Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19
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Die Offenbarung des Johannes … 65<br />
Und wir, umtrommelt rings, gepresst, gebunden,<br />
Stehn in der Erde ältestem Geschick,<br />
Im Krieg – ein Späherheer fängt unsern Blick,<br />
Wald wächst voll unnatürlicher Gewalten,<br />
voll Mauern, die uns grau in Waffen halten:<br />
Mit kahlem Steingesicht, unnahbar böse,<br />
In seinen Händen gellendes Getöse,<br />
Den Stahl im Munde und im Herzen stumm<br />
Geht ein Gespenst durch Menschenreihen um.<br />
Es schlägt die Erde dröhnendes Zerstören,<br />
Und nirgends ist ein Herzschlag mehr zu hören,<br />
Wir stehen eingereiht ins Heer des Nichts<br />
Und werden ausgesandt zum Mord des Lichts. 27<br />
Die Personifizierung des Krieges mit einem versteinerten Gesicht, das keine<br />
menschliche Regung erkennen lässt, „unnahbar böse“, trägt satanische Züge.<br />
In seinen Händen hält er „gellendes Getöse“ und „dröhnendes Zerstören“, das<br />
den Herzschlag – Menschlichkeit, Liebe, Mitleid – so übertönt, dass er nicht<br />
mehr wahrnehmbar ist, ausgelöscht von der Grausamkeit des Krieges. Das damit<br />
korrespondierende Bild „Den Stahl im Munde und im Herzen stumm“ ist außerordentlich<br />
bemerkenswert, denn hier liegt ein subtiler Umgang mit dem Offenbarungstext<br />
vor: In der dort am Anfang stehenden Christus-Vision tritt dieser zwar<br />
mit einem „zweischneidigen, scharfen Schwert“ 28 auf, doch es ragt aus seinem<br />
Mund, und er hält es nicht etwa in der rechten Hand.<br />
Nicht die physische Gewalt, sondern die Kraft des Wortes steht im Zentrum. Das<br />
‘Schwert des Mundes’ steht in der Offenbarung immer im Zusammenhang mit<br />
dem Zornesgericht und wird entsprechend von Gewaltbildern umgeben. 29<br />
In Wolfensteins Gedicht führt der Krieg das symbolische Schwert ebenfalls im<br />
Munde; das heißt, er ist an die Stelle von Christus getreten, doch was er predigt,<br />
ist Gewalttätigkeit, Brutalität hasserfülltes Töten, das das Herz verstummen<br />
27<br />
Ebd., S. 351 f.<br />
28<br />
Offb. 2,12; auch 16; <strong>19</strong>; 15,21.<br />
29<br />
Dietrich, Mayordomo: Gewalt und Gewaltüberwindung in der Bibel, S. 101.