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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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80<br />

Anna Maria Borowska-Stankiewicz<br />

grafieren lässt. Die Tochter fühlt sich betrogen und ausgenutzt, und ihr Glaube an<br />

den Vater sowie an die Richtigkeit seines Handelns ist erschüttert. Diese Szene<br />

lässt sich auf die Situation der Tochter innerhalb der Familie auch im Allgemeinen<br />

beziehen. Auch als Erwachsene lässt sie sich vom Vater täuschen, dass die<br />

Heirat mit Rolf ihr die Selbstverwirklichung ermöglichen würde. Nach kurzer<br />

Zeit erweist sich aber, dass sie weiterhin in einer hierarchischen Struktur steckt,<br />

mit dem einzigen Unterschied, dass sie statt des Vaters jetzt einen väterlichen<br />

Ehemann hat.<br />

Die Ich-Erzählerin rebelliert zwar in erster Linie gegen ihren Mann und<br />

gegen seine Ansichten, doch es lässt sich nicht übersehen, dass Rolf als eine<br />

Verkörperung der Lebensphilosophie des Vaters erscheint. Indem die junge Frau<br />

dagegen kämpft, kämpft sie indirekt gegen die Weltanschauung ihres Erzeugers.<br />

Sie ist mit der von den Männern unternommenen und mit Erfolg immer wieder<br />

durchgeführten Entindividualisierung der Frau keinesfalls einverstanden. Sie<br />

will sich nicht in den starren Korsett der Konventionen einsperren lassen und<br />

strebt nach ihrem eigenen Lebensinhalt. Stets versucht sie, sich aus den Machtund<br />

Gewaltverhältnissen zu retten. In ihrem Handeln negiert sie die bestehenden<br />

Verhältnisse, wirbt um eine ehrliche Kommunikation zwischen den Familienmitgliedern,<br />

und ihre Flucht in die Ehe ist ein Versuch, der Rolle eines vom Vater<br />

und dessen Willen absolut abhängigen Kindes zu entfliehen. In Rolf sucht sie<br />

anfänglich danach, was sie beim Vater nie gefunden hat – nach Liebe und Freiheit,<br />

weil sie glaubt, als eine Ehefrau ihr Schicksal selbst bestimmen zu dürfen.<br />

Doch die Hoffnung auf Selbständigkeit ist trügerisch. Wie stark ihre Enttäuschung<br />

auch ist, negiert die Ich-Erzählerin nicht die gesamte Gesellschaftsordnung.<br />

Zwar äußert sie Skepsis gegen die Institution der Ehe und kritisiert das<br />

Patriarchat, aber sie vertritt keine radikalen feministischen Ansichten, wie dies<br />

auch Puknus konstatiert:<br />

Dennoch wird keine der dezidiert feministischen Konsequenzen gezogen: Weder<br />

dringt das Schwaigersche ‘Ich’ über seine Einzelexistenz zur gleichgeschlechtlichen<br />

Solidarisierung vor, noch wird proklamativ die totale Abwendung vom Mann<br />

als Mann [...] gefordert. 13<br />

Ähnlich wie im Roman Wie kommt das Salz ins Meer? thematisiert Brigitte<br />

Schwaiger auch in dem darauffolgenden Werk Lange Abwesenheit eine totale<br />

13<br />

Ebd., S. 232.

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