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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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Die weibliche Selbstwahrnehmung … 73<br />

scheint allerdings die Teilung in feministische und Frauenliteratur von Bedeutung<br />

zu sein, denn beide Termini dürfen keinesfalls gleichgesetzt werden. Manfred<br />

Jurgensen erklärt diesen gravierenden Unterschied mit folgenden Worten:<br />

Eine Frau, die bewußt als Frau über sich selbst schreibt, d. h. geschlechtsbezogen,<br />

ein geteiltes Schicksal zeichnet, schafft Frauenliteratur. Eine Frau, die sich als Ergebnis<br />

eines Bewußtseinsprozesses entschieden hat, kämpferisch für die Sache<br />

der Frau zu wirken, leistet beim Schreiben einen Beitrag zur feministischen Literatur.<br />

3<br />

Auch Renate Möhrmann hält fest, dass feministische Literatur eine „provokative<br />

Literatur“ sei, die „quer zum Status quo“ 4 stehe. Wie Jurgensen betont sie also<br />

den kämpferischen und oppositionellen Charakter der feministischen Literatur.<br />

Zu beachten ist dabei, dass die provokativen Merkmale dieser Literatur auf die<br />

Stärke der Autorinnen verweisen, weil nur derjenige, der von seinen Rechten<br />

und Ansichten überzeugt ist, gegen andere Meinungen und Weltanschauungen<br />

kämpfen kann. Die Abgrenzung zwischen den beiden Begriffen wurde und wird<br />

so oft unternommen, weil man auf diese Weise abwertende Urteile über die feministische<br />

Literatur aufzuheben versucht. Sie wird nämlich immer wieder mit der<br />

Trivialliteratur gleichgesetzt, was für ihre Autorinnen ziemlich ungerecht zu<br />

sein scheint.<br />

Die Frauenbewegung der <strong>19</strong>70er Jahre, die von der Studentenbewegung<br />

der <strong>19</strong>60er Jahre, von der Auflösung der bürgerlichen Sexualmoral sowie von<br />

den unterschiedlichsten feministischen Gruppierungen stark beeinflusst wurde,<br />

versuchte auch in der Literatur eine neue Frauenrolle zu gestalten. Die Selbstfindung<br />

der Frau wurde angestrebt und das weibliche Ich in den Mittelpunkt<br />

gestellt. Da sich aber jede Identitätssuche in Form von Protesten gegen verschiedene<br />

Autoritäten vollzog, war auch die damalige Literatur nicht frei von Auseinandersetzungen,<br />

Abrechnungen oder sogar vom Hass. Der Leser findet in vielen<br />

Frauenbüchern keine Harmonie mit dem Elternhaus, fast keine glücklichen<br />

Augenblicke – es ist eher eine Anklageprosa, die eine quälende Ambivalenz der<br />

Gefühle zum Ausdruck bringt.<br />

Die Zerrissenheit zwischen Zuneigung und Liebe zu den Eltern einerseits<br />

und Vorwürfen sowie Enttäuschungen andererseits verursachte bei vielen Auto-<br />

3<br />

Manfred Jurgensen: Deutsche Frauenautoren der Gegenwart. Bern <strong>19</strong>83, S. <strong>19</strong>.<br />

4<br />

Ebd., S. 338.

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