22.11.2013 Aufrufe

Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

ZESZYTY NAUKOWE UNIWERSYTETU SZCZECIŃSKIEGO<br />

NR 617 COLLOQUIA GERMANICA STETINENSIA NR <strong>19</strong> 2011<br />

KLAUS HAMMER<br />

Politechnika Koszalińska / Akademia Pomorska w Słupsku<br />

„DIE GESAMTE ZIVILISATION IST EINE VERDRÄNGUNG“:<br />

ZUR SCHREIBSTRATEGIE VON CHRISTOPH HEIN<br />

In seinem erst <strong>19</strong>81 veröffentlichten Essay Waldbruder Lenz, der die Beziehung<br />

des Autors zu den großen Stilisten deutscher Sprache von Lenz, Kleist,<br />

Hebel, Büchner bis Kafka und Canetti dokumentiert, erzählt Christoph Hein<br />

gleich anfangs eine Geschichte, die er in einem comic fand:<br />

Ein Landstreicher erklärt einem ältlichen Priester des Vatikans die biblische Schöpfungsgeschichte,<br />

wonach die Erdkugel ein Wollknäuel sei, welches Gott aus dem<br />

Schoß gefallen und nun langsam von ihm wieder aufgerollt werde. Unser Leben<br />

sei insofern rückläufig, die Vergangenheit unsere Zukunft und das Finale der Welt<br />

absehbar, es hängt am Fadenende. Auf die Frage des entsetzten Priesters, wo denn,<br />

bei Gott und allen Teufeln, dies in der Bibel stünde, entgegnet der Landstreicher:<br />

So direkt steht es natürlich nicht drin. Aber du bekommst es sehr schnell mit, wenn<br />

du verstehst, zwischen den Zeilen zu lesen. 1<br />

Die künstlerischen Strategien „beim Schreiben der Wahrheit“ (Brecht) waren in<br />

der Literatur in der DDR vielfältig. Die Kunst, sowohl mit verstellter Stimme<br />

zu sprechen als auch zwischen den Zeilen oder ‘um die Ecke’ zu lesen, wurde<br />

mit der moralischen Verpflichtung verbunden, den geknebelten Journalismus<br />

und den unterbundenen öffentlichen Diskurs in und mit der Kunst zu ersetzen.<br />

Viele Autoren setzten ihren Ehrgeiz darin, die Sprache der Herrschaft nur in<br />

1<br />

Christoph Hein: Öffentlich arbeiten. Berlin, Weimar <strong>19</strong>87, S. 70.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!