dewerke an.<br />

Unterstützungspersonal aus den Bereichen Nachrichtendienst, Übermittlungsdienst und<br />

Informationsdienst ist ebenfalls im GFS e<strong>in</strong>geteilt.“ 28<br />

In ausserordentlichen Lagen wird die psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> bestimmt zum<br />

E<strong>in</strong>satz kommen. Wenn jedoch mehrere Nothelfer/<strong>in</strong>nen im E<strong>in</strong>satz stehen, muss e<strong>in</strong>e Person<br />

die Funktion e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>satzleitung „Betreuung“ übernehmen. Dies be<strong>in</strong>haltet die Koord<strong>in</strong>ation<br />

mit den andern E<strong>in</strong>satzkräften, die Organisation und Ablösung der Betreuung und die<br />

Nachsorge für die Nothelfer/<strong>in</strong>nen.<br />

Exkurs<br />

Bei e<strong>in</strong>em Grossereignis müssen <strong>in</strong>nerhalb kurzer Zeit viele Menschen betreut und ev.<br />

untergebracht werden. Anlässlich e<strong>in</strong>er Veranstaltung für Spitalpfarrer/<strong>in</strong>nen am 16.3.99 im<br />

Kantonsspital Aarau hat Walter Meier, Flughafenpfarramt Zürich Kloten, von se<strong>in</strong>en<br />

E<strong>in</strong>sätzen <strong>in</strong> Luxor und Halifax berichtet. In diesem Zusammenhang hat er betont, wie<br />

wichtig es ist, wenn Opfer an der Unfallstätte rasch e<strong>in</strong> Dach über den Kopf bekommen und<br />

verpflegt werden. Er weist darauf h<strong>in</strong>, dass Kirchgeme<strong>in</strong>den diesbezüglich bestens geeignet<br />

und auch ausgerüstet seien: Kirchgeme<strong>in</strong>dehäuser und Kirchen könnten rasch zu Stätten des<br />

Obdachs umfunktioniert und die vorhandenen Freiwilligen-Gruppen sofort zur Betreuung<br />

e<strong>in</strong>gesetzt werden. Zudem bilden die Kirchen und Kirchgeme<strong>in</strong>dehäuser, überall im ganzen<br />

Land verteilt, e<strong>in</strong> sehr engmaschiges Netz.<br />

Diese E<strong>in</strong>schätzung fand ihre Bestätigung im Law<strong>in</strong>enw<strong>in</strong>ter 1998/1999, wo zahlreiche<br />

e<strong>in</strong>geschlossene Touristen, evakuierte E<strong>in</strong>wohner von law<strong>in</strong>engefährdeten Gegenden <strong>in</strong><br />

Kirchgeme<strong>in</strong>dehäusern Unterkunft, Verpflegung und Betreuung angeboten wurde.<br />

27 Abteilung zivile Verteidigung, S. 42<br />

28 Abteilung zivile Verteidigung, S. 43<br />

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3 OPFER GIBT ES VIELE<br />

Bilder wie die vom Eisenbahnunglück <strong>in</strong> Eschede vom 3. Juni 1998 lenken das Augenmerk<br />

der Betrachter<strong>in</strong>nen und Betrachter vor allem auf das Schicksal der Toten und Verletzten.<br />

E<strong>in</strong>e vertieftere Ause<strong>in</strong>andersetzung mit e<strong>in</strong>em solchen Grossereignis fördert jedoch e<strong>in</strong>e<br />

Unzahl weiterer Opfer zu Tage. Je nach Art der Betroffenheit, lassen sich drei Hauptgruppen<br />

unterscheiden: Primär-, Sekundär- und Tertiäropfer.<br />

„Unfallstatistiken sagen nichts darüber aus, wie es den direkt und <strong>in</strong>direkt Betroffenen unter<br />

psychologischen Gesichtspunkten während und nach e<strong>in</strong>em Unfall geht, d.h. wie sie sich<br />

fühlen, welche Gedanken ihnen durch den Kopf gehen, wie sie das Geschehen verarbeiten.<br />

Die meisten nicht direkt Betroffenen machen sich nicht bewusst, dass e<strong>in</strong> Unfall e<strong>in</strong> plötzlich<br />

e<strong>in</strong>tretender zentraler E<strong>in</strong>griff <strong>in</strong> das Leben e<strong>in</strong>es Menschen ist. Für e<strong>in</strong> derartiges Ereignis<br />

liegen <strong>in</strong> der Regel ke<strong>in</strong>e direkten Vorerfahrungen vor. Schlagartig ändert sich mehr oder<br />

m<strong>in</strong>der stark die gesamte Lebenssituation und bee<strong>in</strong>flusst zum Teil dramatisch das<br />

gegenwärtige Erleben und Verhalten und <strong>in</strong> schweren Fällen das der nahen oder fernen<br />

Zukunft. Dies gilt nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für deren gesamtes<br />

Umfeld.“ 29<br />

Die psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> will durch ihre Intervention, den drei<br />

Hauptgruppen von Betroffenen bei der psychischen Bewältigung des Ereignisses Hilfe<br />

leisten.<br />

29 Lasogga, F., Psychische Erste Hilfe bei Unfällen, 2. Auflage, Verlagsgesellschaft Stumpf & Kossendey,<br />

Edewecht 2000, S. 7<br />

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3.1 Primäropfer<br />

„Gewalt schafft direkte Opfer (Primäropfer). Das s<strong>in</strong>d die vom Ereignis direkt betroffenen<br />

Personen, die häufig auch körperliche Verletzungen erlitten wie z.B. Opfer von Unfällen,<br />

krim<strong>in</strong>ellen Akten, Folter, familiärer Gewalt, Verfolgung oder Krieg.“ 30<br />

Die Primäropfer erfahren Gewalte<strong>in</strong>flüsse vielfach physisch und psychisch. Sie s<strong>in</strong>d also <strong>in</strong><br />

zweifacher H<strong>in</strong>sicht traumatisiert und benötigen mediz<strong>in</strong>ische wie auch<br />

psychologische/psychiatrische Hilfe.<br />

Exkurs<br />

Die ersten 30 <strong>Notfallseelsorge</strong>r ausgebildet 31<br />

Aarau Landeskirchen wollen ab Januar 2001 für den Katastrophenfall gerüstet se<strong>in</strong><br />

In zwei zweitägigen Kursen im Kantonsspital Aarau haben die Aargauer Landeskirchen 30<br />

evangelisch-reformierte und römisch-katholische Seelsorger<strong>in</strong>nen und Seelsorger sowie<br />

Psycholog<strong>in</strong>nen und Psychologen für die Erstbetreuung von Unfallopfern ausgebildet. Die<br />

Kirchenräte der beiden Landeskirchen wollen bei grossen Unfällen e<strong>in</strong>e ausreichende Zahl<br />

von geschulten Betreuern zur Verfügung stellen, die e<strong>in</strong>e <strong>Notfallseelsorge</strong> für die<br />

traumatisierten Opfer sicherstellen können.<br />

Wie viele der 30 Teilnehmer dieses ersten Ausbildungslehrganges sich auch verpflichten<br />

können, jederzeit alles stehen und liegen zu lassen, um im Unglücksfall zur Hilfe eilen, stehe<br />

aber noch nicht fest, sagte der Leiter der Ausbildung und Verantwortliche für die<br />

Organisation der <strong>Notfallseelsorge</strong>, Hans-Peter Ott, Spitalpfarrer <strong>in</strong> Aarau. Das hänge auch<br />

von der Bereitschaft der Arbeitgeber der Arbeitgeber ab, die Betreffenden für diesen Dienst<br />

freizustellen. Die Seelsorger für Notfalle<strong>in</strong>sätze sollen ab Januar 2001 zur Verfügung stehen.<br />

(ria)<br />

30 Perren, G., Gewalterfahrungen und präventive Intervention, <strong>in</strong>: Perren, G., 2000, S. 10<br />

31 <strong>in</strong>: Aargauer Zeitung, Freitag, 1. Dezember 2000<br />

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3.2 Sekundäropfer<br />

Sekundäropfer s<strong>in</strong>d dadurch gekennzeichnet, dass sie das belastende Ereignis nicht direkt<br />

physisch und psychisch, sondern <strong>in</strong>direkt, also „nur“ optisch, akustisch und olfaktorisch,<br />

miterleben. Typische Sekundäropfer s<strong>in</strong>d also Helfer und Zeugen.<br />

„Oft genügt es bereits, Zeuge e<strong>in</strong>es Gewaltereignisses zu se<strong>in</strong>, um psychische Betroffenheit<br />

zu spüren und die gleichen psycho-physischen Reaktionen aufzuweisen. Familienmitglieder,<br />

Freunde, Helfer, Journalisten oder auch „Gaffer“ können zu Sekundäropfern werden. ... Man<br />

spricht von „stellvertretender Traumatisierung“, „compassion Stress“ (entsprechend der<br />

normalen akuten traumatischen Reaktion) und „compassion fatigue“ (parallel zur<br />

posttraumatischen Belastungsstörung PTBS). Die Sekundärtraumatisierung oder<br />

stellvertretende Traumatisierung wird heute bei Helfern als massgebender Grund für das<br />

psychische Ausbrennen durch Stress-Akkumulation angesehen und anerkannt.“ 32<br />

Sekundäropfer f<strong>in</strong>den sich beispielsweise häufig unter Lokomotivführern: Sie müssen, nach<br />

e<strong>in</strong>geleiteter Schnellbremsung, tatenlos zusehen, wie ihr tonnenschweres Gefährt die auf den<br />

Schienen liegende lebensmüde Person überrollt. Obwohl Lokomotivführern de jure ke<strong>in</strong>e<br />

Schuld am Tod e<strong>in</strong>es Suizidanten zugewiesen werden kann, fühlen sich doch die meisten de<br />

facto moralisch schuldig. Summieren sich solche Ereignisse im Laufe der Berufsjahre, so tritt<br />

mit ziemlicher Sicherheit e<strong>in</strong> Burn-out-Syndrom.<br />

„Die Sicherheits-, Rettungs- und Bergungsdienste, wie z.B. Polizei, Feuerwehr, Sanität, s<strong>in</strong>d<br />

<strong>in</strong> doppeltem S<strong>in</strong>ne von traumatischem Stress betroffen: E<strong>in</strong>erseits s<strong>in</strong>d sie als Organisation<br />

da, Unfälle sowie tragische Grossereignisse zu bewältigen, und werden <strong>in</strong> diesem<br />

Zusammenhang tagtäglich mit der Traumatisierung der Betroffenen konfrontiert. Andererseits<br />

bestehen diese Dienste aus Mitarbeiter<strong>in</strong>nen und Mitarbeitern, die ihrerseits durch die oft<br />

extrem belastenden E<strong>in</strong>sätze betroffen oder gar traumatisiert werden können.“ 33<br />

Innerhalb der Gruppe der Helfer, s<strong>in</strong>d zudem gruppendynamische Prozesse nicht zu<br />

unterschätzen, bei denen e<strong>in</strong> Gruppendruck 34 entsteht und Mitglieder, welche Gefühle<br />

32 Perren, G., Gewalterfahrungen und präventive Intervention, <strong>in</strong>: Perren, G., 2000, S. 10<br />

33 Cunderlik, D., 1999, S. 55<br />

34 Vgl. Roetheli, C., Skript NDS 6, FHA Aargau: Optimales Entscheiden, Beilage 4-5 Gruppendenken<br />

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zulassen, als Weichl<strong>in</strong>ge und als für den Beruf unfähig h<strong>in</strong>gestellt werden. Stereotype<br />

Denkmuster, das Gefühl der Unverwundbarkeit, wie auch der „Berufsstolz“ lassen es nicht<br />

zu, Hilfe anzunehmen. Diese Haltung fördert das Burn-out-Syndrom, „<strong>in</strong>nere Kündigung“,<br />

bewirkt Stellenwechsel oder führt gar zu Suizid. Genau dieser Mechanismus sche<strong>in</strong>t sich<br />

beim Suizid des Rettungssanitäters abgespielt zu haben und kl<strong>in</strong>gt auch unmissverständlich an<br />

<strong>in</strong> den Worten der Witwe (siehe Vorwort). „Schweigsame Helden und Märtyrer s<strong>in</strong>d out: Wer<br />

etwas erlebt hat, was ihn belastet, muss sich das e<strong>in</strong>gestehen, soll darüber reden, braucht<br />

Leute, die ihm zuhören.“ 35<br />

35 <strong>in</strong>: Aargauer Zeitung, Mittwoch, 13. Sept. 2000, Zitat von Gisela Perren im Artikel „Vom Umgang mit sich<br />

selber“ von uhu über e<strong>in</strong>en Informationsabend des Bezirksfeuerwehrverbandes Olten zum Thema „Debrief<strong>in</strong>g“<br />

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3.3 Tertiäropfer<br />

Im Gegensatz zu den Primär- und Sekundäropfern haben die Tertiäropfer 36 das Ereignis<br />

weder direkt, noch <strong>in</strong>direkt erlebt. Ihre Konfrontation mit dem Ereignis besteht dar<strong>in</strong>, dass sie<br />

durch e<strong>in</strong>e enge persönliche Beziehung mit e<strong>in</strong>em Primär- oder Sekundäropfer verbunden<br />

s<strong>in</strong>d. Sie werden vor allem über die Reaktionsweisen der mit ihnen zusammenlebenden<br />

Primär- oder Sekundäropfer traumatisiert. Zu Tertiäropfern zählen <strong>in</strong> der Regel Angehörige<br />

der Betroffenen und E<strong>in</strong>satzkräfte, unabhängig vom Verwandtschaftsgrad.<br />

E<strong>in</strong> vorzügliches Beispiel der Betreuung von Tertiäropfern stellt die Begleitung der<br />

Angehörigen der Opfer des Flugzeugabsturzes von Halifax durch das Care Team der SAir<br />

Group dar.<br />

36 Mitchell, J., 1998, S. 20<br />

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3.4 Angepasste Hilfe<br />

Das Bewusstse<strong>in</strong> über die Belastungen der Betroffenen durch e<strong>in</strong> tragisches Ereignis zieht die<br />

Frage nach sich, wie diesen Opfern nach e<strong>in</strong>em solchen Ereignis am besten zu begegnen ist.<br />

Da jede Katastrophe e<strong>in</strong> eigenes Gesicht hat, so s<strong>in</strong>d auch die Gesichter der Opfer vielfältig.<br />

Es ist deshalb unmöglich e<strong>in</strong> Patentrezept zu empfehlen. Die Art der richtigen Hilfe ergibt<br />

sich aus dem ereignisbed<strong>in</strong>gten Umständen und den <strong>in</strong>dividuellen Bedürfnissen der<br />

Betroffenen. Bei der psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n <strong>Nothilfe</strong> werden jedoch zwei<br />

Hauptstränge sichtbar: Adäquate Hilfe wird Primär- und Tertiäropfern am ehesten durch den<br />

E<strong>in</strong>satz der psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n <strong>Nothilfe</strong> im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er „emotionalen Ersten<br />

Hilfe“ zuteil. Ihre Aufgabe besteht ausschliesslich <strong>in</strong> der psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n<br />

<strong>Nothilfe</strong> und beschränkt sich vor allem auf die Zeit am Ereignisort. Brauchen die Opfer<br />

weitere Hilfe, so erhalten sie diese über Telefon 143, bzw. werden über Telefon 143 an<br />

Fachleute verwiesen. Kehren die Opfer wieder <strong>in</strong> ihr gewohntes Umfeld zurück, so s<strong>in</strong>d für<br />

ihre Weiterbetreuung die jeweiligen mediz<strong>in</strong>ischen und/oder sozialen Netze zuständig.<br />

Für die Sekundäropfer, also Helfer<strong>in</strong>nen und Helfer, bieten sich als Hilfsmöglichkeiten der<br />

E<strong>in</strong>satz von Peers, das Defus<strong>in</strong>g und Debrief<strong>in</strong>g an. Diese Tool’s werden später separat<br />

betrachtet.<br />

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4 REAKTIONEN AUF TRAUMATISCHE ERLEBNISSE<br />

Zu den traumatisierenden Erlebnissen gehören:<br />

- Unfälle<br />

- Physische und sexuelle Gewalt<br />

- Plötzlicher Tod e<strong>in</strong>es Angehörigen<br />

- Bedrohliche Krankheiten<br />

- Katastrophen<br />

- Terroristische Gewalt<br />

- Krieg<br />

- Folter<br />

- Konzentrationslager<br />

- Entwurzelung / Flucht<br />

Weitere Merkmale s<strong>in</strong>d, dass<br />

- e<strong>in</strong>e Grenzüberschreitung wider den Willen des Betroffenen stattf<strong>in</strong>det und<br />

- die Möglichkeiten des Betroffenen nicht ausreichen, das Begegnende <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en<br />

Schranken zu halten und dieses ihn <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er Weise schädigt.E<strong>in</strong> Traumatischer<br />

Ereignis ist stets durch e<strong>in</strong>e Verlustsituation charakterisiert: den Verlust von<br />

- Menschen<br />

- Gesundheit<br />

- Heim<br />

- Besitz<br />

- sozialem Netz<br />

- Arbeitsfähigkeit<br />

- Illusionen<br />

- Religiosität / Weltbild<br />

- der Beziehung zu sich selbst, anderen und der WeltE<strong>in</strong> ausserordentliches Ereignis<br />

betrifft den Menschen immer als Ganzes. D.h. der Körper und die Seele erleiden<br />

Verletzungen. Das ganze bisherige Weltbild kann wie e<strong>in</strong> Kartenhaus zusammenbrechen. Wie<br />

jede e<strong>in</strong>zelne Person auf e<strong>in</strong> solches Ereignis reagiert, hängt von der körperlichen<br />

Konstitution, der emotionalen Stabilität, dem soziokulturellen Umfeld und den kognitiven<br />

Ressourcen ab.<br />

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Alle diese Variablen bestimmen die Gedanken, Gefühle und bee<strong>in</strong>flussen das <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Krisensituation an den Tag gelegte Verhalten, welches entscheidend ist, wie die<br />

längerfristigen Folgen verlaufen. Die auf traumatische Ereignisse folgenden Reaktionen s<strong>in</strong>d<br />

die Akute Belastungsreaktion, welche meistens nur kurz andauert, und die Posttraumatische<br />

Belastungsstörung, <strong>in</strong> der Regel zeitlich verzögert auftritt und unbehandelt zu e<strong>in</strong>em<br />

schwerwiegenden Krankheitsbild führt.<br />

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4.1 Akute Belastungsreaktion<br />

E<strong>in</strong>e akute Belastungsreaktion kann sich als Folge auf e<strong>in</strong>e aussergewöhnliche körperliche<br />

und/oder seelische Belastung entwickeln. In der Regel dauert die Störung nur wenige Stunden<br />

oder Tage an. Auslösende Ereignisse s<strong>in</strong>d oft ernsthafte Bedrohungen für die Sicherheit oder<br />

die körperliche Unversehrtheit der Betroffenen oder geliebter Personen (Naturkatastrophen,<br />

Unfälle, Verbrechen) oder e<strong>in</strong>e ungewöhnlich plötzliche und bedrohliche Veränderung der<br />

sozialen Situation (Todesfälle, Arbeitsplatzverlust usw.).<br />

Das Risiko, diese Störung zu entwickeln, hängt von der körperlichen Verfassung, von<br />

organischen Bee<strong>in</strong>trächtigungen und von den zur Verfügung stehenden<br />

Belastungsbewältigungsfähigkeiten ab.<br />

Die Symptome s<strong>in</strong>d verschieden. Häufig treten zu Beg<strong>in</strong>n Bewusstse<strong>in</strong>se<strong>in</strong>engung,<br />

Aufmerksamkeitsstörungen und Desorientiertheit auf. Danach können sozialer Rückzug,<br />

Unruhezustände, Überaktivität oder Furchtreaktionen auftreten. Oft treten körperliche<br />

Anzeichen von panischer Angst, wie Herzrasen, Schw<strong>in</strong>del, Schwitzen und Erröten, auf. Die<br />

Symptome ersche<strong>in</strong>en im allgeme<strong>in</strong>en <strong>in</strong>nerhalb von M<strong>in</strong>uten nach dem belastenden Ereignis<br />

und gehen <strong>in</strong>nerhalb von zwei oder drei Tagen, oft <strong>in</strong>nerhalb von Stunden, zurück. Es kann<br />

e<strong>in</strong> teilweise oder vollständiger Gedächtnisverlust für diese Episode vorliegen.<br />

Nach Mitchell und Bray (1990) lassen sich die akuten Stresssituationen wie folgt e<strong>in</strong>teilen: 37<br />

Körperliche Reaktionen Emotionale Reaktionen Gedankliche Reaktionen<br />

Schwitzen<br />

Übelkeit<br />

Zittern<br />

Herzrasen<br />

nervöser Magen<br />

unkoord<strong>in</strong>ierte Bewegungen<br />

Muskelverkrampfungen<br />

starker Erschöpfungszustand<br />

Schlafstörungen<br />

Schuldgefühle<br />

Traurigkeit<br />

depressive Stimmung<br />

Hoffnungslosigkeit<br />

Besorgnis<br />

Unfähigkeit, Freude und<br />

Anteilnahme zu empf<strong>in</strong>den<br />

Erwartungsangst<br />

Furcht<br />

Rückblenden<br />

übermässiges Misstrauen<br />

verändertes Ess-, Tr<strong>in</strong>k- und<br />

Rauchverhalten<br />

übermässige Wachsamkeit<br />

übertriebene Lustigkeit<br />

extreme Schweigsamkeit<br />

Überempf<strong>in</strong>dlichkeit<br />

schnelles Aufbrausen<br />

Hyperventilation<br />

Tab. 2: E<strong>in</strong>teilung der Stresssituationen<br />

37 www.fireworld.at/themen/stress<br />

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Die E<strong>in</strong>satzkräfte rücken aus, wenn sich Menschen <strong>in</strong> besonders ernsten Situationen bef<strong>in</strong>den.<br />

E<strong>in</strong>satzsituationen s<strong>in</strong>d somit auch für sie belastend. Akute Stresssymptome s<strong>in</strong>d an fast jeder<br />

E<strong>in</strong>satzstelle zu beobachten. Nach e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>satz verschw<strong>in</strong>den die akuten Stressmerkmale<br />

wieder. Manchmal können sie aber auch länger anhalten. Ursache dafür können e<strong>in</strong>e<br />

Nachbewertung der Gefahrensituation im E<strong>in</strong>satz oder auch die Nachverarbeitung von<br />

traumatischen Erlebnissen während des E<strong>in</strong>satzes se<strong>in</strong>. Für die Thematik der belastenden<br />

E<strong>in</strong>sätze s<strong>in</strong>d die länger andauernden Stresskennzeichen wichtig. Hier f<strong>in</strong>den wir unter<br />

anderem folgende Symptome:<br />

- starke <strong>in</strong>nere Anspannung<br />

- Rückblenden<br />

- Schlafstörungen und/oder Alpträume<br />

- erhöhte Reizbarkeit<br />

- Schuldzuweisungen<br />

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4.2 Posttraumatische Belastungsstörung<br />

Diese entsteht als direkte oder verzögerte Reaktion auf e<strong>in</strong> belastendes Ereignis oder e<strong>in</strong>e<br />

Situation aussergewöhnlicher Bedrohung (Katastrophen, Kampfhandlungen, schwere Unfälle,<br />

Folterung, Vergewaltigung oder andere schwere Verbrechen).<br />

Typische Merkmale s<strong>in</strong>d das wiederholte Erleben der belastenden Situation <strong>in</strong> sich<br />

aufdrängenden Er<strong>in</strong>nerungen, Träumen oder Alpträumen. Weiterh<strong>in</strong> zeigt sich oft e<strong>in</strong>e<br />

Stumpfheit, Gleichgültigkeit und e<strong>in</strong> Vermeiden von Aktivitäten und Situationen, die<br />

Er<strong>in</strong>nerungen an das Erlebte wachrufen könnten. Häufig tritt auch e<strong>in</strong> Zustand von<br />

Übererregtheit, extremer Aufmerksamkeitssteigerung, übermässige Schreckhaftigkeit und<br />

Schlaflosigkeit auf. Angst und Depressionen treten oft mit den genannten Merkmalen auf.<br />

Die Störung folgt dem belastenden Ereignis oft erst nach Wochen oder Monaten. Der Verlauf<br />

ist wechselhaft. Bei wenigen Betroffenen nimmt die Störung unbehandelt über viele Jahre<br />

e<strong>in</strong>en chronischen Verlauf.<br />

„Neueste Erkenntnisse zeigen, dass bei schwerst traumatisierten Patienten, im Gehirn e<strong>in</strong>e<br />

physiologische Schädigung vorliegen kann. Dabei sche<strong>in</strong>t besonders das Sprachzentrum<br />

betroffen zu se<strong>in</strong>. Bei Unglücken sollte man als Betreuer deshalb besonders die starren /<br />

schweigenden Betroffenen im Blick haben. Interessant ist auch die Möglichkeit die (Sprach-)<br />

Blockaden durch e<strong>in</strong>e bestimmte Augenbewegungstechnik zu lösen.“ 38<br />

Zur Verh<strong>in</strong>derung e<strong>in</strong>es chronischen Verlaufes e<strong>in</strong>er Posttraumatischen Belastungsstörung ist<br />

entscheidend, dass diese rechtzeitig erkannt und angegangen wird. Daher s<strong>in</strong>d die<br />

Führungskräfte <strong>in</strong> den Unternehmungen diesbezüglich zu sensibilisieren. Das nachstehende<br />

Merkblatt sollte <strong>in</strong> der Hand von Personalverantwortlichen se<strong>in</strong>.<br />

38 www.krisen<strong>in</strong>tervention-notfallseelsorge.de<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 33


Wie erkenne ich e<strong>in</strong>e Trauma-Störung? 39<br />

Welche Behandlungsmethode ist <strong>in</strong>diziert?<br />

An welche Fachleute kann ich Trauma-Kranke überweisen?<br />

E<strong>in</strong> Merkblatt zur Diagnostik und Behandlung von psychischen Trauma-Störungen<br />

Für Ärzt<strong>in</strong>nen, Fachleute des Sozial- und Gesundheitswesens, Personalverantwortliche <strong>in</strong><br />

Betrieben und Behördenmitglieder<br />

1. Wie erkenne ich durch Traumata verursachte seelische Störungen?<br />

Im Schweregrad und <strong>in</strong> der Art unterschiedliche soziale Traumatisierungen wie z.B.<br />

Arbeitslosigkeit, Gewalt und andere Oberbegriffe (z.B. sexueller Missbrauch), schwere<br />

Unfälle, Verlusterfahrungen, Katastrophen-, Kriegs- und Verfolgungserlebnisse können<br />

ähnliche akute seelische Folgen haben, die mit e<strong>in</strong>em bestimmten Syndrom, dem<br />

Posttraumatischen Belastungssyndrom (PTBS), beschrieben werden. Dieses Syndrom<br />

zeichnet sich durch folgende Symptome aus:<br />

1.1. Wiederholtes Erleben des Traumas <strong>in</strong> sich aufdrängenden Er<strong>in</strong>nerungen: Das Trauma<br />

läuft wie e<strong>in</strong> Film immer wieder <strong>in</strong>nerlich ab oder verfolgt die Betroffenen <strong>in</strong> Form von<br />

Alpträumen oder plötzlich auftretenden „flashbacks“, wenn e<strong>in</strong> Ereignis an die Umstände des<br />

Traumas er<strong>in</strong>nert.<br />

1.2. Andauerndes Gefühl emotionaler Betäubtheit: Wegen der Gefühle der Betäubung wirkt<br />

der traumatisierte Mensch apathisch, sche<strong>in</strong>bar gleichgültig und teilnahmslos gegenüber der<br />

Umgebung.<br />

1.3. Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Er<strong>in</strong>nerungen an das Trauma<br />

wachrufen können: z.B. wird die Nähe von Menschen gemieden aus Angst, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Beziehung erneut traumatisiert zu werden.<br />

1.4. Konzentrationsschwäche, Nervosität, Überregbarkeit, Schreckhaftigkeit und<br />

Angstzustände: Die Erregung und Angst kann sich auch somatisch äussern (z.B. Kopf-,<br />

Magenschmerzen). Depression und Angst s<strong>in</strong>d häufig mit den genannten Symptomen<br />

verbunden oder überdecken die für die PTBS typischen Symptome. Oft versuchen Betroffene<br />

die massive Erregung durch Alkohol-, Medikamenten- und Drogenmissbrauch bzw. -sucht zu<br />

dämpfen.<br />

2. Welche Behandlungsmethode ist <strong>in</strong>diziert?<br />

Da Traumata Menschen <strong>in</strong> unterschiedlichem Ausmass schädigen können - entsprechend der<br />

Schwere des Traumas und der seelischen Ressourcen der Trauma-Opfer - bedarf es <strong>in</strong> der<br />

Therapie e<strong>in</strong>es dem jeweiligen Trauma-Opfer und se<strong>in</strong>em <strong>in</strong>dividuellen traumatischen<br />

Prozess angepassten therapeutischen Vorgehens.<br />

Der zeitliche Abstand der Hilfestellung zum traumatischen Ereignis - je unmittelbarer die<br />

Hilfe, desto ger<strong>in</strong>ger die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit von psychischen Störungen und Erkrankungen -<br />

spielt e<strong>in</strong>e wesentliche Rolle:<br />

39 Behelf der E<strong>in</strong>satzgruppe <strong>Psychologisch</strong>e Erste Hilfe, Kanton St. Gallen 1999, Register 6, S. 2-3<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 34


Auf vier Ebenen s<strong>in</strong>d psychotherapeutische Interventionen wirksam:<br />

2.l. "Vor-traumatische" Stärkung von psychischen Widerstandskräften (Prävention der<br />

PTBS): Die Entwicklung e<strong>in</strong>er PTBS kann evt. verh<strong>in</strong>dert werden, wenn schon während bzw.<br />

vor der Entstehung des sozialen Traumas (bei Arbeitslosen z.B. während der Kündigungsfrist)<br />

psychotherapeutische Gespräche die <strong>in</strong>neren Widerstandskräfte und Ressourcen so stärken,<br />

dass der bzw. die Betreffende gegenüber dem potentiellen Trauma gewissermassen geimpft<br />

ist.<br />

2.2. Unmittelbar nach e<strong>in</strong>er traumatisierenden Erfahrung: E<strong>in</strong>e Methode, die <strong>in</strong> den ersten<br />

Tagen nach e<strong>in</strong>em Schocktrauma angewendet wird, ist das Debrief<strong>in</strong>g. Bei dieser Methode<br />

geht es darum, dass Betroffene über die traumatische Erfahrung reden, ihre Reaktion auf<br />

traumatisierende Erfahrungen als normale Reaktion auf abnormale Ereignisse verstehen<br />

lernen und gleichzeitig adäquate Verarbeitungsstrategien erwerben, um die Entwicklung und<br />

Chronifizierung e<strong>in</strong>er PTBS zu verh<strong>in</strong>dern.<br />

2.3. Fokaltherapie: Betroffene, die bereits e<strong>in</strong>e PTBS entwickelt haben, d.h. die<br />

Folgesymptome e<strong>in</strong>er Traumatisierung zeigen, müssen fokaltherapeutisch behandelt werden.<br />

Die Fokaltherapie zentriert sich um das traumatisierte Ereignis, dessen Folgen und subjektive<br />

Bedeutung. Rechtzeitige psychotherapeutische Hilfe kann bei diesen Betroffenen die<br />

Entwicklung e<strong>in</strong>es krankmachenden Trauma-Abspaltungsprozesses verh<strong>in</strong>dern und schwere<br />

seelische Störungen für den Betreffenden bzw. se<strong>in</strong>e Umgebung verhüten. Wenn die<br />

Fokaltherapie rechtzeitig e<strong>in</strong>setzt und der Betreffende ke<strong>in</strong>e oder nur ger<strong>in</strong>ge prätraumatische<br />

neurotische Probleme hat, kann diese <strong>in</strong> zeitlich limitiertem Rahmen stattf<strong>in</strong>den. Konzepte für<br />

diese Behandlungsform liegen aus psychoanalytischer, verhaltenstherapeutischer und<br />

systemischer Sicht vor.<br />

2.4. Weiterführende Psychotherapie bei Re-Neurotisierung und Re-Traumatisierung: Wenn<br />

durch das Trauma frühere unverarbeitete Traumata reaktiviert und ungelöste neurotische<br />

Konflikte mobilisiert werden, ist e<strong>in</strong>e weiterführende Psychotherapie nötig, um das<br />

Grundproblem zu behandeln. In der Regel ist bei dieser Patientengruppe e<strong>in</strong>e die<br />

Persönlichkeitsstruktur und gezielt auch die unbewusste Dimension des Erlebens<br />

e<strong>in</strong>beziehende Therapie <strong>in</strong>diziert, da die Komplexität der Problematik und die Tiefe der<br />

Störung e<strong>in</strong>e auf Symptome beschränkte Behandlung ausschliesst.<br />

3. An welche Fachleute kann ich Trauma-Kranke überweisen?<br />

Trauma-Opfer müssen von qualifizierten Psychotherapeut<strong>in</strong>nen oder Psychotherapeuten<br />

behandelt werden, da die Trauma-Störungen spezielle Kompetenzen erfordern. Auskünfte<br />

erteilen jederzeit die Hausärzte sowie Tel. Nr. 143, 144, während der Arbeitszeit<br />

freipraktizierende Psychologen, Psychiater und die Sozialpsychiatrischen Beratungsstellen.<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 35


4.3 Frage nach dem S<strong>in</strong>n<br />

Wenn das Schicksal unvermittelt zuschlägt, das bisherige Denk- und Lebensgebäude plötzlich<br />

wie e<strong>in</strong> Kartenhaus zusammenfällt, kommt unweigerlich die Frage nach dem S<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es<br />

solchen tragischen Ereignisses. Warum, warum ... hat Gott das zugelassen? Was hat das für<br />

e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n?<br />

„Die psychische Hypersensibilität, die man bei PTBS abtrifft, steht im Zusammenhang damit,<br />

dass die Weltanschauung des Opfers <strong>in</strong> gewisser Weise zerstört wurde. ... Die eigene Welt ist<br />

nicht mehr stimmig und wird es erst dann, wenn sie Stimmigkeit und Vorhersagbarkeit<br />

wiedererlangt.“ 40<br />

Was aber tut psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> dann? Sie „macht ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n“ weil man<br />

S<strong>in</strong>n nicht machen kann. Aber sie sucht nach S<strong>in</strong>nfragmenten, nach dem, was für den oder die<br />

Betroffene tragfähig se<strong>in</strong> oder e<strong>in</strong>en – immerh<strong>in</strong> vorläufigen – Halt darstellen könnte. Sie<br />

kann versuchen auf die S<strong>in</strong>nfrage e<strong>in</strong>e vorläufige Antwort zu f<strong>in</strong>den, wenn es gel<strong>in</strong>gt<br />

- „das Trauma <strong>in</strong> die bestehende Weltanschauung e<strong>in</strong>zub<strong>in</strong>den<br />

- e<strong>in</strong>e neue Weltanschauung für Ausnahmefälle zu schaffen<br />

- die alte Weltanschauung zu revidieren und e<strong>in</strong>e neue zu entwerfen.“ 41<br />

