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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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Die weibliche Selbstwahrnehmung … 75<br />

rissenheit einer jungen Frau, die einen Ausbruch aus der bürgerlichen Rollenzuweisung<br />

wagt. Das in Schwaigers Roman als Motto angeführte Zitat aus Arthur<br />

Schnitzlers Liebelei charakterisiert dabei schon vorwegnehmend die im Roman<br />

skizzierte gesellschaftliche Ordnung:<br />

Das ist es, ganz richtig! Erholen! Das ist der tiefere Sinn! Zum Erholen sind sie da.<br />

Drum bin ich auch gegen die sogenannten interessanten Weiber. Die Weiber haben<br />

nicht interessant zu sein, sondern angenehm. 6<br />

Im Hinblick auf diesen Roman vermerkt Heinz Puknus, dass die satirischen<br />

Absichten der Autorin nicht zu übersehen sind und dass Ironie, Sarkasmus sowie<br />

hohnvoller Spott, mit denen sie arbeitet, zum Entstehen einer spürbaren Distanz<br />

zu den geschilderten Ereignissen beitragen. Ferner spricht er von „einer fremdfeindseligen<br />

Umwelt“ 7 , in der die Ich-Erzählerin ihren eigenen Weg zu gehen<br />

und gegen das traditionelle Patriarchat der Mittelklasse kleinstädtischer Honoratioren<br />

zu kämpfen versucht.<br />

Die Ich-Erzählerin des Romans wächst in einer Welt auf, in der die gesellschaftliche<br />

Position der Frau von ihrem Ehemann abhängt. Das heranwachsende<br />

Mädchen begreift früh, dass es als eine Arzttochter eine privilegierte gesellschaftliche<br />

Stellung hat:<br />

[...] es waren ärmere Menschen, die sofort erkannten, dass es eine Ehre war,<br />

Mutter und mich empfangen zu dürfen, weil wir zu Vater gehörten, und Vater war<br />

der wichtigste Mann in der Stadt, er machte alle Leute gesund, er rettete vielen<br />

Menschen das Leben. (SM 30)<br />

Mit der Vorstellung von ihrem großen, mächtigen und allwissenden Vater konfrontiert,<br />

fühlt sich die Tochter hilflos und ganz und gar auf seine Liebe angewiesen.<br />

Ohne ihn wäre sie ein Nichts. Andere Frauen, die für sie ein Vorbild sein<br />

könnten, scheinen eine solche Rollenverteilung völlig zu akzeptieren. Weder die<br />

Großmutter noch die Mutter rebellieren gegen die ihnen zugewiesenen Rollen,<br />

was jedoch der Tochter bei der Herausbildung der eigenen Identität Schwierigkeiten<br />

bereitet. Sie leidet nämlich unter Beziehungslosigkeit, und ihre Bedürf-<br />

6<br />

Brigitte Schwaiger: Wie kommt das Salz ins Meer? Reinbek bei Hamburg <strong>19</strong>79, S. 7.<br />

Im Folgenden zitiert als SM mit der Seitenzahl.<br />

7<br />

Heinz Puknus: Neue Literatur der Frauen. Deutschsprachige Autorinnen der Gegenwart.<br />

München <strong>19</strong>80, S. 231.

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