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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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88<br />

Anna Maria Borowska-Stankiewicz<br />

den 23 , deuten auf ein krasses Missverhältnis hin. Die Mutter wird von der Tochter<br />

als Konkurrentin gesehen.<br />

Der Hauptgrund für die Konflikte zwischen Vater und Tochter liegt offenbar<br />

darin, dass die Ich-Erzählerin eben eine Tochter und keine Frau für den<br />

Vater ist. Die väterliche Geistesabwesenheit ist die Ursache dieser Haltung, weil<br />

die Tochter sich abgestoßen fühlt und um jeden Preis und mit allen Mitteln um<br />

die ersehnte Aufmerksamkeit des Vaters wirbt. Die durch Sexualität gefärbte<br />

Beziehung trägt wiederum dazu bei, dass ihre späteren Liebesbeziehungen<br />

scheitern müssen. So kann man von einer verhängnisvollen Kettenreaktion sprechen,<br />

in der der Liebesentzug seitens des Vaters zur Fixierung der Tochter auf<br />

die Vatergestalt führt, was ihre Beziehungen zu anderen Männern im Voraus<br />

zum Scheitern verurteilt.<br />

Die Ich-Erzählerin ist sich dessen bewusst, dass die erotischen Komponenten<br />

in ihren Relationen mit dem Vater untersagt sind. Dies ruft bei ihr Schuldgefühle<br />

hervor und führt zu einer Persönlichkeitsspaltung, was schließlich in<br />

(Alp-)Träumen mündet:<br />

Leg deine Hände auf meine Hüften, wie ich das nie haben wollte, wenn du nichts<br />

anderes kannst. Ein Friedhofsmörder könnte mich erwürgen und zerstückeln [...].<br />

Siehst du, was für Macht du hast? Und wie überlegen du mir jetzt schon wieder<br />

bist. (LA 8)<br />

Die Vorstellung von einer Berührung ist somit durch die Angst vor der Strafe<br />

gefärbt. Die Angst ‘erwürgt und zerstückelt’ zu werden, ist die Antwort des Unterbewusstseins<br />

auf eine verbotene und nahezu zum Inzest führende Beziehung.<br />

Die Tochter ist von der Übermacht ihres Erzeugers, auch nach dessen Tod,<br />

fest überzeugt:<br />

Aber sein Sterben war die letzte Falle, in die ich hineingeriet und in der ich noch<br />

immer stecke. Weil mein Vater unsterblich ist. (LA 20)<br />

Der Verstorbene erweist sich als übermächtig; als jemand, der trotz seiner Verschlossenheit<br />

für die Tochter die wichtigste Bezugsperson bleibt. Auch nach seinem<br />

Tod orientiert sie an ihm ihr eigenes Denken. Ihre Suche nach der Nähe zum<br />

23<br />

Dazu bekennt die Ich-Erzählerin: „Ich möchte mir vor meinem Vater die Kleider ausziehen,<br />

mich nackt vor ihn hinzustellen: Schau mich an, ich bin eine Frau, ich bin nicht du!“ (LA 41)

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