Nicht immer gel<strong>in</strong>gt es, die Weltbilder zu revidieren, bzw. neu zu entwerfen. Dann hilft die<br />

<strong>Psychologisch</strong>-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> S<strong>in</strong>nlosigkeit auszuhalten und Menschen beizustehen,<br />

für die der S<strong>in</strong>n ihres Lebens erst e<strong>in</strong>mal zusammengebrochen ist. Sie macht sich – wenn<br />

genügend Zeit ist und psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> <strong>in</strong> normale Seelsorge übergeht –<br />

geme<strong>in</strong>sam mit diesen Menschen auf, den S<strong>in</strong>n zu suchen, der ihnen hilft, der wirklich zu<br />

ihren passt.<br />

„<strong>Psychologisch</strong>-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> weiss, dass niemandem wirklich geholfen ist, wenn<br />

man ihn mit irgende<strong>in</strong>em S<strong>in</strong>n abspeist oder S<strong>in</strong>nlosigkeit mit irgende<strong>in</strong>em Spruch oder e<strong>in</strong>er<br />

Floskel zukleistert. Sie nimmt S<strong>in</strong>nlosigkeit als S<strong>in</strong>nlosigkeit wahr und Ohnmacht als<br />

Ohnmacht. Solche S<strong>in</strong>nlosigkeit auszuhalten, ist sehr anstrengend. Und die psychologisch-<br />

40 Mitchell, J., 1998, S. 54, 55<br />

41 Mitchell, J., 1998, S.55<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 36


<strong>seelsorgerliche</strong>n Nothelfer/<strong>in</strong>nen s<strong>in</strong>d genauso wie andere <strong>in</strong> der Versuchung, diese<br />

S<strong>in</strong>nlosigkeit vorschnell mit ihren jeweils eigenen S<strong>in</strong>ngebungsversuchen zu füllen.“ 42<br />

Können die Schuldgefühle Überlebender oder von Helfenden alle<strong>in</strong> durch psychologische<br />

Erklärungen und Therapien beseitigt werden? Die Schuldfrage taucht die bei manchen<br />

Helfern auf, wenn sie trotz aller Rettungs- oder Reanimationsversuche die Leiche e<strong>in</strong>es<br />

K<strong>in</strong>des vor sich liegen haben, die Angehörigen das Gefühl haben, zu spät Hilfe angefordert zu<br />

haben. Daraus ergibt sich doch schon fast automatisch, sowohl von Seiten der<br />

H<strong>in</strong>terbliebenen als auch von Seiten der E<strong>in</strong>satzkräfte, das verzweifelte Suchen nach dem<br />

S<strong>in</strong>n des Leides oder des Todes.<br />

Dies ist e<strong>in</strong>deutig auch e<strong>in</strong> Handlungsfeld für kirchliche Seelsorge. In diesen Fällen können<br />

nur Menschen beistehen, die sich schon des Öfteren mit Grenzfragen ause<strong>in</strong>andersetzen<br />

mussten.<br />

Da die S<strong>in</strong>nfrage kann am Unfallort nicht gelöst werden, aber es dürfte (im E<strong>in</strong>verständnis<br />

mit Betroffenen) s<strong>in</strong>nvoll se<strong>in</strong>, mit e<strong>in</strong>em Ritual (Kerze anzünden), Gebet (Beten von<br />

Klagepsalmen) usw. auf der emotionalen Ebene für e<strong>in</strong>e Entlastung zu sorgen. E<strong>in</strong>e rituelle<br />

Handlung ordnet für e<strong>in</strong>en (kurzen) Moment das Chaos und somit stabilisierend.<br />

42 www.bubis.com/ags/zeitung22<br />

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5 PSYCHOLOGISCH-SEELSORGERLICHE NOTHILFE<br />

Bestimmte Ereignisse s<strong>in</strong>d für die Betroffenen (Opfer, Angehörige, E<strong>in</strong>satzkräfte) stark<br />

belastend. Jede Personengruppe hat andere Bedürfnisse zur Bewältigung des Ereignisses.<br />

Vielfach werden Angehörige von Opfern <strong>in</strong> ihrem Erleben e<strong>in</strong>es Ereignisses alle<strong>in</strong> gelassen.<br />

Die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit dem Schicksal von verletzten oder verstorbenen Angehörigen<br />

führt vielfach zu e<strong>in</strong>er emotionalen und gedanklichen Überforderung des Angehörigen. Diese<br />

Personen brauchen e<strong>in</strong>en sozialen Beistand um die nächsten Schritte ihres Lebens anzugehen.<br />

Unter psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n <strong>Nothilfe</strong> auf dem Schadenplatz ist zu verstehen:<br />

Unterstützung von psychisch traumatisierten Menschen, Helfenden, Zeugen und ihren<br />

Angehörigen bei den Tätigkeiten, die <strong>in</strong> Zusammenhang mit dem traumatisierenden Ereignis<br />

stehen und bei deren psychischen Verarbeitung.<br />

„Die psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> orientiert sich an den Grundbedürfnissen von <strong>in</strong><br />

Not geratenen Menschen und nicht an e<strong>in</strong>er vorgegebenen Psychopathologie.<br />

In der Krisen<strong>in</strong>tervention hält sich der/die Helfende nicht an e<strong>in</strong> vorgegebenes<br />

Krankheitsmodell – die Symptome quasi als Ausdruck e<strong>in</strong>er tieferliegenden Psychopathologie<br />

des Opfers def<strong>in</strong>ierend. Die Symptome und Zeichen der Betroffenen werden vielmehr als<br />

Ausdruck e<strong>in</strong>er Extremerfahrung <strong>in</strong>terpretiert, als normale Reaktion auf e<strong>in</strong>e abnormale<br />

Situation, die günstigenfalls nach wenigen Wochen abkl<strong>in</strong>gt.“ 43<br />

Problemstellung<br />

Opfer von traumatisierenden Ereignissen erhalten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ersten Phase oft Hilfe. In e<strong>in</strong>er<br />

zweiten Phase, zum Beispiel nach e<strong>in</strong>er Spitalentlassung oder <strong>in</strong> der<br />

Wiedere<strong>in</strong>gliederungsphase muss die Unterstützung, die vielleicht <strong>in</strong>stitutionell vorhanden<br />

wäre selber angegangen und organisiert werden. Diese Initiative zu ergreifen fällt Personen<br />

die e<strong>in</strong> traumatisierendes Ereignis zu verarbeiten haben unter Umständen sehr schwer, weil<br />

gerade die Handlungsunfähigkeit e<strong>in</strong> Symptom e<strong>in</strong>es belastenden Erlebnisses ist.<br />

43 MC Sh<strong>in</strong>e, R, Psychiatrisch-Seelsorgerliches Katastrophenmanagement, Psychiatriezentrum Hard, Embrach<br />

1998, S.5<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 38


Angehörigen von Opfern fallen durch die Gesellschaft verschiedene Aufgaben zu, die nach<br />

e<strong>in</strong>em Ereignis relativ rasch erledigt werden müssen. Versicherungstechnische Abklärungen,<br />

Kontakte mit dem Arbeitgeber, bei Todesfällen alle adm<strong>in</strong>istrativen Arbeiten und die<br />

Bestattungsvorbereitungen seien als Beispiele genannt. Vielfach erfolgt auch der Gang zur<br />

Gerichtsmediz<strong>in</strong> mit der Identifizierung des Angehörigen. E<strong>in</strong>e Identifizierung f<strong>in</strong>det begleitet<br />

statt, aber anschliessend zur Verarbeitung s<strong>in</strong>d die Angehörigen sich selbst überlassen. Nicht<br />

alle Menschen haben e<strong>in</strong> so gutes soziales Umfeld, dass sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er solchen Situation nicht<br />

alle<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d. Häufig geschehen Unglücksfälle auch weit vom eigenen Wohnort entfernt. In<br />

solchen Situationen s<strong>in</strong>d Angehörige selber Opfer e<strong>in</strong>es traumatisierenden Ereignisses und oft<br />

unfähig selber die richtigen Schritte zu ergreifen.<br />

Alle diese Probleme stellen sich nicht nur bei Katastrophen, sondern bei all den vielen<br />

Alltagsereignissen. Für die Betroffenen spielt die Grösse des Ereignisses ke<strong>in</strong>e Rolle.<br />

Ziele der psychischen Betreuung 44<br />

- E<strong>in</strong>em Menschen mit Verständnis begegnen und ihn <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Situation akzeptieren<br />

- Ihn psychologisch zu begleiten<br />

- Ihn beim Knüpfen von sozialen Verb<strong>in</strong>dungen unterstützen<br />

- Ihn bei der Bewältigung alltäglicher und mit se<strong>in</strong>er Situation verbundenen Tätigkeiten<br />

unterstützen<br />

- Ihm die Unterstützung zukommen lassen, die ihn so rasch als möglich wieder autonom<br />

und selbständig handeln lässt<br />

Wer erhält psychische Betreuung?<br />

Es werden <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie Personen zu betreuen se<strong>in</strong>, die direkt oder <strong>in</strong>direkt durch e<strong>in</strong><br />

belastendes Ereignis <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Notsituation geraten. Sie s<strong>in</strong>d zum Beispiel weit von zu Hause<br />

entfernt, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er fremden Umgebung oder sie s<strong>in</strong>d nicht <strong>in</strong> der Lage soziale Verb<strong>in</strong>dungen zu<br />

knüpfen und anstehende Probleme alle<strong>in</strong> zu bewältigen.<br />

Rolle <strong>in</strong> der psychischen Betreuung<br />

In der psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n <strong>Nothilfe</strong> soll unaufdr<strong>in</strong>glich Menschen begegnet<br />

werden, die e<strong>in</strong> traumatisierendes Erlebnis hatten. Ihnen soll Hilfe angeboten und durch<br />

aktives Zuhören bei der Verarbeitung des Ereignisses geholfen werden. Sich <strong>in</strong> verschiedene<br />

44 Vgl. Bundesamt für Zivilschutz, Skript „E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die psychologische <strong>Nothilfe</strong>“, Bern 2000<br />

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Situationen des Mitmenschen e<strong>in</strong>senken zu können, ist Voraussetzung für die Aufgabe der<br />

psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n <strong>Nothilfe</strong>. Oft erweist es sich als nützlich, wenn e<strong>in</strong><br />

Zweierteam die Betreuung durchführt. Es ergibt sich dann e<strong>in</strong>e Aufgabenteilung. E<strong>in</strong>/e<br />

Betreuer/<strong>in</strong> kann sich vermehrt der psychischen Situation des Mitmenschen annehmen,<br />

der/die andere hat Kapazität organisatorisches zu klären. Da man sich bei der psychologischen<br />

Betreuung recht nahe kommt, muss e<strong>in</strong> Zweierteam e<strong>in</strong>gespielt se<strong>in</strong> und die Akzeptanz zum<br />

zu Betreuenden muss gewährleistet se<strong>in</strong>. Frau / Mann, ähnliches soziales Umfeld und Alter<br />

spielen e<strong>in</strong>e Rolle. Die psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> soll punktuell geschehen,<br />

der/die Betreuer/<strong>in</strong> soll spüren, wann der/die zu Betreuende vielleicht lieber alle<strong>in</strong> se<strong>in</strong> will,<br />

er/sie muss sich aber auch ganz bewusst abgrenzen können, um nicht vere<strong>in</strong>nahmt zu werden.<br />

Gestaltung der psychischen Betreuung<br />

Die psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n <strong>Nothilfe</strong> ist geprägt von der Beziehung der betreuenden<br />

Person und des/der zu Betreuenden. Der/die zu Betreuende profitiert dabei von der Technik<br />

des aktiven und anteilnehmenden Zuhörens der Betreuungspersonen. Auch andere Bereiche<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> die psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n <strong>Nothilfe</strong> zu <strong>in</strong>tegrieren, da sie auf dem Weg zum<br />

erreichen des Zieles der Begleitung hilfreich und so zu beachten s<strong>in</strong>d:<br />

- Kultur: Im Trauer- und Verarbeitungsprozess wichtig. Symbole und symbolische<br />

Tätigkeiten (z.B. Kerzen anzünden, e<strong>in</strong>en Gegenstand vom Unfallort mitnehmen)<br />

helfen der betroffenen Person bei der Verarbeitung des Ereignisses.<br />

- Religion: Religiöse Gebräuche s<strong>in</strong>d zu unterstützen.<br />

- Eigene Geschichte des Betreuers und dessen soziales Umfeld: Die Situation des<br />

Betreuers darf nicht zu e<strong>in</strong>er Last im E<strong>in</strong>satz werden. E<strong>in</strong> E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> der<br />

psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n <strong>Nothilfe</strong> ist schon belastend, da man <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Beziehung zu e<strong>in</strong>em Menschen tritt, der e<strong>in</strong> belastendes Erlebnis hatte und diesem nun<br />

hilft das Ereignis zu tragen.<br />

- Sprache (ev. Fremdsprachenkenntnisse, Gebärdensprache bei Gehörlosen usw.)<br />

- Zeitliche Möglichkeiten<br />

E<strong>in</strong> Betreuungse<strong>in</strong>satz ist nicht die richtige Gelegenheit e<strong>in</strong>em Mitmenschen e<strong>in</strong> anderes<br />

kulturelles Verhalten oder e<strong>in</strong>e Religion aufzudrängen. Die Bedürfnisse und Gebräuche<br />

des/der zu Betreuenden haben Vorrang.<br />

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Organisation<br />

E<strong>in</strong> E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> der psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n <strong>Nothilfe</strong> muss von Seiten der Behörden<br />

oder e<strong>in</strong>es Führungsorgans angeordnet se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>/e Verantwortliche/r koord<strong>in</strong>iert den E<strong>in</strong>satz<br />

und stellt der Betreuungsperson möglichst ideale Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen sicher. Der/die<br />

Koord<strong>in</strong>ator/<strong>in</strong> führt bei grösseren E<strong>in</strong>sätzen e<strong>in</strong> back-office, von wo aus die E<strong>in</strong>satzplanung,<br />

die Logistik, das Organisatorische und Abklärungen bei rechtlichen Fragen geklärt werden.<br />

Der/die Betreuer/<strong>in</strong> soll die Möglichkeit haben, stets <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung zum back-office zu treten.<br />

Der/die Verantwortliche des Betreuungsse<strong>in</strong>satzes stellt auch die psychologische Betreuung<br />

des Betreuungspersonals sicher.<br />

Struktur der psychischen Betreuung<br />

Auch wenn der Betreuungsablauf sehr <strong>in</strong>dividuell ist und auf die zu begleitende Person und<br />

die Umstände angepasst wird, gilt es für den Betreuer sich an verschiedene Phasen zu halten<br />

und diese <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Vorbereitung auf den E<strong>in</strong>satz e<strong>in</strong>zubeziehen.<br />

Vorbereitung<br />

Beschaffen von Informationen<br />

Welches Ziel will ich erreichen?<br />

In welcher Situation bef<strong>in</strong>det sich die zu betreuende Person? Kann und will ich mich mit<br />

dieser Situation ause<strong>in</strong>andersetzen?<br />

Kennenlernen<br />

Beim Kennenlernen geht es darum, dass das Gegenüber Vertrauen zum/zur Betreuer/<strong>in</strong><br />

gew<strong>in</strong>nt und Hemmungen und Blockaden abgebaut werden. Das Gespräch beg<strong>in</strong>nt mit der<br />

- Vorstellung (Name, Funktion, Grund des Dase<strong>in</strong>s).<br />

- Begrüssungssatz vorbereiten<br />

- Welche Art des Gefühlezeigens ist mir sympathisch (verbal, nonverbal)?<br />

- Welche E<strong>in</strong>stiegsfragen erleichtern es dem Gegenüber mit mir <strong>in</strong>s Gespräch zu<br />

kommen? W-Fragen (wer, wie, was, wo, warum) eignen sich gut und geben dem<br />

Gespräch e<strong>in</strong>e Richtung.<br />

Geme<strong>in</strong>sames agieren<br />

Bedürfnisgemäss wird die zu betreuende Person unterstützt. Das kann von der Mithilfe beim<br />

Abklären von Bestattungsformalitäten (Zeit, Ort), über die Begleitung beim Spitalbesuch, das<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 41


Aufsuchen des Unfallortes, das Besprechen der weiteren Tätigkeiten, usw. gehen. Die zu<br />

betreuende Person soll möglichst viel selber entscheiden und auch durchführen.<br />

- Welche Bedürfnisse hat die zu betreuende Person?<br />

- Welche Unterstützung oder Vorbereitung brauche ich?<br />

- Zu betreuende Person so unterstützen, dass sie möglichst viel alle<strong>in</strong> entscheiden und<br />

bearbeiten kann<br />

- Teilschritte zur Lösung e<strong>in</strong>es Problems geme<strong>in</strong>sam erarbeiten Lösungen direkt<br />

umsetzen lassen<br />

- Entscheidungen oder Wege des „Wie weiter“ geme<strong>in</strong>sam festhalten<br />

Abschied nehmen<br />

E<strong>in</strong>e psychologische Betreuung soll zeitlich begrenzt se<strong>in</strong>. Aus diesem Grund kann es se<strong>in</strong>,<br />

dass nicht alle Bedürfnisse erledigt werden können. Der/die Betreuer/<strong>in</strong> sollte merken, wann<br />

der richtige Zeitpunkt zum Abschied gekommen ist. Das kann se<strong>in</strong>, wenn<br />

- er/sie die physische und psychische Grenze erreicht.<br />

- ke<strong>in</strong>e weitere Hilfe nötig ist.<br />

- er/sie wieder <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er angestammten Tätigkeit gebraucht wird.<br />

- andere Stellen die Betreuung übernehmen.<br />

- die zu Betreuenden weitere Unterstützung ablehnen.<br />

Gedankenanstösse zum Betreuungsende:<br />

- Durchführung e<strong>in</strong>er Abschiedssitzung oder e<strong>in</strong>es Abschiedsrituals mit dem Aufzeigen<br />

des geme<strong>in</strong>sam begangenen Weges.<br />

- Aufrechterhalten der Beziehung, <strong>in</strong> welcher Art?<br />

Abschluss der psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n <strong>Nothilfe</strong> - Betreuung des Betreuungspersonals<br />

Während e<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>satzes soll der/die Betreuer/<strong>in</strong> die Gelegenheit haben, täglich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Gruppe oder im E<strong>in</strong>zelgespräch Rückblick auf den Tag zu halten, im S<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es Defus<strong>in</strong>g.<br />

Nach der Beendigung des E<strong>in</strong>satzes soll e<strong>in</strong> Debrief<strong>in</strong>g erfolgen. Es ist wichtig, dass der/die<br />

Betreuer/<strong>in</strong> ständig e<strong>in</strong>e Ansprechperson zur Verfügung hat, die von aussen Abklärungen<br />

trifft, Organisatorisches regelt und die e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung zu e<strong>in</strong>em Führungsorgan oder zu den<br />

Behörden hat.<br />

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Anforderungsprofil<br />

- Freiwilligkeit des Dienstes<br />

- sollte se<strong>in</strong>e Motivation begründen können<br />

- kann organisieren (Information, Sicherstellung der Grundbedürfnisse)<br />

- kann auf Menschen zugehen und zuhören<br />

- kann sich abgrenzen<br />

- kann warten / Ohnmacht aushalten<br />

- hat Verständnis für andere Menschen<br />

- kann Situationen verstehen und sich anpassen<br />

- kennt Trauerphasen und posttraumatische Symptome und weiss damit umzugehen<br />

- Kenntnisse über Reaktionsformen bei ausserordentlichen Ereignissen<br />

- persönliche Ause<strong>in</strong>andersetzung mit Leiden, Sterben, Tod<br />

- ökumenische Offenheit<br />

- hat Kenntnisse über andere Religionen und ihren speziellen Umgang mit Leiden,<br />

Sterben und Tod<br />

- Kenntnisse über die Partnerorganisationen (Feuerwehr, Polizei, Sanität)<br />

- weiss um die eigene Psychohygiene<br />

- Vertrautheit mit Ritualen (Gebet, Krankensalbung, usw.)<br />

- körperliche und seelische Gesundheit<br />

- Bereitschaft zur Weiterbildung<br />

- rasche Abrufbarkeit<br />

Der Pikett-Dienst der Spitalseelsorge <strong>in</strong> den Kantonsspitälern kann <strong>in</strong> diesen Kontext<br />

e<strong>in</strong>geordnet werden. Der e<strong>in</strong>zige Unterschied liegt dar<strong>in</strong>, dass die psychologisch<strong>seelsorgerliche</strong><br />

<strong>Nothilfe</strong> nicht unter Feldbed<strong>in</strong>gungen, sondern im geschützten Rahmen des<br />

Spitalumfeldes erbracht wird.<br />

Exkurs<br />

Im Anschluss an e<strong>in</strong>en tödlichen Verkehrsunfall wurde ich zur Betreuung e<strong>in</strong>er Frau aus dem<br />

Balkan <strong>in</strong>s Spital gerufen. Sie verlor ihren Sohn im Alter von 21 Jahren und reagierte sehr<br />

emotional, wohl ihrer Kultur entsprechend. Im Gespräch erzählte sie, dass ihr Gatte im Alter<br />

von 26 Jahren auch durch e<strong>in</strong>en Autounfall ums Leben gekommen war. Der Unfalltod ihres<br />

Sohnes hat bestimmt das alte Trauma wieder aktiviert und zu ihrer heftigen Reaktion u.a.<br />

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auch mit mehrmaliger Hyperventilation geführt. Die Ärzt<strong>in</strong> wollte die Patient<strong>in</strong> am folgenden<br />

Tag an e<strong>in</strong>en Psychiater überweisen. M. E. handelte es sich bei der Reaktion der Patient<strong>in</strong> um<br />

e<strong>in</strong>e normale im Zusammenhang mit e<strong>in</strong>er Extremerfahrung und nicht um e<strong>in</strong>en<br />

pathologischen Zustand. Mit e<strong>in</strong>er zu frühen Zuweisung an e<strong>in</strong>en Psychiater besteht zudem<br />

die Gefahr, das Opfer nochmals zu traumatisieren, <strong>in</strong>dem man ihm durch die psychiatrische<br />

Zuweisung das Gefühl der Abnormalität vermittelt.<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 44


5.1 Erste Hilfe für die Seele<br />

„Der durchschnittliche Mensch hat nach e<strong>in</strong>er traumatischen Erfahrung das Bedürfnis, über<br />

das Erlebte zu reden. ... Dadurch, dass die Gewalterfahrungen erzählt werden, entsteht<br />

erstmals e<strong>in</strong>e strukturierte Geschichte. ... Die Menschen können es verschieden benennen:<br />

„Zeugnis“ ablegen, Anklage erheben, Rache nehmen oder die Rettung verherrlichen. In e<strong>in</strong>er<br />

Geschichte werden die Erfahrungen als Tatsache beschrieben. Es liegt am Zuhörer, die<br />

Schrecken empathisch wahrzunehmen und die Emotionen, die unweigerlich auch beim<br />

Erzähler auftreten, aufzufangen und auszuhalten, den Erzähler zu trösten und ihn Solidarität<br />

spüren zu lassen.“ 45<br />

Exkurs<br />

In me<strong>in</strong>er Arbeit als Spitalpfarrer mache ich dieselbe Erfahrung, dass mir Menschen ihre<br />

Geschichte erzählen. E<strong>in</strong> Spitalaufenthalt stellt für viele auch e<strong>in</strong> traumatisches Erlebnis dar,<br />

sei es durch den erlebten Unfall oder die Mitteilung der Diagnose e<strong>in</strong>er unheilbaren<br />

Krankheit. Zudem haben die Patienten im Spital Zeit – im Gegensatz zum Alltag, wo die<br />

meisten zu wenig haben – über sich nachzudenken. Die Hemmschwelle über ihre Probleme zu<br />

sprechen ist tiefer als unter normalen Bed<strong>in</strong>gungen. Die Spitalseelsorge ist somit auch<br />

psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> im Spital.<br />

Wenn jemand wahrnimmt, dass man ihn nicht ernst nimmt, ihm nicht richtig zuhört,<br />

verstummt das Gespräch bald e<strong>in</strong>mal. Es gilt <strong>in</strong> der psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n <strong>Nothilfe</strong><br />

konsequent die Regeln des „aktiven Zuhörens“ anzuwenden.<br />

Bei der Anwendung der psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n <strong>Nothilfe</strong> ist den Opfern deutlich zu<br />

kommunizieren, dass sie nicht „verrückt“ s<strong>in</strong>d oder „sp<strong>in</strong>nen“, dass diese Art Hilfe ke<strong>in</strong>e<br />

psychiatrische Behandlung darstellt, sondern e<strong>in</strong>e mitmenschliche Begleitung auf e<strong>in</strong>em<br />

schweren Lebensabschnitt.<br />

Der Fokus der Krisen<strong>in</strong>tervention richtet sich auf die Verm<strong>in</strong>derung des aktuellen<br />

Stressniveaus und soll dem Betroffenen ermöglichen, durch die rasche Wiederherstellung<br />

se<strong>in</strong>es psychologischen Gleichgewichtes e<strong>in</strong>e möglichst unproblematische Anpassung an die<br />

45 Perren, G., Gewalterfahrungen und präventive Intervention, <strong>in</strong>: Perren, G., 2000, S. 11<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 45


veränderten Lebensumstände zu erreichen. Die psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong><br />

orientiert sich an psychotherapeutischen Grundsätzen, ist aber ke<strong>in</strong>e Psychotherapie.<br />

Wichtige Pr<strong>in</strong>zipien der psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n <strong>Nothilfe</strong> s<strong>in</strong>d:<br />

• Nähe: Der Betroffene soll so nah wie möglich am Ort behandelt werden wo der<br />

Zusammenbruch erfolgte.<br />

• Raschheit: Die Betreuung sollte so rasch wie möglich begonnen werden.<br />

• Erwartung: Der Betroffene soll die Erwartung spüren, dass er wieder rasch stabil wird.<br />

• E<strong>in</strong>fachheit: Die Betreuungsmethode sollte so e<strong>in</strong>fach wie möglich se<strong>in</strong>.<br />

Die wichtigste Botschaft für den Überlebenden ist es, dass er normal auf e<strong>in</strong> abnormales<br />

Ereignis reagiert, er also nicht psychisch krank ist.<br />

Weitere Elemente der psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n <strong>Nothilfe</strong> be<strong>in</strong>halten:<br />

• Rekonstruktion: Der Helfer versucht, den Betroffenen schrittweise an die Realität des<br />

traumatischen Ereignisses heranzuführen, <strong>in</strong> dabei zu unterstützen, das komplexe und<br />

dynamische Geschehen der Katastrophe zu akzeptieren.<br />

Antwort auf die Frage „Was ist passiert?“<br />

• Katharsis: Bedeutet das Zulassen der Affekte; die eigenen Reaktionen und Gefühle<br />

annehmen, statt sich dagegen aufzulehnen.<br />

Antwort auf die Frage „Wie haben Sie reagiert, was haben Sie dabei gefühlt?“<br />

• Information über normale menschliche Reaktionen im Rahmen von traumatisierenden<br />

Ereignissen; über Nachbetreuung für Betroffene und ihre Angehörigen.<br />

Der/die Betreuende hilft dem Opfer dabei, das Chaos und das Unfassbare der aktuellen<br />

Situation zu strukturieren, die Orientierungslosigkeit, die zu e<strong>in</strong>er so plötzlich e<strong>in</strong>getretenen<br />

Krise folgt, zu überw<strong>in</strong>den und entwickelt mit dem Opfer geme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong>en Plan für die<br />

Zukunft.<br />

Voraussetzungen für e<strong>in</strong>e erfolgreiche psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> s<strong>in</strong>d:<br />

- „e<strong>in</strong> klar abgesteckter Rahmen: geschützter Raum, genügend Zeit<br />

- die Grundbedürfnisse (Essen, Tr<strong>in</strong>ken, trockene Kleider etc.) müssen abgedeckt se<strong>in</strong><br />

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- die Betreuung kann e<strong>in</strong>zeln oder <strong>in</strong> Gruppen von Betroffenen erfolgen, idealerweise<br />

arbeiten die Helfer <strong>in</strong> Zweierteams.“ 46<br />

E<strong>in</strong>e theologische Nebenbemerkung: Es dürfte nicht von Ungefähr se<strong>in</strong>, dass Jesus se<strong>in</strong>e<br />

Jünger stets zu zweit ausgesandt hatte. Die Erkenntnis, Zweierteams zu bilden, beruht wohl<br />

auf e<strong>in</strong>e weit zurückreichenden Erfahrungspraxis.<br />

Manche der für Rettungssanitäter festgehaltenen Verhaltensregeln s<strong>in</strong>d auf für die<br />

psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> von Bedeutung.<br />

Regeln zur emotionalen Ersten Hilfe 47<br />

Auszug aus der deutschen Fachzeitschrift Rettungssanität: Regeln zur Psychischen Ersten<br />

Hilfe (PEH)<br />

1. Verschaffen Sie sich e<strong>in</strong>en Überblick!<br />

Beg<strong>in</strong>nen Sie nicht sofort am Unfallort mit den Massnahmen. Verschaffen Sie sich zunächst<br />

e<strong>in</strong>en Überblick und überlegen Sie, <strong>in</strong> welcher Reihenfolge Sie die e<strong>in</strong>zelnen Massnahmen<br />

durchführen wollen. Nehmen Sie sich hierfür circa 30 Sekunden Zeit.<br />

2. Sagen Sie, wer Sie s<strong>in</strong>d, dass etwas geschieht!<br />

Da viele unterschiedliche Personen am Unfallort agieren, s<strong>in</strong>d für e<strong>in</strong>en Verletzten klare und<br />

e<strong>in</strong>deutige Aussagen zur Rolle der agierenden Personen wichtig. Stellen sie sich deshalb mit<br />

Ihrem Namen und mit Ihrer Funktion vor.<br />

3. Halten sie vorsichtigen Körperkontakt!<br />

Leichter körperlicher Kontakt wird von Verletzten als angenehm und beruhigend empfunden.<br />

Ausserdem dokumentieren sie so auch auf e<strong>in</strong>e nicht-sprachliche Weise Kontakt. Angenehm<br />

empfunden wird: Hand auf den Handrücken des Patienten, Hand auf Schulter legen,<br />

Abwischen der Stirn. Sonstige Berührungen, z.B. am Kopf und anderen Körperteilen, werden<br />

unangenehm erlebt. Versorgen Sie e<strong>in</strong>en Patienten nicht von h<strong>in</strong>ten. Begeben Sie sich auf die<br />

Höhe des Verletzten.<br />

4. Beruhigen Sie durch Kompetenz im fachlichen Bereich!<br />

Vollziehen Sie die mediz<strong>in</strong>ischen Massnahmen zügig und flüssig. Vermitteln sie auch verbal,<br />

dass Sie die Situation überblicken. Demonstrieren Sie, dass Sie Kenntnis davon haben,<br />

welche Effekte die mediz<strong>in</strong>ischen Verrichtungen erzeugen.<br />

5. Informieren Sie über die e<strong>in</strong>geleiteten Massnahmen!<br />

Die Ängste von Betroffenen werden ger<strong>in</strong>ger, wenn sie über Massnahmen <strong>in</strong>formiert werden,<br />

die mit ihnen vorgenommen werden. Dadurch werden auch überzogene körperliche Abwehroder<br />

Panikreaktionen bei der Durchführung der mediz<strong>in</strong>ischen Massnahmen verm<strong>in</strong>dert.<br />

46 MC Sh<strong>in</strong>e, R., 1998, S.5-6<br />

47 E<strong>in</strong>satzgruppe <strong>Psychologisch</strong>e Erste Hilfe, 1999, Register 6, Seite 4<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 47


Patienten schätzen auch ungefähre Zeitangaben, weil sie dann wissen, wie lange sie e<strong>in</strong>e<br />

unangenehme Massnahme auszuhalten haben.<br />

6. Hören Sie dem Patienten "aktiv" zu!<br />

Viele Verletzte haben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er derartigen Situation Angst und machen sich Sorgen. Das<br />

Sprechen über die Gedanken und Gefühle erleichtert, wenn e<strong>in</strong>e Person e<strong>in</strong>fühlend zuhört.<br />

7. Halten sie das Gespräch aufrecht!<br />

Wenn der Verletzte nicht reden kann, halten sie trotzdem den verbalen Kontakt von sich aus<br />

aufrecht. Sprechen Sie zu dem Betroffenen.<br />

8. Schirmen Sie den Verletzten vor Zuschauern ab!<br />

Neugierige Blicke s<strong>in</strong>d für e<strong>in</strong>en Verletzten unangenehm. Weisen sie Schaulustige freundlich,<br />

aber bestimmt zurück. Oder übertragen Sie Zuschauern die Aufgabe, die anderen dazu zu<br />

bewegen, zurückzutreten. Sprechen Sie dabei zwei der Zuschauer direkt und persönlich an.<br />

9. Lassen Sie den Verletzten nicht alle<strong>in</strong>!<br />

Es erzeugt im Verletzten Angst, wenn er plötzlich alle<strong>in</strong> gelassen wird. Wenn Sie ihn<br />

trotzdem aus wichtigen Gründen verlassen müssen, so sorgen Sie dafür, dass sich andere<br />

Personen um ihn kümmern.<br />

10. Beachten Sie die Angehörigen!<br />

B<strong>in</strong>den Sie die Angehörigen <strong>in</strong> die Betreuung des Betroffenen e<strong>in</strong>, wenn es möglich ist.<br />

Geben Sie ihnen e<strong>in</strong>fache und konkrete Aufgaben. Wenn Sie Angehörige bitten müssen, an<br />

e<strong>in</strong>em anderen Ort zu warten, sagen Sie ihnen, dass Sie sie so bald wie möglich <strong>in</strong>formieren.<br />

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5.3 Was unbed<strong>in</strong>gt zu vermeiden ist!<br />

In der psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n <strong>Nothilfe</strong> kann man auch Fehler machen, <strong>in</strong>sbesondere<br />

wenn man sich selbst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Stresssituation bef<strong>in</strong>det. E<strong>in</strong>ige Handlungen sollten auf jeden<br />

Fall unterlassen werden. Zu diesen zählen:<br />

48 49<br />

„Auch wenn e<strong>in</strong>/e Verletzte/r selbst am Unfall schuld ist, <strong>in</strong>dem er/sie z.B. zu schnell<br />

gefahren ist, darf der/die Helfende deshalb nicht rügen. Der/die Verletzte wird es <strong>in</strong> den<br />

meisten Fällen selbst erkennen, dass ihn/sie e<strong>in</strong>e Schuld trifft. Den Helfeden fällt nicht die<br />

Rolle e<strong>in</strong>es Richters zu.<br />

S<strong>in</strong>d beim Opfer bereits Schuldgefühle vorhandenen, so dürfen diese ke<strong>in</strong>esfalls verstärkt<br />

werden. Starke Schuldgefühle führen längerfristig zu stärkeren psychischen Belastungen.<br />

Diskussionen von Helfenden z.B. über die anzuwendende Methode usw. s<strong>in</strong>d fehl am Platz.<br />

