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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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68<br />

Regina Hartmann<br />

Hände bricht / Die Stadt“, die hell ist, voller „Licht“. Deren Erbauern in den<br />

Mund gelegt, ist der aus dem Kraftakt, aus der eigenen Leistung erwachsende<br />

enthusiastische Wunsch, der „Strahl der Stadt“ möge über alle Grenzen dringen.<br />

Die Schluss-Strophe setzt die Vision einer künftigen „Friedensstadt“ ins Bild,<br />

über der der Stern, Symbol für die Hoffnung der Menschheit, leuchtet und die<br />

Liebe unter den Menschen weiterträgt.<br />

Was die Expressionisten verband, war ihr Leiden an einer gesellschaftlichen<br />

Wirklichkeit, die von ihnen als Ursache für den Sinnverlust ihrer Existenz erlebt<br />

wurde. Georg Heym schreibt zwischen <strong>19</strong>09 und <strong>19</strong>11 in seinen Tagebüchern<br />

über „die Unlust, die Verzweiflung“ 38 , die wie eine „Krankheit“ in ihm frisst,<br />

über „dies inhaltslose Dasein“:<br />

Ich meine, keine Zeit war bis auf den Tag so inhaltslos wie diese. [...] Es ist immer<br />

das gleiche, so langweilig, langweilig, langweilig. Es geschieht nichts, nichts.<br />

Wenn doch einmal etwas geschehen wollte, was nicht diesen faden Geschmack<br />

von Alltäglichkeit hinterlässt.<br />

Die Dichter sehnten daher die vernichtende Zerstörung dieses Daseins herbei, ein<br />

„Ende ihrer Leben in dieser Zeit. Eine Lebens-Form hatte sich aufgebraucht“ 39 ,<br />

urteilt Arnolt Bronnen. Im prophezeiten apokalyptischen Untergang der Städte,<br />

in einem Krieg sahen sie die Möglichkeit des Endes der alten Welt. Dabei hegten<br />

– wie die Interpretation gezeigt hat – nicht alle die Hoffnung auf ein gänzlich<br />

neues Dasein danach, so gestalteten beispielsweise auch Georg Trakl, Jakob van<br />

Hoddis oder Albert Ehrenstein in ihren Untergangsvisionen keinen darauf folgenden<br />

Neubeginn. Bei denjenigen, die an ein ‘neues Jerusalem’ glaubten, hatte<br />

dieses freilich außerordentlich abstrakte Züge – Ausdruck einer Ratlosigkeit, die<br />

– so scheint es – das Scheitern schon mitdenkt. Die christliche Hoffnungssicherheit<br />

jedenfalls war verloren gegangen – im Angesicht des millionenfachen<br />

Sterbens im Krieg.<br />

38<br />

Heym: Dichtungen und Schriften, Bd. 3, S. 128, 131, 135.<br />

39<br />

Arnolt Bronnen gibt zu Protokoll. Beiträge zur Geschichte des modernen Schriftstellers.<br />

Hamburg <strong>19</strong>54, S. 34.

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