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Colloquia Germanica Stetinensia Nr 19

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Die Offenbarung des Johannes … 63<br />

Nacht“. Die „schwarze Welt“ wird „von Vulkanen furchtbar [...] erhellt“. Der<br />

Krieg wirft „dreimal seine Fackel“ – eine Anspielung auf den ‘Wermut-Stern’,<br />

der in der Offenbarung des Johannes wie eine brennende Fackel vom Himmel<br />

fällt. „Wo der Tag flieht, sind die Ströme schon voll Blut“: Das Bild wirkt wie ein<br />

Palimpsest aus dem Offenbarungstext:<br />

Die Visionen des Johannes sind blutig. Das Blut steigt in der symbolischen Erzählwelt<br />

des Sehers an einer Stelle bis an die Zügel der Pferde [...] 20 .<br />

Das „Feuer“ schwillt an zu „Feuerhaufen“, bis von der „großen Stadt“ nur noch<br />

„glühnde Trümmer“ stehen, und am Ende sind sie es, die als einzige noch Licht<br />

spenden – als „Widerschein“ in den „Wolken“. Die Lichtmetapher, die Gottes<br />

Nähe symbolisiert, ist in entsetzlicher Pervertierung zum Tod bringenden „Brand“<br />

geworden; am Ende bleibt „totes Dunkel“, das „kalte Wüstenein“ bedeckt – keine<br />

Hoffnung auf ein neues Jerusalem.<br />

Dieser für eine ganze Reihe von Expressionisten charakteristischen Weltsicht<br />

steht nach der realen Kriegserfahrung auch eine andere gegenüber. 21 Es<br />

erübrigt sich, die einschneidende Wirkung des Krieges auf die Biographien der<br />

Menschen ausführlich darzustellen. Ohne Zweifel lag für viele eine apokalyptische<br />

Erfahrungsauslegung nahe. Das gilt nicht nur für die Lyrik; ein Beispiel<br />

für die Epik liegt mit Bernhard Kellermanns antimilitaristischem Roman Der 9.<br />

November von <strong>19</strong>20 vor. Die apokalyptische Vision Ackermanns, des Protagonisten,<br />

fasst den revolutionären Umsturz in folgende Worte:<br />

Ja, dahinschreiten werden die Brüder, und auf dem blutigen Schutt dieser armen<br />

Erde werden sie eine neue Welt errichten! Schleift die Kasernen, werden sie rufen,<br />

zerbrecht sie, schleift sie! Ihr Gestank verpestet Europa und die Erde [...]. Reinigt<br />

Schulen und Kirchen, wo unschuldige Kinder und reine Seelen betrogen werden.<br />

Reinigt die Tempel, hinaus mit den falschen Priestern, [...] hinaus mit den eitlen<br />

Advokaten, den hartherzigen Greisen. 22<br />

20<br />

Gemeint ist Offb. 14,20. Vgl. dazu Walter Dietrich, Moisés Mayordomo: Gewalt und<br />

Gewaltüberwindung in der Bibel. Zürich 2005, S. 175. Vgl. auch Walter Dietrich, Christian Link:<br />

Die dunklen Seiten Gottes. Bd. 1: Willkür und Gewalt. Neukirchen-Vluyn 3 2000.<br />

21<br />

Daneben finden sich auch weiterhin Dichtungen, die diese Hoffnungslosigkeit artikulieren.<br />

22<br />

Bernhard Kellermann: Der 9. November. Berlin <strong>19</strong>21, S. 281 f.

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