Sie tragen zu e<strong>in</strong>er zusätzlichen Verunsicherung der Betroffenen bei und erwecken bei ihnen<br />

zudem das Gefühl, dass diesen Helfenden die notwenige Kompetenz fehlt.<br />

Dass sich im Laufe der Jahre e<strong>in</strong>e gewisse Rout<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>stellt ist normal. Sie darf jedoch zu<br />

ke<strong>in</strong>er Abgestumpftheit oder gar Gleichgültigkeit verkommen.<br />

Die Geschäftigkeit am Unfallplatz, wie auch nonverbale (Gestik, Mimik, Umherlaufen) und<br />

paraverbale (Tonfall, Sprechgeschw<strong>in</strong>digkeit) Variablen der Helfenden erzeugen beim Opfer<br />

das Gefühl von Hektik, welche ohneh<strong>in</strong> schon vorhandene Angst und Nervosität beim Opfer<br />

noch zusätzlich steigert. Hektik wird von den Betroffenen nicht selten als Inkompetenz<br />

<strong>in</strong>terpretiert.<br />

Die Grenzen der Mitteilungsbereitschaft der Betroffenen s<strong>in</strong>d zu akzeptieren. Auf<br />

<strong>in</strong>sistierendes und analysierendes Fragen ist zu verzichten. Ferner ist alles zu unterlassen, was<br />

die betroffene Person <strong>in</strong> die Defensive drängen könnte.<br />

48 Vgl. Lasogga, F., 2000, S. 67-68<br />

49 Vgl. Mitchell, J.; 1998, S 90-91<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 49


Andeutungen zur Selbsttötung oder Mord dürfen <strong>in</strong> ihrer Bedeutung nicht unterschätzt<br />

werden. Bei Fehle<strong>in</strong>schätzung kann dies fatale Folgen haben.“<br />

Helfer/<strong>in</strong>nen, welche dem psychologischen oder psychiatrischen Umfeld entstammen, müssen<br />

bei der psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n <strong>Nothilfe</strong> bedenken:<br />

„Das Instrumentarium der klassischen Psychotherapien ist ... schon aus re<strong>in</strong> methodischen<br />

Gründen nicht unmittelbar anwendbar. Überspitzt ausgedrückt: Man kann bei e<strong>in</strong>em Unfall<br />

nicht nach Art der klassischen Psychoanalyse frühk<strong>in</strong>dliche Er<strong>in</strong>nerungen oder Träume<br />

analysieren oder à la Verhaltenstherapie zunächst willkürliche Entspannung tra<strong>in</strong>ieren und<br />

daraufh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuelle Angsthierarchie erstellen.<br />

E<strong>in</strong> zweites, damit verbundenes Problem liegt <strong>in</strong> der Zeitdauer der Intervention: Selbst die <strong>in</strong><br />

der kl<strong>in</strong>ischen Psychologie beschriebenen Kurzpsychotherapien dauern noch Stunden,<br />

während <strong>in</strong> den beschriebenen Fällen M<strong>in</strong>uten genutzt werden müssen.<br />

Des Weiteren gehen die professionellen Methoden der Psychotherapie meist von der Situation<br />

aus, dass e<strong>in</strong> Klient mit se<strong>in</strong>en Problemen zum Therapeuten kommt, und nicht davon, dass<br />

man schlagartig, und unvermutet Massnahmen irgende<strong>in</strong>es Helfers ausgesetzt ist.<br />

E<strong>in</strong> zusätzlicher drastischer Unterschied im „Sett<strong>in</strong>g“ der therapeutischen Massnahmen<br />

besteht dar<strong>in</strong>, dass Psychotherapie fast immer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er angenehmen, ruhigen, entspannenden<br />

Umgebung, stattf<strong>in</strong>det und nicht bei Nieselregen, Lärm und Hektik im Strassengraben e<strong>in</strong>er<br />

Landstrasse oder neben e<strong>in</strong>em Herd, auf dem das Essen kocht, während im Nebenraum kle<strong>in</strong>e<br />

K<strong>in</strong>der schreien.“ 50<br />

Diese Überlegungen haben s<strong>in</strong>ngemäss ihre Bedeutung auch für Theolog<strong>in</strong>nen/Theologen,<br />

welche das Studier- oder Besprechungszimmer verlassen und dorth<strong>in</strong> gehen müssen, wo die<br />

„Hölle“ los ist.<br />

50 Lasogga, F.; 2000, S. 116-117<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 50


5.4 Betreuung von K<strong>in</strong>dern<br />

Generell sollten K<strong>in</strong>der zusammen mit ihren Eltern betreut werden. Für die K<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d<br />

dadurch vertraute Personen anwesend, die Eltern - oft befangen oder unter Schock - fühlen<br />

sich <strong>in</strong> ihrer Sorge um die K<strong>in</strong>der entlastet. Personen, die selber K<strong>in</strong>der haben, s<strong>in</strong>d meistens<br />

gut <strong>in</strong> der Lage, auch fremde K<strong>in</strong>der zu betreuen. Die Altersangaben s<strong>in</strong>d nur Anhaltspunkte.<br />

51<br />

K<strong>in</strong>der unter 2 Jahre<br />

Besonders wichtig ist Körperkontakt durch auf den Arm nehmen, im Arm wiegen, über den<br />

Kopf streicheln, die Hände halten. Sehr hilfreich ist es, wenn das K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>en vertrauten<br />

Gegenstand <strong>in</strong> der Hand halten kann.<br />

Zwischen 2 und 5 Jahren<br />

Das K<strong>in</strong>d animieren zu sprechen, das Interesse von der aktuellen Situation auf andere D<strong>in</strong>ge<br />

lenken. Sehr hilfreich s<strong>in</strong>d dabei Puppen oder Stofftiere, die oft auch <strong>in</strong> E<strong>in</strong>satzfahrzeugen<br />

mitgeführt werden. Evtl. e<strong>in</strong>e Geschichte erzählen.<br />

Zwischen 5 und 12 Jahren<br />

Das Gespräch gew<strong>in</strong>nt an Bedeutung. Wenn dieses erschöpft ist, empfiehlt es sich, das K<strong>in</strong>d<br />

zu beschäftigen. Man könnte es z.B. malen oder etwas aufschreiben lassen. Wichtig ist das<br />

geme<strong>in</strong>same Tun.<br />

Ab 12 Jahre<br />

Das K<strong>in</strong>d/der Jugendliche lässt sich nicht mehr e<strong>in</strong>fach ablenken. Sie erkennen meist, wenn<br />

e<strong>in</strong>e Situation verharmlost wird. Die Reaktion wäre dann ist Misstrauen, Rückzug oder<br />

Aggression. Der/die Betreuende wird Ansprechperson für ausgesprochene oder<br />

unausgesprochene Fragen, Ängste. Der E<strong>in</strong>satz sollte erklärt werden. Es ist nicht immer<br />

s<strong>in</strong>nvoll, die volle Wahrheit zu sagen, es sollte andererseits ke<strong>in</strong>esfalls gelogen werden.<br />

Besser ist es, wenn der/die Betreuer/<strong>in</strong> zugesteht, dass er/sie etwas nicht wisse, aber Hoffnung<br />

habe. Das Vertrauen <strong>in</strong> die Fähigkeiten der E<strong>in</strong>satzkräfte sollte betont werden.<br />

51 www.notfallseelsorge.de<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 51


5.5 Öffentliche Trauergottesdienste<br />

Zunehmend f<strong>in</strong>den nach Grossereignissen öffentliche Trauergottesdienste statt. E<strong>in</strong><br />

Phänomen, das <strong>in</strong> neuster Zeit mehr und mehr <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung tritt. Es dürfte kaum alle<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Folge der ausgeprägten Medienaufmerksamkeit se<strong>in</strong>, sondern auf tiefere psychologische<br />

Gründe zurückzuführen se<strong>in</strong>. Obwohl die Medien die Öffentlichkeit täglich mit Sterben und<br />

Tod konfrontieren, f<strong>in</strong>det auf der persönlichen Ebene kaum e<strong>in</strong>e Ause<strong>in</strong>andersetzung mit<br />

Sterben und Tod statt. Die früher <strong>in</strong> der Gesellschaft verankerten Riten um Sterben und Tod<br />

s<strong>in</strong>d grösstenteils verschwunden. Dadurch verlieren nicht wenige Menschen e<strong>in</strong>en Halt. Dies<br />

zeigt sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er enormen Unsicherheit wie Sterbenden zu begegnen, wie man sich bei<br />

e<strong>in</strong>em Todesfall zu benehmen hat und was zu unternehmen ist. Durch die Darstellung von<br />

dramatischen Grossereignissen <strong>in</strong> den Medien erfährt die z.T. unterdrückte<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung mit dem Tod e<strong>in</strong>e Aktivierung. Die öffentlichen Trauergottesdienste<br />

bieten <strong>in</strong> diesem Moment nicht alle<strong>in</strong> den betroffenen Angehörigen e<strong>in</strong>e Möglichkeit zur<br />

Trauerarbeit, sondern auch der grossen Masse. Es wird ihr nun im Schutz des Kollektivs und<br />

weitgehend anonym ermöglicht, Trauererfahrungen machen.<br />

Es darf m.E. der Schluss gezogen werden, dass öffentliche Trauergottesdienste so etwas wie<br />

e<strong>in</strong>e psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> für die Öffentlichkeit darstellen, welche als<br />

Tertiäropfer durch die Medien „traumatisiert“ worden ist. Die Traumatisierung mag dar<strong>in</strong><br />

bestehen, dass der „Machbarkeitswahn“ und der Glaube an die eigene Unverwundbarkeit<br />

zerstört wurde. Es geht zudem das Weltbild, alles im Griff zu haben verloren.<br />

Trauergottesdienste können dazu dienen, das Weltbild wieder zu stabilisieren. 52 Sie rücken<br />

somit <strong>in</strong> die Nähe e<strong>in</strong>es „kollektiven Debrief<strong>in</strong>gs“. Die Kirchen s<strong>in</strong>d sich dieser Problematik,<br />

bzw. der Chancen solcher öffentlicher Trauergottesdienste erst <strong>in</strong> Ansätzen bewusst.<br />

Für Opfer und Helfer/<strong>in</strong>nen ist es s<strong>in</strong>nvoll, wenn mit e<strong>in</strong>er Gedenkfeier, vor allem wenn<br />

E<strong>in</strong>satzkräfte zu Schaden gekommen s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>en „Schlusspunkt“ zu setzen. E<strong>in</strong>e<br />

Wiederholung e<strong>in</strong> Jahr später am Ereignisort ist ebenfalls <strong>in</strong> Erwägung zu ziehen und<br />

entspricht e<strong>in</strong>er uralten Tradition christlicher Trauerarbeit.<br />

52 Mitchell, J., 1998, S.55<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 52


6 HILFE FÜR DIE HELFER<br />

Der E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Katastrophe, sei es als professioneller Helfer/<strong>in</strong> (Feuerwehr, Sanität,<br />

Polizei, Spitalpersonal) oder als Betreuer/<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Katastrophenhilfsteams bedeutet <strong>in</strong> jedem<br />

Fall e<strong>in</strong> belastendes Ereignis.<br />

„Ähnlich den Opfern, reagieren auch die Helfer oftmals mit psychischen Zeichen, die zumeist<br />

vorübergehender Natur s<strong>in</strong>d. Tage bis Wochen nach dem E<strong>in</strong>satz können traumatische<br />

Stresssymptome wie Unkonzentriertheit, Schlafstörungen, Alpträume, Verstimmtheit oder<br />

Reizbarkeit die Funktionsfähigkeit des Helfers be<strong>in</strong>trächtigen. Andere Betroffene ziehen sich<br />

von den Menschen zurück, versagen im Beruf, können sich die notwendige Hilfe nicht selbst<br />

organisieren oder diese nicht annehmen.“ 53<br />

Folgende Situationen im Feuerwehrdienst (und s<strong>in</strong>ngemäss auch für die andern E<strong>in</strong>satzkräfte<br />

und psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> Nothelfer/<strong>in</strong>nen) gelten als besonders belastend:<br />

- „Bergung e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des (<strong>in</strong>sbesondere, wenn der/die Helfende e<strong>in</strong> eigenes K<strong>in</strong>d<br />

ähnlichen Alters hat)<br />

- Rettung e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des aus e<strong>in</strong>er besonders schwierigen Situation. Dies gilt besonders<br />

dann, wenn das Feuerwehrmitglied erwarten muss, dass das K<strong>in</strong>d sehr schwere<br />

Verletzungen davontragen oder möglicherweise sogar den E<strong>in</strong>satz nicht überleben<br />

wird.<br />

- Akute Lebensgefahr für die E<strong>in</strong>satzkräfte<br />

- Die Rettung oder Bergung e<strong>in</strong>es Kollegen<br />

- E<strong>in</strong>sätze mit e<strong>in</strong>er grösseren Anzahl von Toten oder Verletzten 54<br />

- E<strong>in</strong>satz von Schusswaffen bei Polizei oder Grenzwache<br />

- schwerer Dienstunfall (mit tödlichen Folgen)<br />

- Suizid e<strong>in</strong>es Kollegen<br />

- Ereignisse, bei denen das Opfer den Helfenden bekannt ist<br />

- lange andauernde und dadurch belastende E<strong>in</strong>sätze (über mehrere Tage)<br />

- mehrere parallele Schadenereignisse“ 55<br />

53 MC Sh<strong>in</strong>e, R., 1998, S. 6<br />

54 www.fireworld.at/themen/stress<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 53


Im ungünstigen Fall führen die Folgen des traumatischen Stress zu schwerwiegenden<br />

psychischen Störungen, die den Betroffenen – sofern nicht behandelt – monate- bis jahrelang<br />

bee<strong>in</strong>trächtigen. Solche Spätschäden können verschiedene Formen annehmen: Depression,<br />

Angstzustände, Posttraumatische Stress-Störung, Alkohol- und andere Süchte.<br />

„Das Risiko psychischer Spätschäden lässt sich mit den Methoden des Defus<strong>in</strong>g und des<br />

Debrief<strong>in</strong>g verm<strong>in</strong>dern.“ 56<br />

Nicht erst nach e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>satz, sondern bereits vorgängig s<strong>in</strong>d Massnahmen zu ergreifen, um<br />

mit der Stressbelastung besser umgehen zu können. Im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Prävention ist das<br />

Erlernen von Stressbewältigungsmechanismen notwendig und erhöht die Wirksamkeit von<br />

Defus<strong>in</strong>g und Debrief<strong>in</strong>g.<br />

55 Cunderlik, D., 1999, S. 56<br />

56 MC Sh<strong>in</strong>e, R., 1998, S. 6<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 54


6.1 Stressbewältigung<br />

Zum alltäglichen Grundstress den wir am Arbeitsplatz, <strong>in</strong> der Familie, unterwegs auf der<br />

Strasse usw. erleben, gesellt sich oft zusätzlicher Stress wie Konflikte mit anderen Menschen,<br />

überdurchschnittliche Arbeitsbelastung, f<strong>in</strong>anzielle Probleme. Wenn noch zusätzlich<br />

traumatischer Stress entsteht durch zum Beispiel den plötzlichen Verlust e<strong>in</strong>es nahestehenden<br />

Menschen, direktes Erleben von Gewalt oder e<strong>in</strong>es schweren Unfalls, kann darauf der<br />

betroffene Mensch mit e<strong>in</strong>er Belastungsstörung reagieren.<br />

Bei ungenügender Prävention und mangelnder Stressbewältigungstechniken ist e<strong>in</strong>e<br />

Stresskumulation sehr wahrsche<strong>in</strong>lich. Wer im Beruf oder im Dienste der Geme<strong>in</strong>schaft damit<br />

rechnen muss, mit Trauma auslösenden Ereignissen konfrontiert zu werden, tut gut daran,<br />

gewisse Vorkehrungen zu treffen.<br />

INDIVIDUELLE MASSNAHMEN ZUR BESSEREN STRESSBEWÄLTIGUNG 57<br />

<strong>in</strong> körperlicher H<strong>in</strong>sicht<br />

- gute körperliche Verfassung anstreben, für körperliche Fitness sorgen<br />

- angepasste, regelmässige, gesunde Verpflegung zu sich nehmen, genügend tr<strong>in</strong>ken<br />

- auf gute körperliche Hygiene achten<br />

- regelmässig und genügend schlafen<br />

- bewusst Pausen e<strong>in</strong>schalten<br />

- bewusst ausspannen und entspannen<br />

<strong>in</strong> psychischer H<strong>in</strong>sicht<br />

- Vertrauen <strong>in</strong> die eigene Leistungsfähigkeit und <strong>in</strong> die eigene Belastbarkeit entwickeln<br />

- Aggressionen wahrnehmen, kontrolliert abreagieren (Schimpfen, Wut ausdrücken)<br />

- Ablenken, Bücher lesen, Radio hören, TV schauen<br />

- soziale Kontakte pflegen (Gespräche führen, Briefe schreiben, telefonieren)<br />

- über e<strong>in</strong> tragfähiges soziales Netz verfügen<br />

- über Ängste sprechen (mit Kollegen, Freunden, Bekannten, Verwandten)<br />

- Herausforderungen als Chancen annehmen, durchhalten und durchbeissen tra<strong>in</strong>ieren<br />

57 Vgl. Bundesamt für Zivilschutz, 2000<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 55


- sich selber positiv bee<strong>in</strong>flussen: positive Seiten betrachten, sich auf etwas Schönes<br />

und Angenehmes freuen, sich auf die Lösung der Aufgabe konzentrieren<br />

- Das eigene Selbstwertgefühl erhalten und steigern: Die eigenen Bedürfnisse erkennen<br />

und dazu stehen, notwendige Abgrenzungen vornehmen, die eigene Rolle verstehen<br />

und ausfüllen, Erwartungen an andere transparent machen, Feedback geben.<br />

<strong>in</strong> organisatorischer Sicht<br />

- Arbeitserleichterungen schaffen: funktionaler Arbeitsplatz, funktionale<br />

Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen<br />

- Tote Zeiten s<strong>in</strong>nvoll nutzen<br />

- Möglichkeit zum Mitdenken geben, Möglichkeit zum Mitdenken nutzen<br />

- Verantwortung delegieren, Verantwortung übernehmen und wahrnehmen<br />

- Umgang mit den Arbeits<strong>in</strong>strumenten kennen<br />

- Möglichkeit schaffen, Möglichkeit nutzen die eigenen Kleider sauber zu halten und<br />

körperliche Hygiene zu pflegen<br />

<strong>in</strong> kognitiver H<strong>in</strong>sicht („Denkarbeit“)<br />

- sich mit hypothetischen Fragen und Antworten auf Zukünftiges vorbereiten: Was ist<br />

das Schlimmste, das passieren könnte? Was könnte mit mir geschehen, was mit andern<br />

Personen? Wie werde ich <strong>in</strong> der zu erwartenden schlimmsten Situation reagieren?<br />

Könnte ich auch anders reagieren?<br />

- Wie wahrsche<strong>in</strong>lich ist das E<strong>in</strong>treffen der schlimmsten Situation?<br />

- Was wäre das Beste, das passieren könnte?<br />

- Den seelischen Energiehaushalt unter Kontrolle br<strong>in</strong>gen:<br />

o Was stresst mich?<br />

o Wovor habe ich Angst?<br />

o Wo kann ich Kraft herholen?<br />

o Was freut mich?<br />

o Wo habe ich Erfolg?<br />

o Was kann ich für mich lernen?<br />

- Alles hat e<strong>in</strong> Ende!<br />

- Die Situation, <strong>in</strong> der ich mich bef<strong>in</strong>de zu bee<strong>in</strong>flussen versuchen: was kann ich zur<br />

Veränderung beitragen? Was kann ich verbessern?<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 56


KOLLEKTIVE MASSNAHMEN ZUR STRESSPROPHYLAXE<br />

- Realistische, e<strong>in</strong>satzbezogene Ausbildung durchführen<br />

- Vertrauen <strong>in</strong> die eigene Organisation erarbeiten<br />

- Vertrauen <strong>in</strong> die Führung, <strong>in</strong> die Mitarbeitenden, unter den Mitarbeitenden bilden<br />

- Vertrauen <strong>in</strong> das zum E<strong>in</strong>satz gelangende Material bilden<br />

- Gutes E<strong>in</strong>satz-, Arbeits- und Ausbildungsklima schaffen<br />

Die Vorbereitung auf die E<strong>in</strong>sätze durch persönliches Stresstra<strong>in</strong><strong>in</strong>g, umfassende Information<br />

und Schulung s<strong>in</strong>d als präventive Massnahmen zu fördern und auszubauen. Durch die damit<br />

verbundene Stressreduktion verm<strong>in</strong>dert sich das Risiko e<strong>in</strong>er posttraumatischen<br />

Belastungsstörung.<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 57


6.2 Peer-Group<br />

Bei vielen E<strong>in</strong>satzkräften ist es üblich, sich nach besonderen E<strong>in</strong>sätzen zusammenzusetzen<br />

und das Erlebte zu besprechen. Meist geht es <strong>in</strong> diesem Fall aber um E<strong>in</strong>satztaktik, um<br />

technische Probleme oder Probleme beim Ablauf. Die Gefühlsebene bleibt unberührt oder<br />

wird nur ganz am Rande gestreift. Diese Besprechungsform stellt bei der Stressbewältigung<br />

nach belastenden E<strong>in</strong>sätzen also ke<strong>in</strong>e echte Hilfe dar. Wichtig für derartige Gespräche wäre<br />

das Erkennen, Benennen und vor allem das Aussprechen der mit dem E<strong>in</strong>satz verbundenen<br />

Gedanken und Gefühle. Direkt nach dem E<strong>in</strong>satz kommt dieses oft nicht so recht <strong>in</strong> Gang.<br />

Die Betroffenheit ist <strong>in</strong> diesem Moment noch viel zu gross. Die eigentliche Aufarbeitung<br />

f<strong>in</strong>det erst später statt. Dies muss nicht immer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em grösseren Kreis se<strong>in</strong>, sondern erfolgt<br />

häufig auch nur unter vier Augen von Kamerad zu Kamerad.<br />

Es hat sich herausgestellt, dass E<strong>in</strong>satzkräfte am besten mit den Menschen <strong>in</strong>s Gespräch<br />

kommen, die sich <strong>in</strong> ihre Gedankenwelt versetzen und ihre Empf<strong>in</strong>dungen auch teilen können.<br />

Somit s<strong>in</strong>d vertrauenswürdige Kollegen die besten Gesprächspartner. Es hat sich als<br />

zweckmässig erwiesen, Kameraden mit hoher sozialer Kompetenz als Gesprächspartner zu<br />

schulen. Diese Massnahme hat sich als äusserst s<strong>in</strong>nvoll und effizient erwiesen.<br />

E<strong>in</strong> Peer benötigt folgende Schlüsselqualifikationen: 58<br />

- „Fähigkeit zuzuhören<br />

- Kommunikationsfähigkeit<br />

- Empathie, E<strong>in</strong>fühlungsvermögen<br />

- Fähigkeit zusammenzufassen<br />

- Fähigkeit passende Fragen zu stellen<br />

- Aufrichtigkeit / Authentizität, Echtheit<br />

- Verb<strong>in</strong>dlichkeit<br />

- Mut, zu konfrontieren, und die Fähigkeit, Konfrontationen auszuhalten<br />

- Problemlösungskompetenz“<br />

58 Mitchell, J., 1998, S. 171<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 58


Bei der Auswahl der Peer’s ist den nachstehenden M<strong>in</strong>destanforderungen Rechnung zu<br />

tragen: 59<br />

- „E<strong>in</strong>satzerfahrung<br />

- persönliche Reife<br />

- Anerkennung bei Kollegen<br />

- Fähigkeit, Wissen vertraulich zu behandeln<br />

- Sensibilität für die Bedürfnisse anderer<br />

- Bereitschaft und Fähigkeit im Team zu arbeiten<br />

- Bereitschaft, sich mit psychosozialen Fragen ause<strong>in</strong>ander zusetzen<br />

- E<strong>in</strong>verständnis, nur <strong>in</strong>nerhalb der eigenen Grenzen tätig zu werden<br />

- Ausbildung im Bereich Stressbearbeitung nach belastenden E<strong>in</strong>sätzen.“<br />

Die Peers werden zu Ansprechpartnern für ihre Kollegen und leisten wertvolle Dienste zur<br />

psychischen Entlastung und Stabilisierung. Sie leiten <strong>in</strong> der Regel zusammen mit Fachleuten<br />

die Sitzungen der Defus<strong>in</strong>gs und Debrief<strong>in</strong>gs. Dadurch wird die Hemmschwelle für die<br />

Teilnahme der Betroffenen niedriger, weil sie wissen, dass die Debriefer „vom gleichen<br />

Schlag“ s<strong>in</strong>d, wissen wie <strong>in</strong> der Organisation der Hase läuft, etwas was Aussenstehende nicht<br />

wirklich e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen vermögen.<br />

Im Bereich der E<strong>in</strong>satzkräfte wie auch im Bereich der Wirtschaft s<strong>in</strong>d Peer’s notwendig. Sie<br />

wissen am besten, wie man Kollegen unterstützen kann. Vom ökonomischen Gesichtspunkt<br />

her s<strong>in</strong>d ihre Dienste auch viel kostengünstiger als der E<strong>in</strong>satz von externen Fachleuten. Die<br />

Ausbildung von Peer’s ist daher von den Unternehmungen vermehrt zu fördern.<br />

59 Mitchell, J., 1998, S. 234<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 59


6.3 Defus<strong>in</strong>g<br />

Unter dem Begriff Defus<strong>in</strong>g wird e<strong>in</strong>e Kurzbesprechung nach e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>satz verstanden.<br />

Defus<strong>in</strong>g bedeutet, etwas unschädlich machen, bevor es Schaden anrichten kann, etwas<br />

entschärfen.<br />

Das Defus<strong>in</strong>g ist im Pr<strong>in</strong>zip e<strong>in</strong>e verkürzte Version des Debrief<strong>in</strong>gs. Es erfolgt jedoch<br />

unmittelbar nach dem E<strong>in</strong>satz und geht deshalb emotional nicht so sehr <strong>in</strong> die Tiefe. Personen,<br />

die bei e<strong>in</strong>em belastenden Ereignis im E<strong>in</strong>satz waren, erhalten die Möglichkeit, kurz über ihre<br />

Erlebnisse zu sprechen, und dies bevor sie Zeit hatten, ausgiebig, über den Vorfall<br />

nachzudenken.<br />

Ziele des Defus<strong>in</strong>g 60<br />

Das Defus<strong>in</strong>g verfolgt im wesentlichen fünf Hauptziele:<br />

1. Die rasche Verm<strong>in</strong>derung der Intensität von Reaktionen auf e<strong>in</strong> belastendes Ereignis.<br />

2. Die „Normalisierung“ der persönlichen Reaktionen und Erfahrungen.<br />

3. Angleichung des Informationsstandes über das Ereignis.<br />

4. Die Herstellung, e<strong>in</strong>es sozialen Netzwerkes, damit sich Betroffene nicht isolieren.<br />

5. Abschätzen, ob zusätzlich zum Defus<strong>in</strong>g e<strong>in</strong> Debrief<strong>in</strong>g notwendig ist.<br />

Zielgruppen<br />

Zielgruppe e<strong>in</strong>es Defus<strong>in</strong>gs s<strong>in</strong>d die Personen, welche das Ereignis am stärksten getroffen hat.<br />

Normalerweise werden nach e<strong>in</strong>em belastenden E<strong>in</strong>satz dafür sechs bis acht Personen<br />

zusammengefasst: e<strong>in</strong>e Löschgruppe, e<strong>in</strong>e Polizeie<strong>in</strong>heit, 3 bis 4 Betreuerteams, betroffene<br />

Angehörige usw.<br />

Leitung des Defus<strong>in</strong>gs<br />

E<strong>in</strong> Defus<strong>in</strong>g soll nur von speziell ausgebildeten Personen durchgeführt werden, denn<br />

Betroffene s<strong>in</strong>d nach e<strong>in</strong>em belastenden Ereignis besonders sensibel und verletzlich. Die<br />

Leitung des Defus<strong>in</strong>gs wird durch e<strong>in</strong> Betreuer-Team von m<strong>in</strong>destens zwei Personen<br />

sichergestellt. Die Verantwortung, die sonst nur bei e<strong>in</strong>er Person läge, verteilt sich so besser.<br />

60 Vgl. Bundesamt für Zivilschutz, 2000<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 60


Der richtige Zeitpunkt<br />

Idealerweise sollte das Defus<strong>in</strong>g <strong>in</strong> den ersten drei Stunden nach e<strong>in</strong>em belastenden Ereignis<br />

stattf<strong>in</strong>den.<br />

Bei E<strong>in</strong>sätzen über mehrere Tage kann es s<strong>in</strong>nvoll se<strong>in</strong>, nach jedem Arbeitstag, e<strong>in</strong> Defus<strong>in</strong>g<br />

durchzuführen.<br />

Der Grund für e<strong>in</strong>en solchen Zeitrahmen liegt im Verlauf der Traumatisierung nach e<strong>in</strong>em<br />

belastenden Ereignis. Kurz nach dem E<strong>in</strong>satz bef<strong>in</strong>den sich die Betroffenen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Art<br />

Schockzustand. Sie s<strong>in</strong>d sehr sensibel und verletzlich, aber auch sehr empfänglich für Hilfe.<br />

In den nächsten Stunden versuchen sie, ihre Schutzsysteme wieder herzustellen. In dieser<br />

Zeitspanne ist das Defus<strong>in</strong>g am effektivsten. Später kapseln sie sich von der Umwelt ab und<br />

versuchen, ihren eigenen seelischen Schutzschild wieder zu aktivieren. Sie sche<strong>in</strong>en dann<br />

ke<strong>in</strong>e Unterstützung zu brauchen. Ihre ganze Umwelt <strong>in</strong>terpretieren sie als gefährlich, bis sie<br />

<strong>in</strong> der Lage s<strong>in</strong>d, sich nach ungefähr 24 Stunden aus eigener Kraft zu stabilisieren und neu zu<br />

orientieren.<br />

RAHMENBEDINGUNGEN FÜR EIN DEFUSING<br />

Ort<br />

Das Defus<strong>in</strong>g wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em neutralen und störungsfreien Ort durchgeführt, nie am E<strong>in</strong>satzort.<br />

Der Raum, <strong>in</strong> dem es stattf<strong>in</strong>det, sollte der kle<strong>in</strong>en Gruppe angemessen se<strong>in</strong>. Er ist gemütlich,<br />

gut beleuchtet und entsprechend klimatisiert. Die Stühle s<strong>in</strong>d so bequem wie möglich und<br />

sollten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kreis oder um e<strong>in</strong>en Tisch aufgestellt se<strong>in</strong>. So lange der Anspruch auf Ruhe<br />

und Abgeschlossenheit erfüllt ist, kann e<strong>in</strong> Defus<strong>in</strong>g überall durchgeführt werden.<br />

Zeitaufwand<br />

E<strong>in</strong> Defus<strong>in</strong>g dauert <strong>in</strong> der Regel zwischen 20 M<strong>in</strong>uten und e<strong>in</strong>er guten Stunde. Sollte sie<br />

trotz guter Leitung wesentlich länger dauern, ist dies e<strong>in</strong> Zeichen dafür, dass die Gruppe sehr<br />

traumatisiert ist.<br />

In diesem Fall ist es ratsam, die betroffenen Personen im Moment nur auf e<strong>in</strong> notwendiges<br />

Mass zu stabilisieren und dann <strong>in</strong> den nächsten Tagen e<strong>in</strong> Debrief<strong>in</strong>g durchzuführen.<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 61


Vorbereitung<br />

Die Notwendigkeit e<strong>in</strong>es Defus<strong>in</strong>gs ergibt sich meistens kurzfristig, so dass das Betreuerteam<br />

selten viel Zeit hat, sich darauf vorzubereiten. Die Teammitglieder müssen mit den ihnen zur<br />

Verfügung stehenden Informationen das Beste aus der Situation machen. Wenn die Zeit es<br />

ermöglicht, sollte nach dem Defus<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>e Erfrischung oder e<strong>in</strong> Imbiss angeboten werden,<br />

damit die Teilnehmer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>formellen Rahmen noch etwas zusammen bleiben können.<br />

Die Phasen des Defus<strong>in</strong>gs<br />

Die E<strong>in</strong>führung<br />

Die Besprechung beg<strong>in</strong>nt, sobald die Gruppe und das Betreuerteam Platz genommen haben.<br />

Das Betreuerteam<br />

- stellt sich wenn nötig vor<br />

- benennt den Grund und das Ziel der Besprechung<br />

- beschreibt den Ablauf der Besprechung<br />

- betont die notwendige Vertraulichkeit der Gespräche<br />

- beantwortet Fragen<br />

- bietet zusätzliche Unterstützung an, wenn dies nach der Besprechung noch nötig, ist<br />

Der Austausch<br />

Die Teilnehmer werden gebeten, von ihren Erfahrungen aus dem E<strong>in</strong>satz zu erzählen. Es<br />

gibt ke<strong>in</strong>e Gesprächsordnung. Jeder, der schweigen will, kann dies tun - auch wenn dies<br />

nicht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em eigenen Interesse liegt. Während des Gesprächs versucht das<br />

Betreuerteam auf unterschiedliche Art und Weise jeden <strong>in</strong> der Gruppe sanft dazu zu<br />

br<strong>in</strong>gen, etwas zu sagen. Die Teilnehmer werden aber nicht unter Druck gesetzt. Durch<br />

gezieltes Nachfragen des Betreuerteams werden die Teilnehmer dazu gebracht, ihre<br />

E<strong>in</strong>drücke, Gefühle und Gedanken zu verbalisieren.<br />

Die Information<br />

Das Betreuerteam<br />

- fasst die Informationen, die während der Austauschphase aus der Gruppe kamen,<br />

zusammen<br />

- zeigt auf, dass die Gefühle und Reaktionen der Teilnehmer e<strong>in</strong>em normalen<br />

Verhalten auf e<strong>in</strong>e ausserordentliche Situation entsprechen<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 62


- stellt sich für weitere persönliche Gespräche zur Verfügung<br />

- legt, falls notwendig, e<strong>in</strong>en Term<strong>in</strong> für e<strong>in</strong> Debrief<strong>in</strong>g fest<br />

Die Nachbetreuung<br />

Die Nachbetreuung beg<strong>in</strong>nt unmittelbar nach dem Defus<strong>in</strong>g. Das Betreuerteam versucht,<br />

jeden der Teilnehmer zu kontaktieren, um zu erfahren, ob es allen gut geht oder jemand<br />

weitere Hilfe benötigt. E<strong>in</strong>zelbetreuungen s<strong>in</strong>d dabei durchaus üblich. Personen, die trotz<br />

dieser Hilfe auch nach längerer Zeit unter dem belastenden Ereignis leiden, müssen e<strong>in</strong>em<br />

ausgebildeten Therapeuten zugeführt werden.<br />

Falls durch das Defus<strong>in</strong>g die psychische Anspannung nicht wesentlich gemildert werden<br />

konnte, ist e<strong>in</strong> Term<strong>in</strong> für e<strong>in</strong> Debrief<strong>in</strong>g vere<strong>in</strong>baren.<br />

„Die Führungskräfte der Ereignisdienste ... müssen <strong>in</strong> der Lage se<strong>in</strong>, die psychologische<br />

Nachbearbeitung (Defus<strong>in</strong>g) <strong>in</strong>itiieren und begleiten zu können. Dafür braucht es e<strong>in</strong>e gezielte<br />

Ausbildung.“ 61<br />

61 Konzept „Psychiatrie <strong>in</strong> ausserordentlichen Lagen und Psychotraumatologie“, S. 7<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 63


6.4 Debrief<strong>in</strong>g<br />

Unter dem Begriff Debrief<strong>in</strong>g wird e<strong>in</strong>e umfassende Besprechung nach e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>satz<br />

verstanden.<br />

Debrief<strong>in</strong>g ist e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>satznachbesprechung mit dem Ziel, psychische Belastungen nach<br />

traumatischen Ereignissen aufzulösen oder zu l<strong>in</strong>dern.<br />

Das Debrief<strong>in</strong>g ist im Pr<strong>in</strong>zip e<strong>in</strong>e Weiterführung, des Defus<strong>in</strong>g. Es erfolgt frühestens 1 Tag<br />

nach dem E<strong>in</strong>satz und geht emotional viel mehr <strong>in</strong> die Tiefe. Personen, die bei e<strong>in</strong>em<br />

belastenden Ereignis im E<strong>in</strong>satz waren, entwickeln <strong>in</strong> der Regel e<strong>in</strong>en ausgeprägten<br />

„seelischen Schutzschild“. Erst nach ca. 24 Std. s<strong>in</strong>d sie <strong>in</strong> der Lage, genauer zu beschreiben,<br />

wie sie auf das Ereignis reagiert haben.<br />

Ziele des Debrief<strong>in</strong>gs 62<br />

Das Debrief<strong>in</strong>g, verfolgt im wesentlichen vier Hauptziele:<br />

- Die Reduktion der psychischen Auswirkungen von belastenden Ereignissen auf die<br />

Betroffenen.<br />

- Den Genesungsprozess bei Menschen beschleunigen, die normale Stressreaktionen<br />

aufgrund traumatischer Ereignisse entwickeln.<br />

- Die Herstellung, e<strong>in</strong>es sozialen Netzwerkes, damit sich Betroffene nicht isolieren.<br />

- Abschätzen, ob zusätzlich zum Debrief<strong>in</strong>g professionelle therapeutische Hilfe<br />

notwendig wird.<br />

Zielgruppen<br />

Das Debrief<strong>in</strong>g richtet sich an alle Personen, welche durch das belastende Ereignis betroffen<br />

wurden. Waren verschiedene Gruppen wie Opfer und Angehörige, Zeugen, diverse<br />

E<strong>in</strong>satzkräfte beteiligt, so wird mit jeder Gruppe e<strong>in</strong> eigenes Debrief<strong>in</strong>g durchgeführt. Die<br />

Tellnehmerzahl pro Gruppe sollte im Bereich von 4 - 20 Personen liegen.<br />

62 Bundesamt für Zivilschutz, 2000<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 64


Leitung des Debrief<strong>in</strong>gs<br />

E<strong>in</strong> Debrief<strong>in</strong>g soll nur von speziell ausgebildeten Personen durchgeführt werden, denn<br />

Betroffene s<strong>in</strong>d nach e<strong>in</strong>em belastenden Ereignis besonders sensibel und verletzlich. Die<br />

Leitung, wird durch e<strong>in</strong> Betreuer-Team von m<strong>in</strong>destens zwei Personen sichergestellt. Die<br />

Verantwortung, die sonst nur bei e<strong>in</strong>er Person liegen würde, wäre für diese zu gross.<br />

Der richtige Zeitpunkt<br />

Idealer Weise sollte das Debrief<strong>in</strong>g zwischen 24 und 72 Stunden nach e<strong>in</strong>em belastenden<br />

Ereignis stattf<strong>in</strong>den.<br />

Es ist von grösster Wichtigkeit, e<strong>in</strong> Debrief<strong>in</strong>g erst abzuhalten, wenn die Teilnehmer wirklich<br />

„bereit“ s<strong>in</strong>d. Die bestgeme<strong>in</strong>te Hilfe kann nichts nützen, wenn die Betroffenen sie nicht<br />

annehmen können. Psychisch bereit ist man bei belastenden Ereignissen generell <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Zeitfenster zwischen 24 und 72 Stunden nach dem Ereignis. E<strong>in</strong>ige belastende Ereignisse,<br />

besonders Katastrophen, machen e<strong>in</strong>e weitaus längere Wartezeit notwendig<br />

RAHMENBEDINGUNGEN FÜR EIN DEBRIEFING<br />

Ort<br />

Das Debrief<strong>in</strong>g wird an e<strong>in</strong>em neutralen und störungsfreien Ort durchgeführt, nie am<br />

E<strong>in</strong>satzort. Der Raum, <strong>in</strong> dem es stattf<strong>in</strong>det, sollte der Gruppe angemessen se<strong>in</strong>. Er ist<br />

gemütlich, gut beleuchtet und entsprechend klimatisiert. Die Stühle s<strong>in</strong>d so bequem wie<br />

möglich und sollten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kreis oder um e<strong>in</strong>en Tisch aufgestellt se<strong>in</strong>. So lange der<br />

Anspruch auf Ruhe und Abgeschlossenheit erfüllt ist, kann e<strong>in</strong> Debrief<strong>in</strong>g überall<br />

durchgeführt werden.<br />

Zeitaufwand<br />

E<strong>in</strong> Debrief<strong>in</strong>g kann zwischen 2 und 3 Stunden dauern, wobei ke<strong>in</strong>e Pausen gemacht werden.<br />

E<strong>in</strong> Zeitdruck darf nicht aufkommen, die Teilnehmer müssen über die voraussichtliche Dauer<br />

<strong>in</strong>formiert se<strong>in</strong>.<br />

Imbiss<br />

Nach dem Debrief<strong>in</strong>g, sollte e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Imbiss angeboten werden. Bestens geeignet s<strong>in</strong>d<br />

frisches Obst, Fruchtsäfte und Kle<strong>in</strong>gebäck. Die Gruppe bleibt so e<strong>in</strong> wenig länger zusammen<br />

und die Betreuer erhalten die Möglichkeit, Teilnehmer auch e<strong>in</strong>zeln anzusprechen.<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 65


Das Betreuerteam<br />

Das Debrief<strong>in</strong>g muss vom Betreuerteam gut vorbereitet se<strong>in</strong>. Innerhalb des Teams s<strong>in</strong>d die<br />

Rollen und Aufgaben klar verteilt.<br />

Der Teamleiter muss gute kommunikative Fähigkeiten besitzen. Er führt die Gespräche und<br />

wendet dabei die Grundsätze des „Aktiven Zuhörens“ an. Er achtet auf das psychische<br />

Wohlbef<strong>in</strong>den der ganzen Gruppe.<br />

Der Co-Leiter unterstützt den Teamleiter. Er beobachtet die Teilnehmer, sucht nach<br />

Anzeichen von Belastungen und fragenden Blicken und macht Anmerkungen, wann immer<br />

sie angebracht s<strong>in</strong>d.<br />

Weitere Teammitglieder können als Beobachter, als Türhüter (Unbefugten den Zutritt<br />

verwehren) oder für E<strong>in</strong>zelgespräche e<strong>in</strong>gesetzt werden.<br />

Die Phasen des Debrief<strong>in</strong>gs<br />

Der Ablauf des Debrief<strong>in</strong>gs ist so aufgebaut, dass von der Sachebene behutsam zur<br />

Gefühlsebene vorgedrungen wird. Danach bewegt sich das Gespräch wieder schrittweise <strong>in</strong><br />

Richtung des Sachbereichs und schliesst dort ab.<br />

E<strong>in</strong>führung<br />

Tatsachen<br />

Gedanken<br />

Kognitiv (Sachebene)<br />

Gefühle<br />

Abschluss<br />

Information<br />

Auswirkungen<br />

Emotional (Gefühlsebene)<br />

Tab. 3: Phasenverlauf Debrief<strong>in</strong>g<br />

Die E<strong>in</strong>führungs-Phase<br />

Die E<strong>in</strong>führung schafft die Grundlage für alle weiteren Phasen. Wenn die E<strong>in</strong>leitung nicht<br />

gel<strong>in</strong>gt, wird der Rest des Debrief<strong>in</strong>gs wahrsche<strong>in</strong>lich sehr schwierig.<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 66


Das Betreuerteam<br />

- stellt sich wenn nötig<br />

- vor benennt den Grund und das Ziel der Besprechung<br />

- beschreibt den Ablauf der Besprechung.<br />

- betont die notwendige Vertraulichkeit der Gespräche<br />

- gibt die Gesprächsregeln bekannt<br />

- beantwortet Fragen<br />

- bietet nach dem Debrief<strong>in</strong>g zusätzliche Unterstützung an<br />

Die Tatsachen-Phase<br />

E<strong>in</strong>satzkräfte beschreiben mühelos die Tatsachen e<strong>in</strong>es Ereignisses. Gespräche über<br />

Tatsachen s<strong>in</strong>d weniger belastend als solche über eigene Gefühle. Der Teamleiter kann diese<br />

Phase mit folgenden Fragen e<strong>in</strong>leiten:<br />

„Erzählen Sie bitte kurz, wer Sie s<strong>in</strong>d, was Ihre Rolle oder Aufgabe während des Ereignisses<br />

war und was aus ihrer Sicht geschehen ist“.<br />

Die Teilnehmer erzählen nun reihum, wobei ke<strong>in</strong> Zwang besteht. Nach der Tatsachen-Phase<br />

verfügt das Betreuerteam über e<strong>in</strong> aussagekräftiges Gesamtbild und hat ke<strong>in</strong>e<br />

Schwierigkeiten, die bedeutenden Punkte herauszufiltern.<br />

Die Gedanken-Phase<br />

Die Gedanken-Phase beg<strong>in</strong>nt mit der Aufforderung, den ersten oder <strong>in</strong>tensivsten Gedanken<br />

mitzuteilen, als deutlich wurde, was eigentlich geschah. Hier hört man Antworten wie: „Me<strong>in</strong><br />

erster Gedanke war, hoffentlich ist das ke<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d .... Ich dachte, das werde ich nie überleben<br />

...“ In den Äusserungen der Teilnehmer zu ihren Gedanken schimmern immer auch ihre<br />

Gefühle durch. Diese Phase bildet den Übergang zwischen der tatsächlichen Welt und der<br />

momentanen, <strong>in</strong>neren und sehr persönlichen Welt des Betroffenen.<br />

Die Gefühls-Phase<br />

In dieser Phase zeigen die Teilnehmer ihre Gefühle und Empf<strong>in</strong>dungen besonders stark. Der<br />

Teamleiter leitet sie e<strong>in</strong> mit e<strong>in</strong>er Frage wie:<br />

- Was war für Sie persönlich das Schlimmste an dieser Situation?<br />

- Welche Er<strong>in</strong>nerungen an das Ereignis möchten Sie aus dem Gedächtnis löschen?<br />

- Welcher Zeitpunkt war für Sie der schlimmste bei dem Ereignis?<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 67


Die aktive Beteiligung am Gespräch ist absolut freiwillig hier darf überhaupt ke<strong>in</strong> Rededruck<br />

entstehen. Gelegentlich kommt das Gespräch nur schwer <strong>in</strong> Gang. Die Teilnehmer r<strong>in</strong>gen mit<br />

den Gefühlen. E<strong>in</strong> Teilnehmer wird anfangen und etwas sagen, e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck, e<strong>in</strong> Gefühl<br />

formulieren. E<strong>in</strong> anderer wird zugeben, dass er Angst, Wut oder Trauer empf<strong>in</strong>det. Nach<br />

kurzer Zeit beteiligen sich immer mehr Teilnehmer. Diese Phase dauert zwischen 10 - 40<br />

M<strong>in</strong>uten. Wenn das Gespräch abflaut und mehrere Versuche der Teammitglieder, die Gruppe<br />

zum Sprechen zu motivieren, erfolglos bleiben, ist dies e<strong>in</strong> Zeichen, die nächste Phase<br />

e<strong>in</strong>zuleiten.<br />

Die Auswirkungs-Phase<br />

Das Ziel der Auswirkungs-Phase ist es, die Gruppe von der emotionellen Ebene langsam<br />

wieder auf e<strong>in</strong>e sachlichere Ebene zu br<strong>in</strong>gen. E<strong>in</strong> Ende des Debrief<strong>in</strong>gs auf der emotionalen<br />

Ebene wäre sehr schlecht und für die Teilnehmer schädlich.<br />

Der Teamleiter bittet die Teilnehmer, Veränderungen ihres Denkens, ihrer Gefühle, ihres<br />

Verhaltens und ihres Körpers während und nach dem belastenden Ereignis zu beschreiben.<br />

Dabei gibt er e<strong>in</strong> paar Beispiele von belastungsbed<strong>in</strong>gten Symptomen wie zittrige Hände,<br />

Entschlussunfähigkeit, Schlafstörungen, Wut usw.<br />

Kommt das Gespräch nicht <strong>in</strong> Gang, gibt es die Möglichkeit, dass der Teamleiter Symptome<br />

aufzählt und die Teilnehmer bittet, mit e<strong>in</strong>em Handzeichen zu signalisieren, ob sie solche<br />

Reaktionen bei sich selbst wahrgenommen haben. Da wahrsche<strong>in</strong>lich mehrere Hände <strong>in</strong> die<br />

Höhe gehen, sehen die Teilnehmer, dass sie mit ihren Symptomen nicht alle<strong>in</strong>e stehen und<br />

s<strong>in</strong>d eher bereit, darüber zu reden.<br />

Die Informations-Phase<br />

E<strong>in</strong>ige der von den Teilnehmern genannten Symptomen werden ausgewählt, um aufzuzeigen,<br />

dass sie nach e<strong>in</strong>em solchen Ereignis normal und typisch s<strong>in</strong>d. Das Betreuungsteam<br />

beschreibt typische Belastungssymptome und weist auf solche h<strong>in</strong>, die noch nicht aufgetreten<br />

s<strong>in</strong>d, aber noch auftreten könnten.<br />

Das Team zeigt den Teilnehmern verschiedene Techniken der Belastungsbewältigung auf:<br />

- Richtige Ernährung<br />

- Persönliche Lebenshygiene<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 68


- Entspannungsübungen<br />

- Gespräche usw.<br />

Am Schluss wird das Angebot an E<strong>in</strong>zelhilfe vorgestellt und Kontaktadressen werden<br />

abgeben.<br />

Die Abschluss-Phase<br />

In der Abschluss-Phase fasst der Teamleiter den Gesprächsverlauf zusammen. Er fragt die<br />

Teilnehmer nach Punkten, die nicht oder nicht genügend angesprochen wurden, und bespricht<br />

mit ihnen das weitere Vorgehen. Die Teammitglieder schildern, wie sie das Gespräch erlebt<br />

haben. Auch die Teilnehmer können sich dazu äussern, werden aber nicht speziell dazu<br />

aufgefordert.<br />

Die Nachbetreuung<br />

Die Nachbetreuung beg<strong>in</strong>nt unmittelbar nach dem Debrief<strong>in</strong>g. Das Betreuerteam nimmt zu<br />

den Teilnehmern Kontakt auf, die ihrer Me<strong>in</strong>ung nach mehr Unterstützung, brauchen.<br />

E<strong>in</strong>zelbetreuungen s<strong>in</strong>d nach e<strong>in</strong>em Debrief<strong>in</strong>g durchaus üblich. Personen, die trotz dieser<br />

Hilfe auch nach längerer Zeit unter dem belastenden Ereignis leiden, müssen e<strong>in</strong>em<br />

ausgebildeten Therapeuten zugeführt werden.<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 69


6.5 Therapeutische Hilfe<br />

Reichen ergriffenen Massnahmen von Defus<strong>in</strong>g und Debrief<strong>in</strong>g zur psychischen<br />

Stabilisierung nicht aus, so ist davon auszugehen, dass die Traumatisierung beg<strong>in</strong>nt<br />

pathologische Formen anzunehmen und e<strong>in</strong>e entsprechende Behandlung angezeigt ist.<br />

„Wo nötig, vermitteln sie (sc. Führungskräfte) ihnen (sc. Personal Ereignisdienste) den<br />

Kontakt zu zusätzlicher psychologischer oder psychiatrischer Unterstützung.“ 63<br />

Die therapeutische Hilfe bildet nicht mehr Gegenstand dieser Arbeit und fällt <strong>in</strong> den<br />

Zuständigkeitsbereich des Gesundheitswesens.<br />

63 Konzept „Psychiatrie <strong>in</strong> ausserordentlichen Lagen und Psychotraumatologie“, S. 6<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 70


7 GUTES KRISENMANAGEMENT ZAHLT SICH AUS<br />

Posttraumatische Belastungsstörungen stellen ke<strong>in</strong>e Erf<strong>in</strong>dung der Neuzeit dar. Sie hat es zu<br />

allen Zeiten der Menschheitsgeschichte gegeben, s<strong>in</strong>d aber <strong>in</strong> den letzten Jahren vermehrt <strong>in</strong>s<br />

Zentrum des öffentlichen Interesses gerückt. Schon lange ist bekannt, dass <strong>in</strong> Kriegen e<strong>in</strong>e<br />

grosse Zahl von Soldaten <strong>in</strong>folge psychischer Belastungen ausgefallen ist. Diese Zahlen s<strong>in</strong>d<br />

wohl aus militärischen Gründen meist nicht veröffentlicht worden, da sie die Kampfmoral<br />

gefährden konnten. Auch <strong>in</strong>nerhalb der E<strong>in</strong>satzkräfte gibt es Tabus, über die nicht gesprochen<br />

wird, obwohl es eigentlich allen Beteiligten klar ist, dass psychische Belastungen e<strong>in</strong>e<br />

Tatsache darstellen. „Es wird befürchtet, dass der offene Umgang mit der Posttraumatischen<br />

Belastungsstörung zu e<strong>in</strong>er Abwendung der ehrenamtlichen Kräfte führt. Die Illusion der<br />

Unverwundbarkeit wäre entlarvt.“ 64<br />

„Aus den Bereichen Feuerwehr, Rettungsdienst und Katastrophenschutz liegt ke<strong>in</strong> gesichertes<br />

Zahlenmaterial zu Posttraumatischen Belastungsstörungen vor, weil man bis <strong>in</strong> die Gegenwart<br />

vehement weigert, die Existenz psychischer Störungen zu anerkennen.“ Wer Schwäche zeigt,<br />

gilt bald e<strong>in</strong>mal als „Weichei“, bzw. es wird ihm die berufliche Eignung abgesprochen.<br />

Dennoch ist bekannt: „Etwa 16 % des Personals der Feuerwehren unterliegen dem Risiko<br />

e<strong>in</strong>e Posttraumatische Belastungsstörung zu erleiden.“ 65 Ungeachtet dieser Tatsachen hat<br />

„das falsche Retterbild (<strong>in</strong> den USA) e<strong>in</strong>ige Vorgesetzte dazu gebracht, <strong>in</strong>nerhalb ihrer<br />

Behörden aktiv gegen die Entwicklung von Angeboten zur Bearbeitung von traumatischen<br />

Stress zu kämpfen. Die „Kosten“ dieser kurzsichtigen und e<strong>in</strong>fältigen Managementstrategie<br />

wird man niemals ermessen können. Niemand weiss, wie viele Menschen vorzeitig aus dem<br />

Beruf ausgeschieden s<strong>in</strong>d, gesundheitliche Bee<strong>in</strong>trächtigungen h<strong>in</strong>nehmen mussten,<br />

Schwierigkeiten mit ihrer Beziehung oder ihrer eigenen Person erfuhren oder die Freude am<br />

Leben und Arbeiten <strong>in</strong> ihrem gewählten Beruf verloren haben.“ 66<br />

Auf der Opferseite liegt folgendes Zahlenmaterial vor: 67<br />

- „ca. 60 % der Männer und 50 % der Frauen haben <strong>in</strong> ihrem Leben e<strong>in</strong> traumatisierendes<br />

Erlebnis<br />

64 Mitchell, J., 1998, S. 48<br />

65 Mitchell, J., 1998, S. 47<br />

66 Mitchell, J., 1998, S. 73<br />

67 Ehlers, A., Posttraumatische Belastungsstörung, Hogrefe-Verlag, Gött<strong>in</strong>gen 1999, S. 7-8<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 71


- Rund 12 % der Frauen und 6 % der Männer erleiden e<strong>in</strong>e PTSD<br />

- PTSD-Symptome (von unbestimmter Dauer) treten etwa bei 80 % von<br />

Vergewaltigungsopfern und bei Opfern körperlicher Verletzungen mit gleichzeitiger<br />

Lebensbedrohung auf“<br />

Diese Zahlen zeigen auf, dass doch e<strong>in</strong> Grossteil der Bevölkerung traumatisierende Erlebnisse<br />

macht. Mit dem E<strong>in</strong>satz der psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n <strong>Nothilfe</strong> soll verh<strong>in</strong>dert werden,<br />

dass die traumatischen Erlebnisse sich chronifizieren und hohe Kosten im Bereich der<br />

Kranken- und Sozialversicherungen anfallen. Wie hoch die Kostene<strong>in</strong>sparungen zu<br />

veranschlagen s<strong>in</strong>d, ist schwer berechenbar. Es liegt hier wohl e<strong>in</strong>e ähnliche Situation vor wie<br />

bei Präventionskampagnen im Bereich des Gesundheitswesens, etwa der Stop-AIDS-<br />

Kampagne. Es ist jedoch davon auszugehen, dass durch e<strong>in</strong>e derartige Aktion die Zahl der<br />

Neu<strong>in</strong>fektionen zurück geht. Doch kaum jemand wird <strong>in</strong> der Lage se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e genaue Zahl zu<br />

nennen. In Analogie zu Stop-AIDS- und Nichtraucherkampagnen darf mit guten Gründen<br />

angenommen werden, dass durch die psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> bei Opfern und<br />

die Anwendung von Defus<strong>in</strong>g/Debrief<strong>in</strong>g bei Helfenden im Gesundheitswesen und auch bei<br />

den Sozialversicherungen Kosten e<strong>in</strong>gespart werden können.<br />

Je früher e<strong>in</strong>e psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> Intervention stattf<strong>in</strong>det, desto mehr kann der<br />

Kostenanfall verh<strong>in</strong>dert werden. „Der durchschnittliche Kostenfaktor bei den „frühen“ Fällen<br />

(bis 6 Monate) betrug ca. 8'300 $ pro Person, bei den „späten Fällen“ ca. 46'000 $. Die<br />

„frühen Fälle“ benötigen e<strong>in</strong>e Erholungsphase von durchschnittlich 12 Wochen, bevor die<br />

Betroffenen wieder zurück an die Arbeit gehen konnten, die „späten Fälle“ durchschnittlich<br />

46 Wochen. Schliesslich verklagten ca. 13 % der ersteren ihren Arbeitgeber, während es bei<br />

den letzteren 94 % waren.“ 68<br />

Der E<strong>in</strong>satz der psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n <strong>Nothilfe</strong> und von Defus<strong>in</strong>g/Debrief<strong>in</strong>g kann<br />

also auch unter dem Aspekt der Arbeitsplatzsicherheit, der Sorge für die Gesundheit der<br />

Arbeitnehmenden, betrachtet werden. Der E<strong>in</strong>satz von Schutzvorrichtungen an gefährlichen<br />

Masch<strong>in</strong>en dient nicht alle<strong>in</strong> dem Gesundheitsschutz der an dieser Masch<strong>in</strong>e tätigen Personen,<br />

sondern bewahrt die Unternehmung auch vor Kosten durch unfallbed<strong>in</strong>gte Arbeitsausfälle.<br />

Der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmenden muss ausser der somatischen auch die<br />

psychische Ebene be<strong>in</strong>halten.<br />

68 Mitchell, J., 1998, S.167<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 72


„Der E<strong>in</strong>satz von Interventionsteams wird auch aus versicherungstechnischer H<strong>in</strong>sicht<br />

prüfenswert. Denn seit dem Bekanntwerden der Posttraumatischen Belastungsstörung (DSM<br />

III) befürchten Arbeitgeber Regressansprüche für Krankheiten mit Ersatzleistungen und<br />

Frühberentung.“ 69<br />

In e<strong>in</strong>zelnen Betrieben, Organisationen und Institutionen s<strong>in</strong>d Personen beschäftigt, welche<br />

durch ihre tägliche Arbeit öfters belastenden, traumatischen Ereignissen ausgesetzt s<strong>in</strong>d.<br />

Sanitätspersonal, Polizei und Feuerwehrleute zählen zu diesem Personenkreis. Verletzte mit<br />

Schweissbrennern aus Wracks bergen, Leichenteile e<strong>in</strong>sammeln, Todesnachrichten<br />

überbr<strong>in</strong>gen müssen usw. – alle diese Tätigkeiten gehen kaum spurlos vorbei. Im Gegenteil,<br />

mit zunehmender Frequenz braucht es nur noch wenig, bis frühere, manchmal vergessen<br />

geglaubte Bilder erneut wieder auftauchen. Dies hat u.a. zur Folge, dass <strong>in</strong> diesen<br />

Berufsgruppen das Burn-out-Syndrom häufiger anzutreffen ist, der Beruf öfter gewechselt<br />

wird oder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Fällen <strong>in</strong>folge psychischer Erkrankungen Arbeitsunfähig e<strong>in</strong>tritt. „Die<br />

Suizidrate bei den E<strong>in</strong>satzkräften ist deutlich höher als <strong>in</strong> der Durchschnittsbevölkerung “70<br />

(siehe Suizid des Rettungssanitäters im Vorwort). „In e<strong>in</strong>er Untersuchung von 1'420<br />

Angestellten des London Ambulance Service, der grössten Rettungsdienstorganisation<br />

weltweit, wurde herausgefunden, dass 15 % der (Notfall) E<strong>in</strong>satzkräfte die Schwelle für die<br />

Diagnose der Posttraumatischen Belastungsstörung überschritten hatten.“ 71<br />

Professionell organisierte E<strong>in</strong>satzkräfte wie z.B. die Sanität Zürich haben die Zeichen der Zeit<br />

erkannt und nach neuen Lösungen gesucht und diese auch gefunden.<br />

Im täglichen E<strong>in</strong>satz kommt es immer wieder vor, dass z.B. nach e<strong>in</strong>em Todesfall die<br />

Angehörigen nicht durch uns über längere Zeit <strong>in</strong> ihrer Leidsituation betreut werden können.<br />

Dies kann sowohl bei E<strong>in</strong>sätzen <strong>in</strong> Wohnungen der Fall se<strong>in</strong> aber auch bei E<strong>in</strong>sätzen, bei<br />

welchen die Verstorbenen mit dem/den Angehörigen auf unsere Wache kommen. Es ist auch<br />

denkbar, dass eigene Mitarbeiter/<strong>in</strong>nen nach e<strong>in</strong>em Ereignis Beistand brauchen. Die<br />

Aufzählung der E<strong>in</strong>satzmöglichkeiten ist nicht abschliessend. So könnten die psychologisch<strong>seelsorgerliche</strong>n<br />

Nothelfer/<strong>in</strong>nen z.B. auch bei K<strong>in</strong>dstod, Hilfe für Sterbende, schwere<br />

69 Buchmann, Knud Eike, E<strong>in</strong>führung und Institutionalisierung des Konzepts „Erste Hilfe für die Seele“<br />

dargestellt am Beispiel von Polizei, Rettungsdiensten und Geld<strong>in</strong>stituten, <strong>in</strong>: Perren, G., 2000, S. 98<br />

70 Mitchell, J., 1998, S. 67<br />

71 Mitchell, J., 1998, S.173-174<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 73


Verkehrsunfälle, Gewalttaten (Opfer) usw. zum E<strong>in</strong>satz gelangen. Sie selber sollten<br />

entscheiden, ob e<strong>in</strong> Beizug s<strong>in</strong>nvoll und auch gewünscht ist.<br />

Ab 1. Juni 2000 steht uns während 24 Stunden jeweils e<strong>in</strong> Vertreter / e<strong>in</strong>e Vertreter<strong>in</strong> als<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r/<strong>in</strong> im Pikettdienst zur Verfügung. Bei Bedarf kann über unsere<br />

E<strong>in</strong>satzzentrale der/die <strong>Notfallseelsorge</strong>r/<strong>in</strong> aufgeboten werden. Selbstverständlich ist das<br />

Aufgebot nicht konfessionsabhängig, geht es doch darum, Angehörige e<strong>in</strong>e gewisse Zeit <strong>in</strong><br />

Leidsituationen zu begleiten und allenfalls an zuständige Organisationen zu vermitteln. 72<br />

Überfallbetreuung und Überfallnachsorge (z.B. für Bankangestellte und Bankkunden) zählen<br />

ebenfalls zu den E<strong>in</strong>satzgebieten psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>r <strong>Nothilfe</strong>. „Bei den<br />

Schweizerischen Bundesbahnen wurde mehrfach e<strong>in</strong> Debrief<strong>in</strong>g bei Raubüberfällen auf<br />

Bahnstationen erfolgreich angewandt.“ 73<br />

Commonwealth Bank of Australia:<br />

Schadenersatzzahlungen an Angestellte im Vergleich 74<br />

1985 1987-88 Veränderung<br />

Überfälle 30 36 + 16 %<br />

betroffene Angestellte 107 107 0 %<br />

Hilfsangebote - Unterstützung -<br />

Krankheitstage <strong>in</strong> direktem 281 112 - 60 %<br />

Zusammenhang mit dem Überfall<br />

andere Krankheitstage, nicht <strong>in</strong> direktem 668 265 -60 %<br />

Zusammenhang<br />

Schadensersatzzahlungen 18'488 Aus$ 6'326 Aus$ - 68 %<br />

Tab. 4: Statistik Commonwealth Bank of Australia<br />

Der E<strong>in</strong>satz psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n <strong>Nothilfe</strong> ist auch nach e<strong>in</strong>em tödlichen<br />

Betriebsunfall, bzw. e<strong>in</strong>em Suizid e<strong>in</strong>es Mitarbeitenden <strong>in</strong> Erwägung zu ziehen. E<strong>in</strong>e<br />

Betreuung Belegschaft bewirkt, dass das belastende Ereignis besser „verdaut“ und die<br />

Arbeitsfähigkeit rascher wiederhergestellt wird. Es ist zu rechnen, dass die stressbed<strong>in</strong>gte<br />

Ausfallquote von Arbeitnehmenden s<strong>in</strong>kt und durch die wiedergewonnene<br />

Konzentrationsfähigkeit der Produktionsausschuss sich reduziert. Zudem dürfte sich der<br />

Goodwill seitens der Belegschaft gegenüber der Unternehmung vergrössern.<br />

72 Sanität Zürich, Mitteilung Nr. 03 / 2000, 22. Mai 200<br />

73 Walder, Egon, Erfahrungen mit der Betreuung von Traumaopfern bei den Schweizerischen Bundesbahnen, <strong>in</strong>:<br />

Perren, G., 2000, S 123 ff<br />

74 Mitchell, J., 1998, S. 177<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 74


Exkurs<br />

Am 12.10.00 hat e<strong>in</strong>e Krankenschwester dr<strong>in</strong>gend e<strong>in</strong> Gespräch mit mir gewünscht. Sie<br />

erzählte, dass sie vor 4 Tagen <strong>in</strong> ihrer Freizeit e<strong>in</strong>en auf der Strasse zusammengebrochenen<br />

Mann ergebnislos zu reanimieren versuchte. Das zerschlagene Gesicht und die erfolglose<br />

Reanimation haben ihr sehr zugesetzt. Sie sprach weiter von Schlafstörungen und vor allem<br />

Unkonzentriertheit im Beruf und e<strong>in</strong>er grossen Angst, wieder e<strong>in</strong>e Person reanimieren zu<br />

müssen. Es wurde mit klar, dass hier die typischen Folgen e<strong>in</strong>es traumatischen Erlebnisses<br />

vorlagen. Ich habe – wenn auch etwas überrumpelt – die Methode des Debrief<strong>in</strong>gs<br />

angewandt. Nach ihren Worten hat ihr die Aussprache Erleichterung gebracht.<br />

Dass Krisen auch für Unternehmungen kostspielig s<strong>in</strong>d, ist also unbestritten. So rechnet e<strong>in</strong>e<br />

Studie über den Stress am Arbeitsplatz aus, dass dadurch Kosten von über 4,2 Milliarden<br />

entstehen. 75 Der Gerechtigkeit halber ist jedoch zu erwähnen, dass aber nur e<strong>in</strong> Teil dieser<br />

Kosten zu Lasten traumatischer Ereignisse - im S<strong>in</strong>ne dieser Arbeit - geht.<br />

Um psychische Belastungen am Arbeitsplatz zu reduzieren, lohnen sich präventive<br />

Massnahmen. Sie s<strong>in</strong>d auf verschiednen Ebenen e<strong>in</strong>zuleiten.<br />

MÖGLICHKEITEN ZUR STRESSPRÄVENTION 76<br />

Programm zur Stressprävention<br />

Stressbearbeitung allgeme<strong>in</strong><br />

(<strong>in</strong>klusive kumulativer Stress)<br />

Richtl<strong>in</strong>ien für Vorgesetzte zum Umgang mit<br />

Stress<br />

Stress nach belastenden Ereignissen<br />

Zielgruppe<br />

alle Mitarbeitenden<br />

Führungskräfte<br />

Tab. 5: Möglichkeiten der Stressprävention<br />

jede/r, der/die potentiell e<strong>in</strong>em traumatischen<br />

Ereignis ausgesetzt se<strong>in</strong> könnte<br />

„Wenn sich traumatischer Stress auf das Personal <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Organisation auswirkt, so<br />

deutet dies auch auf e<strong>in</strong> schlechtes Management h<strong>in</strong>. E<strong>in</strong> gutes Anti-Stress-Programm ist für<br />

die Gesundheit der Mitarbeitenden jeder Organisation notwendig. Sie trägt viel dazu bei, dass<br />

die Leistungsfähigkeit und Integrität der Organisation erhalten bleibt.“ 77<br />

75 Küng, Mathias, Arbeitsstress kostet 4, 2 Milliarden, <strong>in</strong>: Aargauer Zeitung, Mittwoch, 13. Sept. 2000<br />

76 Mitchell, J., 1998, S. 75<br />

77 Mitchell, J., 1998, S. 73<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 75


Weniger bekannt ist, dass e<strong>in</strong> gutes Krisenmanagement sich auszahlt; dies nicht nur im<br />

Schadenfall, <strong>in</strong>dem es den Imageschaden verr<strong>in</strong>gert, sondern sogar <strong>in</strong> guten Zeiten noch zu<br />

Wettbewerbsvorteilen verhilft.<br />

„In den Vere<strong>in</strong>igten Staaten ... hat die amerikanische Flugaufsichtsbehörde FAA sogar<br />

entschieden, dass vom Jahr 2001 an nur noch diejenigen Fluggesellschaften e<strong>in</strong>e<br />

Landeerlaubnis auf US-amerikanischem Gebiet erhalten, deren Krisenkonzept e<strong>in</strong> Care Team<br />

vorsieht.“ 78<br />

Den E<strong>in</strong>satz e<strong>in</strong>es Care Teams durch e<strong>in</strong>e Fluggesellschaft könnte man auch aus dem Aspekt<br />

e<strong>in</strong>er After Sales-Dienstleistung betrachten. Diese After Sales-Dienstleistung kommt wohl<br />

mehr den Angehörigen als den direkten Opfern zu, die ja nur <strong>in</strong> Ausnahmefällen überleben.<br />

Der gelungene E<strong>in</strong>satz e<strong>in</strong>es Care Teams lässt das Vertrauen <strong>in</strong> die Unternehmung nicht<br />

schw<strong>in</strong>den, ev. bleiben gar die betroffenen Angehörige als Kunden erhalten. 79 Die Betreuung<br />

der Angehörigen des Canyon<strong>in</strong>g-Unglücks vom Saxetbach hat u.a. dazu geführt, dass die<br />

betroffenen Angehörigen e<strong>in</strong> Jahr später auf eigene Kosten wieder angereist s<strong>in</strong>d, um an e<strong>in</strong>er<br />

Gedenkfeier teilzunehmen.<br />

Es bestätigt sich also, dass Menschlichkeit und Wirtschaftlichkeit sich nicht ausschliessen,<br />

sondern gar e<strong>in</strong>e wirtschaftliche Notwendigkeit darstellt.<br />

78 Cunderlik, D., 1999, S. 9<br />

79 Vgl. Schaufelbühl, K, Integrales Management, Fortis-Verlag, Aarau 1998, S. 22<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 76


8 ORGANISATION PSYCHOLOGISCH-SEELSORGERLICHE NOTHILFE IM<br />

KANTON AARGAU<br />

Recherchen im Internet br<strong>in</strong>gen zum Ausdruck, dass im H<strong>in</strong>blick zur Betreuung der Opfer<br />

und der Helfenden bereits viel geleistet wird. Nebst den Betreuer/<strong>in</strong>nen gibt es offizielle<br />

„Polizeipfarrer“ und sogar „Landesfeuerwehrpfarrer“. Die beiden letztgenannten betreuen vor<br />

allem die E<strong>in</strong>satzkräfte <strong>in</strong> der Bundesrepublik Deutschland. In der Stadt Zürich steht der<br />

Polizei seit kurzer Zeit auch e<strong>in</strong>e Pfarrer<strong>in</strong> zur Verfügung.<br />

Vergleiche mit den Konzepten von<br />

Deutschland ergibt e<strong>in</strong>e ähnliche<br />

Organisationsstruktur. So werden die<br />

Betreuer/<strong>in</strong>nen auch über e<strong>in</strong>e<br />

„Zentrale“ aufgeboten. Vielfach geht<br />

der Weg zuerst über das Ortpfarramt,<br />

und wenn dies nicht erreichbar ist,<br />

über e<strong>in</strong>e/n diensttuende/n Pfarrer/<strong>in</strong>.<br />

E<strong>in</strong> wesentlicher Unterschied f<strong>in</strong>det<br />

sich <strong>in</strong> der Ausbildungsdauer, welche<br />

<strong>in</strong> Deutschland 4 Tage<br />

Grundausbildung, gefolgt von<br />

nochmals 2-3 mal 4 Tagen<br />

Spezialausbildung umfasst. In der<br />

Startphase des Projekts im Kanton<br />

Aargau gehen wir von 2 Tagen<br />

Abb. 1: Psychotraumatologisches Versorgungskonzept im Grundausbildung aus, mit<br />

Kanton Aargau<br />

stufenweisem Ausbau <strong>in</strong> den<br />

folgenden Jahren. Der Unterschied liegt <strong>in</strong> den nicht <strong>in</strong> abweichenden Ausbildungskonzepten,<br />

sondern <strong>in</strong> den nicht zur Verfügung stehenden F<strong>in</strong>anzen.<br />

Die nachfolgenden Abschnitte beschreiben den organisatorischen Aufbau die Reihenfolge der<br />

Schritte, wie sie für e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz der psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n <strong>Nothilfe</strong> sich als<br />

notwendig erweisen.<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 77


8.1 E<strong>in</strong>satzkräfte (Polizei, Feuerwehr, Sanität)<br />

Das Konzept PSYCHIATRIE IN AUSSERORDENTLICHEN LAGEN UND PSYCHOTRAUMATOLOGIE<br />

umschreibt den Auftrag für die E<strong>in</strong>satzkräfte wie folgt:<br />

„Die Ereignisdienste (Feuerwehr, Polizei, Sanität) müssen h<strong>in</strong>reichend ausgebildet werden,<br />

um die Betroffenen und deren Angehörige kurz und wirksam <strong>in</strong>formieren zu können. Die<br />

Führungskräfte der Ereignisdienste müssen deshalb ihre Mitarbeiter<strong>in</strong>nen und Mitarbeiter<br />

entsprechend schulen.“ 80<br />

„Betroffene sollen durch die E<strong>in</strong>satzleute an Ort und Stelle (Feuerwehr, Polizei, Sanität)<br />

mündlich und schriftlich <strong>in</strong>struiert werden, was wesentlich zur Bewältigung der Ereignisse<br />

beiträgt.“ 81<br />

Aus diesem Auftrag ergeben sich folgende konkrete Aufgaben:<br />

AUFGABE 1: SCHULUNG<br />

Schulung der Führungskräfte und Instruktion der Mitarbeiter/<strong>in</strong>nen, damit die Betroffenen<br />

richtig <strong>in</strong>formiert werden können.<br />

Die Schulungs<strong>in</strong>halte zur Erfüllung von Aufgabe 1<br />

Sensibilisierung von Kader und Mannschaft zur Wahrnehmung psychotraumatisierter<br />

Personen.<br />

Vermittlung von Kenntnissen, damit die Aufgaben 2 und 3 zufriedenstellend gelöst werden<br />

können.<br />

AUFGABE 2: AM EINSATZORT: SOFORTIGE KLÄRUNG DER NOTWENDIGKEIT EINER<br />

BETREUUNG.<br />

80 Konzept „Psychiatrie <strong>in</strong> ausserordentlichen Lagen und Psychotraumatologie“, S. 6-7<br />

81 Konzept „Psychiatrie <strong>in</strong> ausserordentlichen Lagen und Psychotraumatologie“, S. 1<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 78


Handlungsablauf zur Erfüllung von Aufgabe 2<br />

1. Anforderung von Betreuung<br />

Anforderung von Betreuung (<strong>in</strong> der Regel durch die Polizei) über Telefon 143:<br />

- wenn vor Ort ke<strong>in</strong>e qualifizierte Betreuung gewährleistet werden kann (E<strong>in</strong>satzkräfte,<br />

Seelsorger, Ärzte, Verwandte, Bekannte, etc.)<br />

- wenn die Situation vor Ort die zur Verfügung stehenden E<strong>in</strong>satzkräfte oder<br />

Betreuer/<strong>in</strong>nen qualitativ und/oder quantitativ überfordert s<strong>in</strong>d<br />

- wenn die Betroffenen e<strong>in</strong>e spezielle Betreuung wünschen<br />

Kurzangabe über genauen E<strong>in</strong>satzort und Ereignis<br />

Anzahl zu betreuende Personen<br />

H<strong>in</strong>weis auf spezielle Sprachkenntnisse<br />

Angabe der Rückmeldestelle<br />

2. E<strong>in</strong>treffen der Betreuer/<strong>in</strong>nen auf dem Ereignisplatz<br />

Meldung bei der E<strong>in</strong>satzleitung (<strong>in</strong> der Regel die Polizei)<br />

Orientierung über Ereignis durch die E<strong>in</strong>satzleitung (Brief<strong>in</strong>g)<br />

Sicherstellung der Erreichbarkeit<br />

AUFGABE 3: ORIENTIERUNG<br />

In jedem Falle s<strong>in</strong>d Betroffene mündlich und schriftlich über Hilfsmöglichkeiten zur<br />

Bewältigung des Ereignisses zu orientieren.<br />

Erfüllung von Aufgabe 3<br />

Handzettel s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den E<strong>in</strong>satzfahrzeugen vorhanden und werden an Betroffene abgegeben.<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 79


8.2 Dargebotene Hand / Telefon 143<br />

Das Konzept PSYCHIATRIE IN AUSSERORDENTLICHEN LAGEN UND PSYCHOTRAUMATOLOGIE<br />

umschreibt den Auftrag für die Dargebotene Hand wie folgt:<br />

„Die Telefon-Notruf-Nr. 143 braucht e<strong>in</strong>e Schulung für telefonische Erst<strong>in</strong>tervention bei<br />

psychotraumatologischen Fällen von K<strong>in</strong>dern und Erwachsenen. Die Kurz-Nr. 143 muss<br />

jederzeit auf die k<strong>in</strong>der- und erwachsenenpsychiatrischen Notfalldienste zurückgreifen<br />

können. Die Telefon-Nr. 143 kann den Kontakt zum seelsorgerischen Notfalldienst am<br />

Ereignisort vermitteln.“ 82<br />

„Wo die telefonische Hilfe nicht ausreicht, erfolgt e<strong>in</strong>e Überweisung an psychologische oder<br />

psychiatrische Fachkräfte. S<strong>in</strong>d K<strong>in</strong>der betroffen, dann wird der E<strong>in</strong>bezug des Telefon-<br />

Notrufs Nr. 143 dr<strong>in</strong>gend empfohlen, e<strong>in</strong>schliesslich die Zuweisung an k<strong>in</strong>derpsychologische<br />

oder k<strong>in</strong>derpsychiatrische Fachkräfte.“ 83<br />

AUFGABE 1:<br />

SCHULUNG<br />

Schulung der Personals, damit die Aufgaben 1-2 erfüllt werden können.<br />

Lösung von Aufgabe 1<br />

Die Schulungs<strong>in</strong>halte werden durch die Dargebotene Hand bestimmt und ihren Bedürfnissen<br />

entsprechend gestaltet. Im Anhang II f<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong> Grobkonzept.<br />

AUFGABE 2:<br />

AUFGEBOT VON BETREUER/INNEN<br />

Aufbieten von Betreuer/<strong>in</strong>nen durch die Dargebotene Hand<br />

82 Konzept PSYCHIATRIE IN AUSSERORDENTLICHEN LAGEN UND PSYCHOTRAUMATOLOGIE, S. 7<br />

83 Konzept PSYCHIATRIE IN AUSSERORDENTLICHEN LAGEN UND PSYCHOTRAUMATOLOGIE, S. 1<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 80


Handlungsabläufe zur Erfüllung von Aufgabe 2<br />

1. Meldungse<strong>in</strong>gang<br />

- Anforderung der notwendigen Anzahl Betreuer/<strong>in</strong>nen durch die E<strong>in</strong>satzkräfte<br />

- Meldung auf Formular aufnehmen<br />

- Kurzangabe über genauen E<strong>in</strong>satzort und Ereignis<br />

- Anzahl zu betreuende Personen<br />

- H<strong>in</strong>weis auf spezielle Sprachkenntnisse<br />

- Angabe der Rückmeldestelle<br />

2. Betreuungsaufgebot<br />

- die am Ereignisplatz nächstwohnhafte(n) Person(en) aufbieten<br />

- aufgenommene Meldung übermitteln<br />

Mit Hilfe e<strong>in</strong>es standardisierten Formulars (Anhang III) soll e<strong>in</strong>e fehlerlose Übermittlung<br />

sichergestellt werden.<br />

Für das Aufgebot steht der dargebotenen Hand e<strong>in</strong>e stets aktualisierte Liste von<br />

Betreuer/<strong>in</strong>nen zur Verfügung.<br />

AUFGABE 3:<br />

TELEFONISCHE HILFELEISTUNG<br />

Telefonische Hilfeleistung, ev. unter E<strong>in</strong>bezug psychologischer und psychiatrischer Dienste.<br />

Lösung von Aufgabe 3<br />

Gespräche im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es telefonischen Debrief<strong>in</strong>gs gemäss Anhang II mit Personen, welche<br />

sich auf Grund der von den E<strong>in</strong>satzkräften abgegebenen Informationen aus eigener Initiative<br />

melden. Je nach Fall s<strong>in</strong>d Kontakte zu Therapeuten, zum K<strong>in</strong>der- u. Jugendpsychiatrischen<br />

Dienst und zum Externen psychiatrischen Dienst zu vermitteln.<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 81


8.3 <strong>Psychologisch</strong>-<strong>seelsorgerliche</strong> Nothelfer/<strong>in</strong>nen<br />

Das Konzept PSYCHIATRIE IN AUSSERORDENTLICHEN LAGEN UND PSYCHOTRAUMATOLOGIE<br />

def<strong>in</strong>iert den Auftrag für die Betreuer/<strong>in</strong>nen wie folgt:<br />

„Die Seelsorger<strong>in</strong>nen und Seelsorger der Landeskirchen werden von ihren<br />

Kirchgeme<strong>in</strong>den/Pfarreien für die Notfalle<strong>in</strong>sätze zur Verfügung gestellt werden. Beabsichtigt<br />

ist dabei e<strong>in</strong>e möglichst breite und flächendeckende Verteilung dieser Unterstützungskräfte<br />

über den ganzen Kanton.“ 84<br />

„In e<strong>in</strong>zelnen Fällen erfolgt e<strong>in</strong>e Betreuung durch Vertreter<strong>in</strong>nen und Vertreter der<br />

Landeskirchen an Ort und Stelle.“ 85<br />

Konkret umgesetzt bedeutet dies:<br />

AUFGABE:<br />

PSYCHOLOGISCH-SEELSORGERLICHE NOTHILFE VOR ORT<br />

Leistung konfessionell neutraler Betreuung vor Ort.<br />

Handlungsabläufe zur Erfüllung von Aufgabe<br />

1. Entgegennahme des E<strong>in</strong>satzaufgebotes durch die Dargebotene Hand/Telefon 143<br />

- Kurzangabe über genauen E<strong>in</strong>satzort und Ereignis<br />

- Anzahl zu betreuende Personen<br />

- H<strong>in</strong>weis auf spezielle Sprachkenntnisse<br />

- Angabe der Rückmeldestelle<br />

2. Kontaktaufnahme mit der Rückmeldestelle (vor Abfahrt)<br />

- Orientierung für die E<strong>in</strong>satzleitung: Wer kommt ...<br />

- H<strong>in</strong>weise über Standort der E<strong>in</strong>satzleitung und (gesperrte) Zufahrtswege erfragen<br />

84 Konzept „Psychiatrie <strong>in</strong> ausserordentlichen Lagen und Psychotraumatologie“, S. 7<br />

85 Konzept „Psychiatrie <strong>in</strong> ausserordentlichen Lagen und Psychotraumatologie“, S. 1<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 82


3. E<strong>in</strong>treffen der Betreuer<strong>in</strong>nen am Ereignisort<br />

- Meldung bei der E<strong>in</strong>satzleitung (<strong>in</strong> der Regel die Polizei)<br />

- Orientierung über Ereignis durch E<strong>in</strong>satzleitung (Brief<strong>in</strong>g)<br />

- Sicherstellung der Erreichbarkeit<br />

- Kontaktaufnahme mit den Betroffenen<br />

- Beim E<strong>in</strong>satz von mehreren Betreuern/Betreuer<strong>in</strong>nen übernimmt der/ die<br />

Erste<strong>in</strong>treffende die Funktion der Betreuungs-Teamleitung.<br />

4. Betreuung<br />

Wünschenswertes Ziel: spätestens 45-60 M<strong>in</strong>uten nach Aufgebotse<strong>in</strong>gang werden die<br />

Betroffenen persönlich angesprochen.<br />

Aufgaben:<br />

- <strong>Psychologisch</strong>-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong><br />

- ev. Schaffen e<strong>in</strong>es sicheren, geschützten Raumes<br />

- ev. Deckung der Grundbedürfnisse (Essen, Tr<strong>in</strong>ken, trockene Kleider etc.)<br />

- ev. für materielle Betreuung (Ausweise, Geld, Kleider) sorgen<br />

- Mithilfe, dass die Betroffenen ihre Angehörigen <strong>in</strong>formieren können<br />

- Begleitung bei der Zusammenführung von Familien<br />

- Begleitung der Betroffenen zum Sammelplatz, <strong>in</strong>s Spital oder Aufbahrungsraum<br />

- ev. Orientierung über psychiatrisch-psychologisch/<strong>seelsorgerliche</strong> Dienstleistungsund<br />

Beratungsstellen<br />

- rechtzeitiges Anfordern e<strong>in</strong>er Ablösung beim Betreuungs-Teamleitung oder bei<br />

Telefon 143, falls der E<strong>in</strong>satz länger als vier Stunden zu dauern sche<strong>in</strong>t.<br />

- Entlassung von betreuten Personen nur <strong>in</strong> Absprache mit der E<strong>in</strong>satzleitung und nach<br />

Erfassung der Personalien.<br />

5. Nach dem E<strong>in</strong>satz<br />

Orientierung und Meldung an das ev.-ref. Spitalpfarramt des Kantonsspitals Aarau gemäss<br />

Meldeformular (siehe Anhang IV)<br />

Die Betreuer/<strong>in</strong>nen s<strong>in</strong>d mit Ausweisen und e<strong>in</strong>er Fahrzeugkennzeichnung auszustatten.<br />

Kommen nur e<strong>in</strong>zelne Betreuungspersonen zum E<strong>in</strong>satz, fahren sie mit dem persönlichen<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 83


Fahrzeug zum E<strong>in</strong>satzort. Bleiben sie im Verkehr stecken, so haben sie sie mit der Polizei <strong>in</strong><br />

Verb<strong>in</strong>dung zu setzen, damit diese Lotsendienste leisten kann.<br />

Im Falle e<strong>in</strong>es Grossereignisses würde durch e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuelle H<strong>in</strong>fahrt der Betreuer/<strong>in</strong>nen<br />

das wahrsche<strong>in</strong>lich vorhandene Verkehrschaos noch grösser. Daher empfiehlt es sich, bei<br />

e<strong>in</strong>em Grossereignis e<strong>in</strong>en Sammelplatz (z.B. Schulhaus, Feuerwehrlokal, Kirche) zu<br />

bestimmen, wo sich die Betreuenden e<strong>in</strong>f<strong>in</strong>den. Von dort werden sie mit<br />

Mannschaftstransportern der Feuerwehr zum E<strong>in</strong>satzort geführt.<br />

Material<br />

Wetterfeste Kleidung und Schuhe<br />

Alukoffer mit Beschriftung „BETREUUNG“<br />

Inventarverzeichnis:<br />

- E<strong>in</strong>satzjacke oder -weste mit Rückenaufschrift BETREUUNG und reflektierenden<br />

Streifen<br />

- reflektierendes Schild mit Saugnäpfen für Autofenster, Aufschrift: BETREUUNG<br />

- alternativ: Magnettafeln, Aufschrift: BETREUUNG<br />

- Ausweis / Namensschild<br />

- „Visiten-Karte“ mit Personalien und Natel Nr. für E<strong>in</strong>satzleitung und Betroffene<br />

- Natel mit Ladegerät, Ersatzakku zur Sicherstellung der Verb<strong>in</strong>dung zur E<strong>in</strong>satzleitung<br />

und back-office Betreuung<br />

- Landkarten des E<strong>in</strong>satzgebietes, ev. Stadtpläne<br />

- Schreibblock mit Kugelschreiber<br />

- Taschenlampe<br />

- Taschenapotheke<br />

- Papiertaschentücher !!!<br />

- Arbeitshandschuhe<br />

- ev. Thermosflasche mit warmen Getränk (ke<strong>in</strong> Kaffee!!)<br />

- Aids-Schutzhandschuhe<br />

- Wolldecke<br />

- Regenschutz<br />

- Bibel, Kirchengesangbücher RK, REF), kle<strong>in</strong>es Rituale<br />

- Kerzen / Zündhölzer (für ev. Abschiedsritual)<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 84


- Plastik-Säcke (Hyperventilation)<br />

- Teddy-Bär, Plüsch-Tierchen, Spielzeugautos für K<strong>in</strong>der / ev. K<strong>in</strong>derbüchle<strong>in</strong><br />

- Zigaretten, Feuerzeug<br />

- ev. Versehtasche mit Stola, Abendmahlsgeschirr und Salböl<br />

- Informationsblätter für Geschädigte und für E<strong>in</strong>satzkräfte zum Verteilen nach<br />

besonders belastenden E<strong>in</strong>sätzen<br />

- Handbuch „Erste Hilfe”<br />

- DIN A4 Ordner mit Inhalt:<br />

o E<strong>in</strong>satzberichte<br />

o Merkblätter psychische Erste Hilfe<br />

o Informationsblätter und Aufkleber mit Alarmierungsnummer für E<strong>in</strong>satzkräfte<br />

o Adressen Pfarrämter, Dienststellen der Rettungsorganisationen, andere<br />

hilfreiche Stellen z.B. Beratungsstellen, Fürsorgeämter, Frauenhilfe,<br />

Selbsthilfegruppen<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 85


8.4 Ausbildung psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> Nothelfer/<strong>in</strong>nen<br />

Mitmenschliche Begleitung ist auch ohne entsprechende Ausbildung denkbar. Da die E<strong>in</strong>sätze<br />

jedoch <strong>in</strong> nicht alltäglichen Situationen zu leisten s<strong>in</strong>d, kann auf e<strong>in</strong>e ausreichende<br />

Ausbildung nicht verzichtet werden.<br />

„Sich h<strong>in</strong>sichtlich der Psychischen Ersten Hilfe ausschliesslich auf die Intuition zu verlassen,<br />

stellt e<strong>in</strong>en unhaltbaren Zustand dar. Man stelle sich folgende Situation vor: Kurz vor e<strong>in</strong>er<br />

Operation fragt e<strong>in</strong> Patient den zuständigen Chirurgen, wo und wie er denn für die<br />

bevorstehende Operation ausgebildet worden sei. Der Arzt antwortet: „Ich b<strong>in</strong> nicht speziell<br />

für Operationen ausgebildet worden, sondern verlasse mich dabei auf me<strong>in</strong>e Intuition.“ Jeder<br />

Patient würde wohl e<strong>in</strong>em Nervenzusammenbruch nahe se<strong>in</strong> und – wenn er könnte – noch im<br />

Operationshemd aus dem Krankenhaus laufen.<br />

Genauso stellt sich die Situation für die Aufgabe e<strong>in</strong>es psychologisch angemessenen<br />

Umgangs mit Unfallopfern dar. Sicher werden sich e<strong>in</strong>ige Helfer auch <strong>in</strong>tuitiv <strong>in</strong><br />

psychologischer H<strong>in</strong>sicht angemessen gegenüber Unfallpatienten verhalten, andere dagegen<br />

dürften den Patienten durch <strong>in</strong>tuitive Reaktionen auch schaden.“ 86<br />

Die Vorgaben im Konzept lauten:<br />

„Die Seelsorger<strong>in</strong>nen und Seelsorger der Landeskirchen müssen für ihre Aufgabe speziell<br />

ausgebildet werden.“ 87<br />

„Die Akutspitäler im Kanton müssen angewiesen werden, ihre Personal und die<br />

Spitalseelsorger<strong>in</strong>nen und Seelsorger <strong>in</strong> den Grundzügen der Psychotraumatologie zu schulen<br />

und k<strong>in</strong>der- und erwachsenenpsychiatrische Ressourcen bereitzustellen, um e<strong>in</strong>gewiesene<br />

Patienten betreuen zu können.“ 88<br />

86 Lasogga, F., 2000, S. 15<br />

87 Konzept „Psychiatrie <strong>in</strong> ausserordentlichen Lagen und Psychotraumatologie“, S. 7<br />

88 Konzept „Psychiatrie <strong>in</strong> ausserordentlichen Lagen und Psychotraumatologie“, S. 7<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 86


AUFGABE:<br />

SCHULUNG<br />

Die Betreuer/<strong>in</strong>nen müssen für ihre Aufgabe ausreichend geschult und weitergebildet werden.<br />

Lösung der Aufgabe<br />

Persönliche Anforderungen<br />

- Berufgruppen: Pfarrer/<strong>in</strong>nen, Priester, Sozialdiakonische Mitarbeiter/<strong>in</strong>nen,<br />

Pastoralassistenten/Pastoralassistent<strong>in</strong>nen, Psychologen/Psycholog<strong>in</strong>nen,<br />

Sozialarbeiter/<strong>in</strong>nen, Krankenpfleger/<strong>in</strong>nen<br />

- Absolvierung des Grundschulungskurses<br />

- Eignung für diese Aufgabe<br />

Grundausbildung von 2 Tagen mit folgenden Inhalten (nicht abschliessende Auflistung) 89<br />

- E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong><br />

- Kenntnisse über psychische Reaktionen auf ausserordentliche Ereignisse<br />

- Anwendung der Emotionalen Ersten Hilfe<br />

- Erlernen von Techniken zur Betreuung von Stressopfern<br />

- Information über Stresskontrolle im Notfalle<strong>in</strong>satz<br />

- Information zur Nachbetreuung<br />

- Zusammenarbeit mit den E<strong>in</strong>satzkräften<br />

- adm<strong>in</strong>istrative H<strong>in</strong>weise ( E<strong>in</strong>satzmeldung, Adressänderungen usw.)<br />

- spezieller Umgang mit K<strong>in</strong>dern und Jugendlichen<br />

- Kenntnisse über die Struktur der Schadenplatzorganisation<br />

- Alle sollten <strong>in</strong> der Lage se<strong>in</strong>, Krankensalbungen zu spenden, Gebete zu sprechen.<br />

- ....<br />

Anhang V vermittelt e<strong>in</strong>en Überblick über die im November 2000 durchgeführten 2 Tage<br />

Grundausbildung. Im S<strong>in</strong>ne der Nutzung von Synergien hat der Sozialdienst des<br />

Kantonsspitals Aarau auch daran teilgenommen. Der Sozialdienst wird zusammen mit den<br />

Spitalseelsorgenden aufgeboten, wenn im Kantonsspital Aarau e<strong>in</strong>e grössere Anzahl von<br />

Personen zu betreuen ist. Im Oktober 2000 hat e<strong>in</strong>e entsprechende Alarmierungsübung<br />

stattgefunden. Sie hat gezeigt, dass die personellen Mittel des Kantonsspitals Aarau für die<br />

Betreuung kaum ausreichen, um nur e<strong>in</strong>en „mittleren“ Zustrom von Angehörigen zu<br />

89 Vgl. MC Sh<strong>in</strong>e, R., 1998, S. 25<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 87


ewältigen. Daher sche<strong>in</strong>t es s<strong>in</strong>nvoll dah<strong>in</strong>gehend zu wirken, dass die kantonale<br />

Betreuungsgruppe subsidiär für Betreuungsaufgaben <strong>in</strong> den Kantonsspitälern zugezogen<br />

werden kann.<br />

Selektion<br />

Die Betreuer/<strong>in</strong>nen stammen mehrheitlich aus dem Kreis der Mitarbeitenden der<br />

Landeskirchen im Kanton Aargau und e<strong>in</strong>igen Psycholog<strong>in</strong>nen und Psychologen. Aus ihrem<br />

jeweiligen beruflichen Umfeld br<strong>in</strong>gen alle bereits Kenntnisse im Umgang mit Menschen mit.<br />

Auf Grund dieses Vorwissens ist es auch zu verantworten, dass die Grundausbildung sich<br />

relativ bescheiden ausnimmt.<br />

„Betreuer<strong>in</strong>nen und Betreuer zeichnen sich vor allem durch ihre offene, extravertierte und<br />

kommunikative Art aus. Ebenso wichtig ist jedoch auch die Fähigkeit zu <strong>in</strong>nerer Abgrenzung<br />

sowie e<strong>in</strong>e gewisse Ausgeglichenheit. Personen mit e<strong>in</strong>em ausgeprägten „Helfersyndrom“,<br />

das heisst e<strong>in</strong>em Drang, andern Menschen zu helfen, um die eigenen Bedürfnisse zu<br />

befriedigen, s<strong>in</strong>d dagegen nicht geeignet, ebenso wenig wie Personen, die nicht zuhören oder<br />

ihre eigenen Bedürfnisse nicht mitteilen können.“ 90<br />

Ungeeignet s<strong>in</strong>d auch Personen aus dem religiösen Umfeld, welche gerne „missionieren“ oder<br />

andere „bekehren“ wollen. Da sich die Opfer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Ausnahmezustand bef<strong>in</strong>den, vermögen<br />

sie sich kaum gegen entsprechende Versuche zu wehren und werden nochmals zu Opfern, zu<br />

Opfern von religiösen Fanatikern. D.h. aber nicht, dass <strong>in</strong> Extremsituationen religiöse Fragen<br />

nicht angesprochen werden sollten; dies jedoch nur, wenn der Impuls von Opfer her kommt,<br />

bzw. der Wunsch nach e<strong>in</strong>em religiösen Ritual geäussert wird. <strong>Psychologisch</strong>/psychiatrisch<br />

ausgebildete Betreuer/<strong>in</strong>nen müssten aber auch <strong>in</strong> der Lage se<strong>in</strong>, wenn von Opfern religiöse<br />

Bedürfnisse angemeldet werden, diesen auch entsprechen zu können. So führen z.B. die<br />

Polizeibeamten der Stadt Basel e<strong>in</strong> Faltblatt mit Gebeten mit sich, auf das sie, falls sie ke<strong>in</strong><br />

eigenes Gebet zu sprechen <strong>in</strong> der Lage s<strong>in</strong>d, zurückgreifen können.<br />

In e<strong>in</strong>em Erste<strong>in</strong>satz ist prüfen, ob die betreuende Person der Stressbelastung standhält. So ist<br />

denkbar, dass <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ersten Phase die Betreuer/<strong>in</strong>nen zur z.B. zur Betreuung unverletzter<br />

Personen am Unfallplatz; Begleitung e<strong>in</strong>es Polizisten bei der Überbr<strong>in</strong>gung e<strong>in</strong>er<br />

Todesnachricht und anschliessende Betreuung der Angehörigen oder ev. als dritte Person bei<br />

90 Cunderlik, D., 1999, S. 74<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 88


e<strong>in</strong>em Rettungse<strong>in</strong>satz der Sanität zum E<strong>in</strong>satz kommen. Nach e<strong>in</strong>em solchen E<strong>in</strong>satz ist e<strong>in</strong><br />

Gespräch mit der betreffenden Person zu führen und ev. auch die Me<strong>in</strong>ung der E<strong>in</strong>satzkräfte<br />

e<strong>in</strong>zuholen. Darauf wird die geeignete Person auf die Liste genommen, welche Telefon 143<br />

zum Aufbieten zur Verfügung steht.<br />

Weiterbildung<br />

Die jährliche, obligatorische Weiterbildung von 1-2 Tagen muss sich an den aus den<br />

E<strong>in</strong>sätzen erwachsenden Bedürfnissen orientieren. Wenn ke<strong>in</strong>e speziellen Bedürfnisse<br />

angemeldet werden, so ist es s<strong>in</strong>nvoll, die Weiterbildung dah<strong>in</strong>gehend auszurichten, dass die<br />

Betreuer/<strong>in</strong>nen später <strong>in</strong> der Lage s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong> Defus<strong>in</strong>g und Debrief<strong>in</strong>g eigenständig<br />

durchzuführen oder als Co-Leiter/<strong>in</strong>nen zu amtieren.<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 89


8.5 Koord<strong>in</strong>ation / Adm<strong>in</strong>istration<br />

Der wirkungsvolle E<strong>in</strong>satz psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n <strong>Nothilfe</strong> setzt e<strong>in</strong>e m<strong>in</strong>imale<br />

Koord<strong>in</strong>ation und Adm<strong>in</strong>istration voraus und umfasst folgende Hauptaufgaben:<br />

AUFGABE: SICHERSTELLUNG DER INFRASTRUKTUR<br />

Aufbau und Unterhalt der Infrastruktur für den E<strong>in</strong>satz der psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n<br />

<strong>Nothilfe</strong>.<br />

Personalbestand<br />

Gestartet wird das Projekt mit ca. 30 Personen. Ob dieser Bestand ausreicht, kann nicht<br />

abschliessend beurteilt werden. Zur Beurteilung der richtigen Bestandesgrösse müssen die<br />

Erfahrungen der nächsten 1-2 Jahre herangezogen werden.<br />

Erweist sich der Bestand als zu kle<strong>in</strong>, ist e<strong>in</strong>e entsprechende Neurekrutierung erforderlich,<br />

ebenso wenn grössere Abgänge zu verzeichnen s<strong>in</strong>d.<br />

Koord<strong>in</strong>ationsstelle<br />

Das Ev.-Ref. Spitalpfarramt des Kantonsspitals Aarau übernimmt <strong>in</strong> der Aufbauphase die<br />

Funktion e<strong>in</strong>er Koord<strong>in</strong>ationsstelle und ist verantwortlich für:<br />

- Rekrutierung von Mitgliedern die psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n <strong>Nothilfe</strong><br />

- Organisation der Aus- und Weiterbildung<br />

- Führung der Mitglieder-Liste der Betreuer/<strong>in</strong>nen<br />

- m<strong>in</strong>d. quartalsweise Aktualisierung und Zustellung der Mitgliederliste an Telefon 143<br />

- Sammlung der E<strong>in</strong>satzmeldungen und Erstellen der Statistik<br />

- Materialverwaltung (Warnwesten, Notfallkoffer)<br />

- Verb<strong>in</strong>dung zu den drei Landeskirchen<br />

- Abklären, ob nach E<strong>in</strong>sätzen von Betreuer/<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong> Debrief<strong>in</strong>g/Defus<strong>in</strong>g notwendig<br />

ist<br />

- Vertretung der Landeskirchen <strong>in</strong> der Koord<strong>in</strong>ationsgruppe PSYCHIATRIE IN A.O. LAGEN<br />

UND PSYCHOTRAUMATOLOGIE.<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 90


Anlässlich des Pilotkurses des Bundesamtes für Zivilschutz im September 2000 wurde<br />

deutlich, dass bei e<strong>in</strong>em Grossschadenereignis auch e<strong>in</strong>e Koord<strong>in</strong>ationsperson „Betreuung“ <strong>in</strong><br />

der E<strong>in</strong>satzleitung vertreten se<strong>in</strong> müsste. In e<strong>in</strong>em speziellen Lehrgang (wahrsche<strong>in</strong>lich im<br />

Jahre 2002) wird das Profil erarbeitet und Personen entsprechend ausgebildet. Anforderungen<br />

an die/den Koord<strong>in</strong>ator/<strong>in</strong> „Betreuung“:<br />

1. Organisation und Führung<br />

Auf dem Schadenplatz muss jemand die Verantwortung für die Betreuung, <strong>in</strong>sbesondere für<br />

die psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> tragen. Diese Person ist dem E<strong>in</strong>satzleiter<br />

unterstellt und kann auch für e<strong>in</strong> weiteres Ressort zuständig se<strong>in</strong>. Als Verantwortliche oder<br />

Verantwortlicher für die Koord<strong>in</strong>ation der psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n <strong>Nothilfe</strong> auf dem<br />

Schadenplatz, hat sie / er die Kompetenz zu entscheiden, wer alles betreut werden muss und<br />

wie diese Betreuung zu erfolgen hat.<br />

Wird e<strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>deführungsorgan, e<strong>in</strong> regionaler Führungsstab oder e<strong>in</strong> kantonaler<br />

Führungsstab e<strong>in</strong>gesetzt, muss auch <strong>in</strong> diesem Führungsorgan jemand die Verantwortung für<br />

die Betreuung, <strong>in</strong>sbesondere die psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> Betreuung übernehmen.<br />

Der/die Koord<strong>in</strong>ator/<strong>in</strong> für das Betreuungswesen kann aus dem öffentlichen<br />

Gesundheitswesen oder aus dem Betreuungsdienst des Zivilschutzes rekrutiert werden. Die<br />

psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> weist Schnittstellen zu beiden Organisationen auf.<br />

Wie viele Personen e<strong>in</strong> Betreuungsteam bilden, ist vom genauen Auftrag und den<br />

Bedürfnissen der Partnerorganisationen abhängig. S<strong>in</strong>nvollerweise arbeiten solche Teams<br />

überregional.<br />

2. Aufgaben 91<br />

Folgende Arbeiten auf dem Schadenplatz müssen vom Koord<strong>in</strong>ator organisiert werden:<br />

• im Zusammenhang mit Mitarbeitenden, der im E<strong>in</strong>satz stehenden Organisationen<br />

o bei E<strong>in</strong>satzbeg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong> zuverlässiges realistisches Brief<strong>in</strong>g mit den Mitarbeitenden<br />

durchführen<br />

91 Vgl. Bundesamt für Zivilschutz, 2000<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 91


o Mitarbeitende regelmässig über den Stand der Arbeiten wahrheitsgetreu und<br />

realistisch <strong>in</strong>formieren<br />

o den Mitarbeitenden Erholungspausen gewähren<br />

o die Mitarbeitenden beobachten und bei Anzeichen von Stressreaktionen adäquat<br />

reagieren<br />

o Gelegenheit zu Gesprächen bieten<br />

o Am Schluss des E<strong>in</strong>satzes oder bei Schichtwechsel e<strong>in</strong> Defus<strong>in</strong>g durchführen<br />

• Sicherstellen, dass <strong>in</strong>nerhalb vernünftiger Zeit alle betroffenen Personen die notwendige<br />

psychologische Betreuung erhalten.<br />

• Weiterführende Massnahmen organisieren, wie Debrief<strong>in</strong>g und Therapie<br />

• Über zu erwartende Stressreaktionen und mögliche Hilfestellungen <strong>in</strong>formieren<br />

• Sicherstellen der Verb<strong>in</strong>dungen zum E<strong>in</strong>satzleiter und zum Verantwortlichen der<br />

psychologischen Betreuung im Führungsstab, wenn e<strong>in</strong> solcher gebildet wurde.<br />

Persönliches Anforderungsprofil<br />

• Sozialkompetenz<br />

• Kenntnisse über Partnerorganisationen / Schadenplatzorganisation<br />

• guter Organisator<br />

• Führungsqualitäten<br />

• mentale Stärke<br />

• örtliche Kenntnisse<br />

• Durchsetzungsvermögen<br />

• Problembewusstse<strong>in</strong><br />

• erkennen von Schnittstellen<br />

• Verfügbarkeit<br />

Die E<strong>in</strong>satzkräfte und die psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> sollten sich bereits heute<br />

über diese Funktion Gedanken machen. Falls nämlich e<strong>in</strong> Grossere<strong>in</strong>gis e<strong>in</strong>tritt, bevor durch<br />

das Bundesamt für Zivilschutz ausgebildete Personen zu Verfügung stehen, kann durch<br />

entsprechende Vorbereitung e<strong>in</strong>e böse Überraschung vermieden werden.<br />

Die Notwendigkeit e<strong>in</strong>es „Leitenden <strong>Notfallseelsorge</strong>rs f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> verschiedenen<br />

Konzepten Deutschlands auch:<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 92


„Ist das zu erwartende E<strong>in</strong>satzaufkommen jedoch grösser, so empfiehlt es sich, e<strong>in</strong>zelne<br />

Seelsorger für diese Aufgaben freizustellen. Sie können nach ihrer Zusatzausbildung dann als<br />

Beauftragte für <strong>Notfallseelsorge</strong> bei E<strong>in</strong>sätzen im ausserhäuslichen Bereich alarmiert werden,<br />

die seelsorgliche Begleitung von E<strong>in</strong>satzkräften übernehmen, <strong>in</strong> regelmässigen Abständen am<br />

normalen Dienst auf den Wachen teilnehmen und <strong>in</strong> die Aus- und Fortbildung e<strong>in</strong>bezogen<br />

werden. Bei häuslichen Notfällen versuchen sie den jeweiligen Ortsseelsorger zu erreichen,<br />

und falls dieser nicht erreichbar ist, übernehmen sie den E<strong>in</strong>satz selbst. Solch e<strong>in</strong><br />

umfangreiches Aufgabengebiet ist für e<strong>in</strong>en Seelsorger, der nicht zugleich von anderen<br />

Aufgaben entlastet wird, nicht zu bewältigen. Neben ihrem Dienst als Beauftragte für<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong> könnten sie dann immer noch als Subsidiär <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>de e<strong>in</strong>gesetzt<br />

werden oder, falls sie e<strong>in</strong>e Supervisionsausbildung absolviert haben, <strong>in</strong> anderen (kirchlichen)<br />

E<strong>in</strong>richtungen die Mitarbeiterbetreuung übernehmen.“ 92<br />

Die Installation von „Leitenden <strong>Notfallseelsorge</strong>rn“ trifft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Kirchen auf heftigen<br />

Wiederstand, da es für die dortigen Seelsorger/<strong>in</strong>nen äusserst ungewöhnlich ist, e<strong>in</strong>en Teil<br />

ihrer eigenen Entscheidungsfreiheit an e<strong>in</strong>en Kollegen zu delegieren.<br />

Die Erfahrungen der letzten grösseren E<strong>in</strong>sätze haben jedoch gezeigt, dass die Tätigkeiten<br />

mehrerer Seelsorger/<strong>in</strong>nen bei e<strong>in</strong>em grösseren Schadensereignis genau so koord<strong>in</strong>iert werden<br />

müssen, wie die Tätigkeiten der Rettungsorganisationen. Dafür benötigen wir<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>r/<strong>in</strong>nen, die sich besonders gut mit den kirchlichen Strukturen und den<br />

Führungsvorgängen der Rettungsorganisationen auskennen, die über geeignete<br />

Führungsmittel verfügen und sie auch benutzen können.<br />

In Bayern z.B. gibt es e<strong>in</strong>en ständigen „Leitenden <strong>Notfallseelsorge</strong>r“, der allen<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>-Systemen im H<strong>in</strong>tergrund zur Verfügung steht, um sie zu beraten und um<br />

ihnen im E<strong>in</strong>satz logistische Unterstützung zu bieten.<br />

Bei e<strong>in</strong>em Grossschadensereignis führt der örtliche „Leitende <strong>Notfallseelsorge</strong>r“ die<br />

e<strong>in</strong>gesetzten Seelsorger/<strong>in</strong>nen. Er koord<strong>in</strong>iert ihre Arbeit, trifft die nötigen Absprachen mit<br />

den Führungskräften der Rettungsorganisationen und sorgt für e<strong>in</strong>e angemessene Versorgung<br />

und e<strong>in</strong>e evtl. nötige Ablösung der Seelsorger/<strong>in</strong>nen.<br />

92 Kley, Olivier, Das Proprium kirchlicher <strong>Notfallseelsorge</strong> im Kontext rettungsdienstlicher Krisen<strong>in</strong>tervention,<br />

Diplomhauptprüfung, Paderborn 1998, S. 88<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 93


In Bayern werden die „Leitenden <strong>Notfallseelsorge</strong>r“ durch e<strong>in</strong>e eigene<br />

Nachalarmierungszentrale unterstützt, die landesweit Alarmierungstätigkeiten übernimmt.<br />

„Derzeit s<strong>in</strong>d Überlegungen im Gang, die Bezeichnung „Leitender <strong>Notfallseelsorge</strong>r“<br />

zugunsten e<strong>in</strong>er anderen Bezeichnung aufzugeben, die weniger mit e<strong>in</strong>em „Leitungsamt“<br />

verwechselt werden kann und dann kirchen<strong>in</strong>tern evtl. konsensfähiger ist.(z.B.<br />

Koord<strong>in</strong>ierender Seelsorger).“ 93<br />

93 V. Wietersheim, Hanjo, Seelsorge <strong>in</strong> und mit den Rettungsorganisationen, 5/97, S. 6-7<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 94


9 FINANZIERUNG PSYCHOLOGISCH-SEELSORGERLICHE NOTHILFE IM<br />

KANTON AARGAU<br />

Das Konzept sieht vor, dass die Umsetzung mehr oder weniger ohne Kosten zu erfolgen hat.<br />

Dies mag für die Staatskasse von Vorteil se<strong>in</strong>, setzt jedoch dem ganzen Projekt enorme<br />

Grenzen. Zudem erweckt diese Vorgabe des Regierungsrates den E<strong>in</strong>druck, dass sich der<br />

Kanton Aargau der Verantwortung entziehen möchte. Dieses ungute Gefühl wird auch<br />

dadurch bestätigt, dass alle an der Umsetzungsphase beteiligten Institutionen den gesamten<br />

Personal- und Sachaufwand selber bestreiten müssen. Es widerspricht auch dem Ansatz des<br />

New Public Management, wo die Kosten – ganz im S<strong>in</strong>ne der Marktwirtschaft – von den<br />

Verursachern zu tragen s<strong>in</strong>d.<br />

Nur dank dem Goodwill und dem Engagement für die Sache ist es möglich, dass dennoch<br />

erste Schritte zur Verwirklichung getan werden können.<br />

Die Betreuung von traumatisierten Personen liegt im Interesse der Allgeme<strong>in</strong>heit und ist als<br />

e<strong>in</strong> öffentliches Gut zu betrachten, das potentiell allen zugute kommen kann. Demzufolge<br />

s<strong>in</strong>d die Kosten e<strong>in</strong>deutig vom Kanton zu übernehmen.<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 95


9.1 F<strong>in</strong>anzierung E<strong>in</strong>satzkräfte<br />

Kosten für den Auftrag, die betroffenen Opfer zu <strong>in</strong>formieren<br />

Mit dem Konzept überträgt der Kanton den E<strong>in</strong>satzkräften e<strong>in</strong>e neue Aufgabe, nämlich die<br />

Opfer über Stressreaktionen zu orientieren und über Hilfsmöglichkeiten zu orientieren. Die<br />

Erfüllung dieses Auftrages setzt e<strong>in</strong>e entsprechende Aus- und Weiterbildung voraus. Die<br />

daraus entstehenden Kosten müssten eigentlich vom Auftraggeber übernommen werden, da es<br />

sich e<strong>in</strong>deutig um e<strong>in</strong>en neuen Auftrag handelt, denn bekanntlich hat ja nur zu befehlen, wer<br />

auch bezahlt.<br />

Müssen die f<strong>in</strong>anziellen Mittel aber von den e<strong>in</strong>zelnen E<strong>in</strong>satzkräften aufgebracht werden, so<br />

ist fraglich, ob die auch unter enormem Kostendruck stehenden Institutionen die Auslagen<br />

unter diesen Umständen übernehmen wollen und können.<br />

Klar geregelt ist e<strong>in</strong>zig die F<strong>in</strong>anzierung des benötigten schriftlichen Informationsmaterials.<br />

Gemäss Konzept ist vorgesehen, dass die E<strong>in</strong>satzkräfte nach e<strong>in</strong>em Ereignis den Betroffenen<br />

e<strong>in</strong>en Handzettel mit H<strong>in</strong>weisen auf Beratungsstellen abzugeben haben. Für die Auslagen der<br />

Drucksachen s<strong>in</strong>d auf dem ordentlichen Weg vom Kanton Aargau mit CHF 10'000.-<br />

budgetiert 94 , anschliessend weniger.<br />

Es ist davon auszugehen, dass mit e<strong>in</strong>er zweistündigen E<strong>in</strong>führung die E<strong>in</strong>satzkräfte über<br />

genügend Informationen verfügen, um das Problem psychotraumatisierter Personen zu<br />

erkennen und entsprechend zu handeln (Weitergabe von mündlicher und schriftlicher<br />

Information). Für e<strong>in</strong>e Organisation ergeben sich mit dem neuen Auftrag folgende Kosten:<br />

! Personalaufwand von 2 Arbeitsstunden pro Mitarbeiter/<strong>in</strong><br />

! ev. Fahrtkosten der Mitarbeitenden zum Instruktionsort<br />

! Honorar für Referent<br />

Will e<strong>in</strong>e Organisation ihre eigenen Mitarbeitenden zu Debriefer/<strong>in</strong>nen ausbilden, so ist mit<br />

rund 4-8 Ausbildungstagen zu rechnen. Die vom Bundesamt für Zivilschutz vorgeschlagene<br />

Ausbildung umfasst:<br />

94 Konzept „Psychiatrie <strong>in</strong> ausserordentlichen Lagen und Psychotraumatologie“, S. 7<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 96


! 3-4 Tage E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die psychologische <strong>Nothilfe</strong><br />

! 4 Tage Spezialausbildung Debrief<strong>in</strong>g<br />

Nebst dem Personalaufwand s<strong>in</strong>d allfällige Kurs- und Reisekosten noch zu berücksichtigen.<br />

Erfahren Personen im E<strong>in</strong>satz psychische Bee<strong>in</strong>trächtigungen, so wäre nach den Regeln der<br />

Kunst e<strong>in</strong> Defus<strong>in</strong>g und/oder Debrief<strong>in</strong>g angezeigt. Solches f<strong>in</strong>det heute kaum statt. E<strong>in</strong>erseits<br />

mangelt es noch an der entsprechenden Sensibilisierung seitens der Führungskräfte und<br />

andererseits ist die F<strong>in</strong>anzierung nicht gesichert. Da es sich die Defus<strong>in</strong>g/Debrief<strong>in</strong>g um e<strong>in</strong>e<br />

präkl<strong>in</strong>ische Intervention handelt, ist die Krankenversicherung nicht zuständig. Wie oben<br />

ersichtlich wurde, könnten ca. 60 % der durch Traumatisierung anfallenden Kosten durch e<strong>in</strong>e<br />

frühzeitige Intervention vermieden werden.<br />

Kosten für Defus<strong>in</strong>g und/oder Debrief<strong>in</strong>g<br />

Der Arbeitgeber ist vom Gesetz (Art. 328 Abs. 2 OR) verpflichtet, für Leben und Gesundheit<br />

des Arbeitnehmers die erforderlichen und geeigneten Massnahmen zu treffen. 95 Die<br />

Weltgesundheitsorganisation (WHO) def<strong>in</strong>iert den Gesundheitsbegriff so: „Gesundheit ist e<strong>in</strong><br />

Gesamtzustand von physischem, geistigem und sozialem Wohlergehen und nicht bloss das<br />

Fehlen von Krankheit und Gebrechlichkeit!“ Somit wären die durch Defus<strong>in</strong>g und/oder<br />

Debrief<strong>in</strong>g entstehenden Kosten gleich zu betrachten wie diejenigen für Schutzbrillen oder für<br />

Schutzvorrichtungen an Masch<strong>in</strong>en zur Vermeidung von Unfällen.<br />

Müssten die Kosten also nicht vom Arbeitgeber übernommen werden? Für Polizeikorps,<br />

Berufsfeuerwehren und Berufssanitäter ist die rechtliche Lage wohl e<strong>in</strong>deutig. Die<br />

Arbeitgeber s<strong>in</strong>d für die Gesundheit der Arbeitnehmenden verantwortlich. Dies gilt ebenso für<br />

die Freiwilligen-Feuerwehren. E<strong>in</strong> Defus<strong>in</strong>g /Debrief<strong>in</strong>g ist als Folge des E<strong>in</strong>satzes<br />

kostenmässig gleich zu gewichten wie e<strong>in</strong> geborstener Schlauch, e<strong>in</strong> zerrissener Schutzanzug.<br />

Schwieriger wird es für die Samariter und Mitglieder der psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n<br />

<strong>Nothilfe</strong>, welche <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em festen Arbeits-, bzw. Auftragsverhältnis stehen, d.h. diesen<br />

E<strong>in</strong>satz auf freiwilliger Basis leisten. Sie werden aber wie die E<strong>in</strong>satzkräfte enormen<br />

psychischen Belastungen ausgesetzt und haben daher auch Anspruch auf e<strong>in</strong>e gute psychische<br />

Nachbetreuung. Es besteht die Gefahr, dass aus Kostengründen die Menschlichkeit auf der<br />

Strecke bleibt und betroffenen Personen die notwendige Hilfe versagt bleibt. Es darf nicht<br />

95 Vgl. Kley, A., Skriptum NDS 6 2000/2001, Wirtschaftsrecht, Arbeitsvertrag S. 20<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 97


se<strong>in</strong>, dass Helfer/<strong>in</strong>nen wegen F<strong>in</strong>anzierungsschwierigkeiten nicht <strong>in</strong> den Genuss e<strong>in</strong>er<br />

Nachbetreuung kommen und <strong>in</strong> der Folge chronische Belastungsstörungen entwickeln, die<br />

e<strong>in</strong>e psychologische/psychiatrische Behandlung bed<strong>in</strong>gen. Dann wirken folgende Worte aus<br />

dem Konzept be<strong>in</strong>ahe zynisch: „Die Behandlung der Betroffenen und ihrer Angehörigen<br />

verursacht kurzfristig Kosten im Gesundheitswesen, die bei geeigneter Indikation über die<br />

Krankenversicherer abgerechnet werden können.“ 96<br />

M.E. wird mit dem Herumschieben der Kosten e<strong>in</strong> unverantwortliches „Schwarz-Peter-Spiel“<br />

gespielt. Die Verlierer dieses Spiels dürfen unter ke<strong>in</strong>en Umständen die Helfer/<strong>in</strong>nen se<strong>in</strong>!<br />

96 Konzept „Psychiatrie <strong>in</strong> ausserordentlichen Lagen und Psychotraumatologie“, S. 8<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 98


9.2 F<strong>in</strong>anzierung Dargebotene Hand<br />

Die Dargebotene Hand wird für ihre Dienstleitung, Aufgebot von Betreuer/<strong>in</strong>nen und<br />

telefonische Beratung von Opfern, entschädigt.<br />

„Zur Bewältigung der zusätzlichen Aufgaben wird die Dargebotene Hand jährlich mit CHF<br />

10'000.- entschädigt.“ 97<br />

Es wird sich zeigen müssen, ob der zusätzliche Aufwand der Dargebotenen Hand mit diesem<br />

Betrag genügend abgegolten ist.<br />

97 Konzept „Psychiatrie <strong>in</strong> ausserordentlichen Lagen und Psychotraumatologie“, S. 7<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 99


9.3 F<strong>in</strong>anzierung psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong><br />

Die Betreuer/<strong>in</strong>nen s<strong>in</strong>d für ihren Dienst auszubilden und auszurüsten. Der Regierungsrat hat<br />

dem beantragten Kredit von e<strong>in</strong>malig CHF 8000.- und <strong>in</strong> den Folgejahren e<strong>in</strong>em<br />

regelmässigen Betrag von CHF 5000.- für die Landeskirchen nicht entsprochen. Aus diesen<br />

Mitteln hätte die Aus- und Weiterbildung der Betreuer/<strong>in</strong>nen bestritten werden sollen.<br />

Die Landeskirchen erachten es jedoch als dr<strong>in</strong>glich, dass die psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong><br />

<strong>Nothilfe</strong> so rasch als möglich e<strong>in</strong>satzfähig ist. Sie stellen für die Aus- und Weiterbildung<br />

e<strong>in</strong>en jährlichen Betrag von CHF 5000.- zur Verfügung.<br />

Kommen die ausgebildeten Betreuer/<strong>in</strong>nen zum E<strong>in</strong>satz, entstehen Fahrt- und Personalkosten.<br />

E<strong>in</strong>e Kostenberechnung ist fast unmöglich, weil ke<strong>in</strong>e Erfahrungszahlen bezüglich der Anzahl<br />

E<strong>in</strong>sätze vorliegen. Zudem ist davon auszugehen, dass wenn <strong>in</strong> der breiten Öffentlichkeit<br />

bekannt ist, dass es das Gut „psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong>“ gibt, auch die<br />

Nachfrage wachsen wird. Durch das Führen e<strong>in</strong>er Statistik können Erfahrungswerte<br />

gesammelt und die möglichen Kosten für die E<strong>in</strong>sätze berechnet werden.<br />

Es gilt nun, mit dem vom Kanton bereitgestellten f<strong>in</strong>anziellen M<strong>in</strong>imum e<strong>in</strong> Maximum zu<br />

erreichen. 98 Dieser maximale Output kann über folgende Wege erreicht werden. Dabei ist zu<br />

unterscheiden bezüglich:<br />

Aus und Weiterbildung<br />

- Es können fast ausschliesslich nur Ausbilder/<strong>in</strong>nen engagiert werden, welche bereit s<strong>in</strong>d,<br />

zum „Nulltarif“ zu arbeiten. Dies stellt e<strong>in</strong>e enorme E<strong>in</strong>schränkung dar und kann<br />

allenfalls die Qualität der Ausbildung negativ bee<strong>in</strong>flussen.<br />

- Die Aus- und Weiterbildung der Betreuer/<strong>in</strong>nen wird von ihren Arbeitgebern als<br />

ordentliche Weiterbildung betrachtet und wie üblich übernommen. Diese Option dürfte<br />

eher fraglich se<strong>in</strong>, da auch Kirchgeme<strong>in</strong>den/Pfarreien wie auch Betriebe vermehrt mit<br />

F<strong>in</strong>anzierungsproblemen zu kämpfen haben.<br />

98 Vgl. Thommen, J.-P., Managementorientierte Betriebswirtschaftslehre, 5. Auflage, Versus-Verlag, Zürich<br />

1996, S. 105<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 100


- Das bescheidene Budget der Landeskirchen kann <strong>in</strong>sofern noch optimiert werden, dass<br />

Betreuer/<strong>in</strong>nen, Kirchgeme<strong>in</strong>de/Pfarrei und die Landeskirchen die Kosten nach e<strong>in</strong>em<br />

bestimmten Schlüssel unter sich aufteilen. Diese Lösung setzt voraus, dass die<br />

Betreuer/<strong>in</strong>nen nebst ihren persönlichen Engagement <strong>in</strong> E<strong>in</strong>sätzen noch bereit s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>en<br />

Teil ihrer Ausbildung noch selber zu f<strong>in</strong>anzieren. Auch wird es schwer se<strong>in</strong>,<br />

nichtkirchliche Mitglieder der psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n <strong>Nothilfe</strong> <strong>in</strong> dieses System<br />

zu <strong>in</strong>tegrieren.<br />

Hilfeleistung vor Ort<br />

H<strong>in</strong>sichtlich der Hilfeleistungen an Opfern s<strong>in</strong>d nachstehende F<strong>in</strong>anzierungsmodelle auf ihre<br />

Tauglichkeit h<strong>in</strong> zu prüfen:<br />

- Die Landeskirchen oder Unternehmungen könnten im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es Sozio-Sponsor<strong>in</strong>gs 99<br />

die F<strong>in</strong>anzierung sicherstellen. E<strong>in</strong>e entsprechende Public Relations-Kampagne würde<br />

wenigstens zu e<strong>in</strong>em positiven Firmenimage beitragen, von dem die Kirchen, bzw. die<br />

Unternehmung profitieren könnte.<br />

Wie würde aber der Staat Aragau auf e<strong>in</strong>e solche Aktion reagieren?<br />

- Die F<strong>in</strong>anzierung der erfolgten E<strong>in</strong>sätze kann auch über den Weg der Errichtung e<strong>in</strong>er<br />

geme<strong>in</strong>nützigen Stiftung erreicht werden. Private, Unternehmungen und der Kanton<br />

könnten als Träger der Stiftung auftreten. Falls sich der Kanton nicht e<strong>in</strong>bilden lassen<br />

will, so bestünde die Möglichkeit, dass er die Stiftung z.B. mit Mitteln aus dem<br />

Lotteriefonds unterstützen könnte.<br />

- Die Hilfeleistung der Betreuer/<strong>in</strong>nen wird wie e<strong>in</strong> Militär-, Zivilschutz- oder<br />

Feuerwehraufgebot behandelt und der entsprechenden Organisation vergütet. Für nicht<br />

militär-, zivilschutz- bzw. feuerwehrpflichtige Personen bestünde die Möglichkeit e<strong>in</strong>er<br />

freiwilligen E<strong>in</strong>teilung <strong>in</strong> den Zivilschutz.<br />

- Schaffung von neuen gesetzlichen Grundlagen, damit die Hilfeleistung dem<br />

Schadenverursacher, bzw. dessen Versicherung zu e<strong>in</strong>em noch zu bestimmenden Ansatz<br />

belastet werden kann.<br />

- Der Kanton Aargau übernimmt die Kosten von Hilfeleistungen.<br />

- Die Betreuer/<strong>in</strong>nen leisten ihre E<strong>in</strong>sätze freiwillig und unentgeltlich.<br />

99 Vgl. Kotler, P., Market<strong>in</strong>g-Management, 9. Auflage, Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart 1999, S. 1043<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 101


In andern Kantonen hat man die Lösung über den Zivilschutz bevorzugt. Die Betreuer/<strong>in</strong>nen<br />

s<strong>in</strong>d freiwillig im Zivilschutz e<strong>in</strong>geteilt. Ihre E<strong>in</strong>sätze werden als Zivilschutze<strong>in</strong>sätze<br />

betrachtet und über die Erwerbsersatzordnung vergütet. Damit ist auch die Frage der<br />

Versicherung gelöst.<br />

Vorschlag für die F<strong>in</strong>anzierung der psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> im Kanton Aargau<br />

- Die Betreuer/<strong>in</strong>nen werden freiwillig <strong>in</strong> den Zivilschutz e<strong>in</strong>geteilt. Sie erhalten für ihre<br />

Ausbildung und E<strong>in</strong>sätze Sold und Erwerbsersatz zu Ansätzen des Zivilschutzes. Die<br />

Dienstleistungen werden im Dienstbüchle<strong>in</strong> e<strong>in</strong>getragen.<br />

- Da die psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> im ganzen Kantonsgebiet zum E<strong>in</strong>satz<br />

kommt, kann sie schwer e<strong>in</strong>er örtlichen Zivilschutzorganisation angegliedert werden. Es<br />

wäre so etwas wie e<strong>in</strong>e kantonale „E<strong>in</strong>satzgruppe“ mit e<strong>in</strong>er Führung zu schaffen.<br />

- E<strong>in</strong>/e Gruppenchef/<strong>in</strong> ist für die Koord<strong>in</strong>ation, Aus- und Weiterbildung verantwortlich.<br />

- Die notwendige Ausrüstung wird vom Zivilschutz zur Verfügung gestellt.<br />

- Benötigen die Betreuer/<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong> Debrief<strong>in</strong>g, so werden die Debriefer/<strong>in</strong>nen ebenfalls im<br />

S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Zivilschutzdienstleistung aufgeboten.<br />

- Die Aus- u. Weiterbildung und die E<strong>in</strong>satze s<strong>in</strong>d wie die üblichen Zivilschutze<strong>in</strong>sätze<br />

über die Militärversicherung gedeckt.<br />

Mit diesem Lösungsansatz könnten die meisten Probleme gelöst werden. E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>in</strong><br />

den Zivilschutz sche<strong>in</strong>t auch daher s<strong>in</strong>nvoll, da das Bundesamt für Zivilschutz gerade im<br />

Bereich der psychologischen <strong>Nothilfe</strong> Aktivitäten entfaltet und e<strong>in</strong>e standardisierte<br />

Ausbildung anstrebt. Ab 2003 sollten auch die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen<br />

vorhanden se<strong>in</strong>, welche e<strong>in</strong>e solche E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung erlauben. E<strong>in</strong>zelne Kantone tun dies <strong>in</strong><br />

„vorauseilendem Gehorsam“ bereits jetzt.<br />

Der e<strong>in</strong>zige mit dem „Zivilschutzmodell“ nicht gelöste Punkt besteht m.E. <strong>in</strong> der<br />

Entschädigung der Fahrtkosten vom Wohnort der Betreuer/<strong>in</strong>nen zum E<strong>in</strong>satzort. Da es sich<br />

hier jedoch nicht um e<strong>in</strong>en grösseren Betrag handeln dürfte, müsste e<strong>in</strong>e Lösung möglich<br />

se<strong>in</strong>. So könnten die Kirchen dafür jedes Jahr e<strong>in</strong>e Kollekte erheben und der Kanton aus dem<br />

Lotteriefonds e<strong>in</strong>en Beitrag leisten.<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 102


9.4 F<strong>in</strong>anzierung therapeutische Hilfe<br />

Die F<strong>in</strong>anzierung therapeutischer Hilfe von Gewaltopfern ist nicht <strong>in</strong> Frage gestellt. „In<br />

denjenigen Fällen, wo e<strong>in</strong>e Straftat im S<strong>in</strong>ne des Opferhilfegesetzes vorliegt, kann e<strong>in</strong>e<br />

F<strong>in</strong>anzierung über die Opferhilfe geprüft werden.“ 100<br />

„Die Behandlung schwerer akuter und chronischer Belastungsstörungen fallen <strong>in</strong> den Bereich<br />

pathologischer Störungen, s<strong>in</strong>d durch Ärzte oder Psychiater zu behandeln. Die<br />

Kostenübernahme ist durch die Krankenversicherung sichergestellt. Ferner s<strong>in</strong>d Therapien,<br />

die durch nichtärztliche Psychotherapeut<strong>in</strong>nen und -therapeuten durchgeführt werden, s<strong>in</strong>d<br />

analog den anderen durch diese Personen durchgeführten Behandlungen zu vergüten.“ 101<br />

Die Kosten therapeutischer Massnahmen s<strong>in</strong>d nicht Gegenstand des Konzepts. Sie s<strong>in</strong>d<br />

Bestandteil der Krankenversicherung und werden hier nicht näher betrachtet.<br />

100 Konzept „Psychiatrie <strong>in</strong> ausserordentlichen Lagen und Psychotraumatologie“, S. 8<br />

101 Konzept „Psychiatrie <strong>in</strong> ausserordentlichen Lagen und Psychotraumatologie“, S. 8<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 103


10 ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSBEMERKUNGEN<br />

Die psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong> stellt wie auch die mediz<strong>in</strong>ische Erste Hilfe e<strong>in</strong>e<br />

Grundlage für die ersten Tätigkeiten an e<strong>in</strong>em Notfallort dar. Leider wird die psychische<br />

Betreuung des Notfallpatienten häufig h<strong>in</strong>ter der unmittelbar erforderlichen apparativen<br />

Behandlung zurückgestellt. Der Mangel resultiert <strong>in</strong> vielen Fällen aber auch aus der<br />

Unkenntnis e<strong>in</strong>facher Regeln zur Betreuung. E<strong>in</strong>e Betreuung dieser Patienten ist laut der Welt<br />

Gesundheits- Organisation (WHO) e<strong>in</strong>e „ ... präventive Massnahme gegen die Ausbildung der<br />

Posttraumatischen Belastungsstörung ...“ und dient somit der Abwehr schwerer<br />

gesundheitlicher Folgeschäden im psychischen Bereich. Ziel ist es, Menschen <strong>in</strong> akuten,<br />

psychischen Ausnahmesituationen beizustehen. Dabei geht es nicht um e<strong>in</strong>e therapeutische<br />

Intervention, sondern um menschliche Erste Hilfe. Aufgabe von Krisen<strong>in</strong>tervention und<br />

psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>r <strong>Nothilfe</strong> ist es, das soziale Netz der Betroffenen zu aktivieren<br />

und <strong>in</strong> andere Hände überzuleiten; angefangen bei den Nachbarn, über Selbsthilfe<strong>in</strong>itiativen<br />

bis h<strong>in</strong> zu psychiatrischen E<strong>in</strong>richtungen.<br />

Die E<strong>in</strong>satz<strong>in</strong>dikationen zur Alarmierung e<strong>in</strong>er psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong>n <strong>Nothilfe</strong> s<strong>in</strong>d<br />

regional verschieden. Im folgenden werden e<strong>in</strong>ige E<strong>in</strong>satzmöglichkeiten aufgeführt:<br />

• Suizidandrohung oder -versuch<br />

• Betreuung Angehöriger nach erfolgloser Wiederbelebung<br />

• Überbr<strong>in</strong>gen von Todesnachrichten <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit der Polizei<br />

• Betreuung von Gewaltopfern<br />

• Betreuung von Angehörigen am Notfallort<br />

• Betreuung der Opfer von Haus- oder Wohnungsbränden<br />

• Betreuung der Eltern bei K<strong>in</strong>dernotfällen<br />

• Betreuung bei Grossschadensereignissen bis h<strong>in</strong> zu Katastrophen<br />

• Überfallbetreuung und Überfallnachsorge (z.B. für Bankangestellte und Bankkunden)<br />

• Hilfe für E<strong>in</strong>satzkräfte von Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst nach psychisch<br />

belastenden E<strong>in</strong>sätzen<br />

• und andere Situationen, die e<strong>in</strong>e akute psychische Betreuung erfordern<br />

E<strong>in</strong> E<strong>in</strong>satz ist erst dann beendet, wenn alle Beteiligten, Geschädigte, Angehörige und<br />

Rettungskräfte wieder physisch und psychisch gesund s<strong>in</strong>d. Bei immer mehr E<strong>in</strong>satzkräften,<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 104


aber auch im Auslandkatastrophenschutz und im Bereich humanitärer und friedenssichernder<br />

Aktionen, erkennt man die psychischen Belastungen vor, während und nach E<strong>in</strong>sätzen. Der<br />

E<strong>in</strong>stellungswandel ist offenkundig: Galten psychische Belastungen bislang als kaum<br />

kommunizierbar, oftmals sogar als karrierehemmender Makel, so sche<strong>in</strong>t <strong>in</strong>zwischen das<br />

andere Extrem <strong>in</strong> den Vordergrund zu treten: Stress wird zur dauerkommunizierten<br />

Grundbef<strong>in</strong>dlichkeit, ke<strong>in</strong>e psychischen Belastungen zu spüren, wird gelegentlich schon als<br />

„Verhärtung“ und als H<strong>in</strong>weis auf e<strong>in</strong>e allzu rigide Persönlichkeits-, manchmal auch<br />

„typische“ Männlichkeitsstruktur gewertet.<br />

Es wäre unangemessen, Belastungsreaktionen alle<strong>in</strong> von der Güte und dem Umfang der<br />

emotionalen und psychischen Ressourcen der Helfer<strong>in</strong>nen und Helfer ableiten zu wollen. Es<br />

darf nicht darum gehen, diese Ressourcen als weiteres Humankapital auszubeuten, sondern<br />

diese Ressource muss gehegt und gepflegt werden, damit sie sich nicht erschöpft.<br />

Davon ausgehend, dass e<strong>in</strong>e frühe Intervention bei e<strong>in</strong>em traumatischen Ereignis zu e<strong>in</strong>er<br />

Kostenreduktion von bis zu 60 % führen kann, müssten Unternehmungen, Versicherungen<br />

und Krankenkassen aus ökonomischen Gründen e<strong>in</strong> Interesse daran haben, psychologisch<strong>seelsorgerliche</strong><br />

<strong>Nothilfe</strong>, Defus<strong>in</strong>g und Debrief<strong>in</strong>g als präkl<strong>in</strong>ische Hilfeleistung f<strong>in</strong>anziell zu<br />

unterstützen.<br />

Falls weder die Unternehmungen noch der Staat die Verantwortung gegenüber den Opfern<br />

wahrnehmen wollen oder können, so dürfen die Kirchen nicht abseits stehen. Denn es sollten<br />

weder Kosten noch Mühen gescheut werden, den durch e<strong>in</strong>en Notfall betroffenen Menschen<br />

zu helfen, denn für Gott gibt es nichts Kostbareres als den Menschen!<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 105


ANHANG I<br />

PSYCHIATRIE IN AUSSERORDENTLICHEN LAGEN UND<br />

PSYCHOTRAUMATOLOGIE<br />

Koord<strong>in</strong>ierter Sanitätsdienst KSD<br />

Abteilung zivile Verteidigung<br />

Psychiatrische Dienste (EPD / IPD / KJPD)<br />

Psychiatrie <strong>in</strong> ausserordentlichen Lagen und Psychotraumatologie<br />

Zusammenfassung<br />

Grosse und kle<strong>in</strong>e, plötzliche, unvorhergesehene und über bisherige persönliche Erfahrungen<br />

h<strong>in</strong>ausgehende Ereignisse rufen bei vielen Menschen kurzfristige und bei e<strong>in</strong>igen auch<br />

langfristige psychische Störungen hervor. Durch geeignete und gezielte Interventionen,<br />

möglichst sofort nach E<strong>in</strong>treten e<strong>in</strong>es Ereignisses, lässt sich die Häufigkeit solcher Störungen<br />

deutlich senken.<br />

Im Kanton Aargau sollen Betroffene durch die E<strong>in</strong>satzleute an Ort und Stelle (Feuerwehr,<br />

Polizei, Sanität) mündlich und schriftlich <strong>in</strong>struiert werden, was wesentlich zur Bewältigung<br />

der Ereignisse beiträgt. In e<strong>in</strong>zelnen Fällen erfolgt e<strong>in</strong>e Betreuung durch Vertreter<strong>in</strong>nen und<br />

Vertreter der Landeskirchen an Ort und Stelle. Für weitere Hilfe wird auf die Telefon-Notruf-<br />

Nr. 143 verwiesen. Wo die telefonische Hilfe nicht ausreicht, erfolgt e<strong>in</strong>e Überweisung an<br />

psychologische oder psychiatrische Fachkräfte. S<strong>in</strong>d K<strong>in</strong>der betroffen, dann wird der<br />

E<strong>in</strong>bezug des Telefon-Notrufs Nr. 143 dr<strong>in</strong>gend empfohlen, e<strong>in</strong>schliesslich die Zuweisung an<br />

k<strong>in</strong>derpsychologische oder k<strong>in</strong>derpsychiatrische Fachkräfte.<br />

Zur Umsetzung des vorliegenden Konzeptes muss auf den verschiedenen Stufen Schulung<br />

erfolgen, Informationsmaterial bereit gestellt und der Vollzug der Beschlüsse permanent<br />

durch e<strong>in</strong>e kantonale Koord<strong>in</strong>ationsgruppe begleitet werden. Die zur Realisierung der<br />

Psychiatrie <strong>in</strong> ausserordentlichen Lagen und Psychotraumatologie erforderlichen F<strong>in</strong>anzmittel<br />

sollen <strong>in</strong> den entsprechenden Staatskonti e<strong>in</strong>gestellt werden.<br />

Dieses Konzept ersetzt das Konzept Psychiatrie im KSD vom 18.11.1992.<br />

1. E<strong>in</strong>leitung<br />

Sanitätsdienstliche Ereignisse, die über das alltägliche Mass oder über bisherige Erfahrungen<br />

h<strong>in</strong>ausgehen, haben starke psychische Reaktionen bei den Betroffenen zur Folge. Solche<br />

Verhaltensweisen s<strong>in</strong>d normale Reaktionen von Menschen auf ausserordentliche Ereignisse.<br />

Bei den Betroffenen (Direktbetroffene, Helfer, Dritte) gehen diese Reaktionen zum Teil <strong>in</strong><br />

psychische Störungen über, die zudem zur Chronifizierung neigen. Derartige psychische<br />

Reaktionen treten <strong>in</strong> ausserordentlichen Lagen bei besonders vielen Menschen auf.<br />

Frühzeitige Hilfe kann die Zahl solcher Störungen relevant verm<strong>in</strong>dern.<br />

Als ausserordentliche Lagen werden nach dem geltenden Konzept des Koord<strong>in</strong>ierten<br />

Sanitätsdienstes (KSD) Ereignisse bezeichnet, die mit dem alltäglichen, ordentlichen<br />

Gesundheits- und Rettungswesen nicht mehr bewältigt werden können und zusätzliche<br />

Massnahmen erfordern. Entsprechend müssen Organisationsvorgaben bestehen, welche<br />

aussagen, wie den Betroffenen die notwendige Hilfe vermittelt werden kann.<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 106


Die Behandlung und Versorgung der Bevölkerung muss <strong>in</strong> Bezug auf psychische<br />

Erkrankungen nach den anerkannten Pr<strong>in</strong>zipien schon geregelt se<strong>in</strong>, bevor der KSD zum<br />

Tragen kommt.<br />

Im Inland (z.B. Luzern, St. Gallen, Waadt, Zürich) wie auch im Ausland führten diese<br />

Erkenntnisse dazu, dass spezielle Organisationen, Konzepte oder Strukturen geschaffen<br />

wurden oder im Entstehen begriffen s<strong>in</strong>d, um den aktuellen Erkenntnissen über die<br />

Psychotraumatologie gerecht zu werden.<br />

Bei ausserordentlichen Ereignissen spielt es für die e<strong>in</strong>zelnen Betroffenen ke<strong>in</strong>e Rolle, wie<br />

viele Andere zusätzlich <strong>in</strong>volviert s<strong>in</strong>d. D.h. e<strong>in</strong>e schwere Verletzung e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>zelnen<br />

Menschen kann die gleichen psychischen Reaktionen hervorrufen, wie wenn gleichzeitig<br />

zahlreiche Menschen solche Verletzungen erfahren. Unterschiedlich s<strong>in</strong>d aber die<br />

organisatorischen Anforderungen zu deren Bewältigung, und zwar je nach Grösse des<br />

Ereignisses.<br />

Das vorliegende Konzept ergänzt die e<strong>in</strong>gespielten Abläufe bei ausserordentlichen<br />

Ereignissen um jene Strukturen, die notwendig s<strong>in</strong>d für e<strong>in</strong>e angemessene Betreuung der<br />

psychisch traumatisierten Menschen.<br />

2. Gesetzliche Grundlagen<br />

Kanton Aargau:<br />

Gesetz über Katastrophenhilfe und Bevölkerungsschutz (KBG) vom 18.1.1983,<br />

revidiert am 25.11.1998<br />

Verordnung über Katastrophenhilfe und Bevölkerungsschutz (KBG) vom 18.1.1983,<br />

revidiert am 25.11.1998<br />

Spitalkonzeption 2005 vom 20. April 1994<br />

Sanitätsdienstliches Katastrophenbewältigungskonzept vom Dezember 1992<br />

Rettungskonzept ”Das Aargauische Rettungswesen 2005” vom November 1995<br />

Bund:<br />

Konzept Koord<strong>in</strong>ierter Sanitätsdienst KSD 1996 vom 26. März 1997<br />

Behelf 59.30 der Schweizer Armee: Kriegs- und Katastrophenpsychiatrie vom 1.7.1990 (<strong>in</strong><br />

Revision)<br />

3. Zielsetzung<br />

Bestmögliche sanitätsdienstliche Versorgung von Menschen mit psychischen Reaktionen,<br />

Bee<strong>in</strong>trächtigungen oder Krankheiten während oder als Folge ausserordentlicher Situationen<br />

oder Ereignisse zu jeder Zeit. Dies gilt unabhängig vom Ausmass des Ereignisses.<br />

4. Ausgangslage<br />

Zwei Arbeitsgruppen befassten sich mit verschiedenen Aspekten zum gleichen Oberthema im<br />

Kanton Aargau:<br />

Der Chef Psychiatrischer Dienst im Kantonalen Führungsstab (KFS) erhielt vom Chef der<br />

Abteilung Zivile Verteidigung und Vorsitzenden des KFS den Auftrag, das nicht mehr<br />

aktuelle Konzept Psychiatrie im KSD den veränderten Verhältnissen anzupassen und e<strong>in</strong>e<br />

zeitgemässe Version vorzuschlagen. Dieses neue ”Konzept Psychiatrie <strong>in</strong> ausserordentlichen<br />

Lagen” wurde von e<strong>in</strong>er Arbeitsgruppe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e def<strong>in</strong>itive Form gebracht und <strong>in</strong> Absprache mit<br />

der Vorsteher<strong>in</strong> des Gesundheitsdepartementes allen <strong>in</strong>teressierten und beteiligten Personen<br />

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und Organisationen zur Vernehmlassung zugestellt. Die Rückmeldungen waren generell<br />

positiv.<br />

Diese Arbeitsgruppe setzte sich zusammen aus:<br />

H. Erne, Sachbearbeiter, Abteilung Zivile Verteidigung, GD<br />

Dr. U. Fromm, Chefarzt Externer Psychiatrischer Dienst, GD<br />

Dr. M. Roth, Kantonsarzt, Aarau, GD<br />

H. Schenker, Adjunkt des Kantonsärztlichen Dienstes, GD<br />

E<strong>in</strong>e weitere Arbeitsgruppe aus <strong>in</strong>teressierten Fachleuten erarbeitete 1997 e<strong>in</strong><br />

”Psychotraumakonzept” und stellte dieses 1998 der Departementsvorsteher<strong>in</strong> vor. In der<br />

Folge beauftragte diese e<strong>in</strong>e erweiterte Arbeitsgruppe, e<strong>in</strong>en Bericht ”Psychotraumatologische<br />

Versorgung akut psychisch traumatisierter Menschen im Kanton Aargau” zu erarbeiten und<br />

vorzulegen. Diese Arbeitsgruppe setzte sich zusammen aus:<br />

D. Jerosch, Jurist<strong>in</strong>, Rechtsdienst, GD<br />

Chr. Burkard, Leiter Opferhilfestelle Aargau, Aarau<br />

F. Frehner, Leiter Polizeischule, Kantonspolizei Aargau, Aarau<br />

Dr. U. Fromm, Chefarzt Externer Psychiatrischer Dienst, GD<br />

K. Meier, Fachexperte, Aarg. Versicherungsamt, Abt. Feuerwehrwesen, Aarau<br />

M. R<strong>in</strong>dlisbacher, Pikettchef Feuerwehr Wohlen<br />

B. Tautenhahn, Chef Abt. Berufs- und Studienberatung, ED<br />

Dr. J. Unger-Köppel, Chefarzt K<strong>in</strong>der- u. Jugendpsychiatrischer Dienst, GD, Präsident<br />

K. Vilen, Leiter Rettungsdienst Spital Zof<strong>in</strong>gen, GD<br />

U. Wüthrich, Leiter ‘Die Dargebotene Hand’, Aarau<br />

Zusätzlich wurde im Verlauf der Arbeit Frau Y. Arcari-Vilen, Leiter<strong>in</strong> der Sanitätsnotruf-<br />

E<strong>in</strong>satzleitstelle ELS 144, des Kantons Aargau, zur Mitarbeit e<strong>in</strong>geladen.<br />

Nach Abschluss der Arbeiten dieser zweiten Arbeitsgruppe wandte sich der reformierte<br />

Kirchenrat an die Vorsteher<strong>in</strong> des Gesundheitsdepartementes. Dies im Zusammenhang mit<br />

der Interpellation Doris Fischer-Täschler, Seengen, vom 30. Juni 1998 betreffend<br />

Unfalldispositiv für akut Traumatisierte im Aargau. In der Folge suchte der Präsident der<br />

Arbeitsgruppe zusammen mit Herrn Pfarrer Ott als Vertreter der evangelisch-reformierten und<br />

römisch-katholischen Landeskirchen im Kanton Aargau nach möglichen Synergie-Effekten,<br />

welche schliesslich <strong>in</strong> das vorliegende Konzept <strong>in</strong>tegriert wurden.<br />

Durch Quer<strong>in</strong>formationen zwischen den beiden Arbeitsgruppen und Koord<strong>in</strong>ation der<br />

jeweiligen Aufträge gelang es schliesslich, das Ganze <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>zigen Bericht<br />

zusammenzufassen, was auch die Zustimmung der Departementsvorsteher<strong>in</strong> fand.<br />

5. Psychotraumatologie<br />

Die Konfrontation mit Situationen, die mit Tod oder Androhung des Todes, schweren<br />

Verletzungen oder anderer Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit e<strong>in</strong>hergehen, löst bei<br />

Direkt-betroffenen, Zeugen und engsten Angehörigen Ängste, Hilflosigkeit und Entsetzen<br />

aus. Dies kann entweder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e andauernde Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma<br />

verbunden s<strong>in</strong>d und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Abflachung des allgeme<strong>in</strong>en Lebenswillens bis zur ausgeprägten<br />

Depression übergehen, oder <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e unbeherrschbare Unruhe, verbunden mit<br />

Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen (mit Angstträumen) und sich immer wieder<br />

aufdrängenden, <strong>in</strong>nerlich ablaufenden Bildern über das Ereignis münden. Als Folge solcher<br />

psychischer Störungen kommt es bei K<strong>in</strong>dern und Erwachsenen zum Versagen im Alltag,<br />

<strong>in</strong>sbesondere <strong>in</strong> Schule und Beruf. Dies trägt weiter zur Chronifizierung bei. Solche<br />

Entwicklungen lassen sich verm<strong>in</strong>dern, wenn die Betroffenen über die akuten Reaktionen<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 108


genügend <strong>in</strong>formiert s<strong>in</strong>d und erfahren, welches Verhalten längerfristige Störungen<br />

verh<strong>in</strong>dern kann. Die Helfer an der Front (Feuerwehr, Polizei, Sanität) müssen deshalb richtig<br />

geschult se<strong>in</strong>, um diese Informationen effizient vermitteln zu können. Mit Hilfe dieser<br />

Informationen sollte e<strong>in</strong> Grossteil der Erwachsenen <strong>in</strong> der Lage se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> entscheidenden<br />

Situationen das Richtige zu tun. Wo nötig, sollten ihnen kurzfristig Hilfen durch<br />

psychologisch oder psychiatrisch ausgebildete Personen zur Verfügung gestellt werden. S<strong>in</strong>d<br />

K<strong>in</strong>der betroffen, braucht es meist e<strong>in</strong>e gezielte Beratung der Eltern durch<br />

k<strong>in</strong>derpsychologisch oder k<strong>in</strong>derpsychiatrisch geschulte Fachkräfte, wie mit diesen K<strong>in</strong>dern<br />

umzugehen ist.<br />

Auch das Personal der Ereignisdienste (Feuerwehr, Polizei, Sanität) an der Front wird durch<br />

die E<strong>in</strong>sätze <strong>in</strong> der Regel sehr stark belastet. Die Leute benötigen ebenfalls e<strong>in</strong>erseits<br />

Schulung, wie sie selbst mit den Belastungen umgehen können und andererseits leicht<br />

zugängliche psychologische oder psychiatrische Fachhilfe, falls sie alle<strong>in</strong>e mit dem Erlebten<br />

nicht mehr fertig werden. Wahrsche<strong>in</strong>lich ist der Ausstieg aus sanitätsdienstlichen Berufen<br />

vielfach auf chronische psychische Traumatisierung ohne adäquate Hilfe zurückzuführen.<br />

In ausserordentlichen Situationen können die schon vor dem Ereignis psychisch kranken oder<br />

beh<strong>in</strong>derten Menschen besonders leicht überfordert und gefährdet se<strong>in</strong>. Solche Personen<br />

bedürfen deshalb e<strong>in</strong>er speziellen Betreuung. Deshalb müssen die <strong>in</strong> diesem Feld tätigen<br />

Institutionen über e<strong>in</strong> entsprechendes Katastrophendispositiv verfügen.<br />

6. Konzept<br />

6.1 Kle<strong>in</strong>e Ereignisse<br />

Das Personal der Ereignisdienste (Feuerwehr, Polizei, Sanität), welches E<strong>in</strong>sätze an Ort und<br />

Stelle leistet, soll so geschult se<strong>in</strong>, dass es Betroffenen und Angehörigen <strong>in</strong> kurzen Sätzen<br />

vermitteln kann, dass sie <strong>in</strong> der Folge Reaktionen erleben können, die bekannt s<strong>in</strong>d und auch<br />

wieder verschw<strong>in</strong>den können. Weiter soll es sie <strong>in</strong>formieren, dass die Betroffenen zu jeder<br />

Zeit Hilfe via Telefon-Nr. 143 erwarten können. Die Helfer und Helfer<strong>in</strong>nen geben den<br />

Betroffenen und ihren Angehörigen auf dem Schadenplatz e<strong>in</strong>e schriftliche Information ab,<br />

die diese Inhalte zum Verständnis der psychischen Störungssituation nochmals wiedergibt.<br />

Dauert der Aufenthalt an der Schadenstelle länger, weil dies die Umstände so bed<strong>in</strong>gen, so<br />

kann für die Betreuung der Betroffenen und ihrer Angehörigen an Ort und Stelle Hilfe durch<br />

die <strong>in</strong>struierten Fachkräfte der Landeskirchen angefordert werden. Diese vermitteln den<br />

Betroffenen <strong>in</strong> den ersten Stunden Zuwendung und Ruhe an e<strong>in</strong>em sicheren Ort. In speziellen<br />

Fällen kann auf den Notfalldienst der Psychiatrischen Dienste für K<strong>in</strong>der, Jugendliche und<br />

Erwachsene zurück gegriffen werden.<br />

Sobald Menschen den Ereignisplatz verlassen haben, müssen sie über die Gewissheit<br />

verfügen, dass sie zu jeder Zeit weitere Hilfe via die Telefon-Nr. 143 erwarten können. Dort<br />

erfolgt entweder e<strong>in</strong>e telefonische Beratung oder die Weiterweisung an e<strong>in</strong>e entsprechende<br />

Fachstelle. Es wird davon ausgegangen, dass körperlich unversehrte Erwachsene durch<br />

Angehörigenhilfe, Kurz<strong>in</strong>formationen, welche sie von den Helfern erhalten haben, und mit<br />

Hilfe des allgeme<strong>in</strong>en Wissens der Bevölkerung mit den Ereignissen angemessen umzugehen<br />

verstehen. In die Vermittlung des allgeme<strong>in</strong>en Wissens sollen <strong>in</strong>sbesondere auch die Medien<br />

e<strong>in</strong>gebunden werden, die bereits zunehmend <strong>in</strong> dieser Richtung aktiv s<strong>in</strong>d. Falls K<strong>in</strong>der<br />

beteiligt s<strong>in</strong>d, sollen die psychotraumatologisch geschulten Ereignisdienste (Feuerwehr,<br />

Polizei, Sanität) den Eltern oder Erziehungsverantwortlichen dr<strong>in</strong>gend raten, über die Kurz-<br />

Nr. 143 e<strong>in</strong>e erste Beratung <strong>in</strong> Anspruch zu nehmen, wie mit den betroffenen K<strong>in</strong>dern<br />

umzugehen ist. Auf diese Weise kann die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit späterer psychischer Störungen<br />

reduziert werden. Auch Lehrkräfte für Aus- und Weiterbildung sollen für die psychischen<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 109


Folgen von Traumen sensibilisiert werden und <strong>in</strong>formiert se<strong>in</strong>, wo den K<strong>in</strong>dern und<br />

Jugendlichen Hilfe angeboten werden kann.<br />

Verletzte werden mediz<strong>in</strong>isch betreut. Das mediz<strong>in</strong>ische Personal muss ebenfalls ergänzend<br />

geschult se<strong>in</strong>, um die fortgesetzte psychische Betreuung der Betroffenen sicherzustellen und,<br />

wo nötig, gezielte spezialisierte psychiatrische oder seelsorgerische Hilfe an das Krankenbett<br />

rufen.<br />

Die bisherigen Aspekte des Konzeptes beziehen sich auf die vom Ereignis Betroffenen und<br />

ihre Angehörigen. Aber auch das Personal der Ereignisdienste (Feuerwehr, Polizei, Sanität)<br />

zeigt oft selbst psychische Reaktionen auf e<strong>in</strong> Ereignis. Deshalb sollen die<br />

Führungsverantwortlichen der <strong>in</strong>dividuellen Ereignisdienste dafür besorgt se<strong>in</strong>, dass ihre<br />

Leute die nötige psychologische Nachbearbeitung durchführen, und diese dabei auch<br />

unterstützen. Wo nötig vermitteln sie ihnen den Kontakt zu zusätzlicher psychologischer oder<br />

psychiatrischer Unterstützung. Die Dienste helfen sich gegebenenfalls auch gegenseitig bei<br />

der Nachbearbeitung.<br />

6.2 Grosse Ereignisse<br />

Die Fachleute, welche psychisch erkrankte und beh<strong>in</strong>derte Menschen im Alltag behandeln<br />

und betreuen, nehmen ihre Aufgabe auch <strong>in</strong> ausserordentlichen Lagen wahr. Die<br />

E<strong>in</strong>richtungen der psychiatrischen Alltagsangebote s<strong>in</strong>d demzufolge so lange wie möglich<br />

nach den Pr<strong>in</strong>zipien der Individualmediz<strong>in</strong> weiter zu betreiben. D.h., das Psychiatrie-<br />

Fachpersonal nimmt sich auch jener Menschen an, die e<strong>in</strong>e psychische Reaktion oder<br />

Bee<strong>in</strong>trächtigung durch e<strong>in</strong> ausserordentliches Ereignis oder e<strong>in</strong>e ‘posttraumatische<br />

Belastungsstörung‘ erleiden.<br />

Im Falle notwendiger stationärer E<strong>in</strong>weisungen s<strong>in</strong>d die Patient<strong>in</strong>nen und Patienten so zu<br />

verlegen, dass ihre Behandlung und Betreuung unter Bed<strong>in</strong>gungen, die möglichst der<br />

ordentlichen Lage entsprechen, durchgeführt werden können.<br />

Wird e<strong>in</strong>e Sanitätshilfestelle (San Hist) e<strong>in</strong>gerichtet, so muss das sanitätsdienstliche<br />

Fachpersonal der Triagestelle auch die korrekten Entscheide bezüglich psychischer Leiden<br />

fällen können. Übergeordnet gilt der Patientenweg des KSD (Endbehandlung im Basisspital).<br />

Der Chef Psychiatrischer Dienst bzw. die von ihm delegierte Dienststelle des Kantonalen<br />

Führungsstabes (KFS) kommt zum E<strong>in</strong>satz, wenn e<strong>in</strong>e überregionale Koord<strong>in</strong>ation notwendig<br />

wird. Notwendige E<strong>in</strong>weisungen <strong>in</strong> Kl<strong>in</strong>iken und Spitäler oder Verlegungen von<br />

Psychiatriepatienten werden durch ihn <strong>in</strong> enger Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen<br />

dieser Häuser im Kanton, bei Bedarf auch ausserkantonal, nach den geltenden KSD-<br />

Pr<strong>in</strong>zipien koord<strong>in</strong>iert.<br />

Die Psychiatrische Kl<strong>in</strong>ik Königsfelden ist das psychiatrische Spital des Kantons Aargau für<br />

alle ausserordentlichen Lagen.<br />

Der sanitätsdienstliche Raum Muri arbeitet auch mit dem Psychiatrischen Basisspital<br />

Oberwil/ZG, der Raum Rhe<strong>in</strong>felden mit Liestal/BL und der Raum Zof<strong>in</strong>gen mit St. Urban/LU<br />

zusammen.<br />

6.3 Umsetzung<br />

E<strong>in</strong>e kantonale Koord<strong>in</strong>ationsgruppe begleitet und koord<strong>in</strong>iert die Umsetzung des<br />

vorliegenden Konzeptes. Sie sorgt für Standards, sie unterhält e<strong>in</strong>e Liste von Ausbildnern und<br />

Fachpersonal, auf die bei Bedarf zurückgegriffen werden kann, und sie stellt das<br />

Informations- und Dokumentationsmaterial zur Verfügung. Sie sorgt für die permanente<br />

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Information der Bevölkerung <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit den Medien des Kantons und ist<br />

Plattform bzw. Referenz-Stelle, welche das Gesundheitsdepartement und die Stellen des<br />

öffentlichen Gesundheitswesens sowie die Organe des KFS berät und unterstützt.<br />

7. Organisation<br />

Entsprechend der geltenden Katastrophenorganisation des Kantons Aargau verschaffen sich<br />

die ersten auf dem Schadenplatz e<strong>in</strong>treffenden Dienste e<strong>in</strong>en Überblick über die Situation.<br />

Dann werden entsprechende Ressourcen bis h<strong>in</strong> zum Kantonalen Führungsstab<br />

(Zwiebelschalenpr<strong>in</strong>zip) aktiviert. Diese Abläufe s<strong>in</strong>d gut e<strong>in</strong>gespielt und funktionieren zur<br />

allseitigen Zufriedenheit. Neu sollen <strong>in</strong> Zukunft durch die Ereignisdienste selbst die e<strong>in</strong>fachen<br />

psychotraumatologischen Informationen an die Betroffenen durch e<strong>in</strong>e kurze Instruktion mit<br />

Abgabe von entsprechendem Informationsmaterial kommuniziert werden.<br />

Bei e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>eren Ereignis, das e<strong>in</strong>e länger dauernde Präsenz der Ereignispartner an Ort<br />

und Stelle erfordert, kann via Telefon-Nr. 143 die Unterstützung der Anwesenden durch das<br />

speziell geschulte Personal der Landeskirchen herbeigerufen werden.<br />

Bei Grossereignissen übernimmt der Kantonale Führungsstab auch Leitung und Koord<strong>in</strong>ation<br />

der psychologischen, psychiatrischen und seelsorgerischen Fachkräfte.<br />

Nach e<strong>in</strong>em akuten Ereignis stehen für alle Betroffenen und ihre Angehörigen Information,<br />

Beratung und Weiterleitung an psychologische, psychiatrische oder <strong>seelsorgerliche</strong><br />

Fachkräfte durch die Telefon-Nr. 143 zur Verfügung. Die e<strong>in</strong>gesetzten Dienste, bei<br />

Grossereignissen zusätzlich auch Zivilschutz und allenfalls Militär, organisieren nach dem<br />

Ereignis die psychologische Nachbearbeitung <strong>in</strong> eigener Verantwortung.<br />

S<strong>in</strong>d K<strong>in</strong>der oder ihre Eltern Opfer e<strong>in</strong>es Geschehens, dann werden die Eltern oder<br />

Erziehungsverantwortlichen durch die beteiligten Ereignisdienste dr<strong>in</strong>glich aufgerufen, mit<br />

der Telefon-Notrufnummer 143 Kontakt aufzunehmen. E<strong>in</strong>e grosszügige Indikation zur<br />

k<strong>in</strong>derpsychologischen oder k<strong>in</strong>derpsychiatrischen Betreuung ist hier angezeigt, weil die<br />

Angehörigen oft durch die eigene Betroffenheit wesentlichen Bedürfnissen von K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong><br />

solchen Situationen nicht gerecht werden können.<br />

8. Massnahmen zur Umsetzung des Konzeptes<br />

8.1 Die Ereignisdienste (Feuerwehr, Polizei, Sanität) müssen h<strong>in</strong>reichend ausgebildet<br />

werden, um die Betroffenen und deren Angehörige kurz und wirksam <strong>in</strong>formieren zu können.<br />

Die Führungskräfte der Ereignisdienste müssen deshalb ihre Mitarbeiter<strong>in</strong>nen und Mitarbeiter<br />

entsprechend schulen. Weiter müssen sie <strong>in</strong> der Lage se<strong>in</strong>, die psychologische<br />

Nachbearbeitung (Defus<strong>in</strong>g) <strong>in</strong>itiieren und begleiten zu können. Dafür braucht es e<strong>in</strong>e gezielte<br />

Ausbildung. Später soll e<strong>in</strong>e Supervision möglich se<strong>in</strong>.<br />

8.2 Die Seelsorger<strong>in</strong>nen und Seelsorger der Landeskirchen müssen für ihre Aufgabe<br />

speziell ausgebildet und von ihren Kirchgeme<strong>in</strong>den/Pfarreien für die Notfalle<strong>in</strong>sätze zur<br />

Verfügung gestellt werden. Beabsichtigt ist dabei e<strong>in</strong>e möglichst breite und flächendeckende<br />

Verteilung dieser Unterstützungskräfte über den ganzen Kanton.<br />

8.3 Die Telefon-Notruf-Nr. 143 braucht e<strong>in</strong>e Schulung für telefonische Erst<strong>in</strong>tervention<br />

bei psychotraumatologischen Fällen von K<strong>in</strong>dern und Erwachsenen. Die Kurz-Nr. 143 muss<br />

jederzeit auf die k<strong>in</strong>der- und erwachsenenpsychiatrischen Notfalldienste zurückgreifen<br />

können. Der Zugang zu der unter 8.4 beschriebenen Gruppe muss ebenfalls möglich se<strong>in</strong>. Die<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 111


Telefon-Nr. 143 kann den Kontakt zum seelsorgerischen Notfalldienst am Ereignisort<br />

vermitteln.<br />

8.4 Die Akutspitäler im Kanton müssen angewiesen werden, ihr Personal und die<br />

Spitalseelsorger<strong>in</strong>nen und Seelsorger <strong>in</strong> den Grundzügen der Psychotraumatologie zu schulen<br />

und k<strong>in</strong>der- und erwachsenenpsychiatrische Ressourcen bereitzustellen, um e<strong>in</strong>gewiesene<br />

Patienten betreuen zu können.<br />

8.5 Im Kanton muss e<strong>in</strong>e Gruppe von k<strong>in</strong>der- und erwachsenenpsychologisch und<br />

psychiatrisch geschulten Fachkräften gebildet werden, die über die nötige Ausbildung und<br />

Flexibilität verfügt, <strong>in</strong>nerhalb von 48 Stunden die geeigneten Interventionen anzubieten. Aus<br />

dieser Gruppe sollen die Ausbildner<strong>in</strong>nen und Ausbildner für die Ereignisdienste und Spitäler<br />

rekrutiert werden. Für jene Menschen, die e<strong>in</strong>e seelsorgerische Betreuung suchen, kann auf<br />

den Pikettdienst der Spitalpfarrämter zurückgegriffen werden.<br />

8.6 Mit den Medien im Kanton (Presse, Radio, Fernsehen) muss e<strong>in</strong>e Kooperation<br />

e<strong>in</strong>gegangen werden, um die Bevölkerung regelmässig über die verschiedenen Aspekte der<br />

Psychotraumatologie zu <strong>in</strong>formieren.<br />

8.7 Schriftliche Informationen zur Abgabe an die Betroffenen s<strong>in</strong>d durch die<br />

Ereignisdienste bereitzustellen.<br />

8.8 E<strong>in</strong>e kantonale Koord<strong>in</strong>ationsgruppe begleitet den Vollzug des vorliegenden<br />

Konzeptes. Sie evaluiert die Mittel und stellt die Informationen und die Detailkonzepte zur<br />

Verfügung.<br />

9. Kosten, F<strong>in</strong>anzierung<br />

Die Schulung der Ereignisdienste wird über die ordentlichen Weiterbildungskonti der<br />

auszubildenden Organe f<strong>in</strong>anziert.<br />

Die Kosten für das schriftliche Informationsmaterial werden auf dem ordentlichen Budgetweg<br />

beantragt (im Jahr 2000 " Fr. 10'000.--, anschliessend weniger).<br />

Im Weiteren beantragen die beiden Landeskirchen zusammen für die Ausbildung ihrer<br />

Mitarbeiter<strong>in</strong>nen und Mitarbeiter für diese E<strong>in</strong>sätze e<strong>in</strong>en erstmaligen Beitrag von Fr. 8'000.--<br />

und später e<strong>in</strong>en jährlichen Weiterbildungsbeitrag von Fr. 5'000.--.<br />

Zur Bewältigung der zusätzlichen Aufgaben, welche der Dargebotenen Hand (Tel Nr. 143)<br />

aus dem vorliegenden Konzept erwachsen, soll dieser e<strong>in</strong> jährlicher Zusatzbeitrag von Fr.<br />

10'000.--zugesprochen werden. Dementsprechend soll die bestehende Budgetposition im<br />

Staatskonto 5252.00.3656.04 (Dargebotene Hand u. andere) ab dem Jahre 2000 zur<br />

Abgeltung dieser Aufgaben um diesen zusätzlichen Kredit erweitert werden.<br />

Die Behandlung der Betroffenen und ihrer Angehörigen verursacht kurzfristig Kosten im<br />

Gesundheitswesen, die bei geeigneter Indikation über die Krankenversicherer abgerechnet<br />

werden können. In denjenigen Fällen, wo e<strong>in</strong>e Straftat im S<strong>in</strong>ne des Opferhilfegesetzes<br />

vorliegt, kann e<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>anzierung über die Opferhilfe geprüft werden. Längerfristig sollten<br />

auch E<strong>in</strong>sparungen zu erwarten se<strong>in</strong>, weil chronische Fälle seltener werden.<br />

Therapien, die durch nichtärztliche Psychotherapeut<strong>in</strong>nen und -therapeuten durchgeführt<br />

werden, s<strong>in</strong>d analog den anderen durch diese Personen durchgeführten Behandlungen zu<br />

vergüten.<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 112


ANTRAG<br />

1.<br />

Der Regierungsrat nimmt zustimmend Kenntnis vom vorliegenden Konzept Psychiatrie <strong>in</strong><br />

ausserordentlichen Lagen und Psychotraumatologie und setzt dieses per 1.1.2000 an Stelle<br />

des Konzeptes Psychiatrie im KSD vom 18.11.1992 <strong>in</strong> Kraft.<br />

2.<br />

Der Regierungsrat beauftragt das Gesundheitsdepartement mit dem Vollzug des Konzeptes<br />

Psychiatrie <strong>in</strong> ausserordentlichen Lagen und Psychotraumatologie.<br />

3.<br />

Zur Realisierung des Konzeptes Psychiatrie <strong>in</strong> ausserordentlichen Lagen und<br />

Psychotraumatologie s<strong>in</strong>d im Staatskonto 5252.00.3656.04 (Dargebotene Hand u. andere) für<br />

die Jahre 2000, 2001, 2002 und 2003 jeweils Fr. 10'000-- für diese zusätzlichen Aufgaben<br />

e<strong>in</strong>zustellen.<br />

4.<br />

Zur Realisierung des Konzeptes Psychiatrie <strong>in</strong> ausserordentlichen Lagen und<br />

Psychotraumatologie s<strong>in</strong>d die notwendigen Mittel für die Beiträge an die Landeskirchen und<br />

das schriftliche Informationsmaterial e<strong>in</strong>zustellen.<br />

Aarau, 6. Juli 1999<br />

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ANHANG II<br />

SCHULUNGSKONZEPT DARGEBOTENE HAND<br />

Konzeptvorschlag von Ueli Wüthrich und Schulungs<strong>in</strong>halte für die Dargebotene Hand (Aug.<br />

2000)<br />

Traumatisierung – Ihre Gründe und Folgen<br />

Begriffsklärung<br />

1. Naturgewalten<br />

2. menschliche verursachte Gewalt<br />

Folgen der Gewalt<br />

• Traumasymptome<br />

• Verlust an Sicherheit und Selbstwert<br />

• S<strong>in</strong>nkrisen<br />

Erklärungsmodelle für Entstehung PTBS<br />

• lerntheoretisch: Furchtstruktur<br />

• biologisch: Stresshormonveränderungen usw.<br />

• multifaktoriell (sh. Schema)<br />

Aufgabe der DH<br />

Situation der Anrufenden<br />

• Angst/Unsicherheit<br />

• Wenig Vertrauen <strong>in</strong> sich und Andere<br />

• evt. PTBS-Hyperassoziation/Hyperdissoziation<br />

• evtl. Aktivierung alter Traumata<br />

Grundsätze<br />

1. Tel 143 ist e<strong>in</strong>e Erstanlaufstelle und hat e<strong>in</strong> rückwärtiges Netz<br />

2. Es gelten die gleiche Haltung und e<strong>in</strong> ressourceorientiertes Vorgehen.<br />

3. Alles, was wir tun muss <strong>in</strong>nerhalb unserer Kontrolle liegen<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 114


Gespräche mit Opfern/Debrief<strong>in</strong>g am Telefon<br />

Sicherheit vermitteln<br />

⇒ Rapport<br />

⇒ Gegenwärtiges Umfeld abfragen:<br />

Wo s<strong>in</strong>d Sie?<br />

Wie steht es mit den elementaren Bedürfnissen?<br />

Es geht darum, die Sicherheit der Anrufenden ernstzunehmen. Aussagen darüber können<br />

später bei Informieren wieder aufgenommen werden.<br />

Reden ermöglichen<br />

⇒ Darüber reden hilft (Schweigen durchbrechen)<br />

⇒ E<strong>in</strong>ordnen durch Erzählen der Geschichte<br />

⇒ Kognitives von Emotionalem trennen<br />

Informieren<br />

⇒ Symptome s<strong>in</strong>d verständliche Reaktionen auf aussergewöhnliche Situation<br />

⇒ Betonen, wie wichtig Essen, Tr<strong>in</strong>ken, Schlafen und e<strong>in</strong> geregelter Tagesablauf s<strong>in</strong>d.<br />

⇒ Auf Problematik von Suchtmitteln (Alkohol, Nikot<strong>in</strong>, Kaffee usw.) h<strong>in</strong>weisen.<br />

⇒ es gibt (weitere )Hilfe<br />

Ressourcen ansprechen<br />

⇒ personelle Ressourcen (Angehörige, Vertrauenspersonen)<br />

⇒ Aufgaben, die befriedigen (Arbeit, Familie usw.)<br />

„Ich werde gebraucht“ Es gibt noch e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n<br />

⇒ Gute Er<strong>in</strong>nerungen aus der Zeit vor dem Ereignis<br />

Planen<br />

⇒ Was werden Sie als nächstes tun?<br />

⇒ wie werden Sie sich Hilfe holen? Was brauchen Sie?<br />

⇒ Wie strukturieren Sie ihren Tagesablauf?<br />

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ANHANG III<br />

AUFGEBOTSFORMULAR DARGEBOTENE HAND<br />

Formularentwurf zur Informationsübermittlung bei der Dargebotenen Hand.<br />

Aufgebot zur Betreuung psychotraumatisierter Personen<br />

Datum / Zeit des Anrufe<strong>in</strong>gangs<br />

NAME UND TELEFONNUMMER DES/DER<br />

ANRUFENDEN<br />

(Wer ruft an?)<br />

Ereignis<br />

(Was ist geschehen?)<br />

Ortschaft<br />

(Wo ist das Ereignis geschehen?)<br />

Anzahl zu betreuende Personen<br />

(Wie viele Personen s<strong>in</strong>d zu<br />

betreuen?)<br />

Spezielle Sprachkenntnisse<br />

(Welche Sprachkenntnisse s<strong>in</strong>d für die<br />

Betreuung notwendig?)<br />

Rückmeldestelle: Name,<br />

Telefonnummer<br />

(Bei wem muss sich der/die<br />

Betreuer/<strong>in</strong> melden?)<br />

Übermittlung<br />

(Wer hat bei der DH die Meldung<br />

entgegengenommen und ausgeführt?)<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 116


ANHANG IV<br />

MELDEFORMULAR EINSATZ „BETREUUNG“<br />

MELDUNG EINSATZ „BETREUUNG“<br />

Angaben zur betreuten Person<br />

Name:<br />

Adresse:<br />

PLZ:<br />

Vorname:<br />

Telefon:<br />

Wohnort:<br />

Muttersprache: ❏ m ❏ w ❏ K<strong>in</strong>d ❏ Erwachsene/r, Alter ca:<br />

Staatszugehörigkeit:<br />

PLS-Nummer:<br />

Datum der Betreuung: Betreuungsdauer: von bis Uhr<br />

Ereignis:<br />

E<strong>in</strong>satzort:<br />

zuweisende Stelle:<br />

während der Betreuung<br />

wurden über den<br />

Aufenthaltsort der<br />

Person(en) und das<br />

Ereignis <strong>in</strong>formiert:<br />

Name, Adresse, Tel. Nummer:<br />

Name, Adresse, Tel. Nummer:<br />

Entlassen nach<br />

Absprache mit der<br />

E<strong>in</strong>satzleitung am<br />

(Datum, Zeit):<br />

Wo s<strong>in</strong>d Sie <strong>in</strong> den<br />

nächsten 48 Stunden<br />

erreichbar?<br />

Bemerkungen:<br />

❏ nach Hause<br />

❏ Übergabe an Polizei<br />

❏ Übergabe an Sanität<br />

❏ Übergabe an Feuerwehr<br />

❏ Übergabe an Zivilschutz<br />

❏ Übergabe an Arzt<br />

❏ Übergabe an ablösende<br />

Betreuung<br />

❏ Übergabe an Familie /<br />

Bekannte / Freunde<br />

❏ ........................................<br />

Nachbetreuung: Name, Adresse, Tel. Nummer:<br />

ANGABEN ZUM/ZUR BETREUER/IN:<br />

Name:<br />

Vorname:<br />

Adresse:<br />

Telefon:<br />

PLZ:<br />

Wohnort:<br />

Konfession: ❏ RK ❏ REF ❏ CK ❏ JÜD ❏ ISL ❏ PSY ❏ ………<br />

Psychohygiene:<br />

Bemerkungen:<br />

Defus<strong>in</strong>g mit den E<strong>in</strong>satzkräften<br />

gemacht? ❏ Ja ❏ Ne<strong>in</strong><br />

Wunsch:<br />

Debrief<strong>in</strong>g ❏ Ja ❏ Ne<strong>in</strong><br />

❏ .......................................................<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 117


ANHANG V<br />

AUSBILDUNG BETREUER/INNEN<br />

Ökumenische Ausbildung <strong>Notfallseelsorge</strong> 2000<br />

Grundausbildung 1. Tag Montag, 13. Nov. / Dienstag, 14. Nov. im Kantonsspital Aarau<br />

Zeit Thema Inhalte<br />

09:00-09:15 Begrüssung, Vorstellung,<br />

Ablauf<br />

09:15-09:30 Ressourcenübung • Boden legen für die Arbeit,<br />

Eigenerfahrung. Cop<strong>in</strong>g-Mechanismen<br />

• + Ps 23, 6<br />

09:30-10:00 Film • 37° - Retter <strong>in</strong> Not / E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die<br />

Thematik<br />

10:00-10:15 Schutztechniken • lebensnotwendige Schutztechniken, gegen<br />

Burn out, + Eph. 6, 13 ff<br />

10:15-10:45 Pause<br />

10:45-11:30 Psychotraumatologie • Theorie, Schwerpunkt akute Reaktionen<br />

11:30-12:15 Die Wahrnehmungs- • Assoziation, Dissoziation<br />

Positionen<br />

12.15-12:30 Fragen, Diskussion<br />

12:30-14:00 Mittagspause<br />

14:00-14:30 Praktischer Umgang mit<br />

Betroffenen<br />

• Theorie, Eckpfeiler des Umgangs<br />

14:30-15:15 Kle<strong>in</strong>gruppenübung:<br />

Umgang mit Betroffenen<br />

15:15-15:45 Pause<br />

15:45-16:00 Defus<strong>in</strong>g / Debrief<strong>in</strong>g /<br />

Krisen<strong>in</strong>tervention<br />

16:00-16:30 Stressmanagement für<br />

Helfer und Betroffene<br />

16:30-16:45 Fragen, Evaluation<br />

• Umsetzung anhand von 3 häufigen<br />

Stressreaktionen<br />

• Überblick und H<strong>in</strong>tergrund<br />

• Info über und Anleitung zur Selbsthilfe<br />

16:45-17:00 Abschlussübung • Beispiel für e<strong>in</strong>e Beruhigungsmassnahme,<br />

17:00 H<strong>in</strong>weise<br />

Zentrieren<br />

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Grundausbildung 2. Tag Montag, 13. Nov. / Dienstag, 14. Nov. im Kantonsspital Aarau<br />

Zeit Thema Inhalte<br />

09:00-09:15 Begrüssung • Rückblick auf 1. Tag<br />

• Ausblick Tagesprogramm<br />

09:15-09:30 Konzept Kanton Aargau<br />

PSYCHIATRIE IN<br />

AUSSERORDENTLICHEN LAGEN<br />

UND PSYCHOTRAUMATOLOGIE<br />

• Konzept<br />

• Struktur Alarmierung / Aufgebot<br />

• Abgabe Info-Material<br />

09:30-10:00 Organisation „Betreuung“ • E<strong>in</strong>satzmeldeformular<br />

• Entschädigungs-,<br />

Versicherungsmodalitäten<br />

• Autokennzeichnung, Ausweise<br />

• persönliches Defus<strong>in</strong>g / Debrief<strong>in</strong>g<br />

• Änderungen Adressen, Telefon-Nummern<br />

• Niederschwelliger Erste<strong>in</strong>satz<br />

10:15-10:45 Pause<br />

10:45-11:45 Verhalten am Unfallort<br />

Kantonspolizei Aargau<br />

• Struktur e<strong>in</strong>er Schadenplatz-Organisation<br />

• Verhalten an e<strong>in</strong>er Unfallstelle<br />

• Zusammenarbeit mit E<strong>in</strong>satzkräften<br />

• Verb<strong>in</strong>dung zur E<strong>in</strong>satzleitung<br />

11:45-12:30 „E<strong>in</strong>satzleitung Betreuung“ • Aufgaben E<strong>in</strong>satzleitung, wenn mehrere<br />

Betreuer/<strong>in</strong>nen im E<strong>in</strong>satz s<strong>in</strong>d<br />

12:30-14:00 Mittagspause<br />

14:00-15:15 Check-Listen I • Ausrichten e<strong>in</strong>er Todesnachricht<br />

• K<strong>in</strong>der- u. Jugendliche<br />

• Plötzlicher K<strong>in</strong>dstod<br />

• erfolglose Reanimation<br />

• Beten / Krankensalbung<br />

• usw.<br />

• Notfallkoffer<br />

15:15-15:45 Pause •<br />

15:45-17:00 Check-Listen II<br />

Abschluss<br />

• Rückblick auf den 2. Kurstag<br />

• Was hat der Kurs als Ganzes<br />

gebracht/nicht gebracht?<br />

• Weiterbildung 2001: Umgang mit<br />

K<strong>in</strong>dern, weitere Wünsche?<br />

• Diverses<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 119


LITERATURHINWEISE<br />

Abteilung zivile Verteidigung, Zivilschutz und zivile Führungsstäbe im Kanton Aargau, 5.<br />

Auflage, Gesundheitsdepartement des Kantons Aargau, Aarau 1999<br />

Bundesamt für Zivilschutz, E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die psychologische <strong>Nothilfe</strong> (Skript Pilotkurs),<br />

Bundesamt für Zivilschutz, Bern 2000<br />

Cunderlik, D., Katastrophen und ihre Opfer, E<strong>in</strong>e Arbeit im Auftrag der Kantonspolizei<br />

Basel-Stadt, Sem<strong>in</strong>ar für angewandte Psychologie, Zürich 1999<br />

Duden Lexikon, Das Herkunftswörterbuch, Die Etymologie der deutschen Sprache,<br />

Bibliographisches Institut, Mannheim 1963<br />

Ehlers, A., Posttraumatische Belastungsstörung, Hogrefe Verlag, Gött<strong>in</strong>gen 1999<br />

E<strong>in</strong>satzgruppe psychologische Erste Hilfe, Behelf der E<strong>in</strong>satzgruppe psychologische Erste<br />

Hilfe, Kanton St. Gallen, St. Gallen 1999<br />

Evangelisch-katholische Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaft für Verkehrssicherheit; Aktion Bruderhilfe,<br />

<strong>Notfallseelsorge</strong>, e<strong>in</strong>e Handreichung: Grundlegendes – Modelle - Fortbildung – Erfahrungen,<br />

2. Auflage, Texte + Materialien für Gottesdienst und Geme<strong>in</strong>dearbeit zum Thema<br />

Strassenverkehr, 1999<br />

Haefliger, J., Menschliches Reagieren auf Gewalt, Institut für Psychotraumatologie, Zürich<br />

2000<br />

Kotler, P., Bliemel F., Market<strong>in</strong>g-Management, Analyse Planung, Umsetzung und Steuerung,<br />

9. Auflage, Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart 1999<br />

Lasogga, F., Gasch B., Psychische Erste Hilfe bei Unfällen, 2. Auflage, Stumpf & Kossendey<br />

Verlag, Edewecht 2000<br />

Mc Sh<strong>in</strong>e, R., Psychiatrisch-<strong>seelsorgerliche</strong>s Katastrophenmanagement des<br />

Psychiatriezentrums Hard (Notfallplanung Flughafen Zürich / Projekt NOT-Betreuung),<br />

Kurzfassung, Psychiatriezentrum Hard, Embrach 1998<br />

Mitchell, J.; Everly, G., Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen. Zur Prävention<br />

psychischer Traumatisierung, Stumpf & Kossendey Verlag, Edewecht 1998<br />

Perren, G., Debrief<strong>in</strong>g. Erste Hilfe durch das Wort, H<strong>in</strong>tergründe und Praxisbeispiele, Paul<br />

Haupt Verlag, Bern 2000<br />

Pschyrembel, W., Kl<strong>in</strong>isches Wörterbuch mit kle<strong>in</strong>. Syndromen u. Nom<strong>in</strong>a Anatomica, 255.<br />

Auflage, Verlag de Gruyter, Berl<strong>in</strong> 1986<br />

Schaufelbühl, K., Integrales Management, Fortis FH, Sauerländer Verlag, Aarau 1998<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 120


Thommen, J.-P., Glaubwürdigkeit - Die Grundlage unternehmerischen Denkens und<br />

Handelns, Versus Verlag, Zürich 1996<br />

Thommen, J.-P., Managementorientierte Betriebswirtschaftslehre, 5. Auflage, Versus Verlag,<br />

Zürich 1996<br />

ABBILDUNGSVERZEICHNIS<br />

Abb. 1<br />

Psychotraumatologisches Betreuungskonzept im Aargau<br />

TABELLENVERZEICHNIS<br />

Tab. 1<br />

Tab. 2<br />

Tab. 3<br />

Tab. 4<br />

Tab. 5<br />

Ereignisse und Auswirkungen von Katastrophen (KATANOS)<br />

E<strong>in</strong>teilung Stresssituationen<br />

Phasenverlauf Debrief<strong>in</strong>g<br />

Statistik Commonwealth Bank of Australia<br />

Möglichkeiten der Stressprävention<br />

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GLOSSAR<br />

Akute<br />

Belastungsstörung /<br />

Belastungsreaktion<br />

Belastendes Ereignis<br />

E<strong>in</strong>e akute Belastungsreaktion kann sich als Folge auf e<strong>in</strong>e<br />

aussergewöhnliche körperliche und/oder seelische Belastung<br />

entwickeln. In der Regel dauert die Störung nur wenige Stunden<br />

oder Tage (höchstens 4 Wochen) an. International Classification of<br />

Diseases (ICD) 10: F 43.0<br />

E<strong>in</strong> Ereignis oder e<strong>in</strong>e Situation aussergewöhnlicher Bedrohung<br />

oder katastrophenartigen Ausmasses (kurz- oder langanhaltend, die<br />

bei fast jedem e<strong>in</strong>e tiefe Verstörung hervorrufen würde (ICD-10).<br />

Situation, <strong>in</strong> der Betroffene Tod, Lebensgefahr oder starke<br />

Körperverletzung erleben / beobachten oder die körperliche<br />

Unversehrtheit der eigenen oder e<strong>in</strong>er anderen Person bedroht war<br />

(American Psychiatric Association, DSM-IV 1 ).<br />

1 Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer<br />

Störungen<br />

Care Team Betreuungsteam e<strong>in</strong>er Organisation, welches sich um die<br />

Betroffenen e<strong>in</strong>es ausserordentlichen Ereignisses kümmert und<br />

psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong> Erste Hilfe leistet.<br />

Dargebotene Hand<br />

(DH)<br />

Debrief<strong>in</strong>g<br />

Defus<strong>in</strong>g<br />

Distress<br />

E<strong>in</strong>satzkräfte<br />

Emotionale Erste<br />

Hilfe<br />

auch bekannt als „Telefonseelsorge“ oder Telefon 143. Die DH ist<br />

e<strong>in</strong>e konfessionell neutrale Beratungsstelle.<br />

Technisches: Es ist die Nachbesprechung über den Ablauf e<strong>in</strong>es<br />

E<strong>in</strong>satzes aus technischer Sicht.<br />

<strong>Psychologisch</strong>es: Rekonstruktion und Revision e<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>satzes mit<br />

e<strong>in</strong>er zuversichtlichen, wiedergutmachenden Haltung. Es umfasst<br />

den eigentlichen Ablauf der D<strong>in</strong>ge, ihre verstandesmässige und<br />

emotionale Verarbeitung und ihre Auswirkungen auf das Verhalten.<br />

Debrief<strong>in</strong>g ist e<strong>in</strong> klar strukturierter Prozess.<br />

Defus<strong>in</strong>g ist e<strong>in</strong>e psychologische Intervention für Helfer, die sofort<br />

nach e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>satz durch den E<strong>in</strong>satzleiter gehandhabt werden<br />

kann. Es ist e<strong>in</strong>e Art kurze Zusammenfassung dessen, was getan<br />

worden ist, und e<strong>in</strong> erstes Nachfragen nach der Bef<strong>in</strong>dlichkeit der<br />

Helfer.<br />

Negative Reaktion auf e<strong>in</strong>en Stressor, geistig, körperlich und<br />

emotional. Der Stress wird als Anspannung oder als Belastung<br />

empfunden, er führt zu Erschöpfung.<br />

Sammelbegriff für Polizei, Feuerwehr, Sanität<br />

siehe psychische Erste Hilfe<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 122


Erste Hilfe für die<br />

Seele<br />

Eustress<br />

Gewalt<br />

Krise<br />

Krisenmanagement<br />

Peers<br />

Primär-Opfer<br />

Psychische Erste Hilfe<br />

Emotionale Erste<br />

Hilfe<br />

Erste Hilfe für die<br />

Seele<br />

<strong>Psychologisch</strong><strong>seelsorgerliche</strong><br />

<strong>Nothilfe</strong><br />

siehe psychische Erste Hilfe<br />

Positive Reaktion auf e<strong>in</strong>en Stressor, geistig, körperlich und<br />

emotional. Stress wird als hilfreich empfunden, e<strong>in</strong> Ziel zu<br />

erreichen. Es ist anregender Stress.<br />

Anwendung von physischem Zwang und/oder psychischem Terror<br />

auf andere Personen, um ihnen Schaden zuzufügen, sie der eigenen<br />

Herrschaft zu unterwerfen. Gewaltdelikte im S<strong>in</strong>ne des Strafrechts<br />

s<strong>in</strong>d Mord, versuchter Mord, Totschlag, fahrlässige Tötung,<br />

Körperverletzung mit tödlichem Ausgang, schwere<br />

Körperverletzungen und Vergewaltigung.<br />

Es kommt zu e<strong>in</strong>er Krise, wenn e<strong>in</strong>e Person unfähig ist, mit e<strong>in</strong>er<br />

unangenehmen, fordernden Situation fertig zu werden. Das<br />

seelische Gleichgewicht ist gestört. Das Versagen der gewöhnlichen<br />

Schutz- und Bewältigungsstrategien führt zu Stresssymptomen und<br />

Kompensationsstörungen.<br />

Reaktionen auf e<strong>in</strong>e Krise können kognitive, affektive und<br />

körperliche Symptome umfassen. Auch die Fähigkeit zur<br />

Stressbearbeitung kann bee<strong>in</strong>trächtigt werden. Die üblichen<br />

kognitiven Symptome können kognitive Störungen oder<br />

verm<strong>in</strong>derte Entschlussfähigkeit be<strong>in</strong>halten. Affektive Symptome<br />

treten auf als Panik, Angst und/oder Depression. Körperliche<br />

Symptome können e<strong>in</strong>e Vielzahl stressbed<strong>in</strong>gter körperlicher<br />

Beschwerden be<strong>in</strong>halten. Die üblichen Auswirkungen e<strong>in</strong>er Krise<br />

auf das Verhalten e<strong>in</strong>es Menschen s<strong>in</strong>d unter anderem Gereiztheit,<br />

Angriffslust, Rückzug von den Mitmenschen, Selbstmedikation<br />

(Alkohol, Nikot<strong>in</strong> und verschiedene illegale Drogen).<br />

Bewältigung von nicht alltäglichen, oftmals belastenden Ereignissen<br />

auf persönlicher wie auch auf der Ebene von Unternehmungen,<br />

Organisationen und Staat.<br />

Wörtlich Gleiche, hier immer benützt im S<strong>in</strong>ne, dass es Menschen<br />

aus der gleichen Berufs- oder Erfahrungsgruppe s<strong>in</strong>d.<br />

Person, welche durch e<strong>in</strong> traumatisches Ereignis direkt, d.h.<br />

körperlich und psychisch <strong>in</strong> Mitleidenschaft gezogen worden ist.<br />

Psychische Erste Hilfe ist der psychologisch angemessene Umgang<br />

mit Personen <strong>in</strong> akuter psychischer Notsituation nach den<br />

Grundsätzen Nähe (Betreuung vor Ort), Raschheit (die Betreuung<br />

erfolgt so rasch wir möglich), E<strong>in</strong>fachheit (e<strong>in</strong>fache<br />

Betreuungsmethoden).<br />

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Psychotraumatologie<br />

Stress<br />

Der Begriff „Psychotraumatologie“ bezieht sich auf die Erforschung<br />

der Prozesse und Faktoren, die<br />

a. e<strong>in</strong>em psychischen Trauma vorangehen<br />

b. das psychische Trauma ausmachen<br />

c. sich <strong>in</strong> der Folge des psychischen Traumas entwickeln.<br />

Der Begriff steht im Gegensatz zum Begriff „Traumatologie“. Die<br />

„Traumatologie“ umfasst allgeme<strong>in</strong> die Erforschung von<br />

Verletzungen und ist eng verbunden mit der Allgeme<strong>in</strong>mediz<strong>in</strong>.<br />

Das Wort Stress stammt aus dem Englischen und bedeutet<br />

eigentlich Anspannung bzw. Verzerrung von Metallen.<br />

Der <strong>in</strong> die Mediz<strong>in</strong> übernommenen Begriff bezeichnet alle<br />

Belastungen, denen e<strong>in</strong> Mensch durch Lärm, Hetze, Kummer,<br />

Frustration usw. ausgesetzt ist.<br />

Stress ist: die unspezifische Aktivierungsreaktion des gesamten<br />

Organismus auf Stressoren, also auf alle <strong>in</strong>neren und äusseren<br />

Anforderungen. Diese Anforderungen müssen dabei als tatsächliche<br />

oder mögliche Gefährdung des eigenen Wohlergehens<br />

wahrgenommen (bewertet) werden.<br />

Stress bezieht sich auf <strong>in</strong>nere und äussere Anforderungen, die <strong>in</strong> der<br />

subjektiven E<strong>in</strong>schätzung der Person die eigenen oder die generell<br />

zur Verfügung stehenden Ressourcen (Bewältigungsmöglichkeiten)<br />

auf die Probe stellen oder überschreiten. Dieses von der Person<br />

wahrgenommene Kräfteungleichgewicht zwischen Anforderungen<br />

an die Person und deren Bewältigungsmöglichkeiten führt zu<br />

Stressreaktionen.<br />

PTBS<br />

PTSD<br />

Sekundär-Opfer<br />

Stressor<br />

Die Posttraumatische Belastungsstörung entsteht als direkte oder<br />

verzögerte Reaktion auf e<strong>in</strong> belastendes Ereignis oder e<strong>in</strong>e Situation<br />

aussergewöhnlicher Bedrohung (Katastrophen, Kampfhandlungen,<br />

schwere Unfälle, Folterung, Vergewaltigung oder andere schwere<br />

Verbrechen)<br />

Posttraumatic Stress Disorder, siehe PTBS<br />

Sekundäropfer werden <strong>in</strong>direkt traumatisiert, <strong>in</strong>dem sie als Helfer,<br />

Zeugen mit dem Ereignis konfrontiert werden.<br />

Ereignis, das Stress erzeugt. Stressorkriterien (nach ICD-10), die zu<br />

e<strong>in</strong>er traumatischen Belastungsstörung führen s<strong>in</strong>d: e<strong>in</strong> belastendes<br />

Ereignis oder e<strong>in</strong>e Situation aussergewöhnlicher Bedrohung oder<br />

katastrophenartigen Ausmasses (kurz- oder langanhaltend), die bei<br />

fast jedem e<strong>in</strong>e tiefe Verstörung hervorrufen würde.<br />

Nach DSM-IV muss der Betroffene e<strong>in</strong>e Situation erlebt/beobachtet<br />

haben oder damit auf andere Weise konfrontiert worden se<strong>in</strong>, die<br />

Tod, Lebensgefahr oder starke Körperverletzung be<strong>in</strong>haltete oder<br />

bei der die körperliche Unversehrtheit der eigenen oder e<strong>in</strong>er<br />

anderen Person bedroht war. Bei K<strong>in</strong>dern werden weith<strong>in</strong> dem<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 124


Entwicklungsstand unangemessene sexuelle Erfahrungen<br />

e<strong>in</strong>geschlossen. Traumatische Stressoren sollen nicht alle<strong>in</strong> durch<br />

die Situation def<strong>in</strong>iert werden, sondern auch durch die subjektive<br />

Reaktion auf diese Situation. So muss der Betroffene mit <strong>in</strong>tensiver<br />

Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen reagieren (bei K<strong>in</strong>dern<br />

chaotisches oder agitiertes Verhalten).<br />

Als Stressoren gelten alle Noxen (krankheitserregende Ursachen)<br />

d.h. potentiell schädigende Umstände wie extreme Hitze, Kälte,<br />

Lärm, schwere Körperarbeit, Vergiftungen und Verletzungen, aber<br />

auch extreme psychische Belastungen wie schwere Konflikte,<br />

Lebensängste, Zukunftssorgen u. ä., die das <strong>in</strong>nere Gleichgewicht<br />

stören und Neuanpassung (Adaption), wirkungsvolle<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzung und/oder Abwehr verlangen (W. Fröhlich:<br />

Wörterbuch Psychologie)<br />

Störung (psychisch)<br />

Tertiär-Opfer<br />

Trauma<br />

(psychologisch)<br />

Verhaltens oder Erlebnissyndrom (Merkmalmuster), das verbunden<br />

ist mit aktuellen Beschwerden (z.B. Beklemmungszuständen,<br />

Schmerzen), Beh<strong>in</strong>derungen bzw. E<strong>in</strong>schränkungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em oder<br />

mehreren Funktionsbereichen (z.B. Wahrnehmen, Denken, Fühlen,<br />

Er<strong>in</strong>nern, Sprechen, Sichbewegen), mit dem deutlich erhöhten<br />

Risiko, zu sterben, Schmerzen oder Beh<strong>in</strong>derungen zu erleiden oder<br />

mit dem Verlust der Möglichkeit, <strong>in</strong> Frieden mit sich selbst und<br />

anderen zu leben.<br />

s<strong>in</strong>d mit dem traumatisierenden Ereignis weder direkt noch <strong>in</strong>direkt<br />

<strong>in</strong> Kontakt gekommen. Ihre Traumatisierung besteht dar<strong>in</strong>, dass sie<br />

die Folgen und Verhaltensweisen von Primär- und Sekundäropfern<br />

zu spüren bekommen.<br />

Als psychologisches Trauma bezeichnen wir e<strong>in</strong>e Erfahrung, die als<br />

ausserhalb der Norm erlebt wird, bei der die psychische und<br />

physische Integrität e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>zelnen oder e<strong>in</strong>er Gruppe von<br />

Menschen bedroht wird.<br />

E<strong>in</strong> Trauma ist e<strong>in</strong> Ereignis ausserhalb der Norm, bei welchem die<br />

Unversehrtheit e<strong>in</strong>er Person oder e<strong>in</strong>er Gruppe von Personen<br />

gefährdet wird. Es kann auch genügen, Zuschauer bei solchen<br />

Ereignissen zu se<strong>in</strong>.<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 125


PROJEKTAUFTRAG<br />

Thema:<br />

<strong>Psychologisch</strong>-<strong>seelsorgerliche</strong> <strong>Nothilfe</strong><br />

Krisenmanagement zwischen Menschlichkeit und wirtschaftlicher<br />

Notwendigkeit.<br />

Auftraggeber: Ev.-Ref. Landeskirche des Kantons Aargau<br />

Branche:<br />

Dienstleistung / öffentliche Verwaltung / Kirche<br />

Projektbetreuer/<strong>in</strong>: Paul Jäggi, Kirchenratspräsident<br />

August<strong>in</strong> Keller-Str. 1, Postfach<br />

5001 Aarau<br />

# 062 / 838 00 11<br />

paul.jaeggi@ref-aargau.ch<br />

Projektart:<br />

Organisation<br />

Projektteam: Hans-Peter Ott Ev.-Ref. Spitalpfarramt<br />

unter dem Stock 19<br />

Kantonsspital Aarau<br />

5105 Auenste<strong>in</strong> 5001 Aarau<br />

# 062 / 897 14 03 G: 062 / 838 44 96<br />

hanspeter.ott@bluew<strong>in</strong>.ch hanspeter.ott@ksa.ch<br />

Fachdozent/<strong>in</strong>: Thomas Fischer, Lic. oec. HSG, Lic. iur. HSG, Rechtsanwalt<br />

Fachhochschule Aargau<br />

Mart<strong>in</strong>sberg P: Baderstrasse 10<br />

5401 Baden 8400 W<strong>in</strong>terthur<br />

# 056 / 203 10 15 P: 052 / 232 88 94<br />

t.fischer@fh-aargau.ch<br />

thom.fischer@bluew<strong>in</strong>.ch<br />

G: 055 / 415 87 00<br />

Projektkoord<strong>in</strong>ation: Stephan Burkart, Dozent, Leiter Praxistransfer<br />

Fachhochschule Aargau<br />

Mart<strong>in</strong>sberg<br />

5401 Baden<br />

# 056 / 203 10 66 M. 079 231 84 18<br />

s.burkart@fh-aargau.ch<br />

Vertraulichkeit: ke<strong>in</strong>e<br />

1. Ausgangsposition Grosskatastrophen wie e<strong>in</strong> Flugzeugabsturz, Verkehrsunfälle,<br />

Hochwasser usw. lösen bei Betroffenen, Angehörigen und den<br />

E<strong>in</strong>satzkräften enorme psychische Belastungen aus. Ohne frühzeitige<br />

Krisen<strong>in</strong>tervention besteht die Gefahr, dass sich unverarbeitete<br />

Traumatas chronifizieren und <strong>in</strong>folge Krankheit und Arbeitsausfall<br />

grössere wirtschaftliche Schäden zu erwarten s<strong>in</strong>d. Bis heute fehlt im<br />

Kanton Aargau e<strong>in</strong>e entsprechende Betreuungsorganisation.<br />

Die Landeskirchen haben den Kanton Aargau angeboten, dass<br />

kirchliche Mitarbeitende im Rahmen des Konzeptes „Psychiatrie <strong>in</strong><br />

a.o. Lagen und Psychotraumatologie“ für psychologisch<strong>seelsorgerliche</strong><br />

<strong>Nothilfe</strong> vor Ort leisten könnten.<br />

2. Zielsetzung Aufbau e<strong>in</strong>er Betreuungsgruppe, welche im Rahmen des Konzeptes<br />

für Opfer, Angehörige und Helfende psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong><br />

<strong>Nothilfe</strong> leistet.<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 126


3. Aufgabenstellung<br />

1. Theoretische Grundlagen der psychologisch-<strong>seelsorgerliche</strong><br />

<strong>Nothilfe</strong> sichten<br />

2. Rekrutierung von Mitgliedern für die Betreuungsgruppe<br />

3. Schnittstellen zwischen Polizei, Feuerwehr, Sanität, Dargebotenen<br />

Hand klären<br />

4. Grundausbildung, Weiterbildung der Betreuer/<strong>in</strong>nen<br />

5. Adm<strong>in</strong>istration und Koord<strong>in</strong>ationsaufgaben für die<br />

Betreuungsgruppe<br />

6. Verb<strong>in</strong>dungsperson zwischen den Landeskirchen und der<br />

kantonalen Begleitgruppe, welche das Konzept bis 2003 zu<br />

realisieren hat.<br />

Abgrenzung: Die <strong>in</strong> der Arbeit gemachten Vorschläge, soweit sie die Landeskirchen<br />

betreffen, werden realisiert. Was ausserhalb des E<strong>in</strong>flussbereichs der<br />

Landeskirchen liegt, wird als Impuls <strong>in</strong> die kantonale Begleitgruppe<br />

e<strong>in</strong>gebracht.<br />

4. Projektgrundlagen Konzept „Psychiatrie <strong>in</strong> a.o. Lagen und Psychotraumatologie des<br />

Kantons Aargau“, gültig ab 1.1.2000<br />

5. Term<strong>in</strong>planung - Betreuer/<strong>in</strong>nen s<strong>in</strong>d bis Ende 2000 ausgebildet<br />

- Betreuungsteam ist per 1.1.2001 e<strong>in</strong>satzbereit<br />

- Diplomarbeit bis 31.12.2000 abgeschlossen<br />

6. Diverses<br />

12/2000 PSYCHOLO.DOC Seite 127